Lebensdaten
1898 – 1965
Geburtsort
Witikon, Kanton Zürich
Sterbeort
Basel
Beruf/Funktion
Literaturhistoriker ; Germanist
Konfession
reformiert
Normdaten
GND: 119361108 | OGND | VIAF: 7450774
Namensvarianten
  • Muschg, Walter
  • Muschg, Walther

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Zitierweise

Muschg, Walter, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119361108.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Adolf (1872–1946), Primarlehrer in W. u. Zollikon, Kt. Zürich, S d. Jakob (1831–91), Bauer in Hombrechtikon, Kt. Zürich, u. d. Elisabetha Gysling (1832–1915);
    M Hermine (1873–1932) aus Winterthur, T d. Albert Isler u. d. Barbara Wegmann;
    Schw Elsa (1899–1976), Kinderbuchautorin (s. Kosch, Lit.-Lex.³; Kürschner, Lit.-Kal. 1973);
    Halb-B Adolf (* 1934), Prof. f. dt. Sprache u. Lit. an d. ETH Zürich, Schriftst. (s. Kosch, Lit.-Lex.³; Krit. Lex. d. Gegenwartslit.; Killy; DLB);
    St. Gallen 1928 Elisabeth (Elli) (* 1906, s. L), T d. Richard Zollikofer (1871–1963), Chefarzt am Kt.spital St. Gallen, u. d. Johanna Pulver (um 1875–1917) aus Bern;
    2 T.

  • Biographie

    M. besuchte das Gymnasium in Zürich und studierte dort seit 1917 Germanistik, Psychologie und Latein. 1922 promovierte er bei Emil Ermatinger aufgrund der Arbeit „Kleists Penthesilea“ (1923), zugleich Teil einer Monographie „Kleist“ (1923), in der er das „Ineinander von Bild und Abstraktion“ in der Symbolik des Dichters analysierte. Nach Studienaufenthalten in Berlin und Italien habilitierte er sich 1928 in Zürich mit der Schrift „Der dichterische Charakter, Eine Studie über Albrecht Schäffers Helianth“ (1929). Mit seiner Antrittsvorlesung „Psychoanalyse und Literaturwissenschaft“ wies er als erster Germanist auf die Bedeutung der Lehre Freuds für die Literaturwissenschaft hin. Deren tiefenpsychologische Erkenntnisse gehörten auch zu den Grundlagen seiner Monographie „Gotthelf, Die Geheimnisse des Erzählers“ (1931, ²1966), die den bis dahin als Volksschriftsteller abgetanen Pfarrer Albert Bitzius als Epiker ersten Ranges darstellte (fortgesetzt und erweitert in: „Jeremias Gotthelf, Eine Einführung in seine Werke“, 1954, ²1960), sowie zu denen des Werks „Die Mystik in der Schweiz“ (1935), das umfangreiche Handschriftenbestände erschloß. 1936 folgte M. einem Ruf nach Basel als Nachfolger Franz Zinkernagels. Seine Antrittsvorlesung 1937 kritisierte nachdrücklich die „stammesgeschichtliche“ Grundlage von Josef Nadlers deutscher Literaturgeschichte. M. forderte im Gegensatz dazu eine Literaturgeschichtsschreibung, die ihre historischen Kategorien aus der Dichtung gewinnt und die Erkenntnis der Eigenart des einzelnen Werks anstrebt. Nach Kriegsbeginn gehörte M. in der Fraktion des Landesrings der Unabhängigen bis 1943 dem Nationalrat an, wo er sich u. a. nachdrücklich für eine großzügigere Asylpolitik einsetzte; so appellierte er an die Regierung, wenigstens vorübergehend „die Kinder der Opfer der gegenwärtigen Maßnahmen in Frankreich“ (Sept. 1942) aufzunehmen, um ihr Leben zu retten. 1949 Rektor der Universität, hielt M. neben Karl Jaspers eine der Festansprachen zum Goethejahr. Im Jahr zuvor war sein Hauptwerk, die „Tragische Literaturgeschichte“ (erweitert ²1953, ohne die später gesondert veröff. Kap. „Die Phantasie“|u. „Das Wort“ ³1957, ⁵1983, span. 1965) erschienen. Es handelt sich um eine historisch vergleichende Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, die Texte der Bibel, der griech. und röm. Antike, der mittelalterlichen und neueren europ. Literaturen mit einbezieht. Sie steht auf der Grundlage einer Typologie der Dichter und der dichterischen Phantasie. Nach M. verkörpern sich im Typus des Magiers, des Sängers und des Sehers drei urspüngliche Weisen der Dichter, sich zur Welt zu verhalten (1. Kapitel). Während für die magische Phantasie Welt und Ich ungetrennt bestehen (Traumbilder) und die mythische Phantasie die Idee im Wirklichen gegenwärtig sieht (Symbole), verweisen die Bilder der mystischen Phantasie auf einen dahinter stehenden Sinn (Gleichnisse). An seinen Bildern ist abzulesen, in welcher der drei Sphären sich ein Dichter bewegt. Die Geschichte der Literaturen zeigt nach M. mannigfaltige Verwandlungen, Vermischungen und Profanationen der Typen (2. Kapitel). M.s Absicht war es nicht, zu „klassifizieren“, sondern mit Hilfe des Typus Vergleichbares zu vergleichen, um das Individuelle und Einmalige der Dichter und ihrer Werke umso deutlicher hervortreten zu lassen. Im Unterschied u. a. zu Schopenhauer, der die Behandlung der Dichter durch die Gesellschaft zu Lebzeiten tragisch sieht, hält M. das „vielgestaltige persönliche Unglück der Dichter“ und ihrer Werke nicht für äußerlich, sondern im Wesen der Dichtung, der Phantasie und ihrer Sprache begründet, wie er in den folgenden Kapiteln über Armut. Leiden, Liebe, Schuld, Vollendung und Ruhm ausführt. M. verstand Literaturwissenschaft nicht als von Werturteilen gereinigte Betrachtungsweise und Literaturkritik nicht als ein von der Wissenschaft abgelöstes, bloß subjektives Verfahren. Mit seiner entschiedenen Ablehnung Thomas Manns, seiner Kritik Weinhebers, Hofmannsthals oder Rilkes hat er Widerspruch hervorgerufen, aber auch zu Diskussionen angeregt wie mit seiner Stellungnahme für Gotthelf, Bräker, Trakl, Loerke, Karl Kraus, Döblin, Lasker-Schüler, H. H. Jahnn, Barlach, Brecht und vor allem Kafka, auf den er bereits 1929 aufmerksam gemacht hatte. Die Einheit von Wissenschaft und Kritik verwirklichen auch „Die Zerstörung der deutschen Literatur“ (1+21956, u. a. Kritik an Benn und den Hölderlin-Deutungen Heideggers, erweitert ³1958) und „Von Trakl zu Brecht, Dichter des Expressionismus“ (1961, span. 1972). Beide Werke suchen die deutsche Literatur nach dem Ersten Weltkrieg, die durch den Nationalsozialismus um ihre lebendige Wirkung gebracht wurde, für das Bewußtsein der Gegenwart wiederzugewinnen. Die „Studien zur tragischen Literaturgeschichte“ (1965) konkretisieren und vertiefen Leitgedanken seines Hauptwerks an einzelnen Gestalten (Goethe, Schiller, Jean Paul, Droste-Hülshoff, Stifter).

    M.s Überzeugung war, daß Dichtung mehr ist als ein ästhetisches Phänomen. Karl Jaspers bemerkte, M.s Arbeit sei durch eine Grunderfahrung seines Lebens bestimmt gewesen: das „Bewußtsein der Selbstvernichtung des deutschen Geistes… gab ihm den Impuls zur, Tragischen Literaturgeschichte'“ (an H. Arendt). Neben Emil Staiger und Wolfgang Kayser, den Exponenten einer vorsichtig restaurativen, ausschließlich auf die Werkinterpretation abzielenden Richtung, war M. einer der maßgeblichen Vertreter der Germanistik in der Nachkriegszeit.

  • Werke

    Weitere W u. a. Gespräche mit H. H. Jahnn, hrsg. v. E. Muschg, 1967;
    Gestalten u. Figuren, ausgew. v. E. Muschg-Zollikofer, 1968;
    Pamphlet u. Bekenntnis, hrsg. v. P. A. Bloch mit E. Muschg-Zollikofer, 1968 (span. 1976);
    Die dichter. Phantasie, Einf. in e. Poetik, 1969 (theoret. grundlegend, auch in Trag. Lit.gesch. ²1953, vollst. W-Verz.). – Dichtungen: Gedichte, in: Pro Helvetia 3, 1921;
    Babylon, Ein Trauerspiel, 1926;
    Das Leben der Vögel, Oratorium, 1934. – Hrsg.: Annalen, Eine schweizer. Mschr. 1, 1926/27, H. 1-2, 1928, H. 6;
    FS f. E. Ermatinger, 1933 (mit R. Hunziker);
    Slg. Klosterberg, Schweizer. R., 1942-49;
    J. Gotthelfs Werke in 20 Bdn., 1948-53;
    A. Döblin, Ausgew. Werke, 11 Bde., 1961-66;
    H. H. Jahnn, Eine Ausw. aus seinem Werk, 1959;
    ders., Epilog, Fluß ohne Ufer, T.3, 1961;
    ders., Dramen, 2 Bde., 1963/65. |

  • Nachlass

    Nachlaß: Basel, Univ.bibl.

  • Literatur

    H. Kaufmann, W. M., Trag. Lit.gesch., in: Weimarer Btrr. 3, 1957, S. 516-24;
    W. Weber, in: Die Zeit v. 17.12.1965, S. 21;
    F. Martini, in: Stuttgarter Ztg. v. 10.12.1965, S. 35;
    H. R. Linder, in: National-Ztg. Basel v. 8.12.1965 (P);
    NZZ v. 8.12.1965, Fernausg. Nr. 337 (P);
    K. Fehr, ebd. Nr. 345 v. 16.12.1965;
    L. Forster, in: German Life and Letters 19, 1965/66, S. 212;
    A. Andersch, Verspätetes Epitaph, in: Merkur 20, 1966, S. 290 f.;
    H. L. Arnold, in: Text u. Kritik 13/14, 1966, S. 78;
    P. Schick, in: Der Alleingang 3, 1966, Nr. 7, S. 1-3;
    U. Widmer, in: Jahresringe 1966/67, 1967, S. 314-17;
    H. Rupp, in: Wirkendes Wort 16, 1966, S. 207 f.;
    L. Wiesmann, in: Basler Stadtbuch 1967, S. 140-47 (wieder in: Lenau-Alm. 1967/68);
    A. D. Häsler, Das Boot ist voll, Die Schweiz u. d. Flüchtlinge 1933–45, 1967, ⁹1992, S. 160, 175 f.;
    A. Glück, in: Zürcher Woche v. 23./24.8.1969, S. 27;
    K. Pestalozzi, W. M. u. d. schweizer. Germanistik in Kriegs- u. Nachkriegszeit, in: Zeitenwechsel, Germanist. Lit.wiss. vor u. nach 1945, hrsg. v. W. Barner u. Ch. König, 1996, S. 282-300;
    HBLS;
    Kosch, Lit.-Lex.³;
    Killy;
    Scheizer Lex. (P).

  • Autor/in

    Alfons Glück, Friedrich Nemec
  • Zitierweise

    Glück, Alfons; Nemec, Friedrich, "Muschg, Walter" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 624-625 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119361108.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA