Lebensdaten
1925 – 2008
Geburtsort
Wilhelmsthal bei Habelschwerdt (Niederschlesien)
Sterbeort
Schliersee (Oberbayern)
Beruf/Funktion
Jurist
Konfession
katholisch
Namensvarianten
  • Vogel, Wolfgang Heinrich
  • Vogel, Wolfgang
  • Vogel, Wolfgang Heinrich

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Zitierweise

Vogel, Wolfgang, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz137105.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Walther (1885–1960), aus Hennigsdorf b. Breslau (Schlesien), Volksschullehrer in W.;
    M Elfriede Grehl (1888–1952);
    1) Leipzig 1946 1966 Eva Anlauf (* 1926), Kindergärtnerin, übersiedelte 1966 in d. BRD, 2) Berlin-Lichtenberg 1974 Helga Fritsch (* 1940), aus Essen, Sekr. in V.s Kanzlei;
    1 S aus 1) Manfred (* 1947), übersiedelte 1966 in d. BRD, Jur., 1 T aus 1) Lilo (* 1952), übersiedelte 1966 in d. BRD.

  • Biographie

    V. besuchte 1932–36 die Volksschule in Wilhelmsthal, anschließend das Gymnasium in Glatz. Im Jan. 1944 zum Reichsarbeitsdienst nach Zobten und im März 1944 zur Wehrmacht einberufen, war er bis Jan. 1945 u. a. in Breslau und Danzig stationiert. Ein Magenleiden verhinderte seinen Einsatz an der Front. 1945 wurde die Familie zwangsausgesiedelt und in Jena ansässig, wo V. in die Liberaldemokratische Partei Deutschlands (LDP, später LDPD) eintrat (Parteiaustritt 1951). Seit Okt. 1945 studierte er Rechtswissenschaft in Jena, seit Herbst 1946 in Leipzig. Nach dem 1. Staatsexamen 1949 absolvierte V. bis 1952 als Referendar seinen jur. Vorbereitungsdienst am Amtsgericht im sächs. Waldheim und in Leipzig. Von Okt. 1951 bis Febr. 1952 wurde V. zum Lehrgang an die Verwaltungsakademie „Walter Ulbricht“ in Forst Zinna abgeordnet. 1952 reichte er seine Dissertationsschrift an der Humboldt-Univ. Berlin bei Herbert Kröger (1913–89) ein. Die Dissertation wurde jedoch nicht angenommen und die Promotion nicht vollzogen. Ins Justizministerium der DDR nach Berlin abgeordnet, wurde V. seit Aug. 1952 als Oberreferent, nach Bestehen des 2. jur. Staatsexamens im Sept. 1952 als Hauptreferent im Bereich Strafrecht der Abteilung Gesetzgebung angestellt. Im Febr. 1954 schied V. aus dem Ministerium der Justiz aus, offiziell auf eigenen Wunsch wegen gesundheitlicher Probleme. Seine Demission stand jedoch im Zusammenhang mit den personellen Säuberungen des Justizapparates unter der neuen Ministerin Hilde Benjamin (1902–89) nach dem Volksaufstand vom 17. 6. 1953. Der bisherige Justizminister Max Fechner (1892–1973) wurde abgesetzt und V.s Vorgesetzter und Mentor, Rudolf Reinartz (1913–72), floh nach West-Berlin. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte die Situation, um V. Ende 1953 zunächst als Geheimen Informator (GI) mit dem Decknamen „Eva“ zu verpflichten, später wurde er zum Geheimen Mitarbeiter (GM) „Georg“ umregistriert.

    Durch Fürsprache von Josef Streit (1911–87), Sektorenleiter der Abt. Staats- und Rechtsfragen des ZK der SED, wurde V. 1954 in das Anwaltskollegium von Groß-Berlin aufgenommen und arbeitete fortan als Rechtsanwalt in Ost-Berlin. Im Auftrag des MfS bewarb er sich außerdem um Zulassung als Rechtsanwalt in West-Berlin, die er 1957 erhielt. V.s Verbindungsmann war nunmehr der dem Minister für Staatssicherheit direkt unterstellte MfS-Offizier Heinz Volpert (1932–86). Durch die Sonderstellung als in beiden Teilen Berlins zugelassener Rechtsanwalt avancierte V. in den folgenden Jahren zum Mittelsmann zwischen Ost und West, so beim ersten Agentenaustausch 1962 zwischen den Supermächten im Kalten Krieg. Bis 1989 verhandelte V. den Austausch von mehr als 150 Spionen verschiedener Nationalitäten, darunter Günter Guillaume (1927–95). Der Bau der Mauer beförderte mit der steigenden Zahl politischer Häftlinge und Ausreisewilliger in der DDR auch V.s Aufstieg zur Schlüsselfigur im Arrangement des Häftlingsfreikaufs und der Familienzusammenführung zwischen beiden dt. Staaten. V. war dabei in einer Doppelrolle sowohl als Strafverteidiger als auch Unterhändler der Ausreise- und Freikaufsmodalitäten tätig. Als Ansprechpartner für Kirchenvertreter und westdt. Politiker zur Lösung sog. „humanitärer Fragen“ pflegte er besondere Beziehungen zu Herbert Wehner (1906–90), 1966–69 Minister für gesamtdt. Fragen in Bonn. Seit 1969 war V. offiziell Bevollmächtigter der DDR für humanitäre Fragen bei der Bundesregierung. Nach Abschluß des Grundlagenvertrags zwischen der BRD und der DDR 1972 fungierte V. als direkte Kontaktperson zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918–2015) und Staats- und Parteichef Erich Honecker (1912–94), der V. 1973 zum persönlichen Beauftragten des Staatsratsvorsitzenden für die Lösung humanitärer Probleme machte. 1982 wurde V. SED-Mitglied.

    Zwischen 1963 und 1989 organisierte V. den Freikauf von 33 755 politischen Häftlingen aus der DDR und die Ausreise von 215 019 DDR-Bürgern im Zuge der sog. Familienzusammenführung. In den 1980er Jahren vermittelte V. auch bei den Besetzungen der US-Botschaft und der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Berlin (1984) sowie der bundesdt. Botschaften in Budapest, Warschau und Prag (1989). Die DDR erzielte bis 1989 aus dem Häftlingsfreikauf rund 3,5 Mrd. DM in Devisen und Waren. V. genoß aufgrund seiner Sonderrolle in den dt.-dt. Beziehungen verschiedene Privilegien. Neben seinen Anwaltshonoraren erhielt er seit den 1970er Jahren von der Bundesregierung für seine Vermittlertätigkeit eine jährliche Pauschalvergütung in Höhe von 70 000 DM, die seit 1983 auf 360 000 DM angehoben wurde. Hinzu kamen seit den frühen 1980er Jahren mehrfach Prämien des MfS über 100 000 M und 50 000 DM.

    Mit dem Untergang der DDR wurden schwere Vorwürfe gegen den „Menschenhändler“ V. erhoben. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen seiner Zusammenarbeit mit dem MfS, die V. schließlich einräumte, sowie wegen des Verdachts der Erpressung und Steuerhinterziehung. Im Dez. 1989 wurde V. kurzzeitig verhaftet. Nach der Anklage Honeckers übernahm er zunächst dessen Verteidigung, legte das Mandat jedoch im Okt. 1990 aus gesundheitlichen Gründen und wegen der öffentlichen Diskussion um seine eigene Person nieder. 1991 verzichtete V. auf seine Zulassung als Rechtsanwalt. 1992 wurde er wegen Fluchtgefahr verhaftet, der Haftbefehl gegen Zahlung einer Kaution durch die kath. Kirche ausgesetzt. Von Juli 1993 bis Jan. 1994 erneut in Untersuchungshaft genommen und angeklagt, verurteilte das Berliner Landgericht V. 1996 wegen Falschbeurkundung zu einer Geldstrafe sowie wegen Meineids und Erpressung ausreisewilliger DDR-Bürger zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Der Bundesgerichtshof sprach V. 1998 in einem Revisionsverfahren vom Vorwurf der Erpressung frei. Unterstützung erfuhr V. während der Prozesse u. a. durch ehemalige Mandanten, Kirchenvertreter, durch bundesdt. Politiker wie Hans-Dietrich Genscher (1927–2016) und Helmut Schmidt, aber auch durch amerik. Fürsprecher, mit denen V. als Unterhändler zwischen Ost und West zusammengearbeitet hatte.

  • Auszeichnungen

    |Dr. iur. h. c. (Dt. Ak. f. Staats- u. Rechtswiss. d. DDR, Potsdam, 1969);
    VVO in Gold (1975);
    Goldenes Ehrenzeichen f. Verdienste um d. Rep. Österr. (1979);
    Rr. d. schwed. Nordsternordens 1. Kl. (1981);
    Gr. Stern d. Völkerfreundschaft (1983);
    Gr. Ehrenzeichen f. Verdienste um d. Rep. Öster. (1984);
    Prof. f. Strafprozeßrecht an d. Dt. Ak. f. Staats- u. Rechtswiss. d. DDR, Potsdam (1985).

  • Werke

    |Die Wiedergutmachung faschist. Unrechts in d. Dt. Demokrat. Rep., Diss. iur. HU Berlin(-Ost) 1952.

  • Quellen

    |BA Berlin; SAPMO; Archiv d. BStU; Herbert-Wehner-Archiv u. Willy-Brandt-Archiv im Archiv d. Soz. Demokratie d. Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn; Pol. Archiv d. AA Berlin; Archiv d. Diakon. Werkes d. EKD, Berlin; Hist. Archiv d. Ebm. Köln; Archiv d. Dt. Anwaltver., Berlin; Landger. Berlin; Bundesger. hof; – Nachlaß: Privatbes.

  • Literatur

    |J. Schmidthammer, RA W. V., Mittler zw. Ost u. West, 1987;
    C. R. Whitney, Advocatus Diaboli, W. V., Anwalt zw. Ost u. West, 1993;
    N. F. Pötzl, Basar d. Spione, 1997;
    ders., Mission Freiheit, W. V. Anwalt d. dt.-dt. Gesch., 2014;
    M. Menge, W. V., Ein glückl. Arbeitsloser, in: dies., Spaziergänge, Die Serie aus d. Wochenztg. Die Zeit, mit Fotogrr. v. R. Melis, 2000, S. 147–54 (P);
    R. Schißau, Strafverfahren wegen MfS-Unrechts, Die Strafprozesse bundesdt. Gerichte gegen ehem. Mitarbeiter d. MfS d. DDR, 2006;
    Ch. Booß, Der frühe Schattenmann, Der junge W. V., in: Horch u. Guck 20, H. 71, 2011, S. 60–65 (P);
    ders., Im goldenen Käfig, Zw. SED, Staatssicherheit, Justizmin. u. Mandat – d. DDR-Anwälte im pol. Prozess, 2017 (Qu, L);
    J. Ph. Wölbern, Der Häftlingsfreikauf aus d. DDR 1962 / 63–1989, 2014 (Qu, L, P);
    Ch. König, Flüchtlinge u. Vertriebene in d. DDR-Aufbaugeneration, Sozial- u. biographiegesch. Studien, 2014 (Qu, L);
    Nachrufe: W.-R. Neurath, DDR-Unterhändler W. V. tot, Internetseiten d. Tagesspiegel v. 22. 8. 2008 (P);
    C. R. Whitney, in: New York Times v. 22. 8. 2008, S. B5 (P);
    R. Probst, Grenzgänger in d. Grauzone, in: SZ v. 23. / 24. 8. 2008, S. 5 (P);
    P. Richter, Ehrlicher Makler in e. oft schmutzigen Geschäft, in: Neues Dtld. v. 23. 8. 2008 (P);
    P. J. Winters, Anwalt zw. d. Fronten, in: FAZ v. 23. 8. 2008, S. 4 (P);
    Der Spiegel 35 / 2008, S. 178 (P);
    Wer war wer DDR.

  • Autor/in

    Christian König
  • Zitierweise

    König, Christian, "Vogel, Wolfgang" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 30-32 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz137105.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA