Dates of Life
1872 – 1933
Place of birth
Hannover
Place of death
Marienbad
Occupation
Kulturphilosoph ; Schriftsteller
Religious Denomination
mehrkonfessionell
Authority Data
GND: 11872780X | OGND | VIAF: 51718394
Alternate Names
  • Lessing, Theodor
  • Le Singe, Théodore
  • LeSinge, Théodore
  • more

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Citation

Lessing, Theodor, Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11872780X.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogy

    V Sigmund (1838–96), Dr. med., Arzt in H., S d. Bankiers Leiser Levy (1788–1879) in H. u. d. Täubchen Heilbronn (aus Gel.fam.);
    M Adele (1848–1926), T d. Leopold Ahrweiler (ca. 1820–1900, isr., dann ev.), Bankier in Düsseldorf, zeitweise Bankier d. Fürsten v. Hohenzollern, u. d. Sophie Meyer;
    1) Hannover 1900 ( 1907) Maria (1876–1948, 2] Hugo Dingler, 1954, Philosoph, s. NDB III), Frauenrechtlerin, Essayistin, T d. preuß. Oberleutnants Georg Stach v. Goltzheim u. d. Margarete v. Barby, 2) 1912 Ada Grote geb. Abbenthern;
    2 T aus 1) (1 früh †), 1 T aus 2).

  • Biographical Presentation

    Nach einer unglücklichen Jugend in einem konfliktreichen Elternhaus und mehreren gescheiterten Versuchen, sich für einen Beruf auszubilden (Gymnasium, Gartenbauschule, Banklehre) bestand L. 1892 in Hameln die Reifeprüfung. Um die väterliche Praxis übernehmen zu können, studierte er Medizin, zunächst in Freiburg, dann in Bonn, wo er 1894 das 1. Examen ablegte. Ende desselben Jahres ging er nach München, wo er sich auch der Literatur zuwandte, Artikel und Gedichte publizierte und sich als Kritiker versuchte. Bekannt wurde er durch sein Eintreten für Oskar Panizza, dem sein Drama „Das Liebeskonzil“ eine Verurteilung wegen Gotteslästerung eingetragen hatte (Der Fall Panizza, 1895). Über Ludwig Klages, mit dem er seit 1885 befreundet war, hatte er zeitweise einen problematischen Kontakt mit dem George-Kreis, der eine Entfremdung von Klages bewirkte, die 1899 schließlich zur Aufkündigung der Freundschaft durch diesen führte. Der Tod des Vaters vor Abschluß der Promotion ließ ihn die Berufspläne aufgeben. Durch die finanzielle Hilfe seines Großvaters Ahrweiler konnte er sich zunächst ganz der Literatur widmen. Unter dem Einfluß von Theodor Lipps wandte er sich dann dem Studium der Psychologie zu; 1899 wurde er mit der Dissertation „African Spirs Erkenntnislehre“ in Erlangen zum Dr. phil. promoviert. Ein Jahr zuvor hatte er seine spätere Frau kennengelernt, deren Familie ihn, obgleich er nach seiner Volljährigkeit zum ev. Glauben übergetreten war, seiner jüd. Herkunft wegen ablehnte. Dies und ein zunehmender Antisemitismus in seinem Bekanntenkreis bewirkten seine Hinwendung zum Zionismus und 1900 die Rückkehr zum Judentum. Als sein Großvater im selben Jahr starb, ohne ihm etwas zu hinterlassen, versuchte er als Wanderlehrer, Vortragsredner und Rezitator sowie mit Artikeln und Kritiken Geld zu verdienen, um sein Medizinstudium abschließen zu können. 1902 sah er sich gezwungen, eine Stelle als Lehrer im Landerziehungsheim Haubinda anzunehmen, die|er nach zwei Jahren wegen antisemitischer Bestimmungen der Schulordnung kündigte. Er trennte sich von seiner Frau und übernahm eine Stelle im Landerziehungsheim Laubegast b. Dresden. In Dresden engagierte er sich in der Sozialarbeit, trat der SPD bei, arbeitete für die Gewerkschaften und schloß sich dem Verband gegen unnötigen Lärm an; er wirkte mit am Aufbau der Volkshochschulen und hielt in diesem Zusammenhang eine Reihe von Vorträgen über Schopenhauer, Wagner und Nietzsche (veröff. 1906). 1906 hörte er bei Edmund Husserl in Göttingen, der ihn nach einem gescheiterten Habilitationsversuch in Dresden (1907) an die TH Hannover empfahl, wo er 1908 Privatdozent wurde. Bei Kriegsbeginn kam L. auf Grund eines geschädigten Rückenmuskels zum Lazarett-Dienst, entwickelte sich zum Pazifisten und wurde 1915 nach Hannover zurückgeschickt, wo er als Hilfslehrer an Gymnasien unterrichtete. Nach der Revolution wirkte er führend mit bei der Gründung der dortigen Volkshochschule. 1922 erhielt er eine ao. Professur für Philosophie in Hannover. Nachdem er sich 1924 als Berichterstatter des „Prager Tagblattes“ beim Prozeß gegen den Sexualmörder Haarmann den Unwillen rechtsstehender Kreise zugezogen hatte, führte 1925 ein kritischer Artikel über Hindenburg vor dessen Wahl zum Reichspräsidenten zu scharfen Protesten in der nationalistischen Studentenschaft und zur Bildung eines Komitees zur Bekämpfung L.s. Nach anhaltenden öffentlichen Auseinandersetzungen verzichtete dieser notgedrungen 1926 auf Lehrveranstaltungen und nahm einen an ihrer Stelle angebotenen Forschungsauftrag wahr. In den folgenden Jahren widmete er sich privaten Forschungen sowie der Tagespolitik. Im März 1933 sah er sich zur Emigration in die Tschechoslowakei gezwungen. In seinem Exil in Marienbad wurde er wenige Monate später von einem nationalsozialistischen Mordkommando erschossen.

    Als Schriftsteller vertrat L. in jungen Jahren einen unzeitgemäßen Idealismus ganz im Sinn der national-liberalen Poesie des 19. Jh. Er sah sich selbst als radikalen Streiter für Welterlösungsideale, die in der Zeit des Naturalismus veraltet und fern aller Realität erschienen. Bei Versuchen, sich in Berlin mit seinen Schriften bekanntzumachen, stieß er deshalb auch auf die Ablehnung Maximilian Hardens, Otto Brahms und Theodor Fontanes. Später zog er seine frühen Werke aus dem Buchhandel zurück. Umstritten blieben auch die späteren literatur- und kulturkritischen Arbeiten. So zog er sich mit seiner Satire „Samuel (Lublinski) zieht die Bilanz“ (1910), in der er doktrinäre Kulturkritik und prätentiöse Schöngeisterei scharf angriff, eine wütende Polemik Thomas Manns (Der Doktor L., ein Pamphlet, in: Das literar. Echo 12, 1909-10, Sp. 814-24) zu, der eine Reihe literarischer Streitschriften anderer Schriftsteller folgten. Seinen philosophischen Schriften dagegen war mehr Anerkennung beschieden. In seiner „Philosophie als Tat“ (1914) bekannte er sich zum Aktivismus und gestand der Philosophie ein Lebensrecht nur als praktischer Wissenschaft des Glückes und der Eugenese zu. Auf Schopenhauer, Nietzsche und Georg Simmel aufbauend, entstanden bis 1918 seine bedeutendsten Werke. Wie Spengler ist L. der pessimistischen Kultur- und Geschichtsphilosophie zuzuordnen; im Gegensatz zu diesem leugnete er jedoch jede historische Gesetzmäßigkeit. In seinen Schriften sind es drei Hauptpfeiler, die Ursachen, Unterströmungen und Zusammenbau jeder Bewußtseinwirklichkeit verdeutlichen. Die „Theorie der Not“ als Urtatsache allen Be-wußtsein, die erst aus dem Zwang zur Beseitigung der Not Identität und Widerspruch entstehen läßt. Die „Drei-Sphären-Theorie“ bildet den Mittelpunkt von L.s Weltbild mit der bewußtseinsimmanenten Wirklichkeit, der gelebten Unmittelbarkeit als Untergrenze und der intuitiven Vernunftssphäre als Obergrenze. Im Sein liegen die drei untrennbar ineinander, erst das in der Not wurzelnde Bewußtsein führt zum Bruch. Da aber hinter jeder Spannung ein Wollen steht, das auf die Entspannung zielt, werden die drei Sphären mittelbar wieder zur Gegenstandswelt zusammengefügt. Beide Theorien bilden die Grundlage von L.s „Ahmungstheorie“, in der er die gesamte menschliche Bewußtseinwirklichkeit unterströmt sieht von einem Element, in dem Subjekt und Objekt stauungslos zusammenfallen. Als Vertreter einer voluntaristischen Geschichtsphilosophie verneinte L. besonders in seinem Buch „Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen“ (1916, umgearb. ⁴1927, Neuausg. 1962), die objektive Kausalität, die Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit der Geschichte und sah in der unüberwindlichen Irrationalität der Wirklichkeit den Idealismus der Geschichtsschreibung begründet. Erst der Mensch gibt nach L. dem an sich sinnfreien und chaotischen Geschehen einen sinnvoll geordneten Verlauf.

    Obgleich L. mit seinem Ansatz in die Nachfolge des philosophischen Pessimismus gehört, zeigte er keinerlei Weltentsagungstendenzen. Vielmehr widmete er sich aktiv der Tagespolitik und vertrat einen pragmatischen Sozialismus, in dem er sich für eine breite Bildung, die Gleichberechtigung der Frau und die Völkerverständigung einsetzte. Sein eigenwilliges Konzept ist jedoch kaum einer politischen Gruppierung zuzuordnen, ebenso wie sein Verhältnis zum Judentum stets zwiespältig blieb. In den frühen Jahren empfand er seine jüd. Herkunft als Makel und stürzte sich in einen Idealismus, dessen Idole Schlichtheit, Einfalt und Schönheit waren. Und auch nach seiner Hinwendung zum Zionismus nahm er wiederholt Stellung gegen die seiner Ansicht nach vorhandene „Entartung“ im deutschen Judentum. Das und seine Angriffe gegen das jüd. Literatentum brachten ihn in der Zeit des Nationalsozialismus in eine Abseitsposition innerhalb der Emigration, die ihn erst nach seiner Ermordung in ihrer Mehrheit als einen der Ihren anerkannte.

  • Works

    Weitere W u. a. Poet. Schrr.: Komödie, 1894 (Roman, unter Ps. T. Lensing);
    Die Nationen, Satir. Komödie, 1896;
    Einsame Gesänge, 1899 (Gedichte);
    Feind im Land, Satiren u. Novellen, 1923. - Kulturphil. Schrr.:
    Wertaxiomat. Stud., in: Archiv f. systemat. Philos., NF 14, 1908, S. 58-93, 226-57, 623-44 (erweiterte Ausg. u. d. T. Stud. z. Wertaxiomatik, 1914);
    Philos. als Tat, 2 Bde., 1914;
    Europa u. Asien, 1918 (³1924 u. d. T. Untergang d. Erde am Geist, völlig neu bearb. ⁵1930);
    Die verfluchte Kultur, Gedanken üb. d. Gegensatz v. Geist u. Kultur, 1921. -Psycholog. Schrr.:
    Hypnose u. Suggestion, 1907;
    Prinzipien d. Charakterologie. 1926. - Zeitkrit. Schrr.:
    Der Lärm, 1908;
    Samuel zieht d. Bilanz u. Tomi melkt d. Moralkuh od. Zweier Könige Sturz, Eine Warnung f. Dt., Satiren z. schreiben, Mit literar. Btrr. v. Th. Mann, S. Lublinski u. d. 45 sittlichsten dt. Dichter u. Denkern, 1910;
    Haarmann, Die Gesch. e. Werwolfs, 1925 (Neuausg. 1963);
    Hindenburg, 1925. - Schrr. z. Antisemitismus:
    Dührings Haß, 1922;
    Der jüd. Selbsthaß, 1930;
    Dtld. u. seine Juden, 1933. -
    Studien: Jäö, Studienbll., 1919 (mit d. Untertitel Humorist, hannov. Sitten- u. Sprachstud., 1924);
    Meine Tiere, 1926;
    R. H. Bartsch, Ein letztes dt. Naturdenkmal, 1927;
    Blumen, 1928;
    Dämonen, 1928. - Autobiogr. Schrr.:
    Einmal u. nie wieder, Lebenserinnerungen, 1935 (Neuaufl. 1969 u. 1971, mit e. Nachwort v. H. Mayer). -
    Der jüd. Selbsthaß, 1984.

  • Literature

    M. Brod u. M. Epstein, Antworten an T. L., in: Die Schaubühne 8, 1912, S. 256-59;
    A. Messer, Der Fall Lessing, 1926;
    W. Goetze, Die Gegensätzlichkeit d. Gesch.philos. O. Spenglers u. T. L.s, Diss. Leipzig 1930;
    L. Marcuse, Glückwunsch an e. Philosophen, in: Das Tagebuch 12, 1932, S. 263 f.;
    A. Zweig, T. L., ermordet am 31. Aug. 1933 (1936), in: ders., Essays, II, 1967;
    A. Rosenberg, in: ders., Novemberköpfe, 1936, S. 191-202;
    K. Hiller, Der Denker im Spiegel, in: Die neue Weltbühne, 1936, H. 3, S. 77-82 (wieder in: ders., Profile, 1938, S. 99-103, u. ders., Köpfe u. Tröpfe, 1950, S. 301-08);
    W. Sternfeld, Ungesühnte Verbrechen, II, Der Mord an Prof. T. L., in: Dt. Rdsch. 82, 1956, S. 1181-84;
    H. D. Huesgen, Gesch.philos. u. Kulturkritik T. L.s, Diss. Mainz 1961;
    Ch. Gneuss, Mahner f. Freiheit u. Recht, in: Große Niedersachsen, 1961, S. 256-59;
    ders., in: Dt. Lit.kritik d. Gegenwart, 1971, IV, 1, S. 510-26;
    E. Hieronimus, T. L., O. Meyerhof, L. Nelson, Bedeutende Juden in Niedersachsen, 1964 (P);
    ders., T. L., Eine Lebensskizze, 1972 (W-Verz., L);
    G. K. Kaltenbrunner, Vom Weltschmerz d. techn. Za., L. Klages u. T. L., in: Tribüne 8, 1969, S. 3126-46;
    H. E. Schröder, T. L.s autobiogr. Schrr., Ein Kommentar, 1970 (W);
    H. Mayer, Ber. üb. e. pol. Trauma, in: ders., Der Repräsentant u. d. Märtyrer, 1971, S. 94-120;
    Th. Ayck, in: Das Christentum im Urteil seiner Gegner, II, 1971, S. 113-28;
    T. B. Schumann, Über T. L., in: Tribüne 13, 1974, H. 49, S. 5660-64;
    E. Lenk, Schlaflose Länder ohne Nachtigallen, Die Krankheit Mensch u. ihr Prophet T. L., in: Die Zeit, Nr. 12, 16.3.1979;
    Brümmer;
    Enc. Jud. X, 1934, XI, 1974;
    Überweg IV, S. 516 f.;
    I. Kon, Die Gesch.philos. d. 20. Jh., 1964, I, S. 189 f., II, S. 8;
    Internat. Bibliogr. z. Gesch. d. dt. Lit. II, 2, 1972, S. 409 f.;
    Kindlers Lit.-Lex., IV, S. 3877 f. (Gesch. als Sinngebung d. Sinnlosen), XII, S. 10639 f. (Einmal u. nie wieder);
    Kunisch-Wiesner.

  • Author

    Evelyn Lacina
  • Citation

    Lacina, Evelyn, "Lessing, Theodor" in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 351-353 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11872780X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA