Dates of Life
1884 – 1977
Place of birth
Messingen bei Freren (Emsland)
Place of death
Schönau (Schwarzwald)
Occupation
Pädagogin ; Psychologin ; Soziologin
Religious Denomination
konfessionslos
Authority Data
GND: 119074923 | OGND | VIAF: 680149296183080670004
Alternate Names
  • Vaerting, Maria Johanna Mathilde
  • Vaerting, Mathias
  • Vaerting, Mathilde
  • more

Objekt/Werk(nachweise)

Relations

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Places

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Citation

Vaerting, Mathilde, Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119074923.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogy

    Aus wohlhabender Bauernfam.;
    V Johann Heinrich (1843–1905), Landwirt in M.;
    M Anna Mathilde Siering (1857–97);
    2 B Wolfgang (1881–1915), Ing., Johannes (* 1886), Dr. iur., Jur., 7 Schw u. a. Ida (* 1877), Lehrschwester f. Naturwiss. im Kloster Mülhausen, Marie (1880–1964, Philipp Pfeiffer, 1880–1964), Dr. phil., Math., Romanschriftst., Verl., Stephanie (1889–1967, N. N. Willrodt, Kpt.lt. d. Marine-Ing.wesens), Dr. phil., Studienrätin in Nordenburg (s. Qu), 1933, Theodora (* 1891), Studienrätin; – um 1934 Edwin Elmerich (1908–87), Dr. phil., päd. Schriftst.; Verwandte Maren Willrodt ( Ernst Pannen, Dr. med. dent., Zahnarzt in Troisdorf), Zahnärztin (s. W).

  • Biographical Presentation

    Nach anfänglichem Privatunterricht besuchte V. 1900–03 das Lyzeum des Klosters „Unserer Lieben Frauen“ in Mülhausen bei Grefrath und legte 1903 in Münster das Lehrerinnenexamen ab. 1907 erwarb sie als Externe in Wetzlar das Abitur. Geprägt durch die naturwissenschaftlich interessierte Mutter, studierte V. anschließend Mathematik, Physik und Philosophie/Psychologie in Bonn, München, Marburg und Gießen. 1910 absolvierte sie das Oberlehrerinnenexamen in Münster. 1911 wurde sie mit der Dissertation „Otto Willmanns und Benno Erdmanns Apperceptionsbegriff im Vergleich zu dem von Herbart“ bei dem Philosophen Adolf Dyroff (1866–1943) in Bonn zum Dr. phil. promoviert. 1912 legte sie hier ihr Examen pro facultate docendi ab. Anschließend lehrte V. als Studienrätin Mathematik am Oberlyzeum in Berlin-Neukölln und hörte nebenher med. Vorlesungen an der Universität. Ihre 1919 eingereichte Habilitationsschrift „Neubegründung der vergleichenden Psychologie der Geschlechter“ widersprach allen Konventionen. Sie führte Geschlechterdifferenzen auf Machtverhältnisse zurück, lehnte die Zuschreibung geschlechtsspezifischer Eigenschaften, Rollen und Berufe ab und forderte für die Frau gleichberechtigte Positionen. Der Philosoph Carl Stumpf (1848–1936) schrieb ein negatives Gutachten, und die Berliner phil. Fakultät lehnte das Habilitationsgesuch ab, zu einer Zeit, als sich Frauen per Gesetz noch nicht habilitieren durften. Von der Frauenbewegung aller Schattierungen lebhaft begrüßt, erregte das 1921/23 publizierte Buch internationale Aufmerksamkeit (2 Bde., Bd. 1: Nachdrr. 1974, 2010, engl. 1923, Bd. 2: ²1931).

    1920 gehörte V. zu den Teilnehmern der Reichsschulkonferenz in Berlin und trat dem „Bund Entschiedener Schulreformer“ bei. Hier sowie in ihren psychologischen und mathematikdidaktischen Arbeiten setzte sie sich für Chancengleichheit der Geschlechter, benachteiligte soziale Gruppen, Koedukation, neue forschende Lernmethoden sowie für Lebens- und Produktionsschulen ein. 1922 wurde V. von der SPD-geführten Thüringer Landesregierung, die die Ausbildung von Volksschullehrern deutschlandweit erstmalig an eine Universität verlagerte, gegen den Willen der Fakultät als Professorin für Erziehungswissenschaften an die Landesuniv. Jena berufen, wo sie u. a. Sozialpädagogik und Psychoanalyse nach Freud lehrte. Sie war damit nach der Agrarwissenschaftlerin Margarethe v. Wrangell (1877–1932) die zweite o. Professorin in Deutschland; bis 1945 gab es keine weitere.

    V., die ihren Hauptwohnsitz in Berlin behielt, wurde wegen ihrer Reformideen seit den 1920er Jahren, auch von Jenaer Kollegen, angegriffen, wobei sich der Zoologe und Sozialdarwinist Ludwig Plate (1862–1937) besonders hervortat. Er unterstellte V. 1930 „Feminismus unter dem Deckmantel der Wissenschaft“. Ende April 1933 beurlaubt und im Juli 1933 nach § 4 des „Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus politischen Gründen entlassen, wurde V. mit Berufs- und Ausreiseverbot belegt. Sie lebte danach als Privatgelehrte in Roßleben, Heiligenstadt, Göttingen, Frankfurt/M., Marburg, Darmstadt und Schönenberg (Schwarzwald). Nach 1945 bewarb sie sich erfolglos auf Professuren (u. a. 1948 u. 1952 in Göttingen, 1952 in Frankfurt/M.) und setzte ihre Studien zur „Soziologie und Psychologie der Macht“ (Bd. 1 u. 3, 1928/29) fort. Mit Edwin Elmerich (1908–87), der mit einer von ihr angeregten Dissertation 1934 in Jena promoviert worden war, verfaßte sie zahlreiche weitere Schriften, kreierte 1945 ein kurzlebiges „Internationales Institut für Politik und Staatssoziologie“ und gab 1953–71 die „Zeitschrift für Staatssoziologie“ heraus.

    Die Kölner Soziologin Hanna Meuter (1889–1964) anerkannte V.s Ergebnisse und präsentierte sie bereits 1932 auf einem internationalen Kongreß für Reformpädagogik in Nizza. V.s brit. Schülerin Elsie Knowles (* 1908), die 1933 bei V. in Jena mit der Arbeit „Die Forschungsmethode im mathematischen Unterricht als Mittel der Erziehung zu Autonomie und Gemeinschaft“ promoviert worden war, trug zur Verbreitung von V.s Ideen in London bei. Seit den 1990er Jahren flossen die Resultate verstärkt in die dt. soziologische, bildungs- und wissenschaftshistorische Geschlechterforschung ein.

  • Awards

    A Mitgl. d. Dt. Ges. f. Soziol. u. d. Dt. Ges. f. Filmwiss.;
    M.-V.-Str., Lingen/Ems u. in Jena;
    M.-V.Weg, Berlin-Neukölln (1991);
    Gedenktafel in Jena, Forstweg.

  • Works

    Weitere W Die Vernichtung d. Intelligenz durch Gedächtnisarb., 1913;
    Die fremden Sprachen in d. neuen dt. Schule, 1920;
    Neue Wege im math. Unterr., zugleich e. Anleitung z. Förderung u. Auslese math. u. techn. Begabungen, 1921, erw. ²1929, russ. 1925;
    Unverstandene Jugend, 1952;
    Hochkonjunktur d. Staates, Krise d. Freien Wirtsch., 1955 (mit E. Elmerich);
    Der Einbruch d. Staates in d. Fam., 1956 (mit dems.);
    Nachlaß: Univ.archiv Bielefeld (P);
    Weitere Qu: M. Pannen, Erinnerungen an Stephanie Willrodt, Ms., Privatbes. Dr. E. Pannen, Troisdorf (P);
    Mitt. v. H.-G. Jöhring, Mülhausen.

  • Literature

    L H. Meuter, Erziehung z. Mitmenschen, Das Erziehungswerk M. V.s, 1932 (P);
    M. Kraul, Geschlechtscharakter u. Päd., M. V. (1884–1977), in: Zs. f. Päd. 33, 1987, S. 474–89;
    dies. u. S. Fürter, M. V., Gebrochene Karriere u. Rückzug ins Private, in: Ariadne, Alm. d. Archivs d. dt. Frauenbewegung 18, 1990, S. 30–34;
    Th. Wobbe, Ein Streit um d. akad. Gelehrsamkeit, Die Berufung M. V.s im pol. Konflikt d. Weimarer Rep., 1991;
    dies., M. V. (1884–1977), „Es kommt auf d. Unterschied an (…) d. Unterschied ist Grundelement d. Macht“, in: B. Hahn (Hg.), Frauen in d. Kulturwiss., 1994, S. 123–35;
    dies., in: Jb. f. Soziol.gesch. 1991/92, 1997, S. 27–67;
    dies., M. V. (1884–1977), Die Macht d. Unterschieds, in: dies. u. C. Honegger (Hg.), Frauen in d. Soziol., 1998, S. 178–202;
    D. Klein, Frauen in d. Gießener Gesch., 1997, S. 186–89 (P);
    S. Jaeger, M. V. u. d. vgl. Psychol. d. Geschlechter, in: Zentenarbetrachtungen, hg. v. H.-P. Brauns, 2003, S. 185–95;
    A. Abele, H. Neunzert u. R. Tobies, Traumjob Math., 2004, S. 28–32 (P);
    M. Setzler, in: Reformfrauen in d. Schule, Ein Lesebuch, hg. v. H.-U. Grunder, 2005, S. 105–29; Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L)

  • Author

    Renate Tobies
  • Citation

    Tobies, Renate, "Vaerting, Mathilde" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 686-687 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119074923.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA