Lebensdaten
1775 – 1831
Geburtsort
Dreierwalde bei Rheine
Sterbeort
Bonn
Beruf/Funktion
katholischer Theologe
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118549790 | OGND | VIAF: 10637368
Namensvarianten
  • Hermes, Georg

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Zitierweise

Hermes, Georg, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118549790.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Gerhard, Bauer;
    M Anna Maria Löcke.

  • Biographie

    H. besuchte 1788-92 das Gymnasium in Rheine, 1792-98 studierte er Philosophie und Theologie in Münster (Priesterweihe 1799). Schon seit Herbst 1798 war er hier als Lehrer am Gymnasium Paulinum angestellt. Er unterrichtete in Religionslehre, empirischer Psychologie, Mathematik, deutscher und lateinischer Sprache. Nach zunächst erfolgloser Bewerbung (1805) erhielt er 1807 die Professur für Dogmatik an der Universität Münster. Berufungen nach Breslau (1812) und an die neu gegründete Universität Bonn (1818) lehnte er ab. Erst 1820 folgte er einem erneuten Angebot des preußischen Kultusministers nach Bonn. Zu diesem Entschluß bestimmte ihn nicht zuletzt das Mißtrauen, das ihn der münsteraner Bistumsverweser Clemens August von Droste-Vischering und andere Mitglieder des „Kreises von Münster“ wegen seiner theologischen Lehre, vor allem seit Erscheinen seiner „Philosophischen Einleitung“ (1819) fühlen ließen. Den Theologiestudierenden des Bistums Münster wurde es verboten, ihrem Lehrer nach Bonn zu folgen. In seinem neuen Wirkungskreis genoß H. das Wohlwollen des Kölner Erzbischofs Ferdinand August Graf Spiegel, der schon in Münster sein Gönner gewesen war und ihn 1825 durch Ernennung zum Mitglied des Kölner Domkapitels ehrte. Einen Ruf nach Freiburg (1822) nahm H. ebenso wenig an wie das Rektorat der Universität Bonn 1820. In seiner Bonner Position fühlte er sich durch die Tatsache beeinträchtigt, daß auch seine Kollegen F. J. Seber (bis 1825) und H. Klee (seit 1829) einen Lehrauftrag für Dogmatik innehatten. H. lehnte ihre theologische Haltung und ihre Lehrart ab. Obwohl es ihm gelang, eine Schule zu gründen und sie gegen die Genannten durchzusetzen, gab es auch in Bonn Widerstand gegen seine Lehre, nicht nur seitens der Fachkollegen, sondern auch seitens des Philosophen K. J. Windischmann. Dessen Freund, Clemens Brentano, scheint 1826 als erster von der Notwendigkeit einer kirchlichen Untersuchung der hermesischen Lehre gesprochen zu haben. Die entscheidenden Schritte in dieser Richtung tat der Düsseldorfer Pfarrer A. J. Binterim. Seine Warnungen an den Münchener Nuntius lösten nach H.s Tod das päpstliche Breve vom 26.9.1835 aus, das die Lehre H.s verurteilte.

    H.s besonderes Interesse galt dem philosophischen Vorraum der Theologie, besonders der Erkenntnistheorie und der Natürlichen Theologie. Die Frage nach der Wirklichkeit unserer Verstandesurteile, die seit Kants „Kritik der reinen Vernunft“ die philosophische Diskussion erneut stark bewegte, versuchte H. von der Analyse des subjektiven Bewußtseins aus zu lösen. Ausgangspunkt seines Denkens ist der kritische Zweifel und die Einschränkung der sicheren Verstandesurteile auf die dem Bewußtsein innewohnenden Vorstellungen und Gedanken. Das Vernunftdenken kann ihnen einen objektiven Wirklichkeitsgrund hinzudenken, aber das Wesen der Dinge nicht erfassen. Die theoretische Vernunft darf die „Wahrheiten“ höchstens subjektiv für wahr annehmen; gegen Zweifelsmöglichkeit sind diese gesichert durch die physische Nötigung und das unaufhebbare Bedürfnis der Vernunft. Das Fürwahrannehmen der Offenbarung gebietet nach H. die praktische Vernunft, sofern und weil sie für die reine Darstellung der Menschenwürde notwendig ist. Trotz seiner Unterscheidung von Erkenntnis- und „Herzens“glaube läßt H. den christlichen Glauben im Grunde auf die bloße Vernunft begründet sein. Das Nichterfassen des Verhältnisses von Natur und Ubernatur und mangelndes Verständnis für das wesenhaft Übernatürliche führten H. auch zu Folgerungen in der Lehre von der Erbsünde, der Erlösung, der Rechtfertigung und den Sakramenten, die den Widerspruch katholischer Theologen und des kirchlichen Lehramtes fanden. Dem Einfluß des aufklärerischen Denkens und des Kant-Fichteschen Kritizismus, den H. überwunden zu haben glaubte, ist er dennoch verhaftet geblieben. Auch in seiner Unkenntnis und Verachtung des Geschichtlichen im Leben der Kirche und der Theologie ist er ein Kind des ausgehenden 18. Jahrhundert Diese einseitigen Grundhaltungen treffen bei ihm zusammen mit beispielhaftem Fleiß, aber auch mit Selbst- und Sendungsbewußtsein des Außenseiters, seiner großen, durch körperliche Leiden noch gesteigerten Empfindlichkeit, seiner Intoleranz gegen Andersdenkende. Persönlich war H. ein innerlicher, religiöser und seine Kirche liebender Gelehrter. Seine Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue, seine Wahrheitsliebe, seine Selbstlosigkeit, sein sittlich tadelloser Lebenswandel haben ihm die suchende akademische Jugend seiner Zeit zugeführt und seinen Erfolg als Lehrer und Erzieher begründet.|

  • Auszeichnungen

    Dr. theol. h. c. (Breslau 1819), Dr. phil. h. c. (Bonn 1822).

  • Werke

    Unters. üb. d. innere Wahrheit d. Christentums, 1805;
    Gutachten in Streitsachen d. Münster. Domkapitels mit d. Generalvikar d. Kapitels 1815;
    Antwort auf d. „Geschichtl. Darst. d. Lage d. Münster. Kirche“, 1815;
    Einl. in d. christkath. Theol., 1. T.: Phil. Einl., 1819, ²1831, 2. T.: Positive Einl., 1. Abt., 1829, ²1834;
    Christkath. Dogmatik, 3 Bde., hrsg. v. J. H. Achterfeldt, 1831/34.

  • Literatur

    ADB XII;
    W. Esser, Denkschr. auf G. H., 1832;
    Myletor (Ps. f. Franz Werner), Der Hermesianismus, vorzugsweise v. s. dogmat. Seite dargest., 1845;
    H. Schrörs, Gesch. d. kath.-theol. Fak. zu Bonn 1818–31, 1922;
    K. Eschweiler, Die zwei Wege d. neueren Theol., G. H. u. Matth. Jos. Scheeben, Eine krit. Unters. d. Problems d. theolog. Erkenntnis, 1927;
    R. Schlund, in: Zs. f. kath. Theol. 72, 1950;
    E. Hegel, in: Westfäl. Lb. VII, 1959 (L, P,);
    ders., Gesch. d. kath.-theol. Fak. Münster 1773-1964, 1966;
    W. Lipgens, Btrr. z. Lehrtätigkeit v. G. H., Seine Briefe an d. späteren Kölner EB Ferdinand August Gf. Spiegel, 1812–24, in: HJb. 81, 1962, S. 174-222;
    E. Hegel, Bonner Gelehrte, Btrr. z. Gesch. d. Wiss. in Bonn, Kath. Theol., 1968, S. 13-25.

  • Autor/in

    Eduard Hegel
  • Zitierweise

    Hegel, Eduard, "Hermes, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 671-672 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118549790.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Hermes: Georg H., katholischer Theologe, geb. am 22. April 1775 zu Dreyerwalde bei Rheine im Münsterlande, am 26. Mai 1831 zu Bonn. Von seinen Eltern, schlichten Ackersleuten, religiös erzogen und von dem Dorfpfarrer vorgebildet, besuchte er von Ostern 1788 bis Herbst 1792 das Gymnasium der Franciscaner zu Rheine (auch Kistemaker und Overberg haben dort ihre Gymnasialbildung erhalten). Vom Herbst 1792—98 studirte er an der Universität zu Münster Philosophie und Theologie; von seinen dortigen Lehrern sind besonders der Philosoph Ueberwasser und der Philologe und Exeget Kistemaker zu nennen. Am 16. Januar 1799 wurde H. zum Priester geweiht, nachdem er schon im Herbst 1798 als Lehrer an dem Gymnasium in Münster angestellt worden war. Auch als Gymnasiallehrer setzte er seine philosophischen und theologischen Studien fort, las namentlich die Schriften von Kant und Fichte und arbeitete schon eine Moralphilosophie vollständig aus. Nachdem er 1805 die kleine Schrift „Untersuchung über die innere Wahrheit des Christenthums“, veröffentlicht hatte, wurde er auf Empfehlung des Halle’schen Theologen Niemeyer am 27. März 1807 zum ordentlichen Professor der dogmatischen Theologie an der Universität zu Münster ernannt. Als Vorlesebuch war ihm die Dogmatik von Klüpfel angewiesen; er schloß sich aber vorzugsweise an die Schriften des Exjesuiten Stattler an. Er las außer über Dogmatik auch „philosophische Einleitung in die gesammte christliche Theologie“ und über „die Principien der katholischen Theologie“ und verband mit den Vorlesungen regelmäßig auch ein Examinatorium und Repetitorium. Er fand als Docent großen Beifall, nahm auch an den Universitätsangelegenheiten thätigen Antheil; er war drei Mal Decan und insofern auch gewissermaßen Rector, als unter den vier Decanen der theologische den Vorsitz führte. Wiederholt hatte er für das Ministerium Gutachten auszuarbeiten, so 1815 über die van Eß’sche Uebersetzung des Neuen Testaments, 1817 über die Besetzung der Professuren an der theologischen Lehranstalt in Braunsberg, 1819 über einen Studierplan der Theologie (später, 1826, über den Religionsunterricht an Gymnasien, abgedruckt in der Bonner Zeitschr. f. Philosophie und katholische Theologie, 1832, 3. u. 4. Heft).

    Im J. 1815 veröffentlichte H. ein „Gutachten in Streitsachen des Münster’schen Domcapitels mit dem Generalvicar des Capitels“ (Clemens August von Droste-Vischering, später Erzbischof von Köln; s. Bd. V. S. 421) und eine „Antwort|auf die (gegen jenes Gutachten gerichtete) geschichtliche Darstellung der Lage der Münster’schen Kirche“ (dazu kommen noch „Vier Erklärungen, veranlaßt durch die geschichtliche Darstellung“, s. l. et a.). Im J. 1819 erschien die „Philosophische Einleitung in die christkatholische Theologie“, der als Anhang der „Studier-Plan der Theologie“ beigefügt ist. In demselben Jahre erhielt H. von Breslau das Diplom als Doctor der Theologie. Nachdem er früher einen Ruf nach Breslau abgelehnt, wurde er 1818 über die Einrichtung der katholischtheologischen Facultät an der neuen Universität Bonn consultirt, zeigte sich aber nicht geneigt, dort eine Professur zu übernehmen, blieb vielmehr Professor an der aus einer theologischen und einer philosophischen Facultät bestehenden Akademie, welche in Münster nach der Aufhebung der dortigen Universität im Juli 1818 errichtet wurde. Erst im Frühjahr 1820 siedelte er nach Bonn über (die am 27. April dort gehaltene Antrittsrede ist abgedruckt in der Bonner Zeitschr. 6. Heft). Viele seiner Münster’scher Zuhörer wollten ihm folgen; der Generalvicar v. Droste verbot aber den Theologie-Studierenden der Münster’schen Diöcese, ohne seine ausdrückliche Erlaubniß eine andere Universität zu besuchen. Bei der Rectorwahl am 1. August 1820 erhielt H. die meisten Stimmen, lehnte aber die Wahl ab. Zwei Mal war er Decan; später lehnte er immer ab. Im J. 1821 verlieh ihm die philosophische Facultät den Doctortitel honoris causa. Eine im October 1821 an ihn gelangte Berufung nach Freiburg lehnte er ab. Später beantragte er wegen Mißhelligkeiten mit dem Professor Seber, der (bis zu seinem Ausscheiden aus der Facultät im J. 1825) neben ihm Dogmatik las, seine Zurückversetzung nach Münster, dann seine Entlassung, ließ sich indeß bestimmen zu bleiben. Im J. 1825 wurde der Graf Ferdinand August von Spiegel, zu dem H. schon in Münster in näheren Beziehungen gestanden, Erzbischof von Köln, und H. wurde, mit Beibehaltung seiner Professur, Mitglied des neu errichteten Kölnischen Domcapitels.

    H. las in Bonn über philosophische und positive Einleitung in die Theologie und über Dogmatik, einmal auch über Dogmengeschichte. Seine Vorlesungen wurden auch von katholischen Studenten anderer Facultäten, namentlich Philologen und Juristen, besucht. Im Sommer 1829 erschien die erste Abtheilung der „positiven Einleitung in die christkatholische Theologie“, deren Druck schon im J. 1824 begonnen worden war. Andere Schriften von ihm sind bei seinen Lebzeiten nicht gedruckt worden. Erst nach seinem Tode, im J. 1834, wurden von seiner „Christkatholischen Dogmatik“ zwei Theile und die erste Abtheilung des dritten Theiles (mit dem Imprimatur des Generalvicars Hüsgen zu Köln) von seinem Schüler J. H. Achterfeldt herausgegeben. Auch die zweite, wenig veränderte, Auflage der „Philosophischen Einleitung“ erschien erst nach seinem Tode, 1831. — Schon mehrere Jahre kränklich, erkrankte H. bedenklich im Januar 1831, bereitete sich mit großer Fassung auf den Tod vor und starb am 26. Mai. In dem Anschlage, durch welchen von Seiten der Universität am schwarzen Brette sein Tod angezeigt wurde, heißt es: „Er war der erste Würdenträger der katholischen Theologie und eins der hellsten Lichter der deutschen Philosophie, der durch seine glänzende akademische Wirksamkeit der Kirche unzählige würdige Priester, der Wissenschaft tüchtige Gelehrte, dem Staate treue Bürger gebildet hat. Ohne Eitelkeit und gelehrten Hochmuth, voll edlen Hasses gegen jede Affectation und Heuchelei, gegen die ganze, wie gegen die halbe Lüge, war er ein echter Mann und ein wahrer Christ“. Er wurde am 29. Mai auf dem Friedhose zu Bonn beigesetzt, wo ein Grabstein mit der einfachen Inschrift „Georg Hermes“ seine Ruhestätte bezeichnet. Eine Grabrede hatte er sich verbeten. In Münster hielt der zeitige Rector, Domdechant Katerkamp, am 20. Juni die Exequien, danach Prof. Brockmann in der Aula eine Gedächtnißrede. — H. hat in seinen Schriften sein philosophisch-theologisches System nur theilweise ausgeführt. Den Inhalt der „Philosophischen Einleitung" bilden die drei Untersuchungen: 1) „Gibt es für Menschen eine Entschiedenheit über Wahrheit, die sicher ist? in welchen Wegen entsteht sie und ist einer derselben anwendbar auf den Beweis des Christenthums?" 2) „Ist ein Gott und wie ist er beschaffen?" und 3) „Muß eine übernatürliche Offenbarung Gottes an die Menschen als möglich zugelassen werden, und unter welchen allgemeinen Bedingungen muß sie als wirklich erachtet werden?" (S. 80). In der „Positiven Einleitung“ sollte dann der „Beweis des Christenthums als einer von Gott gegebenen Offenbarung und des Katholicismus als des wahren Christenthums“ geführt werden (Ph. E. S. X) durch die fünf Untersuchungen: 1) „Sind die Bücher des Neuen Testaments äußerlich historisch wahr?" 2) „Ist die in ihnen enthaltene Lehre Jesu auch innerlich wahr?" 3) „Ist die sog. mündliche Uebergabe (Tradition) äußerlich wahr?" 4) „Haben die durch mündliche Uebergabe überlieferten Lehren Jesu ebenfalls innere Wahrheit?“ 5) „Sind die Vorträge und Erklärungen der theologischen Lehren Jesu durch das in der Kirche der Katholiken befindliche mündliche Lehramt unfehlbar richtig?“ Nur die erste Untersuchung ist in der 1829 erschienenen ersten Abtheilung ausgeführt, — theilweise im Anschluß an Hug's Einleitung in das Neue Testament, — die von dem Herausgeber der Dogmatik in Aussicht gestellte Veröffentlichung der zweiten Abtheilung aus dem Nachlaß von H. ist nicht erfolgt. — In der langen einleitenden Abhandlung (über Methode! im ersten Bande der Dogmatik heißt es (S. 94): die specielle christkatholische Theologie (welche außer der Dogmatik noch die Moraltheologie umfasse) müsse alle geoffenbarten Lehren über Gott und über das Verhältniß der Welt und der Menschen zu Gott, wie sie die katholische Kirche annehme, mittheilen und ihren Inhalt aus den drei (in der positiven Einleitung behandelten, Erkenntnißprinzipien herleiten (S. 1104), so viel als möglich, auf eine wissenschaftliche Weise, systematisch und „im Geiste der neuen Philosophie"; letzteres wird aber (S. 10) dahin erläutert: wenn in der Einleitung zur Theologie der Gebrauch der Philosophie unbegrenzt sei, weil dir Vernunft nothwendig so lange allein führe, bis sie einen zweiten Führer gefunden habe (Ph. E. S. XXIII), so könne sie in der speziellen christlichen Theologie gar keinen positiven, sondern nur einen negativen Gebrauch haben. In dem ersten Theile (746 S.) der Dogmatik wird die Lehre von Gott, im zweiten (176 S.) die Lehre von dem Verhältnisse der Welt zu Gott behandelt: der dritte sollte das Verhältniß des Menschen zu Gott behandeln; die erste Abtheilung handelt von dem Urzustände, dem Sündewalle, der Erlösung und der Gnade. Die Darstellung der Lehre von den Gnadenmitteln und von den letzten Dingen fand sich nicht vor, und die zweite Abtheilung, welche diese Stücke, von einem Schüler Hermes' in seinem Geiste bearbeitet, bringen sollte, ist nicht erschienen. Auch von dem, was von der Dogmatik veröffentlicht worden ist, sagt der Herausgeber, es sei mit Ausnahme einzelner Stücke von H. selbst des Druckes keineswegs würdig erachtet worden.

    Die „Philosophische Einleitung“ ist das einzige originelle und charakteristische Werk von H. Er wollte darin „dem so gewöhnlichen Gebrauche Abbruch thun, die theologischen Lehren und deren Beweise zu erlernen, ohne je zu einer ernsten Prüfung der ersten Gründe herunterzusteigen, und auf diese Weise dem Unglauben und der mystischen Schwärmerei entgegenwirken“ (S. XXIX). Er habe, sagt er (S. X), bei seiner Arbeit „den Vorsatz gewissenhaft erfüllt, überall so lange als möglich zu zweifeln und da erst definitiv zu entscheiden, wo er eine absolute Nöthigung der Vernunft zu solcher Entscheidung vorweisen gekonnt“. Daß H. bei diesem Versuche, für die Wahrheit des Christenthums und des Katholicismus einen strengen Beweis zu führen, keine rationalistische Tendenz verfolgte, muß auch von seinen Gegnern anerkannt|werden; daß der Versuch, philosophisch und theologisch betrachtet, nicht vollkommen gelungen ist, wird wol kaum noch von Jemand bestritten. H. war kein bedeutender Philosoph (eine übersichtliche Darstellung seiner Philosophie gibt Esser in der unten anzuführenden Schrift, S. 140 ff.) und in theologischer Hinsicht fehlte es ihm namentlich an dem Sinne für geschichtliche Entwickelung. Mit der älteren theologischen, auch der patristischen Litteratur hatte er sich nur sehr ungenügend bekannt gemacht. Charakteristisch für ihn ist die Aeußerung: „als Katholik könne er eine Dogmengeschichte im gewöhnlichen Sinne nicht anerkennen, weil die Dogmen das, was sie seien, auch immer gewesen“ (Esser, S. 110); später wollte er eine lateinische Dogmengeschichte schreiben, um darin „die vollkommene Uebereinstimmung seiner Dogmatik mit der der ersten christlichen Kirche klar nachzuweisen“. Hermes Darstellung ist klar und logisch, aber breit und viel weniger anziehend, als sein mündlicher Vortrag gewesen sein muß.

    Trotz der Mängel seiner Arbeiten kommt H. eine hervorragende Stellung in der Geschichte der katholischen Theologie in Deutschland und das Verdienst zu, nicht nur auf die wissenschaftliche und sittliche Bildung zahlreicher Geistlichen einen maßgebenden und wohlthätigen Einfluß geübt, sondern auch eine Reihe von tüchtigen jüngeren Gelehrten zu philosophischen und theologischen Arbeiten angeregt zu haben. Esser, Elvenich und Biunde bearbeiteten in seinem Geiste philosophische Disciplinen (die beiden ersteren, beide Laien, namentlich die Moralphilosophie), Droste-Hülshoff das Naturrecht (und Kirchenrecht), Gotthard Braun und Vogelsang die Moraltheologie, Achterfeldt und Siemers Lehrbücher für den Religionsunterricht. Andere hervorragende Schüler von H., die litterarisch thätig waren, sind Baltzer, J. W. Braun, Rosenbaum, Hilgers. Das Hauptorgan der Schule war 1882—53 die „Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie“, anfangs von Achterfeldt, Braun, v. Droste, Scholz und Vogelsang (alle in Bonn), zuletzt von den beiden zuerst genannten allein herausgegeben. — Als H. starb, docirten vorwiegend, teilweise fast ausschließlich Schüler von ihm in den theologischen Facultäten nicht nur zu Bonn (gegen die Berufung von Möhler oder Döllinger hatte H. selbst im J. 1830 votirt), sondern auch in Breslau, Münster und Braunsberg und in den Seminarien zu Köln und Trier, sowie als Religionslehrer an vielen rheinischen und westfälischen Gymnasien. Das Hermes’sche System wurde schon 1825 in dem „Katholiken“ (von K. F. Windischmann), gleich nach Hermes' Tode 1831 und 32 in (unbedeutenden) besonderen Schriften von A. v. Sieger und J. Hast und in Artikeln in Zeitschriften, namentlich der Aschaffenburger Kirchenzeitung, angegriffen, von Hermes' Schülern lebhaft verteidigt. Schon 1827 ging das Gerücht, Windischmann arbeite dahin, die „Philosophische Einleitung“ auf den Inder zu zu bringen. Windischmann war es nicht, der Hermes' Lehre in Rom denuncirte, aber er und mehrere deutsche Theologen erhielten 1833 von dort den Auftrag, Gutachten darüber einzusenden. In Rom selbst arbeiteten namentlich der Studien-Rector in der Propaganda, Graf Reisach (der spätere Cardinal), und der Jesuit Perrone solche Gutachten aus. Nachdem die Sache vor der Inquisition verhandelt worden, wurden durch ein Breve Gregors XVI. vom 26. Septbr. 1835 die „Philosophische“ und die „Positive Einleitung“ und der erste Theil der Dogmatik (durch ein Decret der Index-Congregation vom 7. Jan. 1836 auch die anderen Theile der Dogmatik) in sehr scharfen Ausdrücken verdammt. H. wird als ein „Lehrer des Irrthums“ bezeichnet, welcher, „von dem königlichen Wege, den die gesammte Tradition und die heiligen Väter bei der Darlegung und Vertheidigung der Glaubenswahrheiten gebahnt, abweichend, ja denselben hochmüthig verachtend und verdammend, einen dunkeln Weg zu allerlei Irrthümern anbahne, indem er den positiven Zweifel zur Grundlage aller theologischen Untersuchung mache und das Princip ausstelle, daß die Vernunft die hauptsächlichste Norm und das einzige Mittel sei, wodurch der Mensch zur Erkenntniß der übernatürlichen Wahrheiten gelangen könne"; er lehre manches „Absurde und von der katholischen Lehre Abweichende“ bezüglich einzelner wichtiger Punkte, und seine Schriften enthielten „falsche, verwegene, zum Skepticismus und Indifferentismus führende und von der Kirche schon früher verdammte Sätze“. — Der Erzbischof von Köln, Clemens August v. Droste, von Alters her ein Gegner von H., bemühte sich sehr eifrig, dieses Urtheil zur Geltung zu bringen, und die litterarische Bekämpfung des Hermes’schen Systems wurde jetzt sehr zahlreich. Von Seiten der Hermesianer wurde behauptet: die Ansichten, die der Papst verworfen, seien wirklich verwerflich; aber nur in Folge davon, daß die begutachtenden Theologen die betreffenden Stellen in Hermes' Schriften mißverstanden oder unrichtig übersetzt, sei die Meinung entstanden, daß H. jene Ansichten wirklich vorgetragen; das, was in dem Breve verdammt werde, sei etwas anderes, als was H. gewollt und wirklich gelehrt habe. Die Professoren J. W. Braun und Elvenich reisten im Mai 1837 nach Rom, um diese Anschauung dort zu vertreten und eine Berichtigung des päpstlichen Urtheils zu erwirken. Sie wurden an den Jesuitengeneral Roothaan gewiesen, der vom Papste beauftragt sei, mit ihnen zu verhandeln. Die Verhandlungen wurden aber schon anfangs August, angeblich in Folge einer österreichischen Note an die Curie, abgebrochen. Die beiden Professoren reisten im April 1838 unverrichteter Sache wieder ab und veröffentlichten in demselben Jahre die auf ihre Verhandlungen bezüglichen Actenstücke (Acta Romana). Die geistlichen Schüler Hermes' unterwarfen sich vor und nach alle, mit Ausnahme von Achterfeldt und Braun, dem römischen Urtheil.

    Seit dem J. 1831 ist eine sehr große Zahl von Streitschriften für und gegen das Hermes’sche System und über die durch die Verurtheilung desselben hervorgerufenen oder damit zusammenhängenden Controversen und Verwickelungen erschienen. Der Advocat-Anwalt J. J. Stupp (später Oberbürgermeister von Köln) kämpfte noch bis 1848 für H. und die letzten Hermesianer.

    • Literatur

      W. Esser, Denkschrift auf Georg Hermes, 1832. Raßmann, Münsterländ. Schriftsteller, S. 147. Werner, Gesch. der kathol. Theologie, S. 405. Ch. G. Niedner, Philosophiae Hermesii ... explicatio, 1839. Niedner gibt S. VII ein Verzeichniß der bis dahin erschienenen Streitschriften; ein vollständigeres Verzeichniß bei Roskovany, Rom. Pontifex IV. 643, 702, eine Besprechung der wichtigsten in Rheinwald's Repertorium. Bd. XX. (1838), XXXI. XXXIV. (1841), XXXIX. (1842).

  • Autor/in

    Reusch.
  • Zitierweise

    Reusch, Heinrich, "Hermes, Georg" in: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 192-196 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118549790.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA