Lebensdaten
um 1215 – 1293
Geburtsort
Worms
Sterbeort
Ensisheim (Elsaß)
Beruf/Funktion
Rabbiner ; jüdischer Theologe
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 119136392 | OGND | VIAF: 89860273
Namensvarianten
  • Rabbi Meir von Rothenburg
  • Meir von Rothenburg
  • Meir
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Verknüpfungen auf die Person andernorts

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Meir ben Baruch, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119136392.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Baruch, Talmudist in W.

  • Biographie

    Schon als Kind verließ M. sein Vaterhaus und ging nach Würzburg, um bei Isaak Or Sarua seine Studien im jüd. Gesetz zu beginnen. Nach einem kurzen Studienaufenthalt in Mainz, der seinem rund sechsjährigen Verweilen in Würzburg folgte, begab sich der noch nicht Zwanzigjährige nach Frankreich und vollendete dort seine Ausbildung bei den berühmtesten franz. Talmudgelehrten jener Zeit, Samuel Ben Salomon von Falaise und Jechiel von Paris. M. erlebte in Frankreich das Vorgehen der Inquisition gegen den Talmud in den Jahren 1240–42, das mit der Verbrennung aller aufzutreibenden Exemplare in Paris seinen Höhepunkt fand. Bald darauf kehrte er nach Deutschland zurück und ließ sich gegen 1245 in Rothenburg ob der Tauber nieder, wo er über 40 Jahre blieb. Er eröffnete eine eigene Talmudhochschule, um rabbinisch geschulten Nachwuchs für die jüd. Gemeinden auszubilden, und wurde binnen kurzer Zeit die anerkannte gesetzesgelehrte Autorität aller jüd. Gemeinden des Reichsgebietes. Die Gemeinden überschütteten ihn mit Bitten um die Erteilung von Rechtsgutachten, mit denen sie Probleme ihres Alltagslebens anhand der oft nur schwer zu durchschauenden talmudischen Rechtsnormen zu lösen suchten. M.s Rechtsgutachten, von denen mehr als 1000 bekannt sind und von denen noch etliche unentdeckt in Handschriften schlummern dürften, sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Seine Responsen illustrieren nicht nur die Anwendung des jüd. Rechts, der sog. Halacha, im 13. Jh., sondern liefern darüber hinaus einzigartige Informationen über die wirtschafts- und sozialgeschichtliche Verfassung der jüd. Minderheit im Spätmittelalter.

    Die Anfragen, die M. zu behandeln hatte, umfaßten einerseits rein innerjüd. Probleme, so zum ehelichen Güterrecht oder zur Ehescheidung, zum Bürgen-, Pfand- und Obligationenrecht, zum Erbrecht, zu Prozeduren des An- und Verkaufs von Immobilien, und relativ wenige Bescheide aus dem Bereich des Ritualgesetzes, das sich mit Fragen ritueller Reinheit und Unreinheit und der Genußfähigkeit bzw. Genußunfähigkeit von Speisen und Nahrungsmitteln beschäftigt. Etliche Responsen befaßten sich hingegen mit den Beziehungen der Juden zu ihrer christlichen Umwelt. Die Aufbringung der Judensteuern an die nichtjüd. Obrigkeiten bildete hierbei ein zentrales Thema; andere Problembereiche wie gemischt-konfessionelle Darlehensgeschäfte auf Zinsbasis, der Umgang mit Apostaten, die Versuche von christlichen Machthabern, sich in die Selbstverwaltung der jüd. Gemeinden einzumischen, und Gefangensetzung von Juden zwecks Erpressung eines Lösegelds traten hinzu. Von den beiden Talmuden abgesehen, stützte sich M. in seinen Rechtsgutachten auch auf Präzedenzurteile nachtalmudischer Gesetzesgelehrter, und zwar auf oriental., span. und franz. Autoritäten. Die seit dem Ende des 10. Jh. blühende deutsch-jüd. Tradition der Talmudauslegung und -anwendung wurde von ihm so gut wie gänzlich ignoriert. Im Rahmen seiner Aktivität als Rechtsgutachter und Lehrer vereinheitlichte M. auch die jüd. Liturgie, die bis zu seinen Lebzeiten eine große regional bedingte Vielfalt aufwies. Für den Wortlaut und die Abfolge wichtiger Gebete erließ er minutiöse Regelungen, die von den bei ihm ausgebildeten Schülern in ihre Heimatgemeinden gebracht und dort durchgesetzt wurden.

    Rabbi M.s im großen und ganzen unbeschwerte Gelehrtenexistenz endete mit der Thronbesteigung Kg. Rudolfs von Habsburg 1273. Rudolf versuchte die in den Zeiten des Interregnums erschlaffte Königsgewalt zu stärken und beanspruchte im Rahmen dieser, Bemühungen Steuern von allen Juden des Reichsgebietes, die er als seiner Gewalt unmittelbar und unumschränkt unterworfen ansah. Die jüd. Gemeinden, die schon hohe Abgaben an die lokalen nichtjüdischen Gewalten entrichteten, verweigerten – mit Rabbi M. an der Spitze – dem König die Zustimmung zu seiner Rechtsauffassung. 1286, als der königl. Druck immer mehr zunahm, verließ M. mit Hunderten von Glaubensgenossen aus Rheinhessen seine Heimat und versuchte das Reichsgebiet in Richtung Süden zu verlassen. In der Lombardei aber wurde er erkannt, verhaftet und Kg. Rudolf ausgeliefert, der ihn bis zu seinem Tode erst an einem Ort namens Wasserburg, dann in Ensisheim im Elsaß gefangen hielt. Die jüd. Gemeinden in Deutschland versuchten den Verhafteten zunächst mit einem Lösegeld von 23 000 Pfund freizukaufen und boten dem König das Geld als einmalige Zahlung an. Rudolf wollte jedoch als Preis für die Freilassung M.s bei den Gemeinden das generelle Recht der Steuererhebung erzwingen. Darauf gingen die Repräsentanten der deutschen Juden aber nicht ein; sie wurden vom eingekerkerten Rabbi M. in dieser Haltung bestärkt. Erst 1307 löste Alexander Ben Salomon Wimpfen den Leichnam M.s von Rudolfs Sohn Albrecht aus und ließ ihn in Worms beisetzen.

  • Literatur

    Tešũbõt ba alẽ hat-tõsãfõt, hrsg. v. I. A. Agus, 1954, § 49-105;
    Maharam me-Rothenburg: Tešũbõt, pesãqĩm u-minhãgĩm, hrsg. v. J. Z. Kahana, 3 Bde., 1957-63. – I. A. Agus, Rabbi M. of Rothenburg – His Life and his Works, ²1970 (L);
    Enc. Jud.

  • Autor/in

    Hans-Georg von Mutius
  • Zitierweise

    Mutius, Hans-Georg von, "Meir ben Baruch" in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 681-682 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119136392.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Meir den Baruch, auch Meir von Rotenburg genannt, jüdischer Gesetzeslehrer, am 27. April 1293 in Ensisheim. Zu Worms gebürtig, wurde er von seinem Vater, dem im J. 1281 in hohem Alter verstorbenen Rabbiner Baruch b. Meir, wol schon als Knabe für das Talmudstudium bestimmt. In seiner Jugend hielt er sich in Würzburg auf und hörte daselbst die talmudischen Vorträge des Rabbiners Samuel b. Menachem. Später besuchte er die Lehrhäuser der letzten Vertreter der französischen Talmudistenschule, Jechiel von Paris und Samuel v. Falaise. Auch seinen Verwandten Samuel von Bamberg und den Rabbiner Abigedor in Wien bezeichnet er als seine Lehrer. In verhältnißmäßig frühem Alter war M. b. B., der in Rotenburg (wahrscheinlich am Neckar) und später auch in anderen Städten, zuletzt in Nürnberg, als Rabbiner wirkte, schon als die erste Autorität auf dem Gebiete der jüdischen Gesetzeskunde anerkannt. Mit Anspielung auf seinen Namen (Meir, leuchtend) wurde er nicht selten die Leuchte der Judenheit genannt. Fortwährend ergingen aus den jüdischen Gemeinden Deutschlands und Frankreichs an ihn Anfragen betreffs zweifelhafter religionsgesetzlicher Fälle und seine Bescheide wurden als maßgebend anerkannt. Er hat mehr als 1000 casuistische Gutachten geschrieben, die, sachlich und quellenmäßig gehalten, auch da, wo discusfive Erläuterungen nicht zu vermeiden sind, klar und verständlich bleiben und nie durch ermüdende Breite und Verworrenheit verunstaltet werden. Von seinen Commentarien zu mehreren Tractaten der Mischna und des Talmuds und seinen masoretischen Arbeiten haben sich nur wenige Reste und Auszüge erhalten. Er richtete sein besonderes Augenmerk auf die Feststellung der aus dem Talmud für das praktisch-religiöse Leben sich ergebenden Normen und stellte daher den Lehrcodex Alfasi's und Maimuni's Lehrgebäude des jüdischen Gesetzes sehr hoch, welche Werke denn in der That auch von seinen Schülern mit zahlreichen aus seinem litterarischen Nachlasse stammenden Additamenten versehen wurden. Er brachte das Talmudstudium in Deutschland zur Blüthe und ließ die mystische Askese nur soweit gelten, als sie sich talmudisch rechtfertigen ließ. Im J. 1286 wurde M. b. B., als er eben im Begriffe war mit seiner Familie und anderen jüdischen Auswanderern Deutschland zu verlassen, in der Lombardei durch den Grafen Meinhard von Görz gefangen genommen und dem Kaiser Rudolf I. ausgeliefert, der ihn als Geisel in Ensisheim (und Wasserburg) gefangen hielt, woselbst er, nachdem er es vorgezogen hatte in Haft zu bleiben, als durch ein großes von der deutschen Judenheit aufgebotenes Lösegeld sich befreien zu lassen, im J. 1293 verstarb. Seine Leiche wurde erst 14 Jahre später, als nämlich Süßkind Wimpffen aus Frankfurt a. M. durch große Geldopfer dazu die Erlaubniß sich erworben hatte, in Worms zu Grabe gebracht. Sein Nachkomme im 10. Geschlechts war Elhakim Rotenburg, Landrabbiner in Schwaben|(1610), der Glossen zu einigen Büchern der aramäischen Bibelübersetzung und Responsen geschrieben hat.

    • Literatur

      Vgl. Lewysohn, Epitaphien des isr. Friedhofes zu Worms, S. 35—39; Landshut. Amude ha-Aboda, p. 160, 161; Wiener, Regesten zur Geschichte der Juden in Deutschland, Vorn. S. X—XVI; Grätz, Gesch. d. Juden, Bd. VII, S. 183—185, 203—205; Zunz, Litteraturgeschichte der synag. Poesie, S. 357—362; Güdemann, Gesch. des Erziehungswesens und der Cultur der abendländischen Juden, Wien 1880, S. 170—173.

  • Autor/in

    Brüll.
  • Zitierweise

    Brüll, Adolf, "Meir ben Baruch" in: Allgemeine Deutsche Biographie 21 (1885), S. 240-241 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119136392.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA