Zippe, Gernot
- Lebensdaten
- 1917 – 2008
- Geburtsort
- Warnsdorf (Varnsdorf, Böhmen)
- Sterbeort
- München
- Beruf/Funktion
- Physiker ; Erfinder ; Technologe
- Konfession
- katholisch
- Normdaten
- GND: 137885415 | OGND | VIAF: 86055986
- Namensvarianten
-
- Zippe, Gernot
- Zippe, G.
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Zippe, Gernot
| Physiker, Erfinder, * 13.11.1917 Warnsdorf (Varnsdorf, Böhmen), † 8.5.2008 München, ⚰ München, Westfriedhof. (katholisch)
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Genealogie
V →Anton Konrad (1889–1964), Lehrer an d. Arb.realschule in Laa/Thaya, 1938 Dir. d. Bundesrealgymn. ebd., Dir. am Staatsrealgymn. in W., 1927–32 Abg. d. niederösterr. LT (Großdt. Volkspartei, seit 1932 NSDAP) (s. Biogr. Hdb. d. NÖ LT; Biogr. Lex. Burschenschaft), S d. →Anton, Fleischermeister u. Gastwirt in Krombach (Böhmen);
M Marie Hermine (1892–1989), T d. →Franz Marschner, Fabrikdir. in W.;
Schw →Gudrun Winkler (1924–2011);
– ⚭ →Emilia (1932–88), T d. →Ernst Alfred Ferdinand Fuchs (1899–1979?), aus Winterthur (Kt. Zürich), u. d. →Lina Berta Davi (1902–1992);
1 S Rainer (* 1970). -
Biographie
Infolge des 1. Weltkriegs übersiedelte die Familie 1919 in das niederösterr. Laa/Thaya, wo Z. 1923–27 die Volksschule und bis 1935 das Realgymnasium besuchte. Nach vierwöchigem Dienst als Freiwilliger im österr. Bundesheer studierte er Physik, Meteorologie und Philosophie an der Univ. Wien. In seiner bei →Gustav Ortner (1900–1984) am Institut für Strahlenphysik und Radiumforschung angefertigten, experimentellen Dissertation untersuchte Z. die Wechselwirkung von Röntgenstrahlen an dünnen Kristallschichten (1939 Dr. phil.). Unmittelbar danach zum Kriegsdienst gemeldet, absolvierte er seit Juni 1940 eine Ausbildung zum Fluglehrer an der Flugzeugführerschule A/B 115 in Wels und arbeitete, an die „Heimatfront“ abkommandiert, im Forschungslaboratorium der Berliner „Julius Pintsch KG“ bis zu dessen Zerstörung im März 1945 an der Entwicklung von Radarpeilfunkgeräten, danach bei der Dt. Versuchsanstalt für Luftfahrt in Prag an der Optimierung von hochfrequenten Flugzeugpropellern.
Während der sowjet. Kriegsgefangenschaft in einer in Suchumi (heute Sochumi, Georgien) im Rahmen des sowjet. Atomprogramms errichteten und von →Manfred v. Ardenne (1907–97) geleiteten Forschungseinrichtung war Z. zwischen Juni 1946 und Jan. 1953 – zunächst in der um den Physiker →Max Steenbeck (1904–1981) formierten Arbeitsgruppe – maßgeblich an der Entwicklung verschiedener Prototypen für industriell nutzbare Gaszentrifugen zur Gewinnung des hochangereicherten Uranisotops U235 beteiligt. Danach wurden die Forschungseinrichtungen zu den Leningrader Kirow-Werken verlegt, wo Z. laut seiner postum veröffentlichten Autobiographie bis September 1954 als „Macher“ an der Weiterentwicklung „unterkritischer“ Zentrifugen bis zu deren Industriereife arbeitete.
Nach einer 18monatigen „Abkühlungsphase“ in Kiew, während der Z. von jedweder Forschung an Zentrifugen isoliert war, wurde er im Juli 1956 entlassen und kehrte nach Österreich zurück.
Im Rahmen eines Mitarbeiter- und Schutzrechtsvertrags – letzterer beinhaltete eine Vereinbarung mit den Miterfindern Steenbeck und Rudolf Scheffel über die geographische Aufteilung der Verwertungsrechte in Ost und West–übertrug Z. die zunächst in Österreich gemeinsam angemeldeten Zentrifugenpatente der Frankfurter Degussa AG.
Nach Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der Degussa und der US Atomic Energy Commission führte Z. zwischen Juli 1958 und Juli 1960 an der Univ. of Virginia Experimente zur Optimierung der bereits in der UdSSR entwickelten Prototypen durch, deren Resultate er im Abschlußbericht „The Development of Short Bowl Ul|tracentrifuges (USAEC Report ORO-315)“ zusammenfaßte. Auf Druck der USA wurde die Technologie zur Urananreicherung seit Mitte 1960 der Geheimhaltung unterstellt.
Z. ging 1960 nach Deutschland, wo er als Mitarbeiter von Degussa seine Forschungen an Zentrifugen weiterführte. 1964 – inzwischen war auch in der Bundesrepublik die Forschung an Zentrifugen unter staatliche Aufsicht gestellt worden – wurde das Frankfurter Zentrifugenlabor in die auf dem Gelände der Kernforschungsanlage Jülich neu errichtete Gesellschaft für Kernverfahrenstechnik (GKT) überführt, die die Rechtsnachfolge von Z.s Schutzrechts- und Mitarbeitervertrag antrat.
Der 1970 zwischen Großbritannien, den Niederlanden und der Bundesrepublik geschlossene Vertrag von Almelo stellte Entwicklung, industrielle Fertigung und Nutzung der Zentrifugen auf eine europ. Grundlage. In dem zur Realisierung des „Trilateralen Projekts“ gegründeten und sowohl arbeitsteilig als auch paritätisch organisierten Unternehmenskonsortium „URENCO Ltd.“ avancierte die in München ansässige „MAN Technologie GmbH“, bei der Z. nach seinem Ausscheiden bei der GKT 1971 bis 1991/95 als Berater unter Vertrag stand, zu einem zentralen Entwicklungsstandort für Gasultrazentrifugen und deren Komponenten.
Wegen ihrer Energieeffizienz, der vergleichsweise geringen Investitionskosten sowie des geringen Wartungsaufwands setzte sich die Zentrifugentechnologie in der zweiten Hälfte des 20. Jh. weitgehend gegenüber anderen Konkurrenztechnologien durch, nicht zuletzt aufgrund von Z.s innovativen Beiträgen, die in ca. 150 In- und Auslandspatenten belegt sind (DE 1071593, schnell laufende Gaszentrifuge, 1960; DE 1965843, Verfahren u. Vorrichtung z. Herstellen v. Sicken in dünnwandigen, harten Blechen, insbes. v. umlaufenden Falten in Rohren, 1970; DE 3508151, Magnet. Schnellschlußventil, 1986).
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Auszeichnungen
|Alfried Krupp v. Bohlen u. Halbach-Preis f. Energieforsch. (1977);
Österr. Ehrenkreuz f. Wiss. u. Kunst, 1. Kl. (1978);
BVK (1979);
Bronzenes Ehrenzeichen d. Gr.loge d. „Der Alten Freien u. Angenommenen Maurer v. Dtld.“ (1985);
Ehrenmitgl. d. Dt. Kerntechn. Ges. (1986);
Wilhelm Exner Medaille d. Österr. Gewerbever. (1989);
Goldenes Dr.dipl. d. Univ. Wien (1990). -
Werke
|Unterss. über d. Abhängigkeit d. Zahl d. emittierten Photoelektronen v. d. Einfallswinkel e. Röntgenstrahlenbündels an dünnen Kristallblättchen, 1939 (Diss.);
Betrachtungen über e. Versuchskaskade v. Gaszentrifugen z. Trennung v. Uranisotopen, 1959;
Potential of the Short Bowl Gas Centrifuge for the Enrichment of the U235 Isotope as Compared with Published Figures for Gas Diffusion (USAEC TID 5753), 1960;
Ber. d. Arb.gruppe I d. GKT mbH, 1966;
Zur Berechnung v. idealen Zentrifugenkaskaden (GKT), 1968 (mit E. Coester);
Die Berechnung d. krit. Drehzahlen v. mehrgliedrigen Rotoren schnellaufender Maschinen (GKT), 1968 (mit P. Weidner);
Biegekrit. Schwingungen e. freien Welle mit Scheiben a. d. Enden (GKT), 1968 (mit dems.);
Unterss. z. Verhalten v. Schwingungsdämpfern schnellaufender Maschinen u. e. Messgeräts z. Messung der Dämpfungskonstanten (GKT), 1968 (mit dems.);
– Konf.btrr.: 2nd, 3rd, 5th u. 6th Workshop on Gases in Strong Rotation, 1977–85 sowie 1st, 2nd, 4th, 6th u. 7th Workshop on Separation Phenomena in Liquids and Gases 1987–2000 ;
– Vortrr.: Der nukleare Brennstoffkreislauf, VDI, 17.10.1985;
Die Gasultrazentrifuge, Entwicklung u. Aussichten, in: Atomwirtsch., Atomtechnik 60, 1987, S. 197–203;
– Autobiogr.: Rasende Ofenrohre in stürm. Zeiten, e. Erfinderschicksal aus d. Gesch. d. Uranisotopentrennung im heißen u. im kalten Krieg d. 20. Jh., 2008 (mit E. Kubasta);
– Nachlaß: Archiv d. Dt. Mus., München. -
Literatur
|H. L. Witt u. R. H. Austin, in: The Virginia Engineering Review 16, 1960, Nr. 3, S. 28–32 u. 38–40;
D. Charles, in: New Scientist 136 v. 24.10.1992, Nr. 1844, S. 30–35;
A. Heinemann-Grüder, Die sowjet. Atombombe, 1992, v. a. S. 121 f.;
ders., U. Albrecht u. A. Wellmann, Die Spezialisten, dt. Naturwiss. u. Techniker in d. SU n. 1945, 1992 (dazu d. v. Z. gerichtl. erwirkte Berichtigung);
W. N. Prusakov, in: 50 J. wiss. Zentrum Kurtschatow-Inst., Mat. z. Jub.sitzung d. Wiss. Zentralrates, 11.-13.5.1993, 1994, S. 55–78;
M. Rudenko, in: Moskauer Komsomolez v. 10.06.1996, S. 10 f.;
A. B. Koldobskij, in: Österr. Mil. Zs. 36, 1998, Nr. 4, S. 397–410;
R. B. Kehoe, The Enriching Troika, a Hist. of Urenco to the Year 2000, 2002;
P. V. Oleynikov, in: The Nonproliferation Review 7, 2000, Nr. 2, S. 1–30;
W. J. Broad, in: The New York Times (Science Times) 153 v. 23.3.2004, S. F1 u. F4;
R. Tramontana, in: Profil 35 v. 8.4.2004, Nr. 16, S. 116–20;
H. Rauck, Gaszentrifugen z. Urananreicherung, in: Von Ideen u. Erfolgen, 40 J. MAN Technol., hg. v. ders. u. H. G. Hansen, 2008, S. 161–74;
R. S. Kemp, in: Science and Global Security 221, 2009, Nr. 1, v. a. S. 3–5;
F. Dittmann, G. Z. u. d. Ultrazentrifuge – oder: Ost-West-Technologietransfer im Kalten Krieg, in: Vom atomaren Patt zu e. v. Atomwaffen freien Welt, hg. v. G. Flach u. K. Fuchs-Kittowski, 2012, S. 89–101;
M. Knoll, in: Nassau. Ann. 125, 2014, S. 429–46;
– Filme: Stealing the Fire v. E. Nadler u. J. S. Friedman, 2002;
Gas Centrifuge Development, A Conversation with G. Z. v. H. G. Wood, 2003 (Inst. f. Science and Internat. Security, Internet);
Z., d. Kernkraftoptimist v. N. Göller, 2007 (Kopie, Archiv d. Dt. Mus., München). -
Autor/in
Claus Ludl -
Zitierweise
Ludl, Claus, "Zippe, Gernot" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 732-733 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd137885415.html#ndbcontent