Lebensdaten
1900 – 1954
Geburtsort
Kattowitz (Oberschlesien)
Sterbeort
Visp (Kanton Wallis)
Beruf/Funktion
Jurist ; Sozialphilosoph ; Zeithistoriker
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118587293 | OGND | VIAF: 15561879
Namensvarianten
  • Neumann, Franz Leopold
  • Neumann, Franz
  • Neumann, Franz Leopold
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Neumann, Franz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587293.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Josef (1870–1912) aus Zabrze, Handwerker, Kleinhändler, zuletzt in Bromberg;
    M Gertrud Gutherz (1875-um 1940 wohl Theresienstadt) aus K.;
    1937 Inge Werner (1914–73, Herbert Marcuse, 1898–1979, Philosoph, s. NDB 16), aus Magdeburg, Historikerin, Lehrerin an e. High-School;
    2 S Thomas W. (* 1939), RA u. Künstler in Berkeley, R. Michael (* 1946), Prof. d. Philosophie an d. Trent Univ. in Peterborough (Ontario, Canada).

  • Biographie

    Nach frühen Minderheitserfahrungen im Grenzland und dem Realschulabitur in Königshütte (Dez. 1917) studierte N. Ökonomie, Philosophie und besonders Jura in Breslau und Leipzig (1918), Rostock (1919) und Frankfurt/Main (1919–21), mit einer kurzen Militärdienstunterbrechung (Herbst 1918). Nach vorzüglichem 1. und 2. Examen 1921/22 promovierte er 1923 bei dem Frankfurter Rechtsphilosophen und Strafrechtler Max Ernst Mayer (1875–1923) mit einer Arbeit über „Rechtsphilosophische Einleitung zu einer Abhandlung über das Verhältnis von Staat und Strafe“. Wesentliche Lehrer waren|ihm in Frankfurt außerdem der Rechtshistoriker und Zivilrechtler Hans Planitz (1882–1954), der Völkerrechtler Karl Strupp (1886–1940) und der Arbeitsrechtler und Rechtstheoretiker Hugo Sinzheimer (1875–1945). 1927 nahm N. bei Ernst Fraenkel (1898–1975) eine vor allem arbeitsrechtliche Anwaltstätigkeit in Berlin auf. Daneben unterrichtete er Arbeitsrecht (1928–33) und besuchte das Seminar von Carl Schmitt. Politische und rassische Verfolgung trieben N. im Mai 1933 nach London. Nach einem Promotionsstudium der politischen Wissenschaften an der „London School of Economics und Political Science“ bei Harold Laski schrieb er seine zweite Dissertation über „The Governance of the Rule of Law, An Investigation into the Relationship between the Political Theories, the Legal System and the Social Background in the Competitive Society“ (gedr. 1980 in dt. Übers. u. d. T. „Die Herrschaft des Gesetzes“, hg. v. A. Söllner). Am 25.1.1936 aus Deutschland ausgebürgert, floh er im April mit Max Horkheimers Hilfe weiter in die USA an das aus Frankfurt nach New York vertriebene „Institut für Sozialforschung“ (ISF). Wegen dessen angespannter Finanzlage übernahm er im Juli 1942 eine Stelle für analytische Arbeit bezüglich Deutschlands im neugeschaffenen Kriegsgeheimdienst der USA, zunächst im „Board of Economic Warfare“ (1942/43), dann im „Office of Strategie Services“ (1943-45/47), was ihn nach 1945 mehrfach nach Deutschland zurückführte. 1948 wurde er zunächst Visiting, 1950 Full Professor of Public Law and Government am Political Science Department der renommierten Columbia University in New York.

    Von Anfang an verband N. ungewöhnlich intensiv praktisch-politische mit forschendwissenschaftlicher Tätigkeit. Das zeigt sich in seiner Mitarbeit im Arbeiter- und Soldatenrat in Leipzig (1919), dem SPD-Eintritt ca. 1919 und der sozialistischen Studentenarbeit, in der Assistenz bei dem in Verfassungs-, Arbeitsrechts- und Gewerkschaftspolitik führenden Reformsozialisten Sinzheimer (ca. 1924–27), der Lehrtätigkeit in der Frankfurter Arbeiterbildung (Akademie der Arbeit, 1926–32), seiner arbeitsrechtlichen Anwaltstätigkeit (u. a. als Syndikus der Baugewerkschaft vor dem Reichsarbeitsgericht), der Tätigkeit im preuß. Bezirksausschuß (1929–33), als Vorsitzender der Vereinigung sozialdemokratischer Juristen, als Syndikus für die Gesamt-SPD (1932/33) und nach 1933 für die Exil-SPD in London. Auch seine administrative und forschende Arbeit am ISF nach 1936 bedeutete ebensowenig einen Rückzug in die reine Wissenschaft wie die Tätigkeit im amerik. Geheimdienst als intellektueller Kopf der Arbeitsgruppe im „Office of Strategic Services“ neben E. Fraenkel und Otto Kirchheimer (1905–65), oder die Abordnung zur Mitsichtung und -prüfung für die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse 1945. Seine wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit als o. Professor der Columbia University zeigt diese Doppelenergie ebenso wie die beratende Mitgründung (Ende 1948) der FU Berlin sowie seine Gastprofessur dort wie am späteren Otto-Suhr-Institut für politische Wissenschaft.

    Von N.s wissenschaftlicher Energie profitierten vor allem vier Forschungsfelder: (1) Die Rechts- und Sozialphilosophie einschließlich der Methodenfragen der gesamten Normwissenschaften, d. h. nach 1945 auch der politischen Theorie, (2) als konkreter Prüfstein dazu das Arbeits- und Wirtschaftsrecht sowie (3) die Grundrechts- und Verfassungstheorie und (4) zeithistorische Strukturanalysen zu „Rule of Law“ und Diktaturen. Dem entsprechen seine größeren Arbeiten: (1) die erkenntnistheoretisch-rechtsphilosophische Dissertation von 1923, (2) die zahlreichen grundsätzlichen Aufsätze zum Arbeits- und Wirtschaftsrecht vor allem bis 1933, (3) die Abhandlungen über „Die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung“ (1930) und über „Koalitionsfreiheit und Reichsverfassung“ (1932), sowie (4) die Londoner Dissertation und die berühmte Diktaturanalyse in „Behemoth, Structure and Practice of National Socialism“ (1942, ²1944, Nachdr. 1963; dt. 1977, ital., hebr., Japan.) und im späten Projekttorso „Notes on the theory of dietatorship“.

    N. beeindruckt durch analytische Wucht, Scharfsinn und Konsequenz, sprachliche Prägnanz, historisch-empirische Tiefe und normative Urteilskraft. Sein Werk wurde in den letzten Jahren verstärkt gewürdigt, doch wird er noch zu sehr als Politologe statt als Sozialphilosoph und Jurist gelesen, zu wenig in einer Linie von 1923 und Weimar her und zu sehr als Außenseiter, der er weder vor 1933 noch nach 1945 war. N. gehörte politisch zu den rechtstreuen Weimarer Mehrheitssozialisten. Sein Ziel war nicht das Kollektiv, sondern die Emanzipation der Individuen in möglichst gleicher Freiheit. Als Jurist normloyal, war er zugleich rechtspolitisch stark engagiert. Wissenschaftstheoretisch nannte er sich „kritischer Relativist“ (1923) gegen idealistische wie marxistische|Metaphysik. Positiv bezog er sich auf Max Weber, Heinrich Rickert und Emil Lask, vor allem wegen der dreifachen Perspektive auf Norm und Faktum und deren Wertbeziehung. Etiketten wie Politikwissenschaftler, Soziologe oder Marxist passen nicht, vorzuziehen ist Jurist, Sozialphilosoph und Zeitanalytiker. Wie nur wenige hat er den theoretisch und praktisch zentralen Übergangs- und Deckungsbereich von Jurisprudenz, Philosophie, Politik, Geschichte und Soziologie gefördert.|

  • Auszeichnungen

    Dr. phil. h. c. (FU Berlin, 1953).

  • Werke

    Weitere W Der Funktionswandel d. Gesetzes im Recht d. bürgerl. Ges., in: Zs. f. Sozialforsch. 6, Paris 1937, S. 542-96;
    The Democratic and the Authoritarian State, Essays in Political and Legal Theory, hg. v. H. Marcuse, 1957, erneut 1967 (dt. u. d. T.: Dem. u. autoritärer Staat, Stud. z. pol. Theorie, hg. u. eingel. v. H. Pross, 1967;
    ital. 1973);
    Wirtsch., Staat, Demokratie, Aufss. v. 1930-1954, hg. v. A. Söllner, 1978. – W-Verz.: W. Luthardt, in: Recht, Demokratie u. Kapitalismus, Aktualität u. Probleme d. Theorie F. L. N.s, 1984, S. 217-27;
    erg. u. mit L-Verz.: J. Rückert, F. L. N. (1900-1954), Ein Jurist mit Prinzipien, in: Der Einfluß dt. Emigranten auf d. Rechtsentwicklung in d. USA u. in Dtld., hg. v. M. Lutter, E. C. Stiefel, M. H. Hoeflich, 1993, S. 437-74;
    wiederum erg.: P. Intelmann, F. L. N., Chancen u. Dilemma d. pol. Reformismus (Diss. Oldenburg 1994), 1996, S. 299-303 (fehlerhaft).

  • Literatur

    J. F. Tent, FU Berlin 1948-1988, 1988, S. 221 ff., 253 ff.;
    E. C. Stiefel u. F. Mecklenburg, Dt. Juristen im amerik. Exil (1933–1950), 1991, S. 107-09;
    A. Fisahn, Eine krit. Theorie d. Rechts, Zur Diskussion d. Staats- u. Rechtstheorie v. F. L. N., (Diss. iur. Göttingen 1992) 1993;
    J. Bast, Totalitärer Pluralismus, Zu F. L. N.s Analysen d. pol. u. rechtl. Struktur d. NS-Herrschaft, gesellschaftswiss. Dipl.arbeit Univ. Frankfurt/M. 1996 (Druck in: Btrr. z. Rechtsgesch. d. 20. Jh., 1998);
    BHdE II.

  • Porträts

    Reform u. Resignation, Gespräche üb. F. L. N., hg. v. R. Erd, 1985;
    U. K. Preuß, in: Streitbare Juristen, Eine andere Tradition, hg. v. d. Red. Krit. Justiz 1988, S. 391.

  • Autor/in

    Joachim Rückert
  • Zitierweise

    Rückert, Joachim, "Neumann, Franz" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 145-147 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587293.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA