Lebensdaten
1853 – 1920
Geburtsort
Lemberg
Sterbeort
Graz
Beruf/Funktion
Philosoph
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118580213 | OGND | VIAF: 36996696
Namensvarianten
  • Meinong, Alexius von
  • Meinong von Handschuchsheim, Alexius
  • Meinong, Alexius von
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Zitierweise

Meinong von Handschuchsheim, Alexius, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580213.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Anton (Adel 1853, 1799-1870), k. k. Gen.-Major, S e. Mil.beamten;
    M Wilhelmine Sofalvi (1817–1909);
    B Rafael (1849–1936), Ingenieur, Eisenbahnbauer (s. ÖBL);
    1889 Doris (1865–1940), T d. Buchhändlers Buchholz aus Troppau;
    1 S.

  • Biographie

    M. verbrachte seine lugend in Wien, wo er nach sechs Jahren Privatunterricht 1868-70 das akademische Gymnasium besuchte. Anschließend studierte er an der Wiener Universität Geschichte und deutsche Philologie. Bis 1875 schrieb er ca. zehn z. T. anonym erschienene Zeitungsartikel für die Deutsche Zeitung in Wien. 1874 promovierte er mit einer Dissertation über Arnold von Brescia und beabsichtigte seine Studien an der juridischen Fakultät fortzusetzen, wo ihn die national-ökonomischen Vorlesungen Carl Mengers nachhaltig beeindruckten. Im Wintersemester 1874/75 stand jedoch sein Entschluß, sich der Philosophie zuzuwenden, fest. Franz Brentano wurde sein Lehrer und Berater; er empfahl M. die Untersuchung der beiden Fassungen von Humes Hauptwerk. 1878 habilitierte sich M mit „Hume-Studien I: Zur Geschichte und Kritik des modernen Nominalismus“ (1877) bei Brentano. Nach vier fahren als Privatdozent in Wien, in denen A. Höfler, Chr. v. Ehrenfels und A. Oelzelt-Newin zu den engsten Schülern zählten, erfolgte 1882 M.s Berufung als Extraordinarius nach Graz (o. Prof. 1889). Im Wintersemester 1886/87 arbeitete Höfler gemeinsam mit M. an der ersten Konzeption der Lehrbücher der Logik und der Psychologie für Gymnasien, von denen das erstere 1890 erschien. M. griff in dieser Periode auch in die Diskussionen über die neuen ministeriellen Instruktionen zum philosophisch-propädeutischen Unterricht ein, indem er in seiner ersten selbständigen Schrift „Über philosophische Wissenschaft und ihre Propädeutik“ (1885) sowohl seine Ansichten über die Stellung der Philosophie zur Naturwissenschaft wie über ihren Stellenwert im Unterricht darlegte. Er übernahm dabei Brentanos Auffassung von der Rolle der Psychologie als philosophischer Fundamentalwissenschaft und verteidigte besonders das Recht, den Schülern auch den Bereich unsicheren Wissens und ungesicherter Erkenntnisse nahezubringen. Wie Brentano trat er dabei für eine streng wissenschaftliche Behandlung philosophischer Probleme ein. Seit 1886/87 veranstaltete M. als erster in Österreich experimentalpsychologische Untersuchungen. Diese führten 1894 zur Gründung des ersten österr. experimentalpsychologischen Instituts („Psychologisches Laboratorium“) in Graz. 1889 heiratete M. Doris Buchholz, die auch in dem von ihm als erstem Geiger geführten Quartett Cello spielte und in den Jahren beginnender Erblindung M.s als seine Vorleserin wirkte. Musik spielte im Leben M.s eine bedeutsame Rolle. In jüngeren Jahren komponierte er – vornehmlich Lieder- und schwankte sogar, ob er nicht die Musik zum Lebensberuf wählen sollte.

    M.s frühe wissenschaftliche Arbeiten sind vorwiegend psychologischen Fragestellungen gewidmet. Er untersucht das Problem der Beziehung zwischen Ermüdung und Reizempfindlichkeit im Bereiche des Weberschen Gesetzes, geht Fragen des Vergleichens und Messens von Größenverhältnissen aufgrund des gleichen Gesetzes nach, befaßt sich mit dem Begriff und den Eigenschaften der Empfindung, die er als „eine einfache Wahrnehmungsvorstellung aus peripherischer Reizung“ definiert, sowie mit Phantasie und Phantasie-Vorstellungen, wobei Phantasie als „die zur anschaulichen Neubildung erforderliche Spontaneität“ begriffen wird.

    In seinen werttheoretischen Studien knüpfte M. an die Problemstellungen der österr. Schule der Nationalökonomie an. Werterlebnisse sind für M. gefühlsmäßige Einstellungen, wobei Gefühle einen Wert nur dann erfassen, wenn der Träger des Wertes rational bestimmbar ist. M. geht von der von Brentano übernommenen These aus, daß Psychisches vornehmlich durch das Kriterium der Intentionalität von Physischem unterschieden ist. Alle psychischen Akte (Vorstellungen, Urteilen, Fühlen, Wollen) sind gegenstandsgerichtet, gleichgültig, ob die Gegenstände existieren oder nicht. Im Gegensatz zu der im gewöhnlichen Leben vorherrschenden Bevorzugung des Wirklichen unternimmt M. mit seiner Gegenstandstheorie den Versuch, dem Nicht-Existierenden einen Platz im Reich der Erkenntnis zu verschaffen, da es auch „wahre“ Urteile über nicht existierende Gegenstände gebe, wie z. B. „Das runde Viereck ist rund“ oder „Hamlet liebt Ophelia“. Anders als die Metaphysik, die nur auf Wirkliches gerichtet ist, soll die Gegenstandstheorie eine Theorie aller, auch der möglichen und unmöglichen Gegenstände sein. Darum nennt M. sie eine „daseinsfreie“ Wissenschaft, die Apriorität impliziert, weil es empirisches Wissen, das daseinsfrei wäre, nicht gibt.

    Er unterscheidet vier Gegenstandsklassen: Objekte, das sind die Gegenstände des Vorstellens, Objektive, das sind die Gegenstände der erkenntnisgerichteten Einstellungen des Denkens, Urteilens und Annehmens, Dignitative, das sind Gegenstände gefühlsmäßiger Einstellungen, und Desiderative, das sind die Gegenstände unseres Wünschens und Wollens. Objektive können bestehen oder nicht und sind nach M. die Träger von Wahrheit und Falschheit, wobei, wie später bei Wittgenstein, jene Objektive, die bestehen, „Tatsachen“ genannt werden. Diese Lehre wurde in der Abhandlung „Über Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung“ 1899, in einem ersten Ansatz entwickelt, in dem Buch „Über Annahmen“ (1902, ²1910) ausgebaut und in den programmatischen Arbeiten „Über Gegenstandstheorie“ (in: „Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie“, 1904, hrsg. v. A. M.) und „Über die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissenschaften“ (1907) abgerundet.

    Was die Kategorie der Annahmen betrifft, so bestand M. auf deren selbständiger Stellung zwischen Vorstellung und Urteil: Annahmen sind nach M. Urteile ohne Überzeugung. Da sie aber auf Objektive gerichtet und darum wahrheitswertfähig sind, können sie auch nicht bloße Vorstellungen sein. Sowohl in der Wissenschaft – wie z. B. bei indirekten Beweisen, bei der Hypothesenbildung etc. – als auch in der Kunst sind sie notwendiger Bestandteil des Erkenntnisvorgangs. Die „Annahmefreiheit“ erweist sich als die einzige unbeschränkte Freiheit des Menschen, weil durch sie auch logisch Unmögliches als Gegenstand erfaßbar wird.

    In den Spätwerken baute M. noch den Gegensatz von vollständigen und unvollständigen Gegenständen aus, wobei die letzteren als Bedeutungen von Allgemeinnamen gedeutet werden können. Vollständige Gegenstände hingegen sind solche, für die gilt, daß ihnen ein beliebiges Prädikat entweder zukommt oder nicht zukommt. Damit ist für M. der Bereich des Existierenden klar definiert. In seinem umfangreichsten Werk „Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, Beiträge zur Gegenstandstheorie und Erkenntnistheorie“ (1915) werden – neben weiteren Analysen zu den Grundbegriffen – vor allem seine Lehre der Modalitäten und der Wahrscheinlichkeitsurteile dargelegt.

    M.s Theorien führten mehrmals zu heftigen Reaktionen; vor allem erregte die Einbeziehung der sogenannten „heimatlosen Gegenstände“ in den Erkenntnisbereich Widerstand. Die bedeutsamste Kritik stammt von B. Russell, der die Ontologie der unmöglichen Gegenstände angriff und sie durch seine Theorie der bestimmten Beschreibungen zu eliminieren trachtete; auch in der Logik solle ein „robuster Wirklichkeitssinn“ herrschen. Als Folge von Russells Kritik und seiner Theorie schien M.s Position lange Zeit verloren. In den vergangenen drei Jahrzehnten erfolgte in der analytischen Philosophie jedoch eine Rückbesinnung auf „Meinongian semantics“. Vor allem die Schriften von R. M. Chisholm, H.-N. Castaneda, R. Routley, K. Lambert zeigen eine Verständigung darüber, daß rein extensionale Systeme die Ontologie nicht-existierender Gegenstände nicht angemessen beschreiben.|

  • Auszeichnungen

    Mitgl. d. Österr. Ak. d. Wiss. (1914).

  • Werke

    Weitere W Ges. Abhh., hrsg. v. A. Höfler u. a., 2 Bde., 1913/14;
    Philosophenbriefe – Aus d. wiss. Korr. v. A. M., hrsg. v. R. Kindinger, 1965 (P);
    Gesamtausg., I-VII, hrsg. v. R. Haller u. a., 1968-78 (VII mit W-Verz. u. Gesamtregister);
    Kolleghh. u. Fragmente, hrsg. v. R. Fabian u. R. Haller, 1978 (mit Verz. d. Nachlasses);
    On Assumptions, hrsg. u. übers. v. J. Heanue (P);
    Üb. Gegenstandstheorie, Selbstdarst., hrsg. v. J. M. Werle, 1988 (W-Verz., L seit 1960). |

  • Nachlass

    Nachlaß: Graz, Univ.-Bibl.

  • Literatur

    B. Russell, M.s Theory of Complexes and Assumptions, in: Mind 1904, S. 204-19, 336-54, 509-24;
    ders., On Denoting, ebd. 1905, S. 479-94;
    E. Martinak, M. als Mensch u. Lehrer, 1925;
    J. M. Findlay, M.s Theory of Objects, 1933, ²1963;
    M.-Gedenkschr., hrsg. v. K. Radakovic u. a., 1952 (P);
    G. Bergmann, Realism – A Critique of Brentano and M., 1967;
    M. Lenoci, Bibliografia degli studi su A. M., 1970 (L);
    ders., La teoria della conoscenza in A. M., 1972;
    Jenseits v. Sein u. Nichtsein, hrsg. v. R. Haller, 1972;
    Revue Int. de Philosophie 27, 1973, 104/05 (Sonder-Nr. üb. M.);
    R. Grossmann, M., 1974;
    Chr. Weinberger, Zur Logik d. Annahmen, 1976;
    D. Lindenfeld, The Transformation of Positivism – A. M. and European Thought, 1980 (L);
    R. Routley, Exploring M.s Jungle and Beyond, 1980;
    T. Parsons, Nonexistent Objects, 1980;
    G. Adler, Briefe an A. M., in: Btrr. u. Materialien z. Gesch. d. Wiss. in Österreich, hrsg. v. W. Höflechner, 1981;
    R. M. Chisholm, Brentano and M. Studies, 1982;
    H.-N. Castaneda, Sprache u. Erfahrung, Texte zu e. neuen Ontologie, 1982;
    K. Lambert, M. and the Principle of Independence, 1983;
    D. J. Marti-Huang, Die Gegenstandstheorie v. A. M. als Ansatz zu e. ontolog. neutralen Logik, 1984;
    R. Haller u. R. Fabian, A. M. u. d. Schule d. Gegenstandstheorie, in: Tradition u. Herausforderung, hrsg. v. K. Freisitzer u. a., 1985 (L, P);
    J. F. Smith, The Russell-M. Debate, in: Philosophical and Phenomenological Research 45, 1985, S. 305-50;
    Non-Existence and Predication, ed. R. Haller, 1986;
    P. Simons, A. M. – Gegenstände, d. es nicht gibt, in: Grundprobleme d. gr. Philosophen, IV, hrsg. v. J. Speck, 1986;
    M.-L. Schubert-Kalsi, M.s Theory of Knowledge, 1987;
    M. u. W. Stock, Psychol. u. Philos. d. Grazer Schule, in: Internat. Bibliogr. z. österr. Philos., hrsg. v. W. Gombocz u. a., 1990 (W-Verz., L);
    Essays on M., hrsg. v. P. Simons, 1990;
    Alm. d. Ak. d. Wiss. Wien 1921 (P);
    Ziegenfuß;
    Überweg IV;
    Enc. of Philos.,|hrsg. v. P. Edwards, 1967;
    Enz. Philos. u. Wiss.theorie, II, 1984;
    NÖB VIII;
    ÖBL.

  • Autor/in

    Rudolf Haller
  • Zitierweise

    Haller, Rudolf, "Meinong von Handschuchsheim, Alexius" in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 677-680 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580213.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA