Lebensdaten
1789 – 1865
Geburtsort
Dresden
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
österreichischer Staatsmann
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 116490691 | OGND | VIAF: 49978060
Namensvarianten
  • Hartig, Franz de Paula Graf von
  • Hartig, Franz Graf von
  • Hartig, Franz de Paula Graf von
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Zitierweise

Hartig, Franz Graf von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd116490691.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Franz (1758–97), k. k. WGR, Gesandter in Dresden, Freund Josephs II., Präs. d. böhm. Ges. d. Wiss., schrieb u. a. Lettres sur la France, l'Angleterre et l'Italie (Genf 1785), Hist. Betrachtungen üb. d. Aufnahme u. d. Verfall d. Feldwirtsch. (Prag u. Wien 1786) (s. ADB X; Wurzbach VII), S d. Franz (1724–83), k. k. Gesandter in Regensburg, München u. beim Fränk. u. Schwäb. Kreis, Präs. d. kaiserl. Gel.gesellschaft, u. d. Maria Theresia Gfn. v. Kolowrat-Krakowsky (1731–91), Obersthofmeisterin;
    M Eleonora (1764–1818), k. k. Palastdame, T d. Franz Gf. v. Colloredo-Waldsee ( 1806), kaiserl. Kabinetts- u. Konferenzmin. (s. NDB III), u. d. Maria Eleon. Gfn. Wrbna u. Freudenthal;
    Wien 1810 Juliane (1788–1866), k. k. Palastdame, T d. Emanuel Gf. Grundemann v. Falkenberg, Fideikommißherr, u. d. Marianne Gfn. v. Althann;
    1 S, 3 T, u. a. Edmund (1812–83), auf Niemes, k. k. GR, Oberstlandmarschall d. Kgr. Böhmen, Mitgl. d. Herrenhauses d. Reichsrats.

  • Biographie

    H. wuchs, obwohl er seinen Vater in frühester Jugend verlor, im Banne der Ideale des Josephinismus auf und blieb ihnen zeit seines Lebens treu. 1809 begann er seine politische Laufbahn zunächst in der Staatskanzlei, wandte sich aber bald von der Diplomatie ab und dem Verwaltungsdienst zu, der seiner Neigung und Begabung mehr entsprach. 1811 trat er bei der niederösterreichischen Statthalterei ein. Während des Feldzuges von 1814/15 fungierte er als Zivilkommissär im besetzten Frankreich. Vom Gubernialrat in Brünn avancierte er bereits 1819 zum Hofrat und Referenten in der von seinem Gönner, dem Grafen Saurau, geleiteten Vereinigten Hofkanzlei, wo er die politische Abteilung der Hofkanzlei (Innenministerium) leitete und damit zum obersten Kreis der „josephinischen Dienerschaft“ des Staates zählte. 1825 wurde er zum Gouverneur in der Steiermark und 1830 an die Spitze des Guberniums in der Lombardei berufen. Durch den Aufbau eines disziplinierten und leistungsfähigen Beamtenkörpers, durch großzügigen Ausbau der Kommunikationsmittel, durch Förderung von Kunst und Wissenschaft – Reorganisierung der Akademie der schönen Künste und des Instituts der Wissenschaften –, durch Eingehen auf berechtigte Forderungen der Bevölkerung, durch Lockerung des Polizeiregimes gelang es ihm, die durch die Auswirkungen der Juli-Revolution in Italien hervorgerufenen revolutionären Bewegungen von der Lombardei fernzuhalten. In dem Jahrzehnt seiner Tätigkeit als Gouverneur erlebte die Lombardei die ruhigsten und fruchtbarsten Jahre unter österreichischer Herrschaft und zählte zu den bestverwalteten Provinzen der Monarchie. Der glanzvolle Verlauf der Krönungsreise Ferdinands I. 1838 hatte das Wirken H.s unmittelbar zur Voraussetzung.

    1840 wurde H. in den Staatsrat berufen, wo er zusammen mit Erzherzog Ludwig, Metternich, Kolowrat und Kübeck zum inneren Führungsgremium des Staates gehörte. Als Staats- und Konferenzminister war er mit der Sektion für innere Verwaltung und Finanzen betraut. Seinem Scharfblick und seiner Geschäftskenntnis entsprangen viele Reformvorschläge,|die den schwerfälligen Regierungsapparat reaktivieren sollten. Der Revolution von 1848 stand H. als konservativer und loyaler Diener des Herrscherhauses völlig ablehnend gegenüber, stellte sich aber trotzdem im Frühjahr 1848 der Regierung für einen wenn auch ergebnislosen Pazifikationsversuch in Venezien zur Verfügung. Im Juni 1848 zog er sich ins Privatleben zurück. In die Zeit seines politischen Abseitsstehens fällt seine fruchtbarste publizistische Tätigkeit. Seine Broschüre über die österreichische Herrschaft in Lombardo-Venezien zeugt von seiner tiefen Einsicht in die Probleme eines Vielvölkerstaates. Sein der Revolution von 1848 gewidmetes Werk „Genesis der Revolution“ (1849) war nicht nur Rechtfertigung des „Ancien Régime“, sondern zeigte auch dessen Fehler und Mängel auf und rechnete mit der seiner Meinung nach falschen Zielsetzung der Revolution ab. Dieses von stark antiständischer Tendenz geprägte Werk, das in kurzer Zeit 3 Auflagen erlebte, wurde als stärkster literarischer Schlag gegen die Revolution empfunden. Während des Bachschen Neoabsolutismus stand H. abseits und griff nur durch seine Publikationen in die politischen Auseinandersetzungen ein. Erst 1858 berief ihn Kaiser Franz Joseph über Antrag des Handelsministers Brück an die Spitze der Immediatkommission zur Regelung der direkten Steuern. 1860 in den Verstärkten Reichstag berufen, vertrat er in den Verfassungskämpfen einen gegen die föderalistischen Tendenzen des Oktoberdiploms (1860) gerichteten gemäßigten, auf die Wahrung der Reichseinheit zielenden Zentralismus, der in den Formulierungen des Februarpatentes von 1861, an dem er wesentlich mitgewirkt hatte, seinen Ausdruck fand. Als Mitglied des Herrenhauses auf Lebenszeit suchte er zwischen engem Konservativismus und starrem Liberalismus, zwischen den zentrifugalen Kräften eines überspitzen Föderalismus und einem gleichmacherischen Zentralismus zu vermitteln. Das Gesamtinteresse des Reiches im Auge, wirkte H. im Herrenhaus für die Einheit eines in organische Teile gegliederten Staatsganzen.|

  • Auszeichnungen

    Ehrenbürger v. Wien, Ritter d. Ordens v. Goldenen Vlies.

  • Werke

    Das kaiserl. Manifest 1848 od. freimütige Bemerkungen üb. d. österr. Herrschaft im lombardo-venezian. Kgr., 1848;
    Österreichs innere Pol. mit Beziehung auf d. Verfassungsfrage, 1848;
    Genesis d. Revolution in Österreich im J. 1848, 1849, ³1850 (engl, als Anhang zu Coxe, History of the House of Austria IV, London 1853);
    Nachtgedanken d. Publizisten Gottheld Zurecht, 1851;
    Zwei brennende Fragen, 1852.

  • Literatur

    ADB X;
    Metternich-Hartig, Ein Briefwechsel d. Staatskanzlers aus d. Exil 1848–51, hrsg. v. F. Hartig, 1923 (P);
    Jb. d. öffentl. Rechts III, 1923;
    Bll. f. Heimatkde., hrsg. v. hist. Ver. d. Steiermark, 14, 1936, S. 77-97;
    F. Walter, Gesch. d. österr. Zentralverwaltung 1790-1848, 1956, Bd. II/1, 2/2;
    R. Kann, Das Nationalitätenproblem d. Habsburgermonarchie II, 1964, S. 58 ff.;
    Wurzbach VII;
    Enc. Italiana 18;
    ÖBL.

  • Porträts

    2 Porträtbilder (Wien, Nat.bibl.).

  • Autor/in

    Richard Blaas
  • Zitierweise

    Blaas, Richard, "Hartig, Franz Graf von" in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 713-714 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116490691.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Hartig: Franz Graf von H., Staatsmann, einer der edelsten, geistreichsten und verdientesten Männer, die seit Maria Theresia ein österreichisches Staatsamt bekleideten. Geboren den 5. Juni 1789 zu Dresden, wo sein Vater, der als Liebling der großen Kaiserin und Freund Josefs II., als Diplomat, Gelehrter, Humanist und geschmackvoller Schriftsteller rühmlich bekannte Graf Franz de Paula (s. o.) damals Gesandter war. Die Familie stammt aus Schlesien, ist seit 200 Jahren in Böhmen ansässig und reich begütert. Graf Franz erhielt eine äußerst sorgfältige Erziehung, nach deren Vollendung er in den Staatsdienst trat. Hier zog er durch seine seltene Begabung, seinen Eifer und sein frisches lebendiges Wesen die Aufmerksamkeit des Ministers Grafen Saurau auf sich und durchflog rasch die unteren Stufen des politischen Dienstes. Schon 1819 ist er Hofrath und Referent der Hofkanzlei und 1825 überträgt Kaiser Franz, der erfahrene Menschenkenner, dem jungen Mann das Gubernium von Steiermark. Hier wirkte er im Verein mit Erzherzog Johann erfolgreich für die materielle und geistige Hebung des bis dahin zurückgebliebenen Landes und Volkes. Als 1830 die Pariser Revolution halb Europa in Gährung versetzte, zeigten sich auch in der Lombardei bedenkliche Spuren nationaler Aufregung;|da wurde H. Gouverneur und in wenigen Monaten war das Land beruhigt. Er gab dem gelockerten Verwaltungsorganismus durch strenge Disciplin, Entfernung unverläßlicher, Anstellung erprobter Beamten festen Halt, zeigte, daß die Regierung klar wisse, was sie wolle und das dazu Nöthige auch durchzuführen verstehe, imponirte damit und zog die Bevölkerung zugleich an, indem er kleinliche nur Furcht verrathende Polizeimaßregeln abstellte, den um geringer Vergehen oder bloßen Verdachtes wegen Inhaftirten die Kerkerthüren, den aus Furcht Entflohenen die Heimath wieder öffnete und selbst viele schwer Compromittirte gegen das einfache Ehrenwort nicht mehr zu conspiriren, frei und unbehelligt ihren Kreisen wiedergab. Dabei sorgte er in jeder Weise für die materielle Entwicklung des gesegneten Landes namentlich durch großartige Institutionen im Communicationswesen, und kam dem Ehrgeiz der Bildung und dem Kunstsinn der Lombarden durch Neugründung wissenschaftlicher und Kunst-Institute, durch zahlreiche Aufträge an Künstler und Gelehrte und dergleichen entgegen. Als 1836 bei Ausbruch der Cholera in Mailand eine allgemeine Panique die Bevölkerung ergriff, gab H., obwol selbst leidend, das Beispiel der Unerschrockenheit. Er eilte selbst in das am stärksten ergriffene Versorgungshaus pio luogo de Triulzio, zwang hochstehende Curatoren der Anstalt, die sich feige zurückzogen, ihr Ehrenamt niederzulegen, sah persönlich nach den Kranken und bewirkte so durch sein Auftreten, daß die Furcht und damit die Seuche selbst in Kürze verschwand. Die Lombardei war damals nicht blos das bestverwaltete Land Italiens, sondern auch der Monarchie; ein Mann wie Cobden z. B. fand dafür nicht genug des Lobes und selbst Historiker wie Reuchlin schreiben noch heute das Verdienst darum dem Grafen H. zu, denn Oesterreich habe seit 1814 keinen Bürger in Italien gehabt, der dem Staate und dem Lande so viel genützt hätte wie dieser (Geschichte Italiens, 1860, II. Bd. 164. S.). Daher war der Jubel der Bevölkerung bei der Krönung in Mailand 1838 wahr und ungeheuchelt und es hätte vielleicht nur geringer Concessionen bedurft, um sie dauernd an Oesterreich zu knüpfen. H. wurde jedoch 1840 in den Staatsrath nach Wien berufen und, bald zum Staats- und Conferenzminister ernannt, mit der Direction der politisch finanziellen Abtheilung des Staatsrathes betraut. In dieser Stellung förderte er namentlich die großen wirthschaftlichen Reformen des Hofkammerpräsidenten Freiherrn v. Kübeck und zwar besonders die Entwicklung des Staatseisenbahnwesens, sowie eine rationelle Zollpolitik, wenn auch der Zollanschluß an Deutschland durch die Rücksichten auf Ungarn verhindert wurde. Die Emancipationsbestrebungen einiger ständischer Körperschaften fanden an H. einen entschiedenen Gegner, weil sein scharfes Auge hinter dem Mantel des Volkstribunen den feudalen Pferdefuß entdeckte und die Erfahrungen in Ungarn von der einseitigen Stärkung einzelner Landesrepräsentationen nur die bedenklichste Steigerung der Centrifugalkraft besorgen ließen. Daher warnte H. auch mit prophetischem Geiste vor der bei der Wahl des neuen Palatins beliebten Ausdehnung der Machtbefugnisse desselben. Allein die Centralregierung, welche durch die Einfügung eines neuen Gliedes: der Staatsconferenz, an Beweglichkeit nichts gewonnen hatte, sondern trotz Hartig's Bemühungen immer mehr in Bedenklichkeiten und ängstlicher Allesregiererei sich verlor, hatte nachgerade mit der Thatkraft alles Ansehen, in ihrer Manie Alles zu regieren jede wirkliche Thatkraft eingebüßt und so war sie auch gegen die bedenkliche Strömung, die namentlich, im Osten der Monarchie um sich griff, widerstandslos geworden. So war die abschüssige Bahn betreten, auf welcher die veraltete Regierungsmaschine hinabrollte, um plötzlich wie von einem Bergsturz verschüttet zu werden. Staatsrath und Staatsconferenz wurden weggeschwemmt, und auch H., die ungehörte Kassandra, theilte das Loos der alten Regierung. Er zog sich ins Privatleben zurück. Nur einmal wollte sich das Ministerium Pillersdorff seiner|bedienen, um die insurgirten italienischen Provinzen zum Gehorsam zurückzuführen; allein die Dinge waren zu weit fortgeschritten und die Nachbarstaaten zu feindselig oder zweideutig, als daß eine friedliche Mission hätte Erfolg haben können. Als jedoch nach Wiedereroberung des Landes ein kaiserliches Manifest die Lombardo-Venetianer unter Zusage einer geeigneten Verfassung zu Gehorsam und Treue aufforderte, glaubte H. seinen auf genaue Landes- und Volkskenntniß gegründeten Rath nicht zurückhalten zu dürfen. Mit der Brochüre „Das kaiserliche Manifest vom 26. September 1848 oder freimüthige Bemerkungen über die österreichische Herrschaft im lombardo-venetianischen Königreich“ (Prag, 1848) betrat H. das publicistische Gebiet. Mit männlichem Freimuth verwahrt er die österreichische Regierung gegen den Vorwurf, daß sie jemals beabsichtigt habe, die italienische Nationalität zu unterdrücken; wol aber gibt er zu, daß sie das Nationalgefühl mehrfach unklug verletzt habe, namentlich durch die Anstellung von Nicht-Lombarden und zwar von allzuvielen damals dort mehr als die Deutschen verhaßten Südtirolern, durch die im ganzen Reiche eingerissene Uniformirungsmanie, welche die National- und Localverhältnisse nicht berücksichtigt und damit besonders im Unterrichtswesen selbst störend in die Familienkreise und Gewohnheiten eingriff, durch das ungerechtfertigte hochmüthige Benehmen deutscher Beamten gegen die meist mindestens ebenso gebildeten Lombarden u. dgl. m. Er empfahl daher eine möglichst nationale Verwaltung, Autonomie in reinen Landesangelegenheiten durch Ausdehnung der italienischen Communalverfassung und Vertretung des Landes im Reichsrathe bei allgemeinen Reichsangelegenheiten; nur sollte den Italienern darin der Gebrauch ihrer Sprache zugestanden werden. Bekanntlich ließen es die Ereignisse lange zu keiner organisatorischen Thätigkeit kommen; Wiederherstellung der äußeren Ruhe war die Parole des Tages, und, als sie gelungen war, die Geneigtheit zu verfassungsmäßiger Organisirung überhaupt verschwunden. H. hatte aber indeß nicht gefeiert, sondern in dem rasch berühmt gewordenen Werke „Genesis der Revolution in Oesterreich“ mit männlichem Freimuthe die Mängel der alten Regierung aufgedeckt und in einer sich anschließenden Schrift, „Nachtgedanken des Publicisten Gotthelf Zurecht“, bereits mit banger Sorge um die Zukunft des Reiches, die Ideen zur verfassungsmäßigen Organisation desselben auf Grundlage der Einheit und Interessenvertretung dargelegt. Diese Rathschläge theilten das Schicksal der früheren und H. blieb fortan in stiller Zurückgezogenheit, bis er auf den Wunsch des ihn hochverehrenden Finanzministers Freiherrn v. Bruck an die Spitze der zur Regelung der directen Steuern eingesetzten Immediatcommission gestellt wurde. Die weit vorgeschrittenen Arbeiten derselben gingen bei Wiederherstellung der Volksvertretung an diese über. Nach der Katastrophe von 1859 wurde H. als einer der ersten in den verstärkten Reichsrath berufen, welcher die Reorganisation des erschütterten Staatswesens berathen sollte. Hier zeigte sich der Graf als Parlamentarier ersten Ranges; keine wichtige Frage wurde verhandelt, ohne daß er mit dem reichen Schatze seiner Erfahrungen und seines vielseitigen Wissens Klarheit in dieselbe gebracht hätte. Vor allem war es aber die künftige politische Organisation des Reiches, über die er sich mit einem Freimuthe aussprach, welche einen der ersten Feudalen verleitete, seine Loyalität in Frage zu stellen, ein Angriff, den H., der sonst so ruhige Redner, mit jugendlichem Feuer und dem heiligen Zorne eines seiner hundertfältig erprobten Treue vollbewußten Patrioten zurückwies. Bekanntlich sonderte sich die Versammlung, die wie alle solche Körperschaften in stürmisch bewegten Tagen nur scharfe Parteistellung zuließ, in eine Majorität, welche auf föderalistische, und in eine Minorität, welche auf centralistische Reichsorganisation hinstürmte. Der erfahrene H., welcher einerseits die mehr als hundertjährige Unificationsarbeit der bedeutendsten österreichischen Regenten und Staatsmänner|nicht Preis geben wollte und anderseits die historische Berechtigung der Länder und daher die Unanwendbarkeit centralistischer Schablonen nicht verkennen konnte, schloß sich keiner dieser Parteien an, sondern bezeichnete, von dem Standpunkte der Reichseinheit ausgehend, Reichsgesetzgebung und Reichsbürgerthum, Reichscentralorgan und Interessenvertretung als die unumgängliche Vorbedingung jeder einige Dauer verheißenden Staatsorganisation. Das Octoberdiplom mit seinen unklaren reichsräthlichen Competenzbestimmungen wurde weder diesen Anforderungen gerecht, noch befriedigte es irgend eine Partei; die einen bekamen nicht, was sie wollten, die andern wußten nicht, was sie eigentlich bekamen. Erst die Februarpatente, indem sie wenigstens für Cisleithanien ein auf Interessenvertretung beruhendes Parlament ins Leben riefen und den Ungarn den Eintritt in eine weitere Reichsvertretung offen hielten, eröffneten einen Boden, auf dem sich weiter bauen ließ. H., zum lebenslänglichen Mitglied des Herrenhauses ernannt, nahm davon sofort Besitz und sagte dem Ministerium seine Unterstützung zu, weil es „aus den Octobernebeln herausgeführt“ habe. Er wurde so recht Herold und Bannerträger der Gesammtstaatsidee, die seine ganze Seele erfüllte, und ermüdete nicht den Ländern zu beweisen, daß auch ihre berechtigten Sonderinteressen dauernde Berücksichtigung nur im Reichsverbande finden können. Den Ungarn goldne Brücken bauen zu helfen, war er gerne bereit; das hielt ihn aber nicht ab, ihnen bei chauvinistischen Ausschreitungen, wie der bekannten zurückgewiesenen Adresse, zuzurufen, daß sie „zur Besinnung gebracht werden“ müssen. Obwol Aristokrat und auf die Bewahrung dieser Eigenschaft als Theil seines Besitzthums sorgfältig bedacht, erwies er sich doch dem als gleichberechtigt anerkannten Abgeordnetenhause stets entgegenkommend und wo es sich nur um Details der Ausführung gemeinschaftlich festgestellter Grundsätze handelte, nachgiebig. Immer war er auf Herstellung brüderlichen Einvernehmens bedacht und es ist die Frage, welche Wendung die Dinge genommen hätten, wenn sein kluger, von Allen mit Achtung vernommener Rath dem Hause länger erhalten geblieben wäre. Allein mitten unter den Verfassungskämpfen nahm ihn am 17. Januar 1865 nach kurzem Leiden der Tod hinweg. Alle Kreise nahmen die Nachricht seines Hinscheidens mit dem Gefühle, daß in schwerster Zeit der Staat einen seiner verdientesten treuesten Diener, ja eine wahre Stütze, die Bevölkerung einen der edelsten Mitbürger, die Menschheit eine ihrer Zierden verloren habe. Der Kaiser hatte seine Brust mit dem Sterne des Leopolds- und des Eisern-Kron-Ordens geziert und ihm schließlich als Zeichen der höchsten Anerkennung auch das goldene Vließ verliehen. Den auch im Privatleben, für seine Familie, Freunde und einstigen Unterthanen unvergeßlichen Ehrenmann überlebte die geistesverwandte Gattin geb. Gräfin Grundemann, welche 56 Jahre der glücklichsten Ehe mit ihm verbracht hatte, und zwei Söhne, deren zahlreiche Nachkommenschaft den Bestand des edlen Hauses sichert.

    • Literatur

      Außer den im Texte citirten und den Schriften Hartig's insbesondere noch Ad. Schmidt, Zeitgenössische Geschichten, 1859, S. 525—547; Fh. v. Czörnig in der A. A. Z., 1865, Beil. 28. 29. 30, und in der Oesterreich. Revue, 1865, 3. Bd. Oesterr. Ehrenhalle, III. 1865, S. 23 u. ff. Oesterr. National-Encyklopädie, 2. Bd., S. 514 u. ff. v. Wurzbach, Biogr. Lexikon, 7. Bd., S. 399 u. ff. Verhandlungen des verstärkten Reichsrathes, 1860, I. u. II. Bd. Stenographische Berichte des österreichischen Herrenhauses, I., II. und III. Session u. s. w.

  • Autor/in

    v. Hoffinger.
  • Zitierweise

    Hoffinger, von, "Hartig, Franz Graf von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 10 (1879), S. 654-657 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116490691.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA