Lebensdaten
1874 – 1964
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Santiago de Chile
Beruf/Funktion
Mediziner ; Pazifist
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118587676 | OGND | VIAF: 112986448
Namensvarianten
  • Nicolai, Georg Friedrich
  • Lewinstein, Georg
  • Nicolai, Georg
  • mehr

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Zitierweise

Nicolai, Georg, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587676.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Gustav Lewinstein (Ps. J. Weinstengel) (1830–1902, isr., dann ev.), aus B., Dr. phil., PD d. Chemie a. d. Univ. Heidelberg, pol. Journalist, Chefred. d. Dt. Tabak-Ztg. in B. (s. L);
    M Elise (1844–1928, ev.), Lehrerin, mit Bebel, Franz Oppenheimer, Paula u. Gustav Dehmel, Gustav Landauer u. Josef Kainz befreundet, T d. N. N. Michaelis, Oberlehrer in Königsberg;
    Ur-Gmm Jeannette Kiepke, Schw d. Otto Nicolai (1810–49), Komp. (s. NDB 19);
    Schw Eva ( Dr. med. Edwin Blos);
    Berlin 1914 Friederike ( n. 1982), T d. Prof. Dr.-Ing. E. h. Carl Georg Busley (1850–1928), Bevollmächtigter d. F. Schichau-Werke, Flottenpol. in Danzig (s. NDB III), u. d. Friederike, T d. Kaufm. Ludwig v. Lilienthal (1828–93) u. d. Henriette Seyd (1832–86), Ov d. Ehefrau Karl v. Lilienthal (1853–1927), Jurist (s. NDB 14);
    1 T, 1 S, ca. 5 unehel. K.

  • Biographie

    N. besuchte die Internate in Wulkow und Schwedt und, als ihm nach einem Pistolenduell die preuß. Schulen verschlossen waren, das Ernestinum in Gotha. Nach dem Abitur auf dem Gymnasium in Hagenau (Elsaß) studierte er seit 1894 Medizin in Königsberg, Berlin, Paris und Berlin sowie – nach dem Staatsexamen 1900 in Heidelberg – Zoologie und Chemie in Leipzig; dort wurde er 1901 mit einer zoologischen Dissertation zum Dr. med. promoviert. In Paris hatte er den Familiennamen des Urgroßonkels Otto angenommen. 1901/02 bereiste N. als Schiffsarzt Ostasien, war 1902-08 physiologischer Assistent in Halle und Berlin, arbeitete 1906 im Mekka der Elektrophysiologie bei Einthoven in Leiden und bei Pawlow in St. Petersburg, 1908 an Anton Dohrns Zoologischer Station in Neapel. Nach der Habilitation 1907 war er in Berlin klinischer Assistent, seit 1909 Titularprofessor und Oberarzt an der II. Med. Klinik der Charité. N. galt nach der Veröffentlichung des von ihm verfaßten und mit seinem Chef Friedrich Kraus (1858–1936) 1910 veröffentlichten ersten und für lange Zeit maßgebenden Lehrbuchs über das Elektrokardiogramm als kommender Mann in der Medizin. 1912 eröffnete er ein diagnostisches Privatlaboratorium in Charlottenburg; u. a. wurde er als Herzspezialist zur Behandlung der Kaiserin hinzugezogen.

    Als Kriegsfreiwilliger Chefarzt der Herzstation des Kriegslazaretts in Tempelhof, gehörte N. im Oktober 1914 mit Albert Einstein, Wilhelm Foerster und Otto Bueck zu den Unterzeichnern eines „Aufrufs an die Europäer“ gegen den „Aufruf der 93, An die Kulturwelt!'“(beide gedruckt in: Die Biologie des Krieges). Auch in Vorlesungen trat er als Kriegsgegner hervor und prangerte die Vergewaltigung Belgiens, die Verwendung von Giftgasen und die Torpedierung von Handelsschiffen an. Sein aus Berliner Kollegs hervorgegangenes, im Festungslazarett Graudenz niedergeschriebenes, auf Grund einer Denunziation des Schwiegervaters in Deutschland unter der Druckerpresse beschlagnahmtes Anti-Kriegsbuch „Die Biologie des Krieges“ (1917, ²1919, ⁴1985) wurde, in fast alle Kultursprachen übersetzt, zum Kultbuch des internationalen Pazifismus. Es sagt u. a. technische Entwicklungen wie die Anwendung der Sonnenenergie voraus, erkennt die Bedeutung der Massenvernichtungsmittel, warnt vor einem Bakterienkrieg, behandelt den Völkermord als zukünftiges Problem und fordert als wirksamstes Mittel zur Verhütung eines weiteren europ. Krieges die Schaffung einer „verantwortlichen europ. Institution“. Als N. trotz Interpellationen im Reichstag als Militärkrankenwärter eingezogen blieb und nach der Verweigerung des Fahneneids zum „gemeinen Soldaten“ degradiert wurde, floh er im Juni 1918 mit einem Militärflugzeug nach Kopenhagen, wo er mit Georg Brandes, Ellen Key und Fridtjof Nansen die Zeitschrift „Das Werdende Europa“ gründete. Am 5.3.1920 entzog der Senat der Univ. Berlin dem gegen den Beschluß der Fakultät 1919 zum ao. Professor der Physiologie Ernannten nach Tumulten nationalistischer Studenten gegen die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit des „Deserteur-Professors“ in einem einstimmigen Beschluß wegen Fahnenflucht und moralischer Unwürdigkeit die venia legendi und versandte, als der Kultusminister diesen Beschluß sofort annullierte, das Senatsurteil nebst der Korrespondenz mit dem Minister an alle Hochschulen und|in Auszügen an alle höheren Lehranstalten in Deutschland und Österreich. 1922 nahm N. daher trotz seiner prominenten Stellung in der Friedensbewegung (Vorstandsmitgl. d. Dt. Friedensges. u. d. dt. Delegation zur Völkerbundkonferenz, Beauftragter d. Dt. Liga f. Menschenrechte in Paris zur Anbahnung d. dt.-franz. Wiederversöhnung) zunächst für zwei Jahre einen Ruf als Professor der Physiologie an die Univ. Córdoba (Argentinien) an. Bereits im April 1919 hatte er angesichts des Versagens der Republik, dem umsichgreifenden Morden Einhalt zu gebieten, in einer Analyse der gescheiterten „Revolution“ die Befürchtung geäußert, daß erst nach einem Menschenalter mit einer neuen Jugend das neue Deutschland geschaffen werden könne, und vor der Gefahr gewarnt, daß in absehbarer Zeit eine Katastrophe eintreten werde, „daß Furchtbares, noch nie Dagewesenes kommen wird“ (Sechs Tatsachen, S. 39 f.). Nach Konflikten mit der streng kath. Fakultät eröffnete N. die erste Praxis für Herzkrankheiten in Argentinien und lehrte seit 1929 Soziologie in Rosario, 1931 an dem für ihn gegründeten Colegio Libre de Estudios Superiores in Buenos Aires, unternahm auf der Suche nach einer Professur in Europa 1931 Vortragsreisen in die UdSSR und 1932 nach Spanien und wurde, bis 1932 in Berlin als beurlaubter ao. Professor geführt, 1936 zum Professor der Physiologie an der Tierärztlichen Hochschule in Santiago ernannt. 1954 reiste N. als Präsident der chilen. Sektion zum Kongreß für Kulturelle Freiheit nach Hamburg, 1960 war er Ehrengast des Internat. Soziologenkongresses in Mexiko.

  • Werke

    u. a. Das Elektrokardiogramm d. gesunden u. kranken Menschen, 1910 (mit F. Kraus);
    Die Biologie d. Krieges, Betrachtungen e. dt. Naturforschers, 2 Bde., 1917, ²1919, ³1983 (in 1 Bd.), ⁴1985 (erweitert, mit e. Neudr. von N.s: Warum ich aus Dtld. ging [Aug. 1918], e. Einf. v. W. Zuelzer u. e. Btr. z. Entstehungs- u. Wirkungsgesch. d. Buches v. B. vom Brocke) (dän., schwed. [1918], engl. (1918/19), finn. [1920], rumän. [1920/26], russ. [1926], japan. [1929-31], span. [1932/37/58]);
    Sechs Tatsachen als Grundlage z. Beurteilung d. heutigen Machtpol., 1918, ²1919;
    Vorwort zu: E. J. Gumbel, Zwei Jahre Mord, 1920;
    Aufruf an d. Europäer, Ges. Aufss. z. Wiederaufbau Europas, hg. v. H. Wehberg, 1921;
    Dt. Nation u. dt. Kultur, 1923;
    La Base biológica del Relativismo cientifico, 1925;
    Herr d. Erde, 1928 (Typoskript, unveröff. autobiogr. u. Science fiction-Roman, in d. e. Pazifist mit d. Erfindung e. Atombombe d. Machthaber aller Länder z. Abrüsten zwingt);
    El mundo fisico y moral en su concepción cientifica, un ensayo biológico-social, 1931, ²1934;
    Origen y desarollo del trabajo humano, 1932, ²1941 (mit e. Essay v. R. Rolland, La Biologia de la Guerra de N.);
    Psicogenesis, o del origen del alma, 1935;
    Fundamentos reales de la Sociología, 1936, Repr. 1962;
    La Miseria de la dialectica, Dialectica y marxismo frente a la cienca, 1940, Repr. 1958, 1960 (P);
    Como un biólogo ve la filosofia, 1944;
    La Seguridad cientifica, Cuatro discursos del método de las ciencias naturales, 1948;
    Analisis del Psicoanalisis a la luz de la psicologia fisiologica, 1953;
    La Eugenesia como gloriosa culminacion de la medicina, 1957;
    |

  • Nachlass

    Nachlaß: Inst. f. Zeitgesch., München.

  • Literatur

    R. Rolland, Un Grand Européen, G. F. N., 1917, zuletzt in: Les precourseurs, 1932, dt. 1946, S. 331-82;
    H. Wehberg, Die Führer d. dt. Friedensbewegung (1890–1923), 1923, S. 63-69;
    E. Relgis, G. F. N., Un sabio y un hombre del porvenir, 1949, ²1965 (W-Verz.);
    J. Alvarez del Vajo, The last Optimist, 1950;
    A. Einstein, Über d. Frieden, 1975;
    C. G. Urrutia, Jorge N., Un sabio contradictorio, 1966;
    W. Zuelzer, Der Fall Nicolai, 1981 (P);
    ders., The Nicolai Case, A Biography, 1982 (P, W-Verz.);
    B. vom Brocke, Wiss. versus Militarismus: N., Einstein u. d. „Biologie d. Krieges“, Mit e. „Dok.v. Rektor u. Senat d. Univ. Berlin, in: Annali dell' Istituto storico italo-germanico in Trento X, 1984, 1985, S. 405-508, überarb. Neudr. in: Carl v. Ossietzky – Kurt Tucholsky – G. F. N., Eine Dok. z. Carl-v.-Ossietzky-Preis d. Stadt Oldenburg 1986, S. 65-124 (W-Verz. mit Überss. d. Titel). – Zu Gustav Lewinstein: P. Emundts-Trill, Die Privatdoz. u. Extraordinarien d. Univ. Heidelberg 1803-1860, 1997, S. 292.

  • Autor/in

    Bernhard vom Brocke
  • Zitierweise

    Brocke, Bernhard vom, "Nicolai, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 203-204 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587676.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA