Witsch, Josef Caspar
- Lebensdaten
- 1906 – 1967
- Geburtsort
- Kalk beiKöln
- Sterbeort
- Benrath bei Düsseldorf
- Beruf/Funktion
- Bibliothekar ; Verleger
- Konfession
- katholisch
- Namensvarianten
-
- Witsch, Josef Caspar
- Witsch, Josef Kaspar
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- Linna, Väinö
- Milosz, Czeslaw
- Nowakowski, Tadeusz
- Roth, Joseph
- Schickele, René
- Selinko, Annemarie
- Speyer, Wilhelm
- Thiess, Frank
- Thomas, Adrienne/Pseudonym
- Winsloe, Christa/geborene
- Zwerenz, Gerhard
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Witsch, Joseph Caspar
| Bibliothekar, Verleger, * 17.7.1906 Kalk beiKöln, † 28.4.1967 Benrath bei Düsseldorf, ⚰Köln, Friedhof Melaten (2011 aufgelöst). (katholisch)
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Genealogie
V Christian (um 1880–1915 ⚔ in Frankr.), selbst. Dachdeckermeister, Inh. e. Baugeschäfts;
M Elisabeth (Lisa) Gassen;
4 Geschw u. a. B Jakob (* v. 1906), 1937 Leiter d. Buchhaltung d. Leipziger Einkaufshauses, um 1944 Prokurist dess. in Reutlingen, Buchhändler ebd., Vorstandsmitgl. d. Ver. z. Organisierung soz.wiss. Vortrr., →Kristian (Christian), gehörte an d. Aufbauschule in Köln e. sozialist. Schülergruppe an, gab 1977 d. Briefe 1948–1967 heraus (s. W);
– ⚭ Köln 1935 →Elisabeth (1905–78), aus rhein. Fam. in Köln, Bibl., Kinder- u. Jugendbuchautorin, Übers., (s. Kölner Autoren-Lex.), T d. →Peter Jakob Deux u. d. Elisabeth Auguste Maria Olga Laaf (* 1873), aus Köln;
4 T Annette (* 1936, ⚭ 1959 →Reinhold Neven DuMont,* 1936, 1963 Mitarb. v. W. im Verl. Kiepenheuer & Witsch, führte diesen n. W.s Tod weiter, 1969 Eigentümer dess., s. NDB 19*; Wi. 2013, S d. →Kurt Neven DuMont, 1902–67, Ztg.verl. in Köln, s. NDB 19; Kölner Personenlex.), →Christa (Krista) (* 1937, ⚭ Giancarlo Alberini), Schausp., →Bettina Demolin (* 1942), →Gabriele (* 1944, ⚭ Günter Ernst Peter Lange). -
Biographie
W., zweitältestes von fünf Kindern, brach nach dem Besuch der Volksschule in Kalk die anschließende gymnasiale Schullaufbahn 1921 ab, um seine Mutter nach dem frühen Kriegstod des Vaters zu unterstützen. Von Juni 1921 bis Mai 1928 war er in verschiedenen Verwaltungszweigen der Stadt Köln tätig, besuchte von Mai 1928 bis März 1929 die Westdt. Volksbüchereischule in Köln und legte im März 1929 als Externer in Köln die Mittlere Reifeprüfung ab. Die Ausbildung zum Diplom-Volksbibliothekar in Köln und Leipzig schloß er Ende April 1931 in Leipzig mit dem Examen ab und bestand dort auch die Hochbegabtenprüfung. Ab Juni 1930 bis Anfang 1932 arbeitete er als Volksbibliothekar in Köln, übernahm 1932 die Leitung der Technischen Bücherei, studierte zugleich seit dem WS 1930/31 an der Univ. Köln Philosophie, Soziologie, Geschichte sowie Literaturwissenschaft und wurde 1935 bei →Robert Heiß (1903–1974) (weiterer Gutachter: →Heinz Heimsoeth) mit einer Arbeit zum Standesbegriff bei →Fichte zum Dr. phil. promoviert. Nach einer Denunziation als angeblicher Kommunist 1933 aus dem Büchereidienst in Köln entlassen, fand W. von März 1935 bis Juli|1936 eine Anstellung als Bibliothekar und Hilfsarchivar in Stralsund. Durch die Berufung zum Direktor der Ernst-Abbe-Bücherei nach Jena erlebte er 1936 einen beruflichen Aufstieg und wurde zu einem bibliothekarischen Entscheidungsträger. Als gleichzeitig berufener Leiter der „Staatlichen Landesstelle für das volkstümliche Büchereiwesen“ war er mit der Organisation aller öffentlichen Bibliotheken und der Koordination von deren Arbeit im Auftrag des thür. Volksbildungsministeriums betraut. Der Einzug als Flak-Soldat unterbrach 1942 bis zum Kriegsende seine berufliche Laufbahn. Nach Kriegsende wurde W. von der sowjet. Besatzungsmacht in seinen Bibliotheksämtern bestätigt, doch kam es 1948 zum Konflikt mit den Sowjets wegen des neuen Büchereigesetzes in der SBZ, das zu unterzeichnen er sich weigerte.
Zudem verfügte die Entnazifizierungskommission des Landes Thüringens am 11.2.1948 seine umgehende Entlassung aus all seinen Ämtern. Am 20.3.1948 vermeldete der Berliner „Tagesspiegel“ W.s Flucht in den Westen.
Schon zuvor hatte W. mit dem Verleger →Gustav Kiepenheuer (1880–1949) über die Gründung einer gemeinsamen Verlagsgesellschaft verhandelt, die er nun in Hagen voranzutreiben begann. Bereits 1948 ließ er die ersten sechs Bücher drucken – noch bevor die am 22.11.1948 erteilte brit. Lizenz vorlag. Nach dem Tod Kiepenheuers am 6.4.1949 und anschließenden rechtlichen Auseinandersetzungen mit dessen Witwe →Noa (1893–1971) kam es im Mai 1951 zu einem Vergleich und der Trennung der beiden Verlage, die fortan als Kiepenheuer Verlag (Weimar) und Kiepenheuer & Witsch Verlag (Köln, Berlin) auf dem Markt firmierten und getrennte Wege gingen.
W.s erfolgreiche zweite berufliche Laufbahn als Verleger dauerte bis zu seinem Tod.
Nach einem zunächst disparaten Angebot baute W. schnell ein breit gefächertes belletristisches Verlagsprogramm auf. So gehörten die Bücher →Vicki Baums (1888–1960) und →Annemarie Selinkos (1914–1986) Roman „Desirée“ in den 1950er Jahren zu den meistverkauften Titeln des Verlags. Neben dem traditionsreichen Partikel im Verlagsnamen war dessen Erfolg v. a. dadurch begründet, daß W. die jeweils zeitgenössischen – sich verlagernden–Präferenzen verschiedener Rezipientengruppen berücksichtigte, ein internationales Buchangebot aufbaute und systematisch nach jungen Autoren suchte. Zu diesen gehörten nicht nur dt. Schriftsteller wie →Gerhard Zwerenz (1925–2015), sondern auch internationale wie beispielsweise die auf Englisch publizierende Griechin →Kay Cicellis, der Finne →Väinö Linna oder die poln. Autoren →Tadeusz Nowakowski und →Marek Hlasko, sowie spätere Nobelpreisträger wie →Heinrich Böll (1917–1985) oder →Czesław Milosz. Des weiteren bemühte W. sich um die Restituierung von Autoren der klassischen Moderne, indem er u. a. die Werke von →Wilhelm Speyer (1887–1952), →Annette Kolb (1870–1967), →Frank Thiess (1890–1977), →Ruth Hoffmann (1893–1974), →Christa Winsloe (1888–1944), →Adrienne Thomas (eigtl. Hertha Strauch, 1897–1980), →Hermann Kesten (1900–1996), →Joseph Roth (1894–1939) und →René Schickele (1883–1940) verlegte.
W. beschränkte sich nicht auf die Organisation des Verlagsprogramms und die Publikation der Werke seiner Autoren, sondern betätigte sich zur Erfolgssicherung seines Unternehmens als Netzwerker, der mit dem gesamten Literaturbetrieb der jungen Bundesrepublik im Kontakt stand und seine Einflußmöglichkeiten auf das Literaturgeschehen seiner Zeit ausnutzte.
Seit den 1930er Jahren hatte W. stets die jeweils aktuellen politischen Strömungen schnell erkannt und sich ihnen meist umgehend angepaßt (1933 Vors. d. sozialist. Studentengruppe, SPD, an d. Univ. Köln, 1933–36 Mitgl. d. SA, 1936–45 Mitgl. d. Nat.sozialist. Volkswohlfahrt/NSV, 16.9.1937 Aufnahmeantrag in d. NSDAP, Ende d. 1940er Jahre SPD-Kandidatur, an d. Wende zu d. 1950er Jahren Abkehr von d. SPD). Bald nach Beginn seiner verlegerischen Arbeit engagierte er sich im Kampf gegen den „Bolschewismus“, schloß dem Kölner Verlag 1950 das „Publizistische Zentrum für die Einheit Deutschlands“, eine Art Agentur für die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus an, und verlegte ab Sept. 1950 unter dem Titel „PZ-Archiv“ (ab 1952 „SBZ-Archiv“) die Zeitschrift des „Publizistischen Zentrums“, die zahlreichen Journalisten aus dem Umfeld des US-Nachrichtendienstes als Plattform zur Veröffentlichung ihrer Recherchen diente. In der Reihe „Rote Weißbücher“ bot er eine Auswahl von Arbeiten, welche die sowjetzonalen Verhältnisse mit entlarvender Absicht untersuchten und war darüber hinaus mit dem 1953 gegründeten, antikommunistisch ausgerichteten „Verlag für Politik und Wirtschaft“ als politischer Verleger eine intellektuelle Figur des öffentlichen Diskurses. W. übernahm als Mit-Akteur strategiebildender Kreise eine Schlüsselrolle, war als engagiertes und exponiertes Mitglied im „Kongreß für kulturelle Freiheit“ und in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und|dem US-amerik. Geheimdienst CIA in vorderster Reihe am ideologischen Kampf in der Hochphase des Kalten Krieges beteiligt, wobei die Finanzierung der politischen Verlagswerke häufig durch diese Institutionen erfolgte. Nicht zuletzt auf diesem Weg sicherte W. die finanzielle Basis seines sich schnell etablierenden Unternehmens.
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Auszeichnungen
|BVK 1. Kl. abgelehnt (1967).
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Werke
|Berufs- u. Lebensschicksale weibl. Angestellter in d. schönen Lit., 1932;
Der Begriff „Stand“ in d. Ges.- u. Staatsphilos. Fichtes, 1938 (Diss.);
–Hg.: Alm. d. Unvergessenen, Ein Gedenkbüchlein, o. J. [1946] (mit M. Bense);
– Korr.: Briefe 1948–1967, hg. v. Kristian Witsch, Mit e. Vorw. v. M. Sperber, 1977;
– Qu: Berliner „Tagesspiegel“ v. 20.3.1948, Rubrik „Privatmeldung“;
Verlagsarchiv im Hist. Archiv d. Stadt Köln: Best. 1514;
– W-Verz.: Boge, Die Anfänge v. Kiepenheuer &
Witsch (s. L), S. 504. -
Literatur
|H. Paeschke, J. C. W., in: Merkur, Dt. Zs. f. europ. Denken XXI, 1967, S. 501–06;
S. Unseld, Der Unverwechselbare, Zum Tode v. J. C. W., in: Börsenbl. f. d. Dt. Buchhandel (Frankfurter Ausg.), 23, 1967, S. 975 ff.;
– A. Hohenstein, J. C. W. u. d. Volksbüchereiwesen unter nat.sozialist. Herrschaft, 1992;
E. Hofsümmer, J. C. W. (1906–1967), in: Rhein. Lb. 18, 2000, S. 225–45 (P);
B. Boge, Die Anfänge v. Kiepenheuer &
Witsch, J. C. W. u. d. Etablierung d. Verlags (1948–1959), 2009 (W-Verz., Qu, L, Verz. d. Nachrufe);
dies., Fritz H. Landshoff, Ein nützl. Mann, Die Zus.arbeit v. J. C. W. u. Fritz H. Landshoff 1949–1952, in: 100 J. Kiepenheuer-Verlage, hg. v. S. Lokatis u. I. Sonntag, 2011, S. 224–43 (P);
F. Möller, Das Buch W., Das schwindelerregende Leben d. Verl. J. C. W., 2014 (P);
ders., Dem Glücksrad in d. Speichen greifen, J. C. W., Seine Autoren, sein Verlagsprogr. u. d. Lit.betrieb d. frühen Bundesrep., 2015 (P);
Hohoff, Bibliothekare NS-Diktatur. -
Porträts
|Photogr. v. A. Sander, 1920er J. (Die Photograph. Slg./SK Stiftung Kultur–August Sander Archiv, Köln), Abb. in: Möller, Das Buch W., 2014 (s. L), S. 2.
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Autor/in
Birgit Boge -
Zitierweise
Boge, Birgit, "Witsch, Joseph Caspar" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 315-317 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz142914.html#ndbcontent