Lebensdaten
1888 – 1961
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Tel Aviv
Beruf/Funktion
Journalist ; Politiker
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118586394 | OGND | VIAF: 59876667
Namensvarianten
  • Naphtali, Perez
  • Naphtali, Fritz
  • Naphtali, Perez
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Zitierweise

Naphtali, Fritz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586394.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Hugo (1846–1909), wahrsch. aus schles. Fam., Lederhändler in B.;
    M Ida Troplowitz (* 1858, verschollen 1942) aus Gleiwitz (Oberschlesien), 1942 nach Theresienstadt deportiert;
    1916 Lucya Suess ( 1920), Sekr. u. Kassiererin in B.;
    1 T.

  • Biographie

    N. absolvierte das Falk-Realgymnasium in Berlin bis zur Obersekunda (1904) und machte dann eine kaufmännische Lehre bei einer Importfirma für Häute und Felle. 1907-09 besuchte er die Berliner Handelshochschule, wo er u. a. W. Sombart und I. Jastrow hörte, und legte das Examen als Diplomkaufmann ab. 1911 trat N. in die SPD ein, mit deren revisionistischem Flügel um E. Bernstein er sympathisierte. 1910-12 arbeitete er als kaufmännischer Angestellter bei der Deutschen Gasglühlicht AG in Berlin und Brüssel, 1913-16 war er Wirtschaftsredakteur bei der „Berliner Morgenpost“ und der „Vossischen Zeitung“. Nach Kriegsteilnahme 1917/18 nahm N. 1919 seine journalistische Tätigkeit bei denselben Zeitungen wieder auf. 1921-26 war er Wirtschaftsredakteur bei der „Frankfurter Zeitung“. Gleichzeitig gab er mit seinem Freund Ernst Kahn die erfolgreiche Zeitschrift „Die Wirtschaftskurve“ heraus. Danach wirkte er als freier Schriftsteller und war 1927-31 Leiter der Berliner „Forschungsstelle für Wirtschaftspolitik“, die der SPD und dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) nahestand. 1928-33 gehörte N. – zunächst als Stellvertreter, dann als Nachfolger des Reichswirtschaftsministers Rudolf Hilferding – dem Vorläufigen Reichswirtschaftsrat an. Er war auch Direktoriumsmitglied der dem ADGB gehörenden „Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten“.

    N. übte als Dozent an der Freien Sozialistischen Hochschule in Berlin sowie als Vortragsredner und Fachschriftsteller maßgeblichen Einfluß auf die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der deutschen Gewerkschaften in der Weimarer Zeit aus. Auf ihn gehen wichtige theoretische Ausformungen der seit etwa 1925 intensiv diskutierten Idee der „Wirtschaftsdemokratie“ zurück, deren Kernvorstellung eine Mitbestimmung der Arbeiter in den Betrieben war, die aber mit der Zeit zu einem umfassenden wirtschafts- und sozialpolitischen Reformkonzept mit dem Ziel einer am Gemeinwohl orientierten Umgestaltung der bestehenden privatwirtschaftlichen Strukturen weiterentwickelt wurde. 1928 veröffentlichte N. hierzu den vom ADGB unter Theodor Leipart in Auftrag gegebenen Sammelband „Wirtschaftsdemokratie – ihr Wesen, Weg und Ziel“ und hielt auf dem Hamburger Kongreß des ADGB im September desselben Jahres das vielbeachtete Grundsatzreferat „Die Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie“, in dem er zur Überwindung der „Anarchie des Kapitalismus“ eine schrittweise „Überführung der Produktionsmittel auf die Gemeinschaft“ forderte, im Hinblick auf konkrete Funktionsbestimmungen der propagierten neuen gemeinwirtschaftlichen Ordnung allerdings unbestimmt blieb. Auch in der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise vertrat N. eher wirtschaftsreformerische als staatsinterventionistische Vorstellungen. Er meinte, daß zunächst die Krise durchgestanden werden müsse, bevor eine grundsätzliche Korrektur der Wirtschaftsordnung stattfinden könne. Im Gegensatz zu anderen der SPD und den Gewerkschaften nahestehenden Nationalökonomen (etwa W. Woytinsky) glaubte N. nicht an die Möglichkeit einer „wirtschaftlichen Sanierung von der Währungs- und Preisseite her“ (Könke).

    Das Ziel sozialistischer Wirtschaftspolitik war für den „Reformisten“ und „Revisionisten“ N., der an der Idee einer klassenlosen Gesellschaft nur als Fernziel festhielt, nicht wie für die orthodoxen Marxisten eine Verschärfung der Krisen des Kapitalismus, sondern ihre „Überwindung, Milderung und Verhütung“, da die Sache der Arbeiter nur in Zeiten guter Konjunktur vorangebracht werden könne; der Kampf der Arbeiterklasse habe deshalb „in der Praxis ein Kampf für die Erhaltung guter Konjunkturen“ zu sein. Ausgehend von solchen Überlegungen, führte er den wachsenden Erfolg der NS-Bewegung nicht zuletzt auf eine innere Krise des Sozialismus zurück, der in einer radikalrevolutionären Attitüde erstarrt sei und es nicht verstanden habe, die Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit und den Sinn für vernünftige Reformen in sich wach zu erhalten. Nach 1945 haben die SPD und die Gewerkschaften an N.s Vorstellungen von einer „Wirtschaftsdemokratie“ wieder angeknüpft. Man verstand darunter vor allem eine Mitbestimmung der organisierten Arbeiterschaft, wie sie bei Groß- und insbesondere Montanunternehmen durch die Gesetze von 1951 und 1976 teilweise realisiert werden konnte.

    N., der sich schon im Ersten Weltkrieg der zionistischen Bewegung angeschlossen hatte, unternahm 1925 eine Palästinareise und knüpfte Kontakte zu erez-israelischen Arbeiterführern. 1928 wurde er zum Vorsitzenden der „Liga für das arbeitende Palästina“ gewählt und nahm 1930 als Delegierter der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“ am zionistischen Weltkongreß teil. Im Juli 1933 emigrierte er nach kurzzeitiger Inhaftierung nach Palästina und lehrte dort 1934-36 am Technion in Haifa Nationalökonomie. 1936/37 war er Dozent an der Hochschule für Rechts- und Wirtschaftswissenschaft in Tel Aviv. 1938-49 leitete er als Generaldirektor die Arbeiterbank („Hapoalim“) in Tel Aviv. 1937-50 war N. Stadtverordneter in Tel Aviv, 1949-59 Abgeordneter der Knesseth für die Arbeiterpartei („Mapai“). 1948/49 fungierte er als Vorsitzender des Wirtschaftsberatungsausschusses im Amt des Ministerpräsidenten. 1951/52 war N. mit Unterbrechungen Minister ohne Portefeuille sowie Finanzminister im Kabinett Ben Gurion, dann bis 1955 Landwirtschaftsminister, wiederum Minister ohne Geschäftsbereich und 1958/59 Minister für Sozialordnung. Zuletzt war N. Vorsitzender des Finanzausschusses im Stadtrat von Tel Aviv. Seit 1937 Mitglied des Zentralausschusses der Gewerkschaft „Histadrut“, blieb er bis an sein Lebensende einer der einflußreichsten Berater der israel. Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung. Mit zahlreichen Publikationen in hebräischer Spache nahm er auch in seiner neuen Heimat zu wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen Stellung. An N.s Wirken erinnert die „Fritz-Naphtali-Stiftung“ in Tel Aviv.

  • Werke

    u. a. Kapitalkontrolle, 1919 (mit E. Kahn);
    Wie liest man d. Handelsteil e. Tagesztg.?, 1921, zahlr. weitere Aufll. (mit dems.);
    Wirtsch.demokratie, Ihr Wesen, Weg u. Ziel, 1-31928 (Nachdr. 1966, 1977);
    Konjunktur, Arbeiterklasse u. sozialist. Wirtsch.-pol., 1928;
    Die Reparationsfrage, 1929;
    Wirtsch.pol. u. Soz.pol., 1929;
    Wirtsch.krise u. Arbeitslosigkeit, 1930;
    Demokratiyah kalkalit (Ges. Aufsätze z. Wirtsch.demokratie), hrsg. v. K. Mendelssohn, 1965.

  • Literatur

    F. Baade, in: Internat. Hdwb. d. Gewerkschaftswesens II, 1932, S. 1136 f.;
    A. J. Fischer, Ein junger Staat sucht seinen Wirtsch.stil, Sonderinterview mit d. israel. Wirtsch.min. P. N., in: Die Neue Ztg. v. 19./20.7.1952, S. 6;
    Werner Becker, Demokratie d. soz. Rechts, Die pol. Haltung d. Frankfurter Ztg., 1965;
    Stiftung f. Israel, F.-N.-Stiftung gegründet, in: FAZ v. 1.11.1967;
    W. Hesselbach, Die F.-N.-Stiftung, in: Das Parlament 22, 1972, Nr. 45, S. 13;
    J. Riemer, P. (F.) N., Ein Soz.demokrat im Zionismus u. in Israel, Diss. Tel Aviv 1983;
    ders., F. P. N., Soz.demokrat u. Zionist, 1991 (W, L, P);
    G. Könke, Organisierter Kapitalismus, Sozialdemokratie u. Staat, Eine Studie z. Ideologie d. soz.demokrat. Arbeiterbewegung in d. Weimarer Republik (1924–1932), 1987;
    H. Jaeger, Gesch. d. Wirtschaftsordnung in Dtld., 1988, S. 167, 216 f., 240-42;
    H. Hagemann u. C. D. Krohn, Die Emigration dt.sprachiger Wirtsch.wissenschaftler nach 1933, ²1992;
    R. Rürup (Hrsg.), Wirtsch.demokratie, Sozialismus u. Zionismus, Stud. zu Leben u. Werk F. N.s in Dtld. u. Israel (in Vorbereitung);
    Wenzel;
    Rhdb.;
    BHdE I.

  • Autor/in

    Hans Jaeger
  • Zitierweise

    Jaeger, Hans, "Naphtali, Fritz" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 730-731 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586394.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA