Lebensdaten
1604 – 1659 oder 1660
Geburtsort
Reutte (Tirol) (nicht Rheit, Vrajt, Böhmen)
Sterbeort
Ravenna
Beruf/Funktion
Kapuziner ; Optiker ; Erfinder ; Astronom ; Diplomat ; Missionar
Konfession
-
Normdaten
GND: 118600141 | OGND | VIAF: 74056657
Namensvarianten
  • Schyrleus de Rheita, Antonius
  • Schyrleus de Rheita, Johann Burchard (Taufname)
  • Schürle de Rheyta, Anton Maria
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Schyrle, Anton, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118600141.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus Fam., d. seit 1560 in Tirol nachweisbar ist u. Beamte u. Soldaten im landesherrl. Dienst stellte; hierzu gehören u. a. Georg Schürle (Wappenbrief 1560), Hans Schürle, 1564 Richter in Landeck, Georg Schürle (1594 Adel), 1588 Rgt.schultheiß im Span.-niederl. Krieg, dessen S Esaias Schürle v. u. zu Höhenkirch(en) (Heckenkirch) u. Georg Schürle v. u. zu Höhenkirch(en) (1594 Adel), Offz. im Oberinntal, sowie Esaias S. v. u. zu Höhenkirch(en), 1624–29 Oberhptm. u. Pflegsverw. d. Gerichts Ehrenberg; Eltern unbekannt;
    B Albert v. S., kurbayer. Oberstlt. im Rgt. Winterscheidt, Elias, Pater im Birgittenkloster Altomünster (Oberbayern).

  • Biographie

    Über S.s Jugend und frühe Schulbildung ist nichts bekannt. 1622 trat er in den Augustinerorden ein, 1623–25 studierte er an der Univ. Ingolstadt u. a. Astronomie. Zudem erlernte er das Linsenschleifen sowie die geeignete Anordnung von Konkav- und Konvexlinsen in Fernrohren und Mikroskopen. 1627 trat S. in Passau in den Kapuzinerorden über, 1636 wurde er als Lektor nach Linz berufen. Seit 1637 diente er dort dem Kurfürsten, Erzbischof von Trier und Bischof von Speyer, Philipp Christoph v. Soetern (1567–1652), als Beichtvater und politischer Berater. Der Kurfürst, von Ks. Ferdinand III. wegen seiner frankreichfreundlichen Politik in Linz gefangengehalten, entsandte S. 1640 zu Papst Urban VIII. nach Rom. Diese diplomatische Mission, die vorgeblich der Berichterstattung über die Diözesen Trier und Speyer diente, trug S. 1641 die Verbannung aus allen habsburg. Landen ein.

    Seit 1642 widmete er sich in Köln astronom. Beobachtungen und Messungen. 1643 erschien sein erstes Werk „Novem stellae“ und 1645 sein Hauptwerk „Oculus Enoch et Eliae“. Im selben Jahr zog S. zu dem aus der Gefangenschaft heimgekehrten Kurfürsten nach Trier, wurde erneut als dessen politischer Berater tätig und in die erbitterten Machtkämpfe um dessen Nachfolge hineingezogen. 1652, nach dem Tod Kf. Philipp Christophs v. Soetern, veranlaßten S.s Gegner einen nie abgeschlossenen Inquisitionsprozeß gegen ihn. S. floh daraufhin über Brüssel nach Paris, kehrte jedoch um 1654 wieder nach Deutschland zurück, um für den Mainzer Kurfürsten, Erzbischof Johann Philipp v. Schönborn (1605–73), ein 10 Schuh langes Fernrohr zu bauen. Daneben konnte S. bis 1655 einige ev. Fürsten, unter ihnen Pfalzgf. Christian August v. Sulzbach, zur Konversion zum Katholizismus bewegen und so seine Treue zur Kirche unter Beweis stellen. 1656 befahl der Ordensgeneral der Kapuziner S. nach Rom und ließ ihn in Bologna aus nicht geklärten Gründen in Klosterhaft nehmen. 1657 verfügte Papst Alexander VII. S.s lebenslängliche Verbannung nach Ravenna. In Italien baute S. neue optische Geräte und bildete Optiker aus. Von dort schlug er dem Mainzer Kurfürsten sogar noch den Bau der ersten europ. Sternwarte modernen Zuschnitts vor, die mit dem damals leistungsfähigsten Teleskop ausgestattet werden sollte. Dieses Vorhaben blieb unverwirklicht.

    In seinem „Oculus Enoch et Eliae“ beschreibt S. (ohne gezeichnete Darstellungen) ein Okular für das Keplersche Fernrohr sowie den Bau binokularer Teleskope („Brillenfernrohr“, später Fernglas) mit invertierten, d. h. aufrecht stehenden Abbildungen. Dort finden sich auch Abbildungen einer Linsenschleifmaschine sowie einer mit Wasser angetriebenen Uhr. Das terrestrische Fernrohr von S. besteht praktisch aus zwei hintereinander angeordneten astronomischen Fernrohren (also aus insgesamt vier konvexen Linsen). S.s Erfindungen verhalfen dem Teleskop zum Durchbruch als astronomisches Forschungsinstrument und zwar durch eine neue Poliermethode für wesentlich größere|Linsen und durch sein Okular, das lichtstärker war und einen geringeren Farbfehler aufwies; gleichzeitig wurde das Gesichtsfeld gegenüber dem Keplerschen Fernrohr größer. Beide Erfindungen sind im „Oculus“ in einem leicht zu entschlüsselnden „Secretum“ enthalten.

    Eine seit 1642 bestehende Zusammenarbeit mit dem Augsburger Johann Wiesel (1583–1662) war für S. besonders fruchtbar, da dabei für etwa zehn Jahre die weltbesten Fernrohre entstanden. Das terrestrische Fernrohr wurde v. a. in England wirtschaftlich erfolgreich vertrieben und besonders in Frankreich militärisch genutzt; dabei wurde es auch als „optischer Telegraph“ eingesetzt, indem man Texte mit sehr groß geschriebenen Buchstaben via Fernrohr weitervermittelte. Giuseppe Campani (1635–1715) und Jacques Cassini (1677–1756) gelang es dann, auf der Grundlage von S.s Erfindungen sehr große Teleskope herzustellen und zu spektakulären Entdeckungen zu nutzen. Die noch heute bei optischen Instrumenten gebräuchlichen Begriffe „Okular“ und „Objektiv“ gehen auf theoretische Ausführungen von S. zurück. 1642 baute S. erstmals eine Uhr mit helikoidischer Verzahnung (Schraubengetriebe). S. glaubte nach Galilei weitere Jupitermonde entdeckt zu haben und beschrieb zwei „Begleiter“ des Saturn. Bei letzteren handelt es sich um das Ringsystem des Saturn in einer „Querschnittsbeobachtung“; die in „Novem stellae“ erwähnten Jupitermonde sind Fixsterne im Hintergrund. 1642 beobachtete S. in Köln für die Dauer von zwei Wochen den Vorbeiflug von Asteroiden vor der Sonne. S.s „Oculus“ enthält eine von ihm gezeichnete Mondkarte mit 19 cm Durchmesser, in der erstmals um größere Mondkrater das von Meteoriteneinschlägen strahlenförmig ausgeworfene Mondgestein eingezeichnet ist.

    S. zählt mit Christoph Scheiner (1573–1650) zu den bedeutenden dt. Astronomen des 17. Jh. Er sprach sich für das Planetensystem von Tycho Brahe (1546–1601) aus, vermutlich weil ihm dies als Möglichkeit erschien, seine eigenen Forschungen unbehindert durchführen zu können. S. konnte mit verbesserten optischen Geräten auch detaillierte Beobachtungen auf der Oberfläche des Jupiters vornehmen; die heute noch üblichen Bezeichnungen „Zonen“ und „Gürtel“ gehen auf S. zurück.

  • Auszeichnungen

    Benennung d. Mondkraters „Rheita“ nach S., dto. d. Mondtals „Vallis Rheita“;
    Anton-Maria-Schyrle-Str. in Reutte (Tirol);
    – Associazione Ravennate Astrofili Rheyta (seit 1973);
    Piazzetta Anton Maria De Rheita, Ravenna (seit 2004).W Novem stellae circa Iovem visae, circa Saturnum sex, circa Martem nonnullae, 1643;
    Oculus Enoch et Eliae sive radius sidereomysticus, 1645 (möglicherweise stellt d. oberste Figur auf d. Titelkupfer S. dar).

  • Literatur

    A. van Helden, The development of compound eyepieces 1640–1670, in: Journ. for the history of astronomy 8, 1977, S. 26–37;
    A. Thewes, Oculus Enoch, Ein Btr. z. Entdeckungsgesch. d. Fernrohrs, 1983;
    ders., Das „Auge v. Mainz“, Der frühe Plan e. Observatoriums im 17. Jh., in: Sterne u. Weltraum 25, 1986, S. 16 f.;
    ders., Beziehungen Südtirols z. Entdeckungsgesch. d. Fernrohrs, in: Der Schlern 65, 1991, S. 284–95;
    R. Willach, S. de R. u. d. Verbesserung d. Linsenfernrohres, in: Sterne u. Weltraum 34, 1995, S. 102–10 u. 186–92;
    H. Siebert, Die Anfänge d. Stellarastronomie, Erste Bilder u. Berr. v. Doppelsternen nach Einf. d. Fernrohrs, ebd. 45, 2006, S. 40–49;
    F. Gàbici, Un astronomo a Ravenna nel 1600, A. M. S. de R., in: Romagna arte e storia 8, 1988, S. 59–66;
    R. Lipp, A. M. S., Priester, Astronom, Dipl., in: Museumseinblicke (Museumsver. Reutte), H. 9, 1999, S. 2 f.;
    J.-C. Bastian, S. v. R., un précurseur du télégraphe en Lorraine pendant la guerre de Trente Ans, in: Relais, éditions SAMP (Société des Amis du Musée de la Poste) 95, 2006, S. 33–35, ebd. 96, 2006, S. 8–15;
    Augsburger Stadtlex.;
    - zur Fam.: H. L. Weisgerber, Angehörige d. Tiroler Geschl. v. S. in d. Rheinlanden, in: Rhein. Vierteljahrsbll. 13, 1948, S. 207 ff.

  • Autor/in

    Wolf Böhm
  • Zitierweise

    Böhm, Wolf, "Schyrle, Anton" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 93-94 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118600141.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA