Lebensdaten
um 1028 oder 1030 – 1112
Geburtsort
Diözese Lüttich
Sterbeort
Gembloux (Brabant), Benediktinerkloster Sankt Peter
Beruf/Funktion
Benediktiner ; Scholaster ; Geschichtsschreiber ; Biograph ; Komputist ; Publizist
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118614142 | OGND | VIAF: 88029539
Namensvarianten
  • Sigebert von Gembloux
  • Sigebert, de Gembloux
  • Sigbertus Gemblacensis
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Sigebert von Gembloux, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118614142.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Von reichsroman. u. wohl einfacher Herkunft.

  • Biographie

    S. wurde als Kind dem Kloster Gembloux übergeben und unter Abt Olbert ausgebildet. Dessen Nachfolger Mysach vermittelte ihn|bald nach 1048 seinem Bruder Folkuin, Abt von St. Vinzenz in Metz, als Scholaster. Dort wurde S. auch außerhalb der Abtei ein begehrter Gesprächspartner, nicht zuletzt aufgrund seiner Hebräischkenntnisse in der jüd. Gemeinde. Nach Mysachs Tod (Nov. 1071) kehrte S. nach Gembloux zurück, um weiter zu lehren und das Amt des custos ecclesiae anzutreten. Auch hier suchten angesehene Lütticher seinen Rat, namentlich der Archidiakon und spätere Dekan von St. Lambert, Heinrich, Auftraggeber v. a. seiner Streitschriften.

    Mit seinem „Libellus de viris illustribus“ nahm S. die unterbrochene Tradition dieser von Hieronymus begründeten Gattung wieder auf, fügte zum spätantiken Kanon biblischer Dichter auch ihre mittelalterlichen Nachfolger und abschließend seine eigenen Werke hinzu. In Metz verfaßte er u. a. eine Biographie Bf. Dietrichs I. von Metz, des Gründers von St. Vinzenz. Rhythmische Klauseln, Reimprosa und eingestreute Verse verraten die Lütticher Schule, ebenso wie die Art seiner für das Genus der Gesta typischen Belegtechnik. Ein Metzer Städtelob in leoninischen Hexametern am Schluß, ein Abschiedsgedicht, gilt als späterer Nachtrag. Prudentius' metrische Passio des Klosterpatrons regte an zu einer Vita der dort im Rang folgenden Hl. Lucia in paarweise gereimten alkäischen Strophen.

    Nach seiner Rückkehr empfahl sich S. dem Heimatkloster mit einem Epos über dessen Patron Exuperius in einsilbig gereimten leoninischen Hexametern und Distichen. Es folgten weitere biographische Werke, darunter auch eine Vita des Klostergründers Gf. Wigbert von Darnau, woran die „Gesta abbatum Gemblacensium“ mit den Viten der ersten fünf Äbte bis zum Tode Mysachs anschließen. Lassen diese Schriften bereits das historisch-politische Interesse ihres Autors erkennen, so äußert S. in den Bearbeitungen der Viten Bf. Lamberts von Lüttich seine Ansichten zu den Kontroversen der Zeit offener als in seinen Streitschriften.

    Von Beda und Marianus Scottus geübte Kritik an der Inkarnationsära des Dionysius Exiguus gab den Anstoß zur Aufzeichnung von zehn 532jährigen Großzyklen. Von diesem „Liber decennalis“ ist nur noch ein Teil des Prologs erhalten, die Auseinandersetzung mit Dionysius und Beda, sowie eine Erläuterung des benediktinischen Zeitsystems in Form eines Dialogs zwischen Lehrer und Schüler. Seine „Chronica“ steht dagegen nicht primär im Dienste der Komputistik und damit nur formal in der Nachfolge des Eusebius. Hier geht es um die richtige Zuordnung der gesamten Zeit- und Ereignisfolge. Der Wettstreit der Völker um die Vorherrschaft im Imperium Romanum wird in Form einer Synopse zur Universalgeschichte. Hinter dem Leitmotiv der Translatio imperii von den Römern auf die Franken bis zu den letzten Saliern steht das Anliegen einer Rechtfertigung ihres umstrittenen Kaisertums. Seinen politischen Standpunkt verrät S. kaum in den auffallend zurückhaltenden zeitgenössischen Jahresberichten, deutlicher hingegen in den vorangehenden.

    Für Aufträge zur Beteiligung am Investiturstreit mit historischen Beweismitteln bot sich der Historiograph gleichsam an. Die Gültigkeit der von verheirateten Priestern gespendeten Sakramente verteidigte er in einer Schrift, die vermutlich 1089 der Enzyklika Papst Clemens' III. zugrundelag. Im Namen der Lütticher Kirche wandte er sich gegen Paschals II. Aufruf zur Gewalt gegen das abtrünnige Bistum Cambrai. Seine Kritik richtete sich dabei weniger gegen die Ziele als gegen die Methoden des Papstes. Wohl S. zuzuschreiben ist eine im Auftrag des Hofes verfaßte anonyme Verteidigung der Laieninvestitur, die 1109 den ksl. Gesandten bei den Verhandlungen mit der Kurie als Instruktion diente. Auch die in der Chronik inserierten Vertragstexte von 1111 sprechen für gute Beziehungen S.s zum Hof.

    Von allen Werken dieses vielseitigen Autors war anscheinend die „Chronica“ das beliebteste, denn allein diese war im ganzen Reich verbreitet und fand zahlreiche Fortsetzer. Obwohl seine publizistischen Schriften im Auftrag des ksl. Bistums Lüttich entstanden, stellte er sie in den Dienst der Vermittlung. Nicht zuletzt seine ausführliche Berichterstattung über die Verhandlungen zwischen Kaiser und Papst am Schluß der Chronik zeugt von seinem Interesse an einer Verständigung.

  • Werke

    Vita Deoderici, ed. G. H. Pertz, in: MGH SS IV, 1841, S. 461–83;
    Chronica, ed. L. K. Bethmann, in: MGH SS VI, 1844, S. 273–374;
    Vita Wicberti u. Gesta abbatum Gemblacensium, ed. G. H. Pertz, in: MGH SS VIII, 1848, S. 504–16 u. 523–43;
    Leodicensium epistola adversus Paschalem papam, ed. E. Sackur, in: MGH Libelli de lite II, 1892, S. 449–64;
    E. Dümmler (Hg.), Passio Sanctae Luciae Virginis u. Passio S. Thebeorum, Abhh. d. Kgl. Preuß. Ak. d. Wiss. zu Berlin, 1893;
    Vitae Landiberti, vollst. Migne PL 160, Sp. 759–810;
    R. Witte, Catalogus ( . . . ) de viris illustribus, Krit. Ausg., 1974;
    De investitura episcoporum, ed. J. Krimm-Beumann, in: DA 33, 1977, S. 57–83, Ausg. mit dt. Übers. v. I. Schmale-Ott, in: Qu. z. Investiturstreit, 2. T., 1984, S. 580–613;
    J. Wiesenbach, S. v. G., Liber decennalis, 1986;
    S. v. G., Apologia contra eos, qui calumpniantur missas coniugatorum sacerdotum, ed. E. Frauenknecht, in: Die Verteidigung d. Priesterehe in d. Reformzeit, 1997, S. 98–105, 217–39;
    Acta Sanctae Luciae, hg. u. übers. v. T. Licht, 2008.

  • Literatur

    ADB 34;
    M. Manitius, Gesch. d. lat. Lit. d. MA III, 1931, S. 332–50;
    Wattenbach-Holtzmann-Schmale II, 1976, S. 726–37;
    J. Beumann, S. v. G. u. d. Traktat de investitura episcoporum, 1976;
    T. Struve, Die Wende d. 11. Jh., Symptome e. Epochenwandels im Spiegel d. Gesch.schreibung, in: HJb. 112, 1992, S. 325–65;
    P. Godmann, Lit.gesch.schreibung im lat. MA u. in d. Renaissance, in: Mediävist. Komparatistik, FS f. Franz Worstbrock, 1997, S. 177–98;
    H.-W. Goetz, Gesch.schreibung u. Gesch.bewußtsein im hohen MA, 1999;
    O. Münch, Das Bild Karls d. Gr. in d. Publizistik d. Investiturstreits, in: Scientia veritatis, FS f. Hubert Mordek z. 65. Geb.tag, hg. v. dems. u. Th. Zotz, 2004, S. 311–26;
    T. Licht, Unterss. z. biogr. Werk S.s v. G., 2005;
    M. Chazan, Le récit du passé et le temps de la mémoire dans la chronique de S. de G., in: La mémoire du temps au Moyen Age, hg. v. A. Paravicini Bagliani, 2005, S. 37–58;
    Vf.-Lex. MA² (Gesamt-Verz. d. W, Edd. u. ältere L);
    LThK1–3;
    LexMA;
    BBKL X.

  • Porträts

    meditierender S. in d. D–Initiale d. Chronik S.s v. G., Notre-Dame d'Ourscamps (Cambrai, Bibl. municipale, ms. 0965, f. 055, 965).

  • Autor/in

    Jutta Krimm-Beumann
  • Zitierweise

    Krimm-Beumann, Jutta, "Sigebert von Gembloux" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 395-397 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118614142.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Sigebert: Chronist, Mönch der Benedictinerabtei Gembloux, unweit Namur im Sprengel von Lüttich, geboren um 1030, am 5. October 1112. S. war romanischer Abkunft und Sprache, aber Angehöriger des deutschen Reiches. Schon sehr früh als Mönch eingekleidet, hat er vorzüglich als Lehrer gewirkt; in jungen Jahren vom Abt Fulkuin nach dem Vincenzkloster in Metz berufen, stand er der dortigen Schule vor, bis er um 1070 zurückkehrte und nun in gleicher Stellung in seinem eigenen Kloster blieb bis an seinen Tod. Ehrgeiz war ihm fremd, und er hat niemals nach höheren Stellungen gestrebt, genoß aber als durchgebildeter Gelehrter und gewandter Schriftsteller einer großen Autorität. Seinem Berufe ernstlich und aufrichtig ergeben, schrieb er verschiedene Werke kirchlichen Inhalts, bearbeitete namentlich ältere Legenden, darunter das Martyrium der thebäischen Legion in einem Heldengedicht, welches sich durch geschickte Behandlung des Hexameters auszeichnet, sowie durch die Kuttst, womit er, unterstützt durch umfassende geschichtliche Kenntnisse, seiner Legende durch Darstellung der Zeitverhältnisse einen lebensvollen Hintergrund zu schaffen wußte. Sehr lebhaft bewegten ihn die Gegensätze, welche damals in der Kirche sich bekämpften und namentlich auch den Lütticher Sprengel beunruhigten, wo die Bischöfe zum Kaiser hielten, in einigen Klöstern aber die neuen ascetischen und hierarchischen Grundsätze eifrige Anhänger hatten. S. war durchaus reformatorisch gesinnt, billigte aber nicht die Bestrebungen, die ganze Kirche unter das Joch des Mönchthums zu beugen, und am wenigsten die rücksichtslose Gewaltthätigkeit, womit Hildebrand seine Forderungen durchsetzte, indem überall die Volksmassen oder dienstwilligen Laienfürsten gegen die Obrigkeiten aufgehetzt wurden. Furchtlos sprach S. seine Ueberzeugung aus in Abhandlungen, die in Briefform erschienen und um so größeren Eindruck machten, weil er auf den Wunsch des Archidiakon Heinrich und als Organ der Lütticher Kirche schrieb. Er antwortete auf Gregor VII. berühmtes Schreiben an Hermann von Metz über die Berechtigung des Papstes, den König zu bannen und den Eid der Treue zu lösen, und widerlegte die Behauptung, daß die Messen verheiratheter Priester ungültig wären: vorzüglich ist es die Aufreizung des Volkes zur Gewaltthätigkeit gegen solche Priester, welche er in ihren schlimmen Folgen darstellt und als unchristlich verwirft. Mit besonderer Lebhaftigkeit und vortrefflicher Beweisführung bekämpfte er endlich im Namen der Lütticher Kirche das Verfahren Paschalis II., welcher den Grafen Robert von Flandern zu einem förmlichen Kreuzzuge gegen diese|kaisertreue Kirche aufgefordert hatte: mit allem Apparat geistlicher Gelehrsamkeit stellt er dieses unerhörte Vorgehen als unchristlich und unerlaubt dar.

    Von Sigebert's geschichtlichen Arbeiten ist zuerst das Leben des Bischofs Dietrich I. von Metz zu nennen, welches er im Vincenzkloster zu Ehren dieses seines Stifters verfaßte; es ist als Jugendarbeit in einer zu gesucht zierlichen Schreibart und mit zur Schau getragener Gelehrsamkeit verfaßt, aber auch schon ausgezeichnet durch umfassende Geschichtskenntniß; dem Zweck entsprechend sind alle Schatten fortgelassen, welche S. selbst in seiner Chronik später nicht verschwiegen hat. Auch das Leben Wicbert's, des Stifters von Gembloux, nebst der Geschichte des Klosters bis 1048, hat er geschrieben, und nachdem es ihm gelungen war, von Bischof Otbert die Erlaubniß zur feierlichen Erhebung der Gebeine zu erlangen, noch kurz vor seinem Tode die Antiphonen und Lectionen zur Feier des neuen Festes verfaßt. Sein Hauptwerk aber und das für die Folgezeit wirksamste war seine Chronik, deren Ausarbeitung er in seinem Alter unternahm, beginnend mit dem J. 381 nach dem Ende der Chronik des Prosper. Es kam ihm vorzüglich auf die chronologische Ordnung an, und unendliche Mühe hat er auf die Einreihung der damals so hochgehaltenen Legenden verwandt: kritische Zweifel lagen ihm fern. Eine ausführlichere Behandlung der ihm naheliegenden Zeit lag nicht in seinem Plan, doch ist die nach Vollendung der ersten Ausgabe bis 1106 hinzugefügte Fortsetzung etwas eingehender. Wesentlich auf objectiven Bericht der Thatsachen sich beschränkend, verhehlt er doch auch hier nicht seine Mißbilligung des durch Gregor VII. entfachten Kampfes. Den Schluß bildet der ohne Commentar mitgetheilte Vertrag Heinrich's V. mit Paschalis II. vom 13. April 1111. Als bequemes und zweckmäßiges Handbuch der Weltgeschichte, welches einem dringenden Bedürfniß entgegenkam, mit umfassender Belesenheit ausgearbeitet, war die Chronik bei den Zeitgenossen und in den folgenden Jahrhunderten außerordentlich geschätzt und wurde vielfach mit Zusätzen und Fortsetzungen versehen. Ihre Autorität war groß, man hielt sie für vollkommen zuverlässig. Erst im 19. Jahrhundert hat die genauere Prüfung gezeigt, daß abgesehen von dem Mangel an Kritik, doch auch seine chronologischen Ansetzungen lange nicht so sorgfältig und genau sind, wie man gemeint hatte, und da außerdem die von ihm benutzten Quellen fast ohne Ausnahme auch uns bekannt sind, gilt die Chronik jetzt als beinahe werthlos. Das ist die Wirkung der sehr sorgfältigen Ausgabe von C. L. Bethmann, welchem es geglückt war, das Autograph der Chronik aufzufinden; mit größtem Fleiße hat er überall die Quellen nachgewiesen. Auch ein Werk über die kirchlichen Schriftsteller hat S. verfaßt, doch auch darin fehlt die nöthige Sorgfalt; im letzten Capitel hat er seine eigenen Schriften verzeichnet.

    S. Hirsch, De Vita et Scriptis Sigiberti Gemblacensis, Berol. 1841. — Chron. ed. C. L. Bethmann, Mon. Germ. Script. Vol. VI. — Wattenbach, Deutscht. Geschichtsquellen II, Cap. IV, 22.

  • Autor/in

    W. Wattenbach.
  • Zitierweise

    Wattenbach, Wilhelm, "Sigebert von Gembloux" in: Allgemeine Deutsche Biographie 34 (1892), S. 246-247 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118614142.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA