Lebensdaten
1904/05 – 1979
Geburtsort
Grusche (Gouvernement Kowno, Russland, heute Litauen)
Sterbeort
Maracaibo (Venezuela)
Beruf/Funktion
Betrüger ; Schriftsteller ; Schauspieler ; Kinobesitzer ; Zeichenlehrer ; Lehrer ; Soldat ; Hochstapler ; Landstreicher
Konfession
4.·Oktober 1979
Normdaten
GND: 118526618 | OGND | VIAF: 74644129
Namensvarianten
  • Prinz Lieven
  • Baron von Korff
  • Victor Zsajka
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Domela, Harry (lettisch: Domela, Harijs), Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118526618.html [25.04.2024].

CC0

  • Harry Domela publizierte mit seinem autobiografischen Werk „Der falsche Prinz“ 1927 einen Bestseller und trat im selben Jahr als Hauptdarsteller eines Kinofilms auf, der seine eigene Geschichte zum Gegenstand hatte: Domela hatte sich in den Jahren zuvor als angeblicher Prinz in die „bessere Gesellschaft“ Mitteldeutschlands eingeschlichen und war aufgrund dieser Betrügereien inhaftiert worden. Die Medialisierung dieser Ereignisse machte ihn für kurze Zeit zu einer öffentlich weithin bekannten Person.

    Lebensdaten

    Geboren am 1904/05 in Grusche (Gouvernement Kowno, Russland, heute Litauen)
    Gestorben am 4. Oktober 1979 in Maracaibo (Venezuela)
  • Lebenslauf

    1904/05 - Grusche (Gouvernement Kowno, Russland, heute Litauen)

    Frühjahr 1919 - Baltikum

    Freikorpskämpfer

    Freikorps Brandis

    22.5.1919 - Riga (Lettland)

    Teilnahme am Sturm auf Riga; später Abschiebung nach Deutschland

    März 1920

    Teilnahme an der Niederschlagung des Ruhr-Aufstands durch Freikorps

    Januar 1927 - Köln

    Festnahme; Inhaftierung wegen Betrugsdelikten

    Sommer 1927 - Köln

    Prozess wegen Betrugs; Verurteilung zu Gefängnishaft

    Erweitertes Schöffengericht

    1928 - 1929 - Berlin

    Kinobesitzer

    1936 - Spanien

    Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg

    Fünftes Regiment

    22.4.1942 - Veracruz (Mexiko)

    Übersiedlung

    Sommer 1954 - Frühjahr 1961 - Maracaibo (Venezuela)

    Kunsterziehungs- und Zeichenlehrer

    Universität

    1960er Jahre - Mitte der 1970er Jahre - Venezuela

    Lehrer

    verschiedene Schulen

    4. Oktober 1979 - Maracaibo (Venezuela)
  • Genealogie

    Vater N. N. Domela Müller
    Mutter N. N. Hausfrau
    Brüder mehrere ältere Brüder zeitweise Soldaten im Ersten Weltkrieg
    Schwester angeblich eine Schwester
    Heirat keine
    Kinder keine
    Diese Grafik wurde automatisch erzeugt und bietet nur einen Ausschnitt der Angaben zur Genealogie.

    Domela, Harry (lettisch: Domela, Harijs) (1904/05 – 1979)

    • Vater

      Domela

      Müller

    • Mutter

      Hausfrau

    • Schwester

    • Heirat

  • Biografie

    Vieles an Domelas Lebensweg liegt im Dunkeln, so etwa sein Geburtsjahr. Domela wuchs in Livland als jüngster Sohn einer deutschen Familie auf. Infolge des Ersten Weltkriegs verlor er über längere Zeit den Kontakt zu seinen Angehörigen, lebte zeitweise in einem Waisenhaus und schloss sich im Frühjahr 1919 der baltischen Landeswehr an. Mit dem Freikorps Brandis nahm er am 22. Mai 1919 am Sturm auf Riga (Lettland) teil und wurde nach dem Ende der Kämpfe nach Deutschland abgeschoben, wo er sich an der Niederschlagung des Ruhraufstands durch Freikorpseinheiten beteiligte. Nachdem sich eine Übernahme in die Reichswehr als unmöglich erwies, begann ein unstetes Vagabundenleben mit wiederholter Obdachlosigkeit. Domela finanzierte sein Leben durch Gelegenheitsarbeiten, Diebstähle und Betrügereien.

    Mitte der 1920er Jahre begann Domela, sich als Prinz verschiedener Adelshäuser auszugeben. 1926 stellte er sich in Heidelberg als „Prinz Lieven“, kurz darauf in Weimar und Gotha als „Baron von Korff“ vor. Durch sein Auftreten beeindruckte er lokale Honoratioren und lebte kostenlos in Hotels, zumal er seiner Umgebung suggerierte, er sei eigentlich der Enkel Kaiser Wilhelms II. (1859–1941). Als der Betrug aufflog, flüchtete Domela in das Rheinland, um sich der Fremdenlegion anzuschließen, wurde aber Anfang Januar 1927 in Köln verhaftet.

    Der im Sommer stattfindende Gerichtsprozesses fand großes Interesse in der Presse, die breit über Domelas Streiche berichtete. Für kurze Zeit avancierte er zu einem der ersten Medienstars. Vor allem die linke und demokratische Presse eignete sich den Fall an, um monarchistische und anti-republikanische Einstellungen bloßzustellen, die als gesellschaftliche Voraussetzungen für Domelas Betrügereien galten. Da die meisten Geschädigten auf eine Aussage im Prozess verzichteten, wurde Domela nur zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt (auf die sechs Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden).

    Domelas Kölner Rechtanwalt Friedrich von der Heyden (geb. 1886) hielt dessen Geschichte in einem Buch fest, das er Ende Juni 1927 dem Berliner Malik-Verlag übergab. Das nach Ansicht von Domela nicht authentische Manuskript wurde von ihm, Verlagschef Wieland Herzfelde (1896–1988) und Verlagsmitarbeiterin Maria Osten (1908–1942) so überarbeitet, dass aus dem unpolitischen Text ein Buch mit republikanisch-linker Perspektive wurde, das unter Domelas Namen mit dem Titel „ Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer von Harry Domela“ innerhalb eines Jahres zum Bestseller avancierte. Noch im selben Jahr spielte Domela sich selbst in der Verfilmung seines Buchs als Stummfilm unter der Regie von Heinz Paul (1893–1983).

    Von den Erlösen erwarb Domela ein Kino in der Rostocker Straße in Berlin, in dem er seinen eigenen Film zeigte, ohne dauerhaften finanziellen Erfolg zu erzielen. In der Folgezeit bewegte er sich in einem Netzwerk aus linksdemokratischen Künstlern und Journalisten, die ihm wohl gelegentlich finanziell aushalfen. Domela publizierte weitere kleinere literarische Arbeiten und Zeichnungen, u. a. in der Homosexuellenzeitschrift „Der Eigene“, verschwand aber bald wieder aus dem Licht der breiteren Öffentlichkeit und lebte seit 1933 unter falschem Namen in Wien, Paris, den Niederlanden.

    Im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte Domela mit Ludwig Renn (1889–1979) von 1936 bis 1939 auf Seiten der Internationalen Brigaden und floh nach dem Sieg des Franquismus über Aufenthalte in Luxemburg, Belgien und Frankreich in das südamerikanische Exil, wo er unter falschem Namen (Zsajka) als Kunstlehrer lebte und die Öffentlichkeit mied. Sein abenteuerliches Leben erfuhr durch Übersetzungen, mehrere Neuausgaben seines Buchs und weitere filmische Adaptionen eine anhaltende Aufmerksamkeit und Literarisierung über Ost- und West-Deutschland hinaus.

  • Auszeichnungen

  • Quellen

    Harry Domela Collection, in: International Institute of Social History, Amsterdam. (Onlineressource)

  • Werke

    Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer von Harry Domela. Im Gefängnis zu Köln von ihm selbst geschrieben Januar bis Juni 1927, 1927 (P), Neuausg. u. d. T. Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer. Mit einem Nachw. v. Wieland Herzfelde, 1979, Neuausg. u. d. T. Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer, 1983, Neuausg. u. d. T. Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer von Harry Domela, hg. v. Stephan Porombka, 2000, Neuausg. u. d. T. Der falsche Prinz, 2012, franz. 1929.

    Aufsätze, Essay und Erzählungen:

    Domela erzählt Neues, in: Die Weltbühne, 24. Jg., Nr. 50 v. 11.12.1928, S. 892 f.

    Einen Monat Kinobesitzer, in: Der Querschnitt, 9. Jg., H. 11 v. Ende November 1929, S. 771 f.

    Das Lied vom Leben. Eine Erzählung von Harry Domela. Zeichnungen vom Verfasser, in: Der Eigene. Ein Blatt für männliche Kultur 13 (1930), H. 7, S. 212–220, H. 8, S. 240–253.

    Berliner Bilder. Bericht und Zeichnungen, in: Die Büchergilde. Zeitschrift der Büchergilde Gutenberg (1931), S. 213–216.

    Das Mädchen mit den Glasscherben, in: Der Querschnitt, 12. Jg., H. 5 v. Ende Mai 1932, S. 369 f.

  • Literatur

    Wieland Herzfelde, Nachwort, in: Harry Domela, Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer von Harry Domela, 1979, S. 311–313 u. S. 315.

    Jens Bisky, Besuch beim Pöbel der höheren Stände. Die Erinnerungen des Hochstaplers Harry Domela, in: Berliner Zeitung v. 13.5.2000.

    Stephan Porombka, Felix Krulls Erben. Zur Geschichte der Hochstapelei im 20. Jahrhundert, 2001.

    Werner Liersch, Der Mann, der sich verschwinden ließ. Die Jahrhundertgeschichte des Harry Domela, in: Berliner Zeitung v. 30.4.2004.

    Steffen Raßloff, „Der falsche Prinz“. Harry Domela zu Gast im „Erfurter Hof“ 1926, in: ders. (Hg.), Das Erfurter Gipfeltreffen 1970 und die Geschichte des „Erfurter Hofes“, 2007, S. 137–145.

    Kurt U. Bertrams (Hg.), Der falsche Prinz und die Saxo-Borussia. Die Abenteuer des Hochstaplers Harry Domela, 2007.

    Jens Kirsten, „Nennen Sie mich einfach Prinz“. Das Lebensabenteuer des Harry Domela, 2010.

    Andreas Austilat, Der Hochstapler des Jahrhunderts: Die Prinzen-Rolle, in: Tagesspiegel v. 15.8.2016. (P) (Onlineressource)

    Jan Emendörfer, Der falsche Prinz: Die Jahrhundertgeschichte des Harry Domela, in: Leipziger Volkszeitung v. 4.6.2018. (P) (Onlineressource)

    Sebastian Rojek, Ein Hochstapler als „Spion“ der Weimarer Republik. Der Fall Harry Domela, in: Sebastian Elsbach/Marcel Böhles/Andreas Braune (Hg.), Demokratische Persönlichkeiten der Weimarer Republik, 2020, S. 173–187.

    Spielfilme:

    Der falsche Prinz, 1927, Regie: Heinz Paul.

    Weimarer Pitaval. Der Fall Harry Domela, Deutscher Fernsehfunk 1959, Regie: Wolfgang Luderer. (weiterführende Informationen)

    Der Fall Harry Domela, ZDF 1965, Regie: Wolfgang Schleif.

    Bühnenbearbeitung:

    Prinz von Preußen, 1978, Musical v. Dieter Brand (Uraufführung am Theater Erfurt, 9.4.1978), Neubearb. v. Kay Link, 2022/23 (Theater Görlitz).

  • Autor/in

    Sebastian Rojek (Stuttgart)

  • Zitierweise

    Rojek, Sebastian, „Domela, Harry (lettisch: Domela, Harijs)“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118526618.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA