Lebensdaten
1806 – 1860
Geburtsort
Kempen (Provinz Posen)
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Rabbiner ; Reformer ; jüdischer Theologe
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 124434541 | OGND | VIAF: 42771164
Namensvarianten
  • Holdheim, Samuel
  • Holdhaym, Shemuʾel
  • Holdheim, S.
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Zitierweise

Holdheim, Samuel, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd124434541.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    N. N.;K.

  • Biographie

    H. war streng orthodox erzogen worden, hatte bei dem Talmudisten S. Landau in Prag gelernt, dann aber sich allgemeine philosophische und humanistische Kenntnisse angeeignet. 1836 wurde er als Rabbiner nach|Frankfurt/Oder berufen, wo er die deutsche Predigt einführte. Seine erste Veröffentlichung „Gottesdienstliche Vorträge“ (1839) zeigte unter dem Einfluß von Leopold Zunz eine ganz neuartige Auffassung vom Amt des Rabbiners, den er nicht mehr als Richter in religionsgesetzlichen Fragen, sondern als Lehrer und Prediger ansah. Seine liberalen Anschauungen führten zu einem Konflikt mit seiner Gemeinde, doch wurde er 1840 Landesrabbiner von Mecklenburg-Schwerin, wo ihn die Behörden in seinem radikalen Reformeifer (Sonntagsgottesdienst, keine zweiten Feiertage, Verzicht auf Beschneidung, Erlaubnis von Mischehen) unterstützten. Auf den Rabbinerversammlungen 1844-46 trat er gegen das veraltete rabbinische Heirats- und Ehescheidungsrecht auf, das er schon in seinem Buch, „Die Autonomie der Rabbinen und das Prinzip der jüdischen Ehe“ (1843) bekämpft hatte. Infolge seiner radikalen Anschauungen geriet H. auch mit dem jüdischen Liberalismus in Konflikt und wurde schließlich Rabbiner der neubegründeten extremen Reformgemeinde in Berlin. Zwar fand er über den engeren Kreis seiner Anhänger hinaus im zeitgenössischen Judentum wenig Anklang, doch hat er viele Schwankende vom Übertritt zum Christentum zurückgehalten. H. bekannte sich zu einem „rein biblischen positiven Offenbarungsglauben“ und lehnte die seinerzeit nur für den mosaischen Staat erlassenen Gesetze der Bibel als „nicht ewig gültig“ ab. Das Judentum sei jetzt nur noch religiöse Gemeinschaft und keine verkrustete Nation. Das Religiöse bestehe nicht in äußerlichen zeremoniellen Handlungen oder rituellen Gebräuchen und sei vom Politischen ganz und gar zu trennen; in Konfliktfällen würden die Staatsgesetze über den religiösen Gesetzen stehen. Mit diesen Auffassungen hat er viele fromme Juden sehr schockiert, doch übertreibt der Historiker H. Graetz seine Bedeutung, wenn er urteilte: „Seit Paulus von Tarsus Tagen hat das Judentum nicht einen solchen inneren Feind erlebt, der dessen ganzen Bau bis auf die Grundfesten erschütterte.“

  • Werke

    Weitere W u. a. Gesch. d. Entstehung u. Entwicklung d. Reformgemeinde in Berlin, 1857;
    Predigten, 3 Bde., 1869.

  • Literatur

    ADB XII;
    S. Dubnow, Weltgesch. d. jüd. Volkes IX, 1929, S. 100 ff.;
    J. H. Ritter, Gesch. d. jüd. Ref. III, 1865;
    C. Seligmann, Gesch. d. jüd. Reformbewegung v. Mendelssohn bis z. Gegenwart, 1922;
    C. Wilk, S. H. z. 100. Todestag, Pionier d. radikalen Reform, in: Allg. Wochenztg. d. Judentums v. 19.8.1960;
    Enc. Jud.

  • Autor/in

    Hans-Joachim Schoeps
  • Zitierweise

    Schoeps, Hans-Joachim, "Holdheim, Samuel" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 526-527 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd124434541.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Holdheim: Samuel H., jüdischer Theologe, geb. 1802 zu Kempen, Provinz Posen, am 22. August 1860 zu Berlin als Prediger der dortigen jüdischen Reformgemeinde. Seine Jugendjahre widmete er ausschließlich dem Studium es Talmud, in dessen dialectischer Methode er bei seinem ungewöhnlichen Scharfsinn rasch zur Meisterschaft gelangte. Später, als er sich im Umgange mit gebildeten jungen Leuten, die er im Hebräischen unterrichtete und auf den Universitäten zu Prag und Berlin auch humanistisches und philosophisches Wissen in reichlichem Maße angeeignet hatte, trat er als Lehrer des Judenthums auf und bemühte sich zu zeigen, daß dieses bei richtiger Anwendung der talmudisch-rabbinischen Interpretationsweise alle religiösen Wahrheiten entfalte. Im J. 1836 ward ihm, der sich bereits einen bedeutenden Namen gemacht, von der Gemeinde zu Frankfurt a. O. das Amt eines Rabbiners daselbst übertragen, als welcher er noch ganz im Sinne der hergebrachten Ritualgesetze fungirte. Aber theoretisch schritt er schon damals zu einer höheren Auffassung von der Bedeutung der jüdischen Symbole fort, und als das Studium der Schriften von Zunz, Geiger u. A. seinem Nachdenken einen weiteren Horizont eröffnete, fühlte er sich berufen die wissenschaftliche Behandlungsweise jener Schritten auch auf die Lehren und Grundsätze des Talmud anzuwenden und diesen durch seine eignen Consequenzen zu neuen mit den Forderungen der Gegenwart in Einklang stehenden Resultaten zu führen. In diesem Streben sah er sich durch die 1840 übernommene Stellung eines Landrabbiners von Mecklenburg-Schwerin wesentlich gefördert. Die dortige Regierung stand ihm in seinen Bemühungen um die Hebung der synagogalen Andacht und des jüdischen Unterrichtswesens helfend zur Seite und die fanatischen Gegner suchten vergebens die angebahnten Reformen rückgängig zu machen. In die Mecklenburger Periode 1840—1847 fällt auch das Epoche machende Werk Holdheim's über „Die Autonomie der Rabbiner“, 1843, worin er zum ersten Male mit aller Schärfe die Scheidung des rein Religiösen vom Nationalen und Politischen verlangt und nach der Auflösung des jüdischen Staates nur das erstere für berechtigt im Judenthum anerkennt, hingegen alles National-Politische, insbesondere die rabbinische Jurisdiction, beseitigt wissen will. Später entwickelte er in anderen Schriften weitere Folgerungen aus diesem Princip, indem er es auf die Beschneidung 1844, auf die Messiasidee 1845, auf den Cultus 1846, auf den Eid 1849 und auf die Ehe 1850 anwendete. Da nun H. auch bei den deutschen Rabbinerversammlungen (1844—46) seine Ueberzeugung mit furchtloser Consequenz und mit großer Energie vertheidigte, so ward er allmählich als Vorkämpfer und rückhaltlosester Verfechter der Umgestaltungen im Judenthum angesehen und im J. 1847 von der jüdischen Reformgemeinde in Berlin als deren Rabbiner und Prediger berufen. Hier hatte er nun Gelegenheit sowol auf der Kanzel als in den Gebetordnungen der Gemeinde, in Lehrbüchern und in geharnischten Streitschriften die ganze Fülle seines fruchtbaren Geistes und seines thatkräftigen Strebens kundzuthun. Die fortgesetzte angestrengte Thätigkeit lähmte aber frühzeitig seine körperliche Kraft und nach kurzer Krankheit verschied er im Sommer 1860, nachdem er eben eine größere Abhandlung über die Streitfragen der Sadducäer und Pharisäer in hebräischer Sprache vollendet hatte und somit zu dem Idiom seiner Jugend zurückgekehrt war.

    • Literatur

      Eine ausführliche Behandlung der Schriften und Leistungen Holdheim's findet man bei Ritter. Geschichte der jüd. Reformation. Bd. III: Samuel Holdheim, Sein Leben u. seine Werke, Berlin 1865.

  • Autor/in

    J. Ritter.
  • Zitierweise

    Ritter, Immanuel, "Holdheim, Samuel" in: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 734-735 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd124434541.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA