Lebensdaten
1732 – 1806
Geburtsort
Spantekow bei Anklam (Pommern)
Sterbeort
Dresden
Beruf/Funktion
Sprachforscher ; Historiker ; Bibliothekar ; Lexikograph ; Grammatiker
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118500651 | OGND | VIAF: 19719128
Namensvarianten
  • Adelung, Johann Christoph
  • Adelung
  • Adelung, J. C.
  • mehr

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Zitierweise

Adelung, Johann Christoph, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118500651.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann Paul Adelung (1703–59), Pfarrer in Spantekow und Boldekow (Pommern);
    M Regina Sophia (1702–1782), T des Joachim Loeper (1668–1741), Pfarrer in Daberkow, und der Pfarrerstochter Sophia Juliana Rethe (1681–1738);
    Gvv Johann Paulus Adelung (1675–1705), Pfarrer in Schwanebeck (Mark);
    Gmv Margaretha, verwitwete Fritsche, T des Hofpredigers Wilhelm Barthold in Mömpelgard;
    B Paulus Adelung (1736–85), preußischer Oberfeldapotheker in Stettin; ledig;
    N Friedrich Georg von Adelung (s. 1).

  • Biographie

    A. war eigenwillig, zu Vielem begabt, von unendlichem und rastlosem Fleiß und nimmermüder Sammeltätigkeit auf allen Gebieten, die in Leben oder Beruf in sein Blickfeld traten, ein Gelehrter, aber kein eigentlich schöpferischer Geist oder Forscher, jahrzehntelang in wirtschaftlich bedrängter Lage, eine Zeitlang Korrektor, in freier schriftstellerischer und publizistischer Tätigkeit, mit dem sicheren Blick auf das „Zeitgemäße“, endlich in angesehener staatlicher Stellung - und doch schon zu seinen Lebzeiten trotz allen Ehrungen und Anerkennungen von den wissenschaftlichen und allgemeinbewegenden Erkenntnissen überholt. - Sein Leben verlief nach dem Besuch der Stadtschule zu Anklam und Klosterbergen bei Magdeburg zunächst in den üblichen Bahnen des Studiums der Theologie (unter S. J. Baumgarten) an der Universität Halle (1752–57/58), wohl auch des Hofmeisters und Schulmannes (1759 in Erfurt am Gymnasium), dann eines herzoglichen Bibliothekars zu Gotha. Die entscheidende Wendung brachten der Aufenthalt in Leipzig, wo er dem Verleger Breitkopf nahetrat, und einige Jahre später die Berufung als Hofrat und Oberbibliothekar an die Kurfürstliche Bibliothek zu Dresden (1787), wo er sich erfolgreich um Katalog und Vermehrung der Bücherbestände bemühte, dabei in seinem eigenen Bereich von Veröffentlichung zu Veröffentlichung fortschritt, an alten und neuen Verpflichtungen arbeitend, unentwegt bis zu seinem Tod. Aus der überreichen Zahl seiner Veröffentlichungen heben sich einige Bereiche heraus: Übersetzung und Zeitbedingtes, und bedeutsamer noch heute: Sprache und Geschichte. - Die Not des Lebens und doch auch eine gewisse Veranlagung ließen A. schon früh der Übersetzertätigkeit aus den Neueren Sprachen und rascher Veröffentlichung der Zeitgeschichte, fast wahllos, sich zuwenden, die über vielfältige Rezensententätigkeit und viele Umwege in Leipzig zur Schriftleitung der „Leipziger Zeitungen“ (1769-87) führten. A.s Bemühungen um die deutsche Sprache|gipfeln im Wörterbuch, das ihm der Verleger Breitkopf antrug. Im Wörterbuch, das er nach seinen eigenen Plänen gestaltete und in dem er die Anordnung des einzelnen Stichworts sorgsam gliederte, in der Darstellung des Wortgutes, dessen Aufbau mit seinen Vorstellungen von der Entwicklung der Kultur übereinstimmt, in den ausgewählten Beispielen, hat er sich zwei Aufgaben gestellt: er unternimmt es, zu historischer Sprachbetrachtung ein wissenschaftliches Wörterbuch zu schaffen, die Etymologie (nach J. G. Wachter, J. L. Frisch und F. K. Fulda) und vor allem die Bedeutung und den Anwendungsbereich des Wortes darzulegen. Zugleich will er, wie auch in seinen grammatischen Schriften, richtige Sprache und damit richtigen Stil lehren. Er verteidigt die Einheit der Schriftsprache. Das Meißnische Deutsch, das Obersächsische seiner Zeit wird über alle volkssprachliche und mundartliche Prägung deutscher Landschaften hinaus zum Muster der schriftsprachlichen Form erhoben, damit als bleibend festgelegt. Und dann gilt ihm die literarische Zeitspanne von 1740-60 - vorab Gellert - als Höhepunkt des deutschen Schönen Schrifttums, der erhalten werden soll. So wurde A. - am Ausgang eines Zeitalters, in dem Gottsched unbedingt herrschte, dem er auch in vielem gleicht - mit seinen regelnden Absichten ein starrer Verfechter einer bestimmten Sprach- und Literaturform. - Und hier mußte er am ehesten und zwangsläufig überwunden werden von einem jüngeren und voranstürmenden Geschlecht, das den unbeugsamen Regeln der Grammatik, der unbedingten Herrschaft der Hochsprache einer Landschaft und einem darin festgelegten Wortbestand absagte, das eifrig war, Wortgut aus älteren Sprachstufen und aus den Mundarten wieder literaturfähig werden zu lassen. Aber auch die Bedächtigen lehnten ihn ab.

    Das Wörterbuch begleiten eine Reihe von Veröffentlichungen, die Sprache, Grammatik und Stil behandeln, die ausdrücklich der Schule und dem Leben dienen sollen und z. T. in mehreren Auflagen oder auch in eigenen „Auszügen“ bis ins 2. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts weithin über die Grenzen Sachsens und Preußens wirkten; etwa „Deutsche Sprachlehre“ (1781, ⁶1816), „Über den deutschen Stil“ (1785), „Umständliches Lehrgebäude“ (s. u.), „Grundsätze der deutschen Orthographie“ (1782) und „Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie“ (1788). - Für A.s Stellung zur Sprache in ihrer Gesamtheit und in ihren Einzelerscheinungen hat sein „Magazin für die deutsche Sprache“ (2 Bände, 1783–84) Bedeutung erhalten, zu dem er fast alle Beiträge selber beisteuerte. Vom Wörterbuchgedanken aus mußte Adelung notwendigerweis aufs nah verwandte Englische gelangen (Ergänzung und Erweiterung von Samuel Johnsons Englischem Wörterbuch, 1783–96), weitergreifend den Nordischen Literaturen und auch dem Mittellateinischen (Glossarium manuale ad scriptores mediae et infimae latinitatis 1772-84) sich zuwenden, wie auch in einer besonderen Schrift, die sich bezeichnenderweis im Titel an Herders Untersuchung anlehnt, dem „Ursprung der Sprache und dem Bau der Wörter“ (1781) nachgehen. Im gleichen Jahr erschien noch die Abhandlung „Über die Geschichte der deutschen Sprache, über Mundarten und deutsche Sprachlehre“ - vollständig unter dem Titel „Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache“ (1782) -, 1806 endlich die „Älteste Geschichte der Deutschen, ihre Sprache und Literatur bis zur Völkerwanderung“.

    M. H. Jellinek hat A. einen „Markstein in der Geschichte der deutschen Grammatik“ genannt. Sorgsam gewertet wird man A. besser ansehen als den am Ende eines Zeitabschnitts Vielbemühten, der „die durchaus nicht leichte Aufgabe des Zusammenfassens im ganzen gut gelöst hat“ und „das richtige Gefühl für das, was der Zeit not tat“, besaß.

    Folgerichtig ergab sich ihm die allgemeine Sprachforschung, die Sprachvergleichung, die er in seinem letzten größeren Werk „Mithridates“ freilich unwissenschaftlich genug trieb. A. starb während des Druckes des zweiten Bandes. Johann Severin Vater vollendete das Werk, zu dem vor allem W. von Humboldt bedeutende Beiträge lieferte. Die Mundartforschung des 19. Jahrhunderts (z. B. Franz Joseph Stalder) hat den fruchtbaren Gedanken einer einheitlichen Sprachprobe gern aufgegriffen. - Auch seine Bemühungen um die ältere deutsche Literatur, ums Mittelhochdeutsche - etwa gleichzeitig mit Ch. H. Myller, J. J. Eschenburg, G. Casparson, G. Schütze und mit seinem Neffen Friedrich A. - dürfen noch erwähnt werden: das „Chronologische Verzeichnis der Dichter aus dem Schwäbischen Zeitpunkte“ (1784), „Jacob Püterich von Reicherzhausen“ (1788), die Vorrede zu F. A.s „Althochdeutschen Gedichten in Rom“ (1799), Abschriften mittelhochdeutscher Dichtungen u. a. m. Aber A.s Anteil an alledem galt nur dem rein Sprachlichen. Den dichterischen Wert dieses Schrifttums ahnte er nicht einmal, oder er lehnte ihn hart ab.

    Den geschichtlichen Hilfswissenschaften war A. vertraut durch seine Übersetzung des „Nouveau Traité de Diplomatique“ von Tassin und Toustin unter dem Titel „Neues|Lehrgebäude der Diplomatik“ (1759 ff.), die ihn wieder auf die Bedeutung des Quellenstudiums weisen ließ. Hier mag auch sein Beitrag zur Gelehrtengeschichte, die Fortsetzung und Ergänzung des „Allgemeinen Gelehrtenlexikons“ Ch. G. Jöchers (1784–87) aufgeführt werden. Mit starker Kraft bereitete er in mehreren Veröffentlichungen im Sinne seiner Zeit der kulturgeschichtlichen Forschung den Weg, z. B. „Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten“ (1778-81), „Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts“ (1782).

    Viele und langgehegte Pläne A.s blieben unvollendet - Sammlungen und Vorarbeiten dazu sind mit seinem übrigen handschriftlichen Nachlaß in die Sächsische Landesbibliothek, einiges Wenige nur in die Staatsbibliothek Berlin gekommen. Genannt seien eine Geschichte Chursachsens, wozu ihm sein Amt - die Kurfürstliche Bibliothek zu Dresden - die besten Unterlagen hergab, und eine Geschichte der Landkarten Deutschlands, zu der als Vorarbeit gelten darf das „Kritische Verzeichnis der Landkarten der Chursächsischen Lande“ (1796).

  • Werke

    Weitere W Versuch eines vollst. grammat.-krit. Wörterbuches d. hochdt. Mundart mit beständiger Vergleichung d. oberdt., 5 Bde., Leipzig 1774 bis 1786 (ohne Vf., A. nennt sich am Schluß d. Vorrede), 2. Aufl. unter d. Titel Grammat.-krit. Wörterbuch d. hochdt. Mundart …, 4 Bde., ebenda 1793-1801 (daraus wieder Auszug …, 1793 bis 1801), Neudruck 4 Bde., 1808 (mit D. W. Soltaus „Beyträgen z. Berichtigung d. A.schen grammat.-krit. Wörterbuchs“);
    vgl. z. Wörterbuch J. Grimms Urteil im Dt. Wörterbuch I, 1854, Sp. XXII ff.;
    Mithridates od. allg. Sprachenkde. mit dem Vater Unser als Sprachenprobe in beinahe 500 Sprachen u. Mundarten, Bd. 1, 1806;
    vollst. Verz. bei K. E. Sickel (s. L).

  • Literatur

    ADB I;
    R. v. Raumer, Gesch. d. german. Philol., 1870, S. 210-41;
    M. Müller, Üb. A.s Wörterbuch, Ein Btr. z. Gesch. d. neuhochdt. Schriftsprache, Diss. Berlin 1900;
    ders., Wortkritik u. Sprachbereicherung in A.s Wörterbuch, 1903;
    M. H. Jellinek, Gesch. d. neuhochdt. Grammatik I, 1913, S. 329 ff.;
    O. Basler, P. Placidus Amon, in: Germanica, Festschr. f. E. Sievers, 1925, S. 1 ff.;
    K. E. Sickel, J. Ch. A., Seine Persönlichkeit u. seine Gesch.auffassung, 1933 (W);
    K. Gassen, in: Pommersche Lb. III, 1939, S. 114-28 (P).

  • Porträts

    Ölgem. v. A. Graff; Stich v. Geyser;
    F. Behrend, Gesch. d. dt. Philol. in Bildern, 1927, S. 4.

  • Autor/in

    Otto Basler
  • Zitierweise

    Basler, Otto, "Adelung, Johann Christoph" in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 63-65 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118500651.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Adelung: Johann Christoph A., Lexikograph und Grammatiker, Predigersohn aus Spantekow (Pommern), geb. 8. Aug. 1732, besuchte die Gymnasien zu Anklam und Klosterbergen und die Universität Halle, war 1759—61 Professor am evangelischen Gymnasium zu Erfurt, privatisirte seit 1763 zu Leipzig, bis er 1787 zum Oberbibliothekar in Dresden ernannt wurde, 10. Sept. 1806. Schon 1757 begann er eine litterarische Thätigkeit der vielseitigsten Art, die er mehr als 20 Jahre lang fortsetzte und die sich stellenweise bis zu bedenklicher Höhe steigerte. Jeder Gegenstand war ihm recht, für den er sich günstigen Markt versprechen durfte. Eine Reihe von Publicationen folgen der Zeitgeschichte von 1740 bis zum baierischen Erbfolgekriege auf dem Fuße nach und richten die Ereignisse gleich fürs große Publicum her; trockene Thatsachenhäufung, durch den seichtesten Pragmatismus verbunden; Sammelwerke der Staatsacten, politische Briefe etc. traten ergänzend hinzu. Seine Uebersetzerthätigkeit war massenhaft und erstreckte sich auf alle Gebiete des menschlichen Wissens, auf Diplomatik so gut wie auf Metallurgie, auf die Werke des Philosophen von Sanssouci so gut wie auf englische und französische Geschichtsbücher. Als Journalist war er nicht minder universell: er schrieb mehrere Jahre hindurch die Leipziger politische Zeitung und das damit verbundene Allerlei; er gab mineralogische Belustigungen, ja ein militärisches Taschenbuch heraus; er ist der Begründer des Weiße’schen Kinderfreunds, und noch 1785—86 dirigirte er die Leipziger Gelehrte Zeitung. Selbst litterarische Handlangerdienste, wie das allgemeine Verzeichniß neuer Bücher zusammenzustellen, verschmähte er nicht. Er bearbeitete eine Geschichte der Philosophie (und Mathematik) für Liebhaber, und unter dem picanten Titel einer Geschichte der menschlichen Narrheit hat er Männer und Frauen verunglimpft, welche zu den edelsten Erscheinungen der Menschheit gehören: es sollte dem geschmackvollen und aufgeklärten Weltmanne der 80er Jahre schmeicheln, auf jene „Schwärmer“ vornehm herabblicken zu können. A. besaß den Instinct für das Zeitgemäße und einen ordnenden Verstand, der leicht und sicher wie eine Maschine wirkte und sich nirgends gehindert sah, weder durch Tiefsinn, noch durch die Phantasie. Er besaß eine ausgebreitete Bücherkenntniß und ein entschiedenes Talent zu generalisiren und zu simplificiren. Als eigentlicher Gelehrter kann er nur in mittelalterlicher Latinität (Zusätze zu seinem Compendium des Ducange, Glossarium manuale, 1772—84), in Gelehrtengeschichte (Fortsetzung des Jöcher 1784—87) und auf dem Gebiete der Sprache gelten. Ueberall aber ist er mehr Sammler und Ordner, als Forscher. Lehrbücher abzufassen war er höchst geeignet. Seine „Unterwersung in den vornehmsten Künsten und Wissenschaften" (1771) war für die niederen Schulen bestimmt und erlebte mehrere Auflagen; daraus entwickelte sich sein „Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten" (1778—81) für Realschulen, und dieser lief in eine „Geschichte der Cultur“ aus, welche etwas erweitert 1782 auch selbständig erschien. Diesen Titel, den Namen also der Culturgeschichte, scheint er eingeführt zu haben anstatt des bis dahin üblichen „Geschichte der Menschheit“. Die Form solcher Betrachtungen war durch Voltaire, die Methode hauptsächlich durch Montesquieu, in Deutschland durch Winckelmann in Schwung gekommen: A. faßt nur zusammen und formulirt. Aber er verlangt, die Culturgeschichte solle den Grund nicht blos der Universalgeschichte, sondern auch der Gelehrten- und Religionsgeschichte ausmachen, und das Buch gibt ihm seine eigenthümliche Stellung innerhalb der deutschen Aufklärung. Weit mehr thut dies freilich noch sein „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart" 1774 bis 86. Daran schlossen sich grammatische Werke „Deutsche Sprachlehre für Schulen, zunächst für die preußischen", 1781 (Auszug daraus, 1781), „Umständliches Lehrgebäude" (1782) und eine „Stylistik“ (1785—86); das „Magazin für die deutsche Sprache“ (1783—84) ging als rechtfertigende und erläuternde Zeitschrift nebenher. Mit diesen Leistungen erhob sich A. endlich über sein bisheriges Litteratenthum, ja er vertiefte sich in seiner Weise von dem festen Halt aus, den er nun ergriffen: der Plan einer Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur wurde gefaßt, das Studium der altdeutschen Dichter lebhafter betrieben ("Chronol. Verzeichniß der schwäb. Dichter“ 1784, „Püterich von Reicherzhausen“ 1788) und alle Sprachen der Erde in den Kreis seiner gelehrten Thätigkeit gezogen Da bestimmten ihn in Dresden, wer weiß welche Rücksichten, sich auf sächsische Geschichte zu werfen und riesenhafte Materialien für ein Unternehmen aufzuhäufen, von welchem dann doch nur einzelne Bruchstücke zu Tage kamen. Daneben erhielt nur die zweite Auflage des Wörterbuchs (1793—1801) wesentliche Bereicherung und Verbesserung, und in seinem Todesjahre erschienen die ersten Anfänge jener Sprach- und Litteraturgeschichte als „Aelteste Geschichte der Deutschen“, jener allgemeinen Sprachkunde als „Mithridates“ Bd. 1, die asiatischen Sprachen umfassend. Mit Benutzung des hinterlassenen Stoffes und unter Betheiligung Wilhelm v. Humboldt's und Friedrich Adelung's ließ Vater die europäischen, afrikanischen und amerikanischen Sprachen folgen. Wie wenig auch für eine wissenschaftliche Zergliederung gethan war, das Werk hat Segen gestiftet, wäre es auch nur durch den Gebrauch, den Humboldt davon machen konnte, und ist noch durch kein ähnliches ersetzt. — Adelung's sprachliche Arbeiten haben eine theoretische und eine praktische Seite. In jener Hinsicht strebt er die höchsten Forderungen der damaligen Wissenschaft zu erfüllen; in dieser bemüht er sich um das Richtige, um die richtige Sprache, um den richtigen Stil. Er will dabei nicht Gesetzgeber sein, aber er läßt sich das Gesetz von der hochdeutschen, d. h. für ihn von der obersächsischen Mundart dictiren. Er versichert zwar 1781 einmal, er sei weder der Geburt noch der Verbindung nach ein Kursachse, sondern ein freier Weltbürger, und blos die deutlich erkannte Wahrheit leite ihn. Aber in der That war es die Beschränktheit seines moralischen und ästhetischen Standpunkts, welche ihn leitete. Gellert stand ihm höher als Klopstock und Goethe. Gellert war ganz eigentlich sein Classiker. Die Sprache, den Stil, den Geschmack des Gellertschen Zeitalters wollte er schützen gegen die Neuerer, wie Voltaire die Sprache des Siècle de Louis XIV. gegen Rousseau und seinesgleichen. Adelung's Theorie der Cultur, sowie die Analogie auswärtiger Schriftsprachen schienen ihm Recht zu geben. In Griechenland, im alten wie im neuen Italien, in Frankreich, in der altdeutschen Zeit, überall habe sich die Mundart der cultivirtesten Provinz zur Schriftsprache erhoben. Was aber ist Cultur? Auf den ursprünglichen sinnlichen Menschen wirkt nur die dunkle Empfindung des Bedürfnisses. Dies entsteht durch Volksmenge im beschränkten Raum, durch engeres sociales Leben. Cultur und Bevölkerung wachsen mit einander vom kleinsten denkbaren Anfang an in geometrischer Progression. Die wachsende Bevölkerung verlangt immer intensivere Wirthschaft, nach der Reihe entstehen Jäger- und Hirtenleben, Ackerbau, Handel, Gewerbe: Wohlstand, Bequemlichkeit und Ueberfluß erzeugen erst die Poesie, dann die bildende Kunst, endlich die Wissenschaft. Der Staat wird blühend, aber nun reißt auch Luxus ein und mit ihm kommt Verderben der Sitten, Ueppigkeit, Krankheiten, kurz der Verfall. In Deutschland war die Zeit der schwäbischen Dichter eine solche Blütheperiode, und von der Reformation ab stellen sich die Bedingungen der Cultur in Obersachsen ein, der obersächsische Dialekt wird Schriftsprache, Gellert und seine Genossen bezeichnen einen neuen Höhepunkt, jetzt aber werden Symptome des Verfalls bereits sichtbar. A. wünscht ihn aufzuhalten, auch er ist gegen Rousseau, gegen die Physiognomik, gegen die Nachbildung antiker Metren, gegen die Ueberschätzung des bloßen Genies, ebenso aber gegen allzu große Aufklärung des Volkes und in aller Zahmheit auch ein wenig gegen den Staat Friedrichs des Großen. Er ist für positive Religion, aber nicht für das officielle sächsische Lutherthum. Er ist ein gemäßigter Conservativer in Politik, Religion, Litteratur und Sprache. Adelung's Wörterbuch hat durchaus die Aufgabe, welche sich alle Wörterbücher aller europäischen Nationen früher stellten: es soll eine Codification sein. Die Sprache der guten Schriftsteller soll sich bequem überschauen lassen; nichts veraltetes, nichts provinzielles soll darin vorkommen, außer|höchstens mit beigefügter Warnung. Bei jedem Wort erfahren wir Aussprache, Orthographie, Flexion, Construction und Gebrauch, namentlich die Stilart, der es entspricht. Bestimmte Angabe des Begriffes und der verschiedenen Bedeutungen sorgt für die Verbreitung klarer und deutlicher Begriffe, dieses wichtigste Requisit der Aufklärung. Ein mäßiger verständiger Purismus wacht über der Reinheit des nationalen Idioms. Die Etymologie sucht, anknüpfend an Wachter, Frisch, hauptsächlich aber an Fulda, unter Herbeiziehung der übrigen germanischen Sprachen das wissenschaftliche Interesse am Wort zu befriedigen. Es war ein den Zeitgenossen geläufiges Compliment, A. habe als einzelner Mann geleistet, was sonst nur ganzen Akademien gelungen sei. Oder erinnerte man sich an Samuel Johnson's ähnliche Verdienste um das Englische, so glaubte man dem Landsmanne in wesentlichen Punkten den Preis ertheilen zu dürfen. Die etymologischen Versuche leiten zu Adelung's Grammatik über: sie ist ganz durchsetzt von der Ansicht über den Ursprung und die Entwickelung der Sprache, welche er mit leichter Modification aus Herder entnahm und mit seiner Culturtheorie in Einklang brachte. Sprache und Erkenntniß sind gleichen Schritt gegangen, vom Dunklen zum Klaren. In der sinnlichen Epoche der Menschheit ist die Sprache entstanden, aus dem sinnlichen Zustand der Seele muß man die Erklärung für ihre ursprünglichsten Erscheinungen suchen. A. führt alle deutschen Wörter unmittelbar auf den Anfang zurück, auf jene Nachahmung natürlicher Schälle, jene Abbilder der tönenden Natur, welche er neben den Empfindungslauten für die Grundlage aller Sprachen hält. Er glaubt das Fundament der Etymologie als Wissenschaft gelegt zu haben. Die Consonanten, deren Bedeutung er charakterisirt, sind der wesentlichste Theil jedes Wortes, die Vocale, welche von u bis i eine Art natürlicher Tonleiter bilden, drücken nur Höhe und Tiefe aus. Die ältesten Redetheile sind Interjection und Adverbium, die älteste Epoche kennt nur unverbundene einsilbige Wurzelwörter. Aus dunkler Empfindung der Arten der Begriffe, der Kategorien des Dinges, des Handelns etc. entsteht Flexion und Ableitung. In der Lehre von den Redetheilen hatte ihm Meiner (Philos. Sprachlehre, 1781) vorgearbeitet, ebenso in der trefflichen Satzlehre. A. will die deutsche Sprache rein aus sich, unabhängig von der lateinischen Grammatik darstellen, aber es begegnet ihm infolge dessen, daß er z. B. das flexionslose Adjectiv als Adverbium ansieht. Er erhebt die Forderung historischer Sprachbetrachtung, aber ohne zu ahnen, was darin liegt. Die Anerkennung der Grammatik als einer selbständigen, von philosophischem Geiste getragenen Wissenschaft war das große Ziel, das ihm vorschwebte. Ebenso consequent stellt er ferner die Lehre vom Stil als ein wissenschaftliches Ganzes auf. Auch hier geht er überall auf die „ersten Gründe“ zurück, und psychologische Gesichtspunkte werden geschickt verwerthet, die Redefiguren z. B. eingetheilt nach den verschiedenen Seelenkräften auf die sie wirken. Vor allem aber sucht er auch hier für seine geliebten Obersachsen zu wirken und die Neuerer herabzudrücken, deren Vorzug nur in der größeren Lebhaftigkeit des Stils bestehe. Das Sächsische war entschieden seine Achillesferse. Die Begünstigung der Obersachsen brachte ihn auch mit denjenigen in Zwiespalt, welche sonst in einer Linie mit ihm standen oder seine Verdienste laut anerkannten, mit den Berlinern und mit Wieland. Später (1804) griff ihn Voß auf das heftigste an. Kein geringerer aber als Jacob Grimm hat dies eine Ungerechtigkeit genannt und die treue und fruchtbare Arbeit des Mannes in Schutz genommen. Doch war es gerade Jacob Grimm, der wie Lavoisier alle seine Vorgänger so sehr verdunkelte, daß sie nur mehr als schattenhafte Namen fortleben. Pflicht der Geschichte ist es, A. nicht an seinem großen Nachfolger, sondern an seinen eigenen Vorgängern zu messen. Und dann blüht auch für ihn ein bescheidener, aber unverwelklicher Lorber. An consequenter lichtvoller Durchbildung seiner Ansichten aus einem großen anthropologischen Zusammenhange heraus ist ihm noch niemand gleich gekommen; und Gesetze für die Praxis zu finden, haben wir allzu sehr verlernt. Es war nur in der Ordnung, daß Adelung's Lehre die Schulen von ganz Deutschland eine Zeit lang beherrschte.

    • Literatur

      Meusel, Gel. T. Jördens I. 13. V. 70. VI. 537. Ebert bei Ersch und Gruber I. 404. Raumer, Unterr. 69. Gesch. 210.

  • Autor/in

    Scherer.
  • Zitierweise

    Scherer, Wilhelm, "Adelung, Johann Christoph" in: Allgemeine Deutsche Biographie 1 (1875), S. 80-84 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118500651.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA