Lebensdaten
1920 – 1997
Geburtsort
Berdjansk (Ukraine)
Sterbeort
Bonn
Beruf/Funktion
Historiker ; Funktionär der KPdSU ; Dissident
Konfession
orthodox
Namensvarianten
  • Voslensky, Michail
  • Voslenskii, Michail
  • Woslenski, Michail Sergejewitsch
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Zitierweise

Voslensky, Michael, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz137732.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Sergej, ltd. Bankangest. in Moskau;
    M N. N., Math.lehrerin;
    ledig.

  • Biographie

    Nach dem Umzug seiner Familie nach Moskau Mitte der 1920er Jahre besuchte V. hier die höhere Schule und erlernte die franz. und dt. Sprache. 1939–44 studierte er Geschichte an der Lomonossow-Univ. in Moskau. Anschließend war er Oberassistent am Lehrerseminar Kolomna bei Moskau, bevor er 1946 als Dolmetscher zu den Nürnberger Prozessen entsandt wurde. Nach deren Ende arbeitete er im Alliierten Kontrollrat in Berlin, 1950–53 war er leitender Redakteur im Informationsbüro des Ministerrats der UdSSR. 1950 wurde V. am Institut für Internationale Beziehungen in Moskau zum Dr. phil. promoviert. 1965 habilitierte er sich als Historiker an der Staatlichen Pädagogischen Hochschule in Moskau und an der Dt. Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR in Potsdam mit einer Arbeit über die Ostpolitik|der Bundesrepublik Deutschland. 1953 wurde V. Redakteur, später stellv. Leiter der Presseabteilung des Weltfriedensrats in Prag und Wien. 1956–70 wirkte er als wiss. Mitarbeiter im Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen sowie am Institut für Allgemeine Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. V. war seit 1971 Mitglied der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der KPdSU und lehrte 1966 / 67 an der Lumumba-Univ. und 1971 / 72 an der Lomonossow-Univ. in Moskau Geschichte. Zwischen 1954 und 1967 veröffentlichte er vier Bücher in russ. Sprache, die sich mit Deutschlands Beziehungen zur Sowjetunion befaßten.

    Im März 1972 nutzte V. eine Dienstreise nach Wien und Mainz, um sich in den Westen abzusetzen. Er war Gastprofessor in Wien, Münster und Hamburg. Seit 1974 arbeitete er auf Einladung Carl Friedrich v. Weizsäckers (1912–2007) am Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg. 1982 gründete er in München ein Institut zur Erforschung der sowjet. Gegenwart (seit 1987 in Bonn), das auch die Bundesregierung beriet. 1976 nahm V. die österr. Staatsangehörigkeit an, die sowjet., die ihm 1977 entzogen worden war, erhielt er 1990 zurück. V. lebte zuletzt in Meckenheim bei Bonn.

    International bekannt wurde V. durch sein Buch „Nomenklatura, Die herrschende Klasse der Sowjetunion in Geschichte und Gegenwart“ (russ. 1970), das in 14 Sprachen übersetzt wurde und nach dem Erscheinen der franz. und dt. Ausgabe 1980 (Neuausg. 1982, ³1987) im Westen eine lebhafte Debatte über den Charakter der sowjet. Herrschaft auslöste. V. behauptete, daß die „Nomenklatura“ (ursprünglich ein Verzeichnis aller Führungspositionen in Partei und Staat, dann Inbegriff für die Führungselite) eine „Ausbeuterklasse“ sei, die sich alle Macht im Staat angeeignet habe und sich auf Kosten der Gesellschaft bereichere. Die kommunistische Ideologie verfolge keinen anderen Zweck, als die Gesellschaft für die selbstsüchtigen Zwecke der Führungselite zu mobilisieren. Diese Elite beschrieb V. als Klasse, die aber alle Kriterien eines Standes erfüllte. Sie war rechtlich abgeschlossen, sozial undurchlässig und monopolisierte den Zugang zu allen Machtressourcen. In zwei Folgebänden über die Generalsekretäre der KPdSU von Lenin bis Andropow (Sterbl. Götter, Die Lehrmeister d. Nomenklatura, 1989, Neuausg. 1991) und über die Parteielite im Lichte neu veröffentlichter Archivalien (Das Geheime wird offenbar, Moskauer Archive erzählen 1917–1991, 1995) prophezeite V., daß es weder Freiheit noch Wohlstand geben werde, wenn sich Rußland nicht von seinem Erbe emanzipiere. Im Westen erregten V.s Thesen für kurze Zeit Aufmerksamkeit, doch blieben seine Aussagen über die KPdSU wissenschaftlich folgenlos. In Rußland hatten V.s Schriften nur bescheidene Wirkung, weil sie beschrieben, was jedermann wußte, aber nicht sagen konnte.

  • Auszeichnungen

    |Dt. Friedensmedaille d. Friedensrats d. DDR in Silber;
    Medaille d. Weltfriedensrats.

  • Literatur

    |G. Wettig, Koexistenz-Konzept u. Europa-Pol. aus sowjet. Sicht, Überlegungen z. Thesen v. M. V., 1974;
    T. Ammer, Sowjet. „Friedensforscher“ z. Gast b.dt. Imperialismus“, in: Pol. Stud., 1976, H. 3, S. 313–15;
    S. Gec (Goetz), M. V., Put’ v emigraciju i žizn’ v Germaniju, in: A. J. Vatlin u. M. Vil’ke (Hg.), Ljudi meždu narodami, Dejstvujuščie lica rossijskogermanskoj istorii XX v., 2010, S. 241–53;
    Kosch, Lit.-Lex.³;
    Munzinger.

  • Autor/in

    Jörg Baberowski
  • Zitierweise

    Baberowski, Jörg, "Voslensky, Michael" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 121-122 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz137732.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA