Lebensdaten
1946 – 2001
Geburtsort
Venedig
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Dirigent ; Generalmusikdirektor ; Komponist ; Archäologe
Konfession
-
Normdaten
GND: 119483343 | OGND | VIAF: 37103455
Namensvarianten
  • Sinopoli, Giuseppe

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Von der Person ausgehende Verknüpfungen

Personen im NDB Artikel

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Sinopoli, Giuseppe, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119483343.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V N. N.;
    M N. N.; 9 jüngere Geschw u. a. Anna, Prof. f. Konstruktion an d. Sapienza Univ. di Roma;
    1979 Silvia Cappellini, aus Rom, Pianistin, Diplom an d. Acc. di Santa Cecilia, Rom, danach Studien b. E. Bagnoli u. R. Brengola, Auftritte u. a. mit d. Hamburger Philharmonikern, d. Toronto Symphony Orchestra, d. Rundfunkorchester Basel, d. Busoni Ensemble u. d. Acc. Filarmonica Romana; 2 S.

  • Biographie

    S., der seine Kindheit in Messina verbrachte, begann 1958 seine Ausbildung am dortigen Konservatorium in Harmonielehre und als Organist. Seit 1965 lebte er wieder in Venedig und setzte seine Studien am Conservatorio „Benedetto Marcello“ fort. Gleichzeitig studierte er in Padua Medizin (Promotion 1972). Nach Sommerkursen in Darmstadt bei Karlheinz Stockhausen (1928–2007) und Bruno Maderna (1920–73) nahm er 1969–73 an der Accademia Musicale Chigiana in Siena ein Kompositionsstudium bei Franco Donatoni auf, dessen Assistent er wurde. 1972 begann S. ein Dirigierstudium bei Hans Swarowsky in Wien. Im selben Jahr wurde er Dozent für zeitgenössische und elektronische Musik am Konservatorium von Venedig, 1975 gründete er das Bruno Maderna-Ensemble. In der Folge nahm er zahlreiche Kompositionsaufträge (Donaueschingen, Holland Festival u. a.) an. Nach der Uraufführung von „Lou Salomé“ 1981 beendete S. seine Kompositionstätigkeit – in der Absicht, diese nach Beendigung seines zusätzlich begonnenen Archäologiestudiums später wieder aufzunehmen.

    Parallel zur Kompositionstätigkeit entwickelte sich S.s Dirigentenkarriere seit dem Ende der 1970er Jahre. Nach seinem Operndébut 1978 in Venedig mit „Aida“ absolvierte S. Auftritte an den wichtigsten Opernhäusern, die ihn als einen der führenden Dirigenten seiner Generation etablierten: 1985 stand er erstmals am Pult der Wiener Staatsoper mit Verdis „Attila“, im selben Jahr debutierte er an der New Yorker Metropolitan Opera mit Puccinis „Tosca“. 1994 dirigierte er Strauss' „Elektra“ erstmals an der Mailänder Scala. Seit 1985 gastierte S. jährlich bei den Bayreuther Festspielen; auf „Tannhäuser“ (in der Dresdner Fassung, bis 1989) folgten „Der fliegende Holländer“ (1990–93), „Parsifal“ (1994–99) und „Der Ring des Nibelungen“ (2000). Das Amt des Generalmusikdirektors der Deutschen Oper Berlin, in das er 1990 berufen worden war, trat er wegen Differenzen mit der Intendanz nicht an.

    Neben seiner Tätigkeit als Operndirigent übernahm S. führende Positionen bei bedeutenden Orchestern. 1983–87 war er Erster Dirigent des Orchestra dell'Accademia di Santa Cecilia in Rom, 1987–95 Chefdirigent des Philharmonia Orchestra London und seit 1992 bis zu seinem Tod Erster Kapellmeister der Staatskapelle Dresden. Gastauftritte führten ihn ans Pult aller wichtigen Orchester der Welt wie der Berliner, Wiener und New Yorker Philharmoniker sowie u. a. zu den Salzburger Festspielen. Im April 2001 erlitt S. während einer Vorstellung von Verdis „Aida“ an der Deutschen Oper Berlin einen Herzinfarkt, dem er wenig später erlag.

    S.s kompositorisches Œuvre ist schmal, zeigt aber gleichwohl eine deutliche Entwicklungslinie. Waren seine frühen Werke, zu denen auch Elektronische Musik zählte, stark seriell organisiert, öffnete er sich später – exemplarisch ausgeprägt in der „Lou Salomé“ – einer Klangsprache, die in ihrer Expressivität an Webern und Berg anknüpfte, auch tonale Elemente einband, ohne jedoch in eine naive tonale Restitution zurückzufallen. Momente klanglicher Schönheit waren stets gebrochen, wurden auf einer zweiten Ebene in Frage gestellt und verfremdet. S.s historisches Bewußtsein ließ ihn die Ursprünge der Moderne bei Berg und Webern ebenso wie die Wurzeln der ital. Musik in venezian. Renaissance-Musik erkunden und in seinem Werk kompositorisch reflektieren.

    Als Dirigent hatte S. seinen Repertoireschwerpunkt in der Musik der dt.-österr. Symphonik bis hin zur „Neuen Wiener Schule“. Als Operndirigent konzentrierte er sich auf Puccini und Verdi, wobei er sich auch dessen vernachlässigten Frühwerken zuwandte, im dt. Repertoire auf Wagner und Strauss. Sein – technisch nicht immer sicheres – Dirigat war analytisch durchdrungen und in seiner intellektuellen Schärfe klanglich fein ausgehorcht; von einer starken Ausdruckskraft beseelt, konnte es in seinen Extremen auch problematisch werden und Kritik auf sich ziehen.

    S.s Repertoirevorlieben spiegeln sich in seiner reichen Diskographie. Schon eine seiner ersten Aufnahmen, eine psychologisch ausgefeilte Interpretation von Schuberts „Unvollendeter“ und der zweiten Symphonie Schumanns (1984), machte Furore. Für die Dt. Grammophon Gesellschaft entstand u. a. eine Gesamteinspielung der Symphonien Mahlers. Außerordentliche Bedeutung gebührt neben einer Aufnahme der Werke für Chor und Orchester von Brahms und der Schumann-Symphonien einer Einspielungsserie mit Werken Schönbergs, Bergs und Weberns für Teldec, während unter seinen zahlreichen preisgekrönten Operneinspielungen – z. T. auch für Philips – besonders Verdis „Macbeth“ und „Nabucco“ herausragen.

    S. war eine äußerst komplexe und vielseitig interessierte Persönlichkeit. In den 90er Jahren studierte er in Rom Archäologie und Orientalistik bei Paolo Matthiae und hatte zum Zeitpunkt seines Todes eine Dissertation zur Palastarchitektur im alten Mesopotamien fertiggestellt; er starb nur wenige Tage vor seinem Rigorosum. Seine Sammlung antiker Kunst, der er den Namen „Aristaios“ gegeben hatte, wurde 1995 katalogisiert und 1998 erstmals öffentlich in Kiel gezeigt. 1990 hatte S. die künstlerische Leitung der Festspiele „Taormina Arte“ übernommen; seit 2005 findet dort ein jährliches Festival zum Gedenken an ihn statt, das in Konzerten, Lesungen, Austellungen u. ä. alle Aspekte des Musikers und Intellektuellen S. würdigt.

  • Auszeichnungen

    Grande Ufficiale Ordine al Merito della Repubblica Italiana (1994);
    Cavaliere di Gran Croce (1998).

  • Werke

    W Komp. u. a. Souvenirs à la mémoire, 1974;
    Tombeau d'armor I–III, 1975–78;
    Klavierkonzert, 1975;
    Kammerkonzert, 1977/79;
    Lou Salomé (Karl Dietrich Gräwe), UA 1981 Bayer. Staatsoper München;
    daraus auch zwei Suiten;
    Schrr. u. a. Abirrung u. kriminolog. Momente in d. phänomenolog. Vermittlung d. Kunstwerks, 1971 (Diss.);
    Parsifal a Venezia, 1993, dt. 2001 (Roman);
    Individuazione e nascita della coscienza nelle trasformazioni simboliche del personaggio di Kundry nel Parsifal di Wagner, ital./dt. 1997;
    Il re e il palazzo, Studi sull'architettura del Vicino Oriente, il bit-hilani, 2005 (Diss.);
    Film:
    Die beiden Augen d. Horus, 1998/99.

  • Literatur

    H. Danuser, Musik zw. Psychoanalyse u. Metaphysik, Zur Partitur v. „Lou Salomé“, in: Progr.h. d. Bayer. Staatsoper München 1981, S. 25–36;
    ders., G. S.s „Lou Salomé“, Eine Oper im Spannungsfeld zw. Moderne, Neomoderne u. Postmoderne, in: Oper heute, Formen d. Wirklichkeit im zeitgenöss. Musiktheater, 1985, S. 154–64;
    Aristaios, La collezione G. S., hg. v. E. Paribeni u. a., 1995;
    Meisterwerke griech. Keramik aus d. Slg. G. S., 2000;
    Nachruf v. W. Sandberger, in: FAZ v. 23. 4. 2001 (P);
    U. Kienzle, Entropie der Erinnerung, Der Komp. G. S. u. d. Wiener Moderne, in: Musik in der Moderne, Symposionsber. Graz 2004, hg. v. F. Celestini u. G. Kokorz, 2006;
    New Grove (P);
    New Grove²;
    MGG²;
    Munzinger.

  • Autor/in

    Stephan Hörner
  • Zitierweise

    Hörner, Stephan, "Sinopoli, Giuseppe" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 467-468 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119483343.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA