Lebensdaten
1816 – 1856
Geburtsort
Straßburg (Elsaß)
Sterbeort
Straßburg (Elsaß)
Beruf/Funktion
Chemiker
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 119321300 | OGND | VIAF: 34537874
Namensvarianten
  • Gerhardt, Carl Friedrich
  • Gerhardt, Charles
  • Gerhardt, Carl Friedrich
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Zitierweise

Gerhardt, Charles, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119321300.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Samuel (1780–1847), Bankbeamter in St., seit 1825 Fabrikant (Bleiweiß) in Hangenbieten, S d. Karl, aus Frankenthal, Bierbrauer in Bern, u. d. Anne Gatscho;
    M Charlotte Henr. (1785–1846), Wwe d. Philipp Jacques Lobstein, T d. Samuel Regnard Weber, Dr. iur., Stadtrechtsrat in St., u. d. Cath. Salomè Wittmas;
    Montpellier 1844 Jane Megget, T d. Dr. med. James Sanders in Edinburgh;
    2 S, 1 T, u. a. Charles (* 1845), Ingenieur, Biograph s. Vaters; entfernter Verwandter Carl (s. 3).

  • Biographie

    Vom Vater, dem chemisch nicht vorgebildeten Leiter einer Bleiweißfabrik, zum Chemiker bestimmt, studierte G. seit 1831 an der Polytechnischen Schule in Karlsruhe und anschließend in Leipzig bei O. L. Erdmann, der ihn bereits an eigenen Arbeiten teilnehmen ließ und in dessen Journal für praktische Chemie (Band 4) G. 1835 seine erste, schon für später charakteristische und von Berzelius beachtete Abhandlung über die Formeln der natürlichen Silikate veröffentlichte. Der unbefriedigenden Tätigkeit im väterlichen Betrieb (seit 1834) entlief er zum Militär. Nach Loskauf konnte er es ermöglichen, 1836/37 ein entscheidendes Jahr bei Liebig in Gießen zu arbeiten. Dieser erkannte die Genialität seines ehrgeizigen Schülers und blieb ihm, trotz gelegentlicher Unstimmigkeiten, auch später ein wohlmeinender Ratgeber. Nach erneuten Zerwürfnissen mit dem Vater ging G., mit Empfehlungsschreiben von Liebig ausgerüstet, 1838 nach Paris. Er hörte Vorlesungen bei J. B. Dumas und C. Despretz. Durch Referieren chemischer Arbeiten, durch Übersetzungen (unter anderem Liebigs „Organische Chemie“, 3 Bände, Paris 1840–44) und vorübergehende Assistententätigkeit bei Dumas erwarb er sich seinen spärlichen Lebensunterhalt. Bedrückend war auch die fehlende Möglichkeit zu eigener experimenteller Arbeit, bis ihm sein Studienfreund A. Cahours Eingang in Chevreuls Labor im Jardin des Plantes erwirkte. Hier beendete G. eine Arbeit über Hellenin und führte Untersuchungen über Bernsteinsäuren und mit Cahours über ätherische Öle durch. Das Echo in der Académie Française war günstig. Der Lizentiatatenprüfung und dem Doktorexamen, beide 1841 innerhalb einer Woche abgelegt, folgte nach wenigen Tagen die Berufung zum Professor der Chemie in Montpellier (1844 endgültige Ernennung). Trotz mißlicher Umstände –|unzureichende Arbeitsräume, Mangel an Geldmitteln, kleinliche Einstellung der vorgesetzten Behörden – begann eine Zeit großer Produktivität: eigene Versuchsreihen hatten vorwiegend die Konstitution der organischen Körper zum Thema; 1841/42 erschienen die Übersetzungen Liebigscher Werke über die Anwendung der organischen Chemie in Landwirtschaft, Physiologie und Pathologie; 1844/45 kam das eigene Lehrbuch „Précis de chimie organique“ heraus. Die Zusammenarbeit mit dem Dumas-Schüler A. Laurent, Professor der Chemie in Bordeaux, nahm ihren Anfang, die dank glücklicher Ergänzung so eng wurde, daß es später kaum möglich ist, beider wissenschaftliche Leistung zu trennen. Eine Zeitschrift “Comptes rendus de Gerhardt et Laurent“ wurde ins Leben gerufen. Die Heirat mit einer wohlhabenden Frau brachte eine gewisse Unabhängigkeit. Dennoch blieb Paris das Ziel. Liebigs wiederholter Ratschlag, eine Professur in Deutschland anzunehmen, war stets erfolglos geblieben. Durch häufige Reisen wurde die Verbindung aufrechterhalten. Als 1848 Laurent eine Stelle in der Pariser Münze annahm, übersiedelte auch G. in die Hauptstadt. Die langersehnte gemeinsame Laboratoriumsarbeit begann. Eine geeignete Stelle bot sich nicht, und G. versuchte 1851, den Unterhalt durch Gründung eines privaten Unterrichts-Laboratoriums zu sichern. Laurents Tod und wirtschaftliche Schwierigkeiten veranlaßten ihn, nachdem er einen Ruf nach Zürich abgelehnt hatte, 1855 – für das letzte Lebensjahr – einen durch Thénard vermittelten Ruf an die mit gutem Laboratorium ausgerüstete Universität Straßburg anzunehmen.

    G. hat an der Entwicklung der Konstitutionslehre des 19. Jahrhunderts wesentlichen Anteil. Die durch Lavoisier begründete, von Berzelius ausgebaute und durch die elektrochemischen Versuche Davys gestützte dualistisch-additionelle Theorie, derzufolge jede chemische Verbindung als Vereinigung einer elektronegativen Säure und einer elektropositiven Base aufzufassen sei, wurde durch die Substitutionsentdeckungen in der organischen Chemie, zum Beispiel Ersetzbarkeit des Wasserstoffs durch Chlor (Liebig, Wöhler, Dumas), unhaltbar. G. war in erster Linie Theoretiker. Schon seine ersten Arbeiten zeigen diese Begabung. Von Montpellier aus trat er mit einer Klassifikation der organischen Stoffe hervor, die freilich zunächst großen Widerspruch erregte. G. ging von der Avogadroschen Hypothese aus. Versuche, das relative Gewicht der Molekeln durch Volumenvergleich zu bestimmen, zeigten ihm, daß die meisten Atomgewichte geändert werden müßten (C = 12 statt 6; 0 = 18 statt 8). Er entdeckte dabei die Beziehungen zwischen Säurehydraten beziehungsweise Hydroxylbasen und Wasser. Es folgte die Theorie der mehrbasischen Säuren, wonach eine Säure als zweibasisch angesehen werden muß, wenn sie saure Salze und Doppelsalze bildet. Den Kern seiner Lehre bildet die Resttheorie. Bei Reaktionen organischer Verbindungen bilden die austretenden Elemente einfache anorganische Verbindungen, die „Reste“ der ursprünglichen Substanzen vereinigen sich untereinander. Sie sind nicht als in der entstehenden Verbindung wirklich vorhandene Atomgruppen aufzufassen, sondern sie liegen in einer „Substitutionsform“ vor. Als Systematiker entwickelte G. das „Typensystem“, wonach alle organischen Verbindungen von den vier Typen Wasserstoff, Chlorwasserstoff, Wasser und Ammoniak ableiten lassen. Aus der Typenlehre entstand der Begriff der chemischen Wertigkeit. Die schon von Vorgängern angedeutete Theorie der homologen Reihen nahm bei ihm feste Gestalt an (1845); auch der Begriff der Heterologie stammt von ihm. Die wichtigste Folgerung aus der Typenlehre und aus den Homologen ist, daß sie ein „unitares“ System – im Gegensatz zu Berzelius' dualistischem – verlangen. Von besonderer Bedeutung wurde 1852 die Entdeckung der Säureanhydride. Hier treten die von Liebig geprägten Radikale als Glieder in die Typen ein, und es ergab sich eine Beziehung zwischen diesen Radikalen und G.s unitarischen Theorien. Neben den theoretischen Arbeiten führte G. auch noch eine Zahl von Experimentaluntersuchungen durch. Dabei fand er das Cymol, das Chinolin, das Acetanilid und das Phenol.

  • Werke

    Weitere W u. a. Traité de chimie organique, 4 Bde., Paris 1853–56, dt. (unter Mitwirkung v. R. Wagner), 1854-57;
    Précis d'analyse chimique qualitative, Paris 1855 (mit G. Chancel);
    Übers.: J. Liebig, Lettres sur la chimie …, ebd. 1847;
    - Zahlr. Veröff. u. a. in: Comptes rendus de l'Académie des Sciences;
    Annales de chimie et de Physique;
    Revue scientifique et industrielle;
    Journal f. prakt. Chemie;
    Ann. d. Chemie u. Pharmacie.

  • Literatur

    E. Grimaux u. Ch. Gerhardt (S), Ch. G., sa vie, son oeuvre, sa correspondance, Paris 1900 (W-Verz. [ca. 200 Titel], P);
    Wilh. Ostwald, in: Große Männer, 1909, S. 220-55;
    St. Cannizzaro, Hist. Notizen u. Betrachtungen üb. d. Anwendung d. Atomtheorie in d. Chemie u. üb. d. Systeme d. Konstitutionsformeln v. Verbindungen (aus d. Italienischen v. B. L. Vanzetti u. M. Speter), 1913, bes. S. 152 ff.;
    M. Bloch, G. u. Laurent, in: Das Buch d. großen Chemiker, hrsg. v. G. Bugge, II, 1930, S. 92-114 (P);
    Pogg. I.

  • Autor/in

    Günther Kerstein
  • Zitierweise

    Kerstein, Günther, "Gerhardt, Charles" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 282-283 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119321300.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA