Biographie

Über W.s Herkunft und Leben ist nichts bekannt. Der Verfasser nennt seinen Namen am Ende der letzten Strophe (98,7) des einzigen von ihm überlieferten Gedichts „Eyn buoch von dem edeln hern von Bruneczwigk als er über mer fuore“. Dessen einziges erhaltenes Exemplar ist Teil einer zwischen Aug. 1471 und März 1474 entstandenen Sammelhandschrift aus der Feder des möglicherweise mit →Hans von Eberstein († 1479) identischen (H.-J. Behr, 1998), wohl in Mudau (Odenwald) ansässigen Zentgrafen →Hans von Gochsheim, der auch die neun ganzseitigen aquarellierten Federzeichnungen schuf. Die Sprache der Handschrift (Württ. Landesbibl., Stuttgart, cod. poet. et phil. 2° 4, 91v–104v) läßt eine (süd-)rheinfränk. Herkunft des Autors vermuten. Die Struktur des in 98 siebenzeiligen Strophen aufgebauten Gedichts erinnert an die „Moringer“ -Ballade (1459).

W.s „buoch“ schildert die Schiffsreise des Herzogs von Braunschweig in das Hl. Land.

Nach einem Schiffbruch landet der Protagonist in einer Wildnis, in der er einen Löwen beim Kampf gegen einen Drachen unterstützt. Aus Dankbarkeit folgt das Tier dem Herzog nach Braunschweig und stirbt nach dessen Tod klagend auf dem hzgl. Grab. Im Gedenken an den Löwen wird eine Löwenskulptur vor dem Schloß errichtet.

W.s Gedicht ist eine bedeutende Variation der Sage um →Heinrich den Löwen († 1195), die erst im 16. Jh. auf dessen historische Persönlichkeit bezogen wurde. Es greift, darin dem „Reinfried von Braunschweig“ (n. 1291) ähnlich, geschichtlich verbürgte Geschehnisse auf–Errichtung des Braunschweiger Löwendenkmals 1166, Palästinareise Heinrichs 1172, Verhängung der Reichsacht 1180 – und wurde zum Vorbild für zwei Meisterlieder (1562/65) und ein Spruchgedicht (1565) von →Hans Sachs (1494–1576). Ebenfalls von W.s Versepos inspiriert sind die um 1500 entstandenen Fresken in der Schule des Kollegiatstifts St. Castor in Karden/Mosel.

Werke

Ed.: Eyn buoch v. d. edeln hern v. Bruneczwigk als er uber mer fuore, In Abb. aus d. Cod. poet. fol. 4 d. Württ. Landesbibl., hg., eingel. u. transkribiert v. I. Dinkelacker u. W. Häring, 1977 (Ed. mit Ill.; Einl., S. 6–15).

Literatur

L W. Seehaussen, M. W.s Gedicht „Von d. edeln hern (…)“ u. Die Sage v. Heinrich d. Löwen, 1913, Nachdr. 1977 (Ed. d. Gedichts ohne Ill., S. 149–73);
K. Hoppe, Die Sage v. Heinrich d. Löwen, 1952 (Ed. d. Gedichts ohne Ill., S. 85–99);
M. Meyer, Legend and Poetic Disintegration, Reflections on Possible Functions of M. W.s „Ein buoch [ … ]“, in: D. Buschinger u. W. Spiewok (Hg.), Le mécénat de la cour de Brunswick, 1993, S. 27–34;
H.-J. Behr u. H. Blume (Hg.), Vestigia Leonis, Spuren des Löwen, 1995 (Ed. d. Gedichts, S. 50–121);
W. Röcke, Kulturelles Gedächtnis u. Erfahrung d. Fremde, Der Hzg. v. Braunschweig in d. Lit. d. SpätMA u. d. Frühen Neuzeit, in: Jb. d. Oswald v. Wolkenstein-Ges. 19, 1998, S. 281–97;
H.-J. Behr, Löwenritter u. Teufelsbündler, Ein Braunschweiger Hzg. auf Abwegen, Überlegungen z. Lokalisierung v. M. W.s Dichtung, in: Fifteenth-Century Stud. 24, 1998, S. 17–25;
E. E. Metzner, Der junge Heinrich d. Löwe b. Hans Sachs u. M. W. u. im niederl. u. skandinav. balladesken Lied, in: Niederdt. in Skandinavien V u. VI, Akten d. Nord. Symposiums (…), hg. v. L. Elme|vik u. a., 2005, S. 183–200;
K. Domanski, Hzg. v. Braunschweig (Nr. 56), in: U. Bodemann u. a. (Hg.), Kat. d. dt.sprachigen ill. Hss d. MA, Bd. 6, 2015;
Vf.-Lex. d. MA²(W, L);
Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
Killy1+2.

Autor/in

Zitierweise

Jordan, Stefan, "Wyssenherre, Michel" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 566-567 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz142993.html#ndbcontent