Lebensdaten
1817 – 1891
Geburtsort
Börnecke bei Halberstadt
Sterbeort
Blasewitz bei Dresden
Beruf/Funktion
Staatsphilosoph ; Politiker ; Publizist
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118534939 | OGND | VIAF: 12352145
Namensvarianten
  • Frantz, Gustav Adolph Constantin
  • Frantz, Constantin
  • Frantz, Gustav Adolph Constantin
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Zitierweise

Frantz, Constantin, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534939.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Klamer Wilh. (1773–1857), Pfarrer, bemühte sich um e. Reform d. Kirchenliedes, S d. Joh. Gottfr. (1737–98), Domkämmerer in H.;
    M Karol. Kath. Auguste (1780–1825), T d. Jak. Catel (1740–1809), Hofprediger in Bückeburg, aus Hugenottenfam., u. d. Marie Darrest; Groß-Om (Halb-B d. Gvm) Samuel Henri Catel (1758–1838), ref. Prediger in Brandenburg, Redakteur d. Voss. Ztg. (s. ADB 40); Verwandter Franz Catel ( 1856), Maler (s. NDB III).

  • Biographie

    F. studierte 1836-40 in Halle und Berlin Mathematik, Physik, Philosophie und Geschichte, bestand 1840 das philologische Staatsexamen in naturwissenschaftlichen Fächern und war an einer Berliner Realschule ein Jahr als Lehrer tätig. In den folgenden Jahren befaßte sich F. hauptsächlich mit der Erforschung philosophischer Probleme und veröffentlichte als Hegel-Schüler unter anderem 1842 „Die Philosophie der Mathematik“. In Zusammenarbeit mit A. Hillert gab er 1843 das Werk „Hegels Philosophie in wörtlichen Auszügen“ heraus. Später jedoch wurde er ein leidenschaftlicher Gegner von Hegels Staats- und Rechtsphilosophie. Tief religiös von Jugend auf, gewann F. schon früh eine tiefe Zuneigung zu Schellings Spätphilosophie, die ihn durch das ganze Leben begleiten sollte. Den Einfluß Hegels hat er dabei aber niemals ganz überwunden. Von 1843 bis Anfang 1848 als referierender Literat im preußischen Kultusministerium angestellt, erweiterte F. durch große ausländische Reisen seine Welt- und Menschenkenntnis. In zahlreichen Schriften legte er von den Resultaten seiner Reise durch Böhmen, Österreich, Steiermark, Kroatien, Siebenbürgen, Schlesien und Polen Rechenschaft ab, sagte unter anderem bereits den Ausbruch der Revolution von 1848 voraus und entwickelte im Keim den Gedanken eines um Deutschland konzentrierten mitteleuropäischen Föderalismus. Das Bekenntnis von F. zu dem Föderalismus als Prinzip einer politischen Neuordnung Europas dringt schon in seinen Schriften aus dem Revolutionsjahr 1848, „Polen, Preußen und Deutschland“ und „Preußen, Österreich und Deutschland“, deutlich hindurch. Das Aufsehen, welches die frühesten politischen Schriften von F. hervorriefen, erwarb ihm die Freundschaft des russischen Gesandten am Berliner und Wiener Hofe, Peter von Meyendorff, der F. den Weg unter anderem zu Bismarck, dem alten Fürsten Metternich, dem österreichischen Gesandten Anton von Prokesch ebnete. Eine ihm 1850 angebotene Professur in Breslau schlug F. aus, um sich seine politische Unabhängigkeit zu bewahren. 1851 begab sich F. auf längere Reisen nach Österreich, Frankreich und in die Schweiz, um durch eigene Erfahrung sich politisch fortzubilden und insbesondere das für Deutschland verhältnismäßig neue Problem des Sozialismus und des Kommunismus an Ort und Stelle in Frankreich gründlich zu studieren. 1852 bejahte er in seiner Schrift „Louis Napoleon“ den Staatsstreich des Diktators und bezeichnete kraftvolles Handeln als höchstes Gesetz aller Politik. In diesem Jahr wurde F. auch als „Geheimer expedierender Sekretär“ im Ministerium der auswärtigen Angelegenheilen angestellt und als Kanzler des preußischen Generalkonsulats für Spanien und Portugal nach Barcelona und Cadiz versetzt. In dieser Stellung verblieb F. 1853-56 und erbat nach seiner Rückkehr seine Beurlaubung aus dem Staatsdienst, wo er offiziell noch bis 1858 blieb. Ansässig in Berlin bis 1873, wohnte er dann in tiefer Vergessenheit und bitterer Armut bis zu seinem Tode in der Nähe von Dresden.

    F. war ein ungemein fruchtbarer Schriftsteller, und seine Bücher, Broschüren und Artikel bilden eine ganze Bibliothek. Seine Produktion zerfällt in drei Teile: 1. rein philosophische Schriften, 2. staatsphilosophische Arbeiten und 3. publizistische Werke. Sein philosophisches Hauptwerk ist „Schellings positive Philosophie“ (3 Bände, 1879 f.). Hier stellt er Schelling als einen Weltphilosophen hin, dessen christliche Philosophie die Grundlage für ein neugeordnetes Europa darstellt. Von seinen staatsphilosophischen Arbeiten kommen hauptsächlich in Betracht Vorschule zur Physiologie des Staates“ (1857), „Kritik aller Parteien“ (1862) und „Die Naturlehre des Staates als Grundlage aller Staatswissenschaft“ (1870, neuherausgegeben von W. Ferber, 1949). Für F. bildet die Familie den Kern aller gesunden Staatsbildung. Eine korporative Gliederung der Stände ist die Voraussetzung für ein gesundes Staatsleben. Die moderne Entwicklung seit der französischen Revolution ist ein verhängnisvoller Irrtum, und der konstitutionelle Staat entbehrt jeder Lebensfähigkeit. In diesen Auffassungen erweist sich F. in seiner leidenschaftsdurchglühten Auseinandersetzung mit dem Demokratismus und dem Liberalismus als ein starrer Konservativer.

    Die publizistischen Arbeiten F. befassen sich teils mit dem Aufbau des Föderalismus, teils mit der Kritik an dem Reiche Bismarcks. Für F. ist der Föderalismus das politische Universalmittel zur Heilung aller religiösen, geistigen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden der Zeit. Der Föderalismus ist zugleich ein Schutz gegen den Partikularismus und den Zentralismus in der modernen Staatenwelt. Es ist weder die Aufgabe Preußens noch diejenige Österreichs, die deutsche Frage zu lösen, da eine derartige Lösung nur durch eine enge Zusammenarbeit dieser Länder möglich ist. Deutschland, nach F. das Herzland Europas, bildet den Kern für eine große mitteleuropäische Föderation als ein wirksames Gegengewicht gegen die immer mehr um sich greifende Macht der Weltmächte Rußland und Amerika. Die Organisation dieser Föderation stellte sich F. folgendermaßen vor: er unterschied einen engeren Bund, einen weiteren Bund und schließlich den weitesten Bund. Er glaubte an einen engeren Bund westdeutscher Staaten, dem die Schweiz und die Niederlande aus eigenem Antriebe sich freiwillig angliedern sollten. Dieser engere Bund wiederum sollte seinerseits mit den zwei weiteren Bünden, die sich um Österreich und Preußen gruppierten, in enger Verbindung stehen. Dem preußischen Bund sollten unter anderem sich ganz Skandinavien, Polen und die baltischen Staaten anschließen, während Österreich alle Balkanländer angegliedert sein sollten. Dem Gesamtbund sollte die einheitliche Ordnung der Wirtschaft und der Außenpolitik obliegen, aber diese einzelnen drei Bünde sollten der gemeinsamen Hauptstadt entbehren, und damit würde eine staatsrechtlich überhaupt nicht erfaßbare Bildung zwischen Bundesstaat und europäischem Völkerbund entstanden sein. Dieses große mitteleuropäische Reich, aufgebaut auf den Grundsätzen des Christentums, sollte nach F. den Kern für eine gewaltige zukünftige Weltunion darstellen.

    Als geschworener Gegner des liberalen Nationalgedankens stand F. dem Reiche Bismarcks äußerst kritisch gegenüber. Er sah in Bismarcks Staatsbildung einen vollständigen Bruch mit der jahrtausendealten deutschen Geschichte und sprach Bismarcks Reich überhaupt die Daseinsberechtigung ab. Nach der Auffassung von F. war dieses Reich in Wirklichkeit ein auf den Spitzen der Bajonette gegründetes machiavellistisches Machtgebilde ohne eigene Idee und ohne Zukunft. Alle von Bismarok getroffenen Maßnahmen, das heißt seine gesamte Innen- und Außenpolitik, wurden von F. leidenschaftlich verworfen, und der Verfall des deutschen Geisteslebens durch eine rein preußisch orientierte Philosophie und Geschichtsschreibung wurde von F. als eine direkte Folge des Machtcharakters dieser seltsamen Staatsbildung hingestellt. Mit besonderer Schärfe griff er Bismarck als einen Antichristen an und beschuldigte ihn der Verantwortung für die immer mehr um sich greifende Säkularisierung der Lebenshaltung und des Lebensstils. Mit besonderem Nachdruck behauptete F. in seinem Haß gegen Bismarck, daß das Reich Bismarcks den jüdischen Materialismus typisch verkörpere. Dieser radikale Antisemitismus bei F. ist ohne Zweifel eine peinliche Entgleisung seines Denkens.

    F. blieb zeitlebens ohne Einfluß auf die Gestaltung der praktischen Politik der Zeit. Erwähnenswert ist es aber, daß unter anderem Richard Wagner seine politischen Ideen schätzte, Julius Fröbel in seiner großdeutschen Periode sich ihm verbunden fühlte und daß auch J. Burckhardt in seiner Kritik an Bismarck von F. beeinflußt wurde. In großdeutschen Kreisen Österreichs war F. als Publizist wohl bekannt und geschätzt, aber auch hier hat sich keiner seiner Gesamtlehre angeschlossen. Bei seinem Tode war der Name von F. so vollständig unbekannt, daß kein einziges großes Konversationslexikon seiner gedachte.

    Aber während des 1. Weltkrieges gewannen seine Gedankengänge erneut brennende Aktualität. Der französische Gelehrte Andler sah in F. einen leidenschaftlichen Alldeutschen und Chauvinisten, während in Deutschland F. W. Foerster in F. einen genialen Kritiker des Bismarck-Reiches erblickte und F. als einen großen Zukunftspolitiker feierte. Diese Auffassung hat Foerster bis unmittelbar in die Gegenwart hinein voll aufrechterhalten. Seiner Auffassung trat Erich Marcks scharf entgegen. So hat sich die Auseinandersetzung um F. bis auf den heutigen Tag immer|weiter gesponnen. Unter seinen nahen Anhängern seien hier nur unter anderem Karl Heldmann, Moeller van den Bruck und Schmittmann genannt. Im 3. Reich galt die Gedankenwelt von F. einerseits als eine frühe Vorwegnahme des 3. Reichs, andererseits als eine scharfe Kritik des Nationalsozialismus.

    Ohne Frage war F. ein bedeutender Denker, reich an klugen, weitsichtigen Ideen, aber auch nicht arm an überspannten, unhaltbaren und verstiegenen Gedanken. Mit großer Genialität hatte er den Aufstieg Rußlands und Amerikas zu Weltmächten beobachtet, aber auch mit großer Einseitigkeit diese Entwicklung als eine Bedrohung Europas aufgefaßt und einseitig Rußland als eine rein asiatische Barbarenmacht charakterisiert, die in Europa nichts zu suchen habe. So fruchtbar die Idee des Föderalismus auch in der Verfassungslehre sein kann, so war es doch unbefriedigend, wenn F. in ihr das Allheilmittel für die Neuordnung Europas erblickte und in träumerischer Verblendung von einem mitteleuropäischen Friedensreich träumte, ohne indessen angeben zu können, welche tatsächlichen Voraussetzungen es denn in der damaligen Staatenwelt zu einer Verwirklichung dieses Planes gab. Weder die Schweiz noch die Niederlande hätten zugunsten der westdeutschen Föderation auf ihre staatliche Selbständigkeit verzichtet, und Polen hätte sich nie einem preußischen König unterstellt, der bald in Berlin, bald in Warschau residiert hätte. So könnte man unzählige Fragen gleicher Art erheben, um den utopischen Charakter des Weltbildes von F. darzutun. Dasselbe gilt auch für die Bismarckkritik von F., die zum Beispiel den föderalistischen Charakter der bismarckischen Reichsverfassung von 1871 vollständig verkennt, die Bedeutung des Bündnisses zwischen Österreich und Deutschland übersieht und die Frage unbeantwortet läßt, wie denn eine andere Lösung des deutschen Problems im Zeitalter des liberalen Nationalgedankens und der industriellen Evolution überhaupt möglich gewesen wäre, ob nicht unter allen Umständen sich hier zentralistische Tendenzen durchgesetzt hätten.

    F. war ein leidenschaftlicher Gegner allen politischen Parteiwesens, und insbesondere richtete er eine messerscharfe Kritik gegen die christlich-konservative Staatslehre von Stahl und den Kompromiß der konservativen Partei mit Bismarck zwischen 1866 und 1871. Seinem Wesen nach muß jedoch F. als ein konservativer Ideenpolitiker angesehen werden, indem er entschieden eine ständisch organische Staatsordnung bejaht und auf christlicher Grundlage einen mitteleuropäischen Föderalismus erstrebt. Bei aller Kritik gegen F. muß man jedoch als Totalbeurteilung in ihm einen großen deutschen politischen Denker von ungewöhnlicher Originalität und Selbständigkeit sehen, dessen Ideen auch noch in der Zukunft wertvolle und reiche Anregungen vermitteln können.

  • Werke

    Weitere W u. a. Unterss. üb. d. europ. Gleichgewicht, 1859;
    33 Sätze v. Dt. Bunde, 1861;
    Der dän. Erbfolgestreit u. d. Bundespol., 1864;
    Die Wiederherstellung Dtld.s, 1865;
    Das neue Dtld., beleuchtet in Briefen an e. preuß. Staatsmann, 1871;
    Die Rel. d. Nat.liberalismus, 1872;
    Bismarckianismus u. Fridericianismus, 1873;
    Die preuß. Intelligenz u. ihre Grenzen, 1874;
    Der Nat.liberalismus u. d. Judenherrschaft, 1874;
    Literar.-pol. Aufsätze nebst e. Vorwort üb. d. Verdienste d. Fürsten Bismarck…, 1876;
    Der Untergang d. alten Parteien u. d. Parteien d. Zukunft, 1878;
    Der Föderalismus als d. leitende Prinzip f. d. soz., staatl. u. internat. Organisation, unter bes. Bezugnahme auf Dtld., 1879;
    Die Weltpol., 1882 f.;
    Die Gefahr im Osten, in: O. Schuchhardt, Die dt. Pol. d. Zukunft I, 1899; W-Verz.
    v. K. Heldmann, in: Thür.-sächs. Zs. f. Gesch. u. Kunst, 1917, wieder, in: W. Ferber, Föderalismus, 1948. Gesamtausg. fehlt.

  • Literatur

    ADB 48;
    O. Schuchhardt, C. F., 1896;
    E. Stamm, K. F., 2 Bde., 1907/1930 (nur bis 1866; P
    in II: Rundrelief v. O. Panzner, 1900);
    ders., Ein berühmter Unberühmter, 1948;
    M. Philippson, Neueste Gesch. d. jüd. Volkes II, 1910, S. 4 f.;
    Ch. Andler, Le pangermanisme, Paris 1915-17;
    F. W. Foerster, Pol. Ethik u. pol. Päd., 1918, bes. S. 256-327;
    ders., Europa u. d. dt. Frage, 1937;
    ders., Erlebte Weltgesch. 1869–1953, 1953;
    K. Heldmann, Das dt. Dtld., 1919;
    ders., Zwei Menschenalter dt. Gesch. in dt. Beleuchtung, 1920;
    A. Rapp, Der dt. Gedanke, 1920, S. 281;
    R. F. Kaindl, 1848/49 - 1866 - 1918/19, 1920;
    E. Marcks, Männer u. Zeiten II, ⁶1922, S. 365-77;
    A. Wahl, K. F., in: H. v. Arnim u. K. v. Below, Dt. Aufstieg, 1925, S. 139-47;
    M. Häne, Die Staatsideen d. K. F., 1929;
    K. vom Hövel, in: Mitteldt. Lb. V, 1930, S. 372-94 (W, L, P);
    R. M. Faber, C. F., in: Hochland, 1932/33, S. 193-223, S. 344-64 (P);
    A. Rosenberg, Der Mythus d. 20. Jh., 1935, S. 474 ff.;
    E. Eyck, Bismarck III, 1944, S. 41 ff.;
    E. Wittenberg, Konservatism och nationalsocialism, in: Historiska idéer och makter, Stockholm 1944, S. 151-205;
    F. Meinecke, Die dt. Katastrophe, 1946;
    H. Rüdiger, Federalismen, Stockholm 1947, S. 388-403;
    I. Hartmann, C. F., in: Der Föderalismus als universale Idee, 1948, S. 7-77;
    H. Gollwitzer, Europabild u. Europagedanke, 1951, S. 374-81;
    Th. Heuss, Einl. zu Bismarcks Gedanken u. Erinnerungen, 1951;
    W. Schüßler, Um d. Gesch.bild, 1953, S. 88-144;
    Henry Cord Meyer, Mitteleuropa 1815–1945, Den Haag 1955;
    L. Sauzin, C. F., in: The Third Reich, London 1955, S. 112-47 (modernste u. scharfsinnigste Deutung F.s in d. wiss. Lit.): F. Schnabel, Bismarck u. d. Nationen, in: La Nouvelle Clio 1, Brüssel 1949, S. 87-102;
    G. Mann, Dt. Gesch. d. 19. u. 20. Jh., 1958;
    P. W. Wenger, Wer gewinnt Dtld., 1959;
    P. W. Massing, Vorgesch. d. pol. Antisemitismus, dt. Ausg.,|1959, S. 17, 232, 234;
    Th. Fritsch, Hdb. d. Judenfrage, 291923, S. 106 f.;
    Svensk Uppslagsbok X, ²Malmö 1949;
    Ueberweg. – Zu V Klamer Wilh.: W. Blankenburg, in: MGG IV, Sp. 812-15 (W, L, P).

  • Autor/in

    Erich Wittenberg
  • Zitierweise

    Wittenberg, Erich, "Frantz, Constantin" in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 353-356 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534939.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Frantz: Gustav Adolph Constantin F. wurde am 12. September 1817 zu Börneke bei Halberstadt als jüngstes Kind des dort in Amt befindlichen Pastors Klement Wilhelm Frantz geboren. Von seinem Vater hatte er die Neigung zu litterarischen und gelehrten Studien geerbt; seiner Mutter, der Tochter einer aus Frankreich ausgewanderten Hugenotten-Familie, der auch der|bekannte Maler Catel angehörte, verdankt er die Lebhaftigkeit seiner Auffassung und die Zähigkeit in der Verfolgung seiner Ideen und in dem Festhalten an ihnen, Charaktereigenschaften, die sich auch sonst bei den Nachkommen der verfolgten Hugenotten bemerkt gemacht haben. — Zuerst besuchte F. die Schule zu Aschersleben, dann das Domgymnasium zu Halberstadt, das er zu Ostern 1836 mit dem Zeugniß der Reife verließ; 1836—39 studirte er in Halle Mathematik und Physik. 1839—40 setzte er diese Studien in Berlin fort. — Nach Abschluß derselben war F. als Lehrer der Mathematik in Berlin thätig; doch befriedigte ihn diese Thätigkeit so wenig, daß er sie bald wieder aufgab und in den hierauf folgenden zehn Jahren ausschließlich seinen Studien lebte.

    Diese Jahre können recht eigentlich als Frantz' Lehr- und Wanderjahre bezeichnet werden. Ausgerüstet mit reichen geschichtlichen, geographischen und staatspolitischen Kenntnissen und im Besitz einer vorzüglichen Beobachtungsgabe, durchzog er, den Wanderstab in der Hand, den Osten und Südosten Deutschlands und die angrenzenden Länder Polens und Oesterreichs bis hinunter zum südlichen Abfall der karnischen und dinarischen Alpen. Die auf diesen Wanderungen betriebenen Studien, welche ihn namentlich in vielfache Beziehungen zu den west- und südslavischen Volksstämmen brachten und ihm auch zur Beherrschung der polnischen Sprache verhalfen, waren für seine spätere publicistische Thätigkeit von ausschlaggebender Bedeutung.

    Mehrere politische Schriften aus dieser Zeit zogen die Aufmerksamkeit bedeutender Staatsmänner auf F.; so des russischen Barons v. Meyendorff und Fürst Metternich's. — Den ersteren begleitete er zu längerem Aufenthalt nach Gastein. Auch mit Prokesch-Osten, dem österreichischen Gesandten beim Deutschen Bund, kam F. damals in persönlichen Verkehr. Und ebenso dürfte es in dieser Zeit gewesen sein, daß er dem Fürsten Schwarzenberg vorgestellt wurde. Zweifellos standen die später von Schwarzenberg betriebenen, auf die Schaffung eines mitteleuropäischen Wirthschaftsgebiets hinzielenden Pläne mit den schon damals von F. entwickelten Gedanken über die organische Umgestaltung bezw. Zusammenfassung des mittleren Europas in Verbindung.

    Eine im J. 1850 veröffentlichte Schrift, „Unsere Politik“ betitelt, lenkte die Aufmerksamkeit des preußischen Ministerpräsidenten v. Manteuffel auf F. und veranlaßte ihn, die Aufforderung an F. zu richten, in den preußischen Staatsdienst zu treten und eine Stellung im Ministerium des Aeußern anzunehmen. F. ging auf das Anerbieten ein und verfaßte mehrere zur Information für die Staatsleitung bestimmte Denkschriften, welche ihm die ganz besondere Zufriedenheit Manteuffel's eintrugen und dazu führten, daß er im J. 1852 als Kanzler des preußischen Generalconsulats für die pyrenäischen Staaten nach Barcelona gesandt wurde. In dieser Stellung lernte er einen großen Theil der pyrenäischen Halbinsel und auf größeren Ausflügen auch die Küstenländer des nördlichen Afrikas kennen. Nachdem er 1856 von Spanien zurückgekehrt war, bot ihm die Regierung die Stellung eines Generalconsuls erst in Galaz, dann in Smyrna an, doch lehnte F. ab; ebenso schlug er zwei ihm von der Universität zu Breslau und in Riga angebotene Professuren ab. F. nahm nun seinen ständigen Wohnsitz in Berlin und übersiedelte von hier aus im J. 1873 nach Blasewitz bei Dresden, wo er dann bis zu seinem im Mai 1891 erfolgten Tode verblieb.

    Dieser zweite Abschnitt des Frantz’schen Lebensganges verlief in verhältnißmäßiger Ruhe. — Die Zeitverhältnisse waren seinen Ideen und Plänen entgegen. Seine Versuche zur Bildung einer föderativen Partei führten zu keinem greifbaren Ergebniß, und auch seine Bemühungen, eine internationale Gruppirung der Mächte in dem von ihm vertretenen Sinne herbeizuführen,|scheiterten. Wenn nun auch diese Mißerfolge F. nicht an der weiteren Ausgestaltung und Vertiefung seiner Ideen hinderten, so drängten sie ihn doch in eine Vereinsamung, in der er bis zu seinem Ende verblieb.

    Frantzens Denk- und Beurtheilungsweise in politischer und wirthschaftlicher Beziehung fußt auf den Anschauungen des Föderalismus. Unter Föderalismus aber versteht F. jene Ordnung, welche grundsätzlich eine verhältnißmäßige Berechtigung aller fordert und zugesteht und das gesteckte Ziel dadurch erreichen will, daß sie die föderalistische Gestaltung auch auf die materiellen und geistigen Dinge überträgt. Der Föderalismus ist nach F. eine durchaus neue Anschauungsweise; er stützt sich eben so wenig auf Volkssouveränetät, als er andererseits ein göttliches Herrscherrecht zur Vorbedingung macht. Keinem Rechte und keiner Form kann er eine ausschließliche Herrschaft zugestehen; denn jede solche Ausschließlichkeit wäre offenbar ein Hinderniß der Föderation, da diese ja auf die verhältnißmäßige Geltung und Wirkung aller für das politische Leben in Betracht kommenden Factoren hinzielt. Der Föderalismus nimmt die menschlichen Dinge, wie sie sind. — Soll er nun aber zur Wirksamkeit gelangen, so muß er von vornherein mit den zur Zeit herrschenden Systemen und Anschauungen brechen. Denn was er erstrebt, ist ein so wesentlich Anderes als es in jenen Systemen und Schulmeinungen vorliegt, daß eben die Ueberwindung derselben den ersten Schritt zu seinem Lebendigwerden bedeutet. Er hat das jetzt Bestehende als das nur Provisorische zu betrachten und an dessen Stelle als ein dauerndes zu treten! Das Experimentiren mit politischen Ideen hört auf und eine stetige lebendige Entwicklung beginnt.

    Die heutige Staatslehre, meint F., verfahre so, als ob der Staat weiter nichts sei als eine Zusammenfassung von Einrichtungen, welche im wesentlichen sich beschränken auf die Herrschaftsformen, den gouvernementalen Apparat, den repräsentativen Schematismus und die staatsbürgerlichen Rechte. Obgleich doch diese Dinge alle für sich nur abstracte Wesen darstellen, die gar nicht bestehen könnten, wenn sie nicht durch lebendige Elemente und Kräfte getragen würden. — Man beginnt mit dem sogenannten Staatszweck, um daraus die öffentlichen Einrichtungen abzuleiten, d. h. man sagt, was sein soll, ohne zuvor untersucht zu haben, was wirklich ist. Und dieser abstracten Behandlung gegenüber verweist nun F. darauf, daß der Staat ein Naturproduct ist, und gelangt so zu seiner „Naturlehre des Staats“.

    Der natürliche Gang der wissenschaftlichen Betrachtung des Staates beginnt nach F. mit dem Staatsgebiet, geht von da zur Staatsgesellschaft und gelangt dann erst zur Staatsgewalt, welche letztere gleichsam den Abschluß darstellt. — Diese, die Garantie einer sachgemäßen Untersuchung gewährende Betrachtungsweise schließt alle bloß begriffsmäßigen Auseinandersetzungen und alle daraus hervorgehenden Irrthümer aus. Sie deutet von vornherein auf verschiedene Bestandtheile hin, welche den Staat bilden, und indem dann jeder Bestandtheil nach seinem besonderen Wesen betrachtet wird, entsteht dadurch eine Vielseitigkeit der Gesichtspunkte, wie sie die Untersuchung des Staates fordert.

    Der weitaus größte Theil der Frantz’schen Schriften beschäftigt sich mit den Angelegenheiten einer organischen Neugestaltung Deutschlands. Es tritt uns in allen diesen Werken eine zugleich liebevolle und geistreiche Würdigung der deutschen Vergangenheit, verbunden mit einer geradezu einzigartigen Erkenntniß und Herausarbeitung dessen, was für ein Aufsteigen der deutschen Nation in körperlicher wie geistiger Beziehung nothwendig ist, entgegen. F. vertritt die Anschauung, daß die unitarische, auf Grundlage der nationalen Abgeschlossenheit versuchte Lösung der deutschen Frage nicht zu einer endgültigen Befriedigung der Bedürfnisse des deutschen Volkes zu führen vermöge. Er|meint, daß die deutsche Frage nur zu verstehen sei im Lichte der europäischen Gesammtpolitik, und daß demnach keinesfalls eine Loslösung und weitere Abschließung Deutschlands von den es umgebenden Ländern das zu erstrebende Ziel wäre, daß sich Deutschland vielmehr zum Krystallisationspunkt zu machen habe für die übrigen Länder Mitteleuropas und daß es mit diesen vereint und im Bündniß mit England die europäischen Interessen wahren müsse; namentlich aber das immer mächtiger und Westeuropa immer gefährlicher werdende Rußland in Schranken zu weisen habe. Diese gegen Osten gerichtete, von F. befürwortete deutsche Politik entsprang auch dem Wunsche, als Gegengewicht gegen die drohende Verstädterung die landwirthschaftliche Grundlage des deutschen Volkslebens zu verbreitern durch Rückkehr in die Bahnen der mittelalterlichen Colonisation. Und damit gelangen wir zu Frantzens Anschauungen über die sociale Frage, welche davon ausgehen, daß die heutige Volksnoth im innigsten Zusammenhange steht mit den großen politischen Fragen. — Den Satz, daß innere und äußere Politik nichts mit einander zu thun haben, bekämpfte F. darum aufs rücksichtsloseste. Sah er doch deutlich, daß ganz im Gegentheil eine nachhaltige und erfolgreiche äußere Politik nur denkbar ist auf der Grundlage einer verständigen, nach allen Seiten gerecht abwägenden inneren Politik, und daß umgekehrt eine Politik, die das Volk auf die Bahn einer gesunden Vorwärtsentwicklung bringen oder auf ihr erhalten soll, Unterstützung finden muß in einer groß angelegten, weit hinaus schauenden äußeren Politik. Und so war er denn nach Friedr. List der erste Vertreter einer deutschen Weltpolitik.

    Werke: „Grundsätze des wahren und wirklichen absoluten Idealismus“, Berlin 1843; „Philosophie der Mathematik“, Berlin 1844; „Versuch über die Verfassung der Familie“, Berlin 1844; „Ueber Gegenwart und Zukunft der Preußischen Verfassung“, Halberstadt 1846; „Unsere Politik“, Berlin 1850; „Die Constitutionellen“, Berlin 1851; „Unsere Verfassung“, Berlin 1851; „Louis Napoleon“, Berlin 1852; „Die Staatskrankheit“, Berlin 1852; „Vorschule zur Physiologie der Staaten“, Berlin 1857; „Die Politik der Zukunft“, Berlin 1858; „Quid faciamus nos?“, Berlin 1858; „Der Militärstaat“, Berlin 1859; „Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht“, Berlin 1859; „Die Ereignisse in Amerika“, Berlin 1861; „Drei und dreißig Sätze vom deutschen Bund“, Berlin 1861; „Kritik aller Parteien“, Berlin 1862; „Die Quelle alles Uebels“, Stuttgart 1863; „Der dänische Erbfolgestreit und die Bundespolitik“, Berlin 1864; „Die Wiederherstellung Deutschlands“, Berlin 1865; „Die Schattenseite des Norddeutschen Bundes“, Berlin 1870; „Die Naturlehre des Staates“, Leipzig und Heidelberg 1870; „Das neue Deutschland“, Leipzig 1871; „Die Religion des Nationalliberalismus“, Leipzig 1872; „Abfertigung der nationalliberalen Presse“, Leipzig 1873; „Deutsche Antwort auf die orientalische Frage“, Leipzig 1877; „Der Untergang der alten Parteien“, Berlin 1878; „Der Föderalismus“, Mainz 1879; „Blätter für deutsche Politik und deutsches Recht“, München 1880; „Schellings positive Philosophie“, Cöthen 1880; „Die sociale Steuerreform“, Mainz 1881; „Die Weltpolitik", Chemnitz 1882—83. — Eine nachgelassene Arbeit, „Die Gefahr aus Osten“, ist veröffentlicht in: Schuchardt, „Die deutsche Politik der Zukunft“, Bd. I, Celle 1899. Schließlich ist hier noch einer ungedruckten, in Form einer Denkschrift gehaltenen Arbeit Erwähnung zu thun. Bereits im J. 1848 fertig gestellt, behandelt sie die polnische Frage und zeigt in, man kann wohl sagen, erschöpfender Weise, wie diese für Preußen und ganz Deutschland wichtige Angelegenheit vom staatsmännischen Standpunkt aus zu behandeln wäre. Interessant ist, daß F. in dieser Arbeit bereits eine Hochschule für Posen fordert.

    • Literatur

      Ottomar Schuchardt, Constantin Frantz, Deutschlands wahrer Realpolitiker. Melsungen 1896.

  • Autor/in

    Schuchardt.
  • Zitierweise

    Schuchardt, "Frantz, Constantin" in: Allgemeine Deutsche Biographie 48 (1904), S. 716-720 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534939.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA