Lebensdaten
1896 – 1986
Geburtsort
Kassel
Sterbeort
Kassel
Beruf/Funktion
Juristin ; Politikerin ; Frauenrechtlerin
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118977253 | OGND | VIAF: 22941447
Namensvarianten
  • Rhode, Martha Elisabeth
  • Selbert, Elisabeth
  • Rhode, Martha Elisabeth
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Zitierweise

Selbert, Elisabeth, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118977253.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Georg Rhode (1867–1936), aus N., Bäcker, Berufssoldat, Gefangenenaufseher in e. Jugendstrafanstalt in K., Justizoberwachtmeister ;
    M Eva Elisabeth Sauer (1870–1961), aus Sontra;
    3 Schw;
    Niederzwehren 1920 Adam (1893–1965), aus Gemünden/Wohra, Buchdrucker, Abg. im Kommunal- u. ProvinzialLT Hessen-Nassau, 1918 Vors. d. Arbeiter- u. Soldatenrates in N., SPD-Politiker, 1930–33 stellv. Bgm. v. N., 1933 im KZ Breitenau inhaftiert, 1934 Bürovorsteher in S.s Kanzlei, 1945 Personaldezernent b. d. Bez.kommunalverw. in K., Stellv. d. kommissar. Landeshptm. v. Kurhessen, 1946 erster Landesrat, S d. Jakob Selbert u. d. Anna Barbara Sippel;
    2 S Gerhart (1921–88), Jur. in K., Herbert (1922–88), Amtsrat in K.;
    E Axel (* 1952), RA, Mitgl. d. Stadtverordnetenverslg. (Die Linke) in K.

  • Biographie

    Aufgewachsen in einem kleinbürgerlichen, christlich geprägten Elternhaus, besuchte S. seit 1912 die Gewerbe- und Handelsschule des Frauenbildungsvereins in Kassel. Ihr Ziel, Lehrerin zu werden, konnte sie aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen; daher arbeitete sie zunächst als Auslandskorrespondentin, später als Postgehilfin im Telegraphendienst. Hier lernte sie ihren späteren Mann, den „roten Funktionär“ Adam Selbert kennen, der ihr politisches Interesse weckte; 1918 trat sie in die SPD ein. Durch Philipp Scheidemann (1865–1939), den späteren Oberbürgermeister von Kassel, ermutigt, begann sie, sich publizistisch und als Vortragsrednerin für die politische Bildung von Frauen und für die Gleichberechtigung zu engagieren. 1919 kandidierte S. erfolgreich für einen Sitz im Gemeindeparlament von Niederzwehren; im Okt. 1920 nahm sie als Delegierte an der Reichsfrauenkonferenz in Kassel teil.

    Nach ihrer Heirat und den Geburten zweier Söhne bewältigte S. 1926 extern das Abitur an der Kasseler Luisenschule und anschließend in sechs Semestern bis 1929 ein Jurastudium an den Univ. Marburg und Göttingen. Dem 1. Staatsexamen folgte im Frühjahr 1930 die Promotion, in der sie die „Ehezerrüttung als Scheidungsgrund“ behandelte. Aufgegeben wurde das Schuldprinzip indes erst 1977 im Rahmen der damaligen Eherechtsreform.

    Als S.s Ehemann 1933 als stellv. Bürgermeister von Niederzwehren zwangsweise in den Ruhestand versetzt und im Konzentrationslager Breitenau inhaftiert wurde, erwirkte S. mit juristischen Argumenten seine Freilassung. 1934 legte sie in Berlin das 2. Staatsexamen ab und erreichte gegen den Willen Otto Palandts, Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes, und des NS-Juristenbundes die Zulassung zur Anwaltschaft. Da ihr Mann nur eine kleine Rente erhielt, mußte S., die 1934 die Kanzlei zweier jüd. Rechtsanwälte übernommen hatte, bis 1945 nahezu vollständig für den Unterhalt der Familie aufkommen.

    Nach dem 2. Weltkrieg wurde S. von der amerik. Militärregierung beauftragt, am Wiederaufbau von Justiz und Verwaltung mitzuarbeiten. Aufgrund ihrer Englischkenntnisse war sie als Strafverteidigerin bei Militärgerichten tätig und bei der Wiederbegründung der SPD. Politisch zunächst im „Überparteilichen Ausschuß“ der Stadt Kassel aktiv, wirkte sie seit 1946 als Stadtverordnete sowie als Mitglied im Bezirks- und Parteivorstand der SPD und der Verfassungberatenden Landesversammlung Groß-Hessen in Wiesbaden; 1948/49 war sie Mitglied im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz für die künftige Bundesrepublik Deutschland ausarbeitete. Hier gelang es ihr, den aus der Weimarer Verfassung stammenden Passus „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ entscheidend zu verändern. Gegen anfänglich heftigen Widerstand konnte sie Frauen aller gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen in einer spektakulären Kampagne zu außerparlamentarischem Protest bewegen. Unterstützt durch ihre Parteigenossin Friederike (Frieda) Nadig (1897–1970), erreichte sie die Aufnahme der Formulierung: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3, Absatz 2, Satz 1 GG) in den Verfassungstext (18.1.1949). Mit diesem Erfolg schuf sie die Grundlage für gesetzliche Regelungen, die z. T. erst Jahrzehnte später umgesetzt wurden, und stellte somit die Weichen für bis in die Gegenwart wirkende gesellschaftliche und soziale Veränderungen.

    Darüber hinaus setzte sich S.v. a. auch aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit dem NS-Gerichtswesen – im Rechtspflegeausschuß für die Gründung eines Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Demokratie und die Unabhängigkeit der Richter ein. Mitglied des Hess. Landtags seit 1946, scheiterte sie im Aug. 1949 jedoch knapp in dem Bemühen um einen Sitz im 1. Dt. Bundestag. Auch ihre Kandidaturen für ein Richteramt am Bundesverfassungs- und später am Bundessozialgericht blieben erfolglos – nicht zuletzt infolge mangelnder Unterstützung seitens ihrer Parteigenossen. Nach ihrem Ausscheiden als Abgeordnete aus dem Hess. Landtag 1958 war S. wieder als Rechtsanwältin tätig (bis 1981). Für längere Zeit in Vergessenheit geraten, wurde sie Mitte der 1970er Jahre von Vertreterinnen der Neuen Frauenbewegung wiederentdeckt; heute ist ihre außergewöhnliche Leistung als „Anwältin der Gleichberechtigung“ allgemein anerkannt.

  • Auszeichnungen

    Gr. BVK (1956);
    Wappenring d. Stadt Kassel (1969);
    Wilhelm-Leuschner-Medaille (1978); E.-S.Preis d. hess. Landesreg. f. wiss. u. journalist. Arbb. im Geiste d. Gleichstellung v. Mann u. Frau (seit 1983);
    Ehrenbürgerin d. Stadt Kassel (1984).

  • Werke

    Ehezerrüttung als Scheidungsgrund (§ 1568 BGB), Diss. Göttingen 1930;
    Reden, Vortrr., Ztg.- u. Zss.art., Hörfunk- u. Fernsehsendungen im Nachlaß, Stiftung Archiv d. dt. Frauenbewegung, Kassel (P), hierzu: Online-Findbuch z. Bestand NLP11-ES;
    weitere Qu Archiv d. soz. Demokratie, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (P).

  • Literatur

    L B. Böttger, Das Recht auf Gleichheit u. Differenz, E. S. u. d. Kampf d. Frauen um Art. 3 II Grundgesetz, 1990;
    C. Sitter, Die Rolle d. vier Frauen im Parlamentar. Rat, Die vergessenen Mütter d. Grundgesetzes, 1995 (L);
    E. Schüller, Wer stimmt bestimmt? E. S. u. d. Frauenpol. d. Nachkriegszeit, 1996;
    H. Drummer u. J. Zwilling, in: „Ein Glücksfall f. d. Demokratie“, E. S. (1896–1986), Die gr. Anwältin d. Gleichberechtigung, hg. v. d. Hess. Landesreg., 1999, S. 9–160;
    G. Notz, Frauen in der Mannschaft, Sozialdemokratinnen im Parlamentar. Rat u. im Dt. BT 1948/49 bis 1957, 2003, bes. S. 80–110 (W, L, P);
    „Wind unter die Flügel“, Der E.-S.-Preis u. seine Preisträgerinnen v. 1983 bis 2003, hg. v. Hess. Sozialministerium, 2005;
    Demokrat. Wege;
    M. Röwekamp, Juristinnen, 2005 (W, L, P).

  • Porträts

    P Porträtzeichnung, Briefmarke d. Dt. Bundespost, 1987.

  • Autor/in

    Heike Drummer, Jutta Zwilling
  • Zitierweise

    Drummer, Heike; Zwilling, Jutta, "Selbert, Elisabeth" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 210-211 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118977253.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA