Lebensdaten
1771 – 1848
Geburtsort
Kreuzburg (Ostpreußen)
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
preußischer Kriegsminister ; Staatsmann ; General
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118662481 | OGND | VIAF: 76553322
Namensvarianten
  • Boyen, Hermann Ludwig Leopold Gottlieb von
  • Boyen, Leopold Hermann Ludwig von
  • Boyen, Hermann von
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Zitierweise

Boyen, Hermann von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118662481.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Herkunft der Familie unklar, ob Friesland, wo der Name belegt ist, oder Böhmen, wie die Familientradition wollte, seit Ende des 16. Jahrhunderts in Ostpreußen;
    V Friedrich von Boyen (Boy[e], 1720-77), preußischer Oberstleutnat, erhielt 1770 bei der Besetzung Westpreußens den Pour le mérite, S des Friedirch von Boy (seit 1701), holländischer, dann preußischer Stabskapitän und Amtmann zu Soldau, und der Anna Dorothea Rad[e]cke aus Soldau;
    M Hedwig (1735–77), T des Majors Bastian Christoph von Holtzendorff und der Sophie Luise von Rippen;
    Ov Ernst Johann Sigismund (1730–1806), preußischer General der Kavallerie, verdient um die Entwicklung der Scharfschützen bei den Füsilieren;
    Gumbinnen 1807 Amalie (1780–1845), T des Kammerassistenzrates Sigismund Ludwig Berent und der Regine Christine Menger;
    1 S, 2 T, u. a. Hermann (1811–86, Fanny Prinzessin Biron von Kurland), General der Infanterie, Begleiter Napoleons III. von Sedan nach Schloß Wilhelmshöhe, 1871 Gouverneur von Mainz, 1875 von Berlin, General-Adjutant Wilhelms I.

  • Biographie

    In Königsberg aufgewachsen, früh elternlos, wurde B. 1787 Fähnrich im Infanterieregiment zu Bartenstein, kam 1788 auf die Militärschule und Universität Königsberg, wo er Kant über Anthropologie hörte. Nach dem Feldzug in Polen 1794/95 war er seit 1796 als Hauptmann in Gumbinnen in Garnison. Dort, wie seine umfangreichen Aufzeichnungen aufweisen, beschäftigte er sich mit dem Studium der Kantschen Ethik und entnahm ihr, was seinem gleichgerichteten Charakter gemäß war - den Rechtsgedanken und die sittliche Energie und Reinheit des durch die Vernunft geläuterten selbstlosen Willens. Der künftige Reformer zeigte sich auch darin, daß er in Denkschriften und Aufsätzen es sich angelegen sein ließ, den Unterricht in den Garnisonschulen zu heben, das sittliche Bewußtsein und das Ehrgefühl des gemeinen Mannes zu wecken und auch die geistige Bildung der Offiziere zu pflegen: der Soldatenstand, weil zu Gehorsam verpflichtet, war am ehesten befähigt, neue Einrichtungen aufzunehmen und sie der ganzen Nation zu übermitteln, als Vorschule und als Quelle der Kraft und Männlichkeit. Die bisherige Kluft zwischen Offizieren und Mannschaften, zwischen Heer und Volk konnte so überwunden werden. Es waren ganz neue und die Zukunft beherrschende Gedanken. Leicht kam er von da zur Kritik an den Exemtionen des Kantonreglements und also zur allgemeinen Wehrpflicht; dies deckte sich zugleich mit der in dem Jahrzehnt vor 1806 allgemeinen, aus äußeren Motiven, durch Napoleons Erfolge angeregten Überzeugung von der Reformbedürftigkeit der alten Heeresverfassung. Scharnhorst nahm daher den jungen|Hauptmann 1803 in die von ihm gegründete „Militärische Gesellschaft“ als auswärtiges Mitglied auf; hier hat B. über alle aktuellen Fragen der Heeresreform referiert, ist auch gegen die noch herrschenden Vorurteile dafür eingetreten, daß die gesamte Infanterie auch in der Tirailleurtaktik ausgebildet werde, noch ohne daß er den engen Zusammenhang von Taktik, Strategie, Heeresverfassung, Staatsverfassung und Gesellschaftsordnung sah.

    Wenige Tage vor der Schlacht von Jena in den Generalstab berufen, wurde B. bei Auerstädt schwer verwundet und gefangen; nach der Heilung gelangte er über Böhmen und Polen in das preußisch-russische Hauptquartier in Bartenstein und wurde nach dem Frieden, im Januar 1808 als Major in die Militärreorganisationskommission berufen, wo er als Mitarbeiter Scharnhorsts die große, mit der ganzen Steinschen Staatsreform zusammenhängende Heeresreform mitbestimmt hat, auf der das preußische Heer der Freiheitskriege und die später von B. geschaffene Friedensorganisation beruht; die Gedanken, die in Gumbinnen gereift waren, gingen nun ein in die Reformedikte. Februar 1810 wurde B. in dem von Scharnhorst geleiteten Kriegsdepartement Direktor der Ersten Abteilung; es war die einflußreichste Stellung in der Militärverwaltung nach der Scharnhorsts. Scharnhorst, Gneisenau und B. waren 1811 die drei Führer der preußischen Patrioten, die den König Friedrich Wilhelm III. zum Kriege gegen Napoleon an Rußlands Seite zu bewegen suchten. Als der König März 1812 die Waffenhilfe an Frankreich gab, erhielt B. als Oberst den erbetenen Abschied. Er begab sich über Österreich, die Bukowina, über Dnjepr und Wolga nach Petersburg, wo er eintraf, als soeben Napoleon den Rückzug von Moskau angetreten hatte. Im Auftrage des Zaren überbrachte B. seinem König das russische Bündnisangebot; sein Erscheinen in Breslau, Januar 1813, hat mitgeholfen, den König zum Kriege gegen Napoleon zu bringen. Den Freiheitskrieg 1813/14 hat B., dessen Fähigkeiten sich nicht in der Führung von Truppen entfalteten, im Generalstab, vornehmlich als Stabschef F. W. v. Bülows, mitgemacht.

    Sofort nach Kriegsende, am 3.6.1814, wurde der Generalmajor B. zum Kriegsminister ernannt: Scharnhorst hatte diese Funktionen ausgeübt, aber erst B. erhielt Titel und Rang. Mitten in der Demobilmachung, die ihm durchzuführen oblag, ergriff B. sofort auch die andere Aufgabe, die zukünftige endgültige Verfassung des Heeres festzulegen. Er benutzte die noch warme Begeisterung der Freiheitskriege, um über die Kräfte der Restauration hinweg, die sich noch nicht gesammelt hatten, das Wehrgesetz vom 3.9.1814 zustande zubringen. Hier liegt die weltgeschichtliche Tat B.s. Denn durch das Wehrgesetz von 1814 ist die Heeresreform die einzige der politisch-sozialen Reformen der Steinschen Ära, die ganz vollendet und durchgeführt worden ist, und trotz aller späteren, tiefgreifenden Umgestaltung hat das preußisch-deutsche Herr, das so sehr in den Gang der Weltgeschichte eingegriffen hat, bis zu seinem Untergang 1918 wesentliche Einrichtungen behalten, die durch B. geschaffen und ins Leben geführt worden sind.

    Zwei Institutionen kennzeichnen das Wehrgesetz von 1814: die allgemeine Wehrpflicht und die Landwehr. Die erstere war Frühjahr 1813 nur für die Dauer des Krieges eingeführt worden; B. erreichte, daß man nicht mehr zum Kantonreglement und seinen Exemtionen zurückkehrte, sondern das volkstümliche Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz beibehielt. Da aber B., gleich allen preußischen Reformern, nicht sich über die sozialen Gegebenheiten hinwegsetzte, so nahm er Rücksicht auf die Bedürfnisse der höheren bürgerlichen Berufe und der geistigen Anforderungen, die sie stellten, indem er die Einrichtung des Einjährig-Freiwilligen schuf. Es wurde niemand ganz eximiert, wie dies noch Napoleon mit Stellvertretung und Loskauf getan hatte, auch nicht der Besitz allein berücksichtigt, sondern Bildung und Besitz wurden die Voraussetzung; nur wer in der Lage war, ein Examen abzulegen und die Kosten der Vorbereitung und des Dienstjahres aufzubringen, durfte ein Jahr statt drei Jahren dienen. Noch war Preußen ein Ackerbaustaat, der Bedarf an höheren Berufen gering, die Aneignung der geistigen Bildung schwierig, die Zahl der also Bevorzugten klein; ihnen sollten im Interesse des Staates und der geistigen Bildung die frischesten Jahre des Lernens nicht allzusehr gekürzt werden, zumal man annehmen durfte, daß sie für die militärische Ausbildung gut vorbereitet waren. Aber den Gedanken, für die Einjährigen eigene Detachements nach dem Vorbild der freiwilligen Jäger von 1813 einzurichten, wies B. zurück, er verwarf jeden Kastengeist.

    Die preußische Landwehr war im Frühjahr 1813 durch die ostpreußischen Stände und dann allgemein durch Scharnhorst eingerichtet worden: sein Grundgedanke war gewesen, die durch das stehende Heer Gegangenen zum Kern einer zweiten Armee zu machen. Hieran knüpfte B. an. Nach dreijährigem - bzw. einjährigem - Dienst unter den Fahnen und zwei Jahren im Urlaubsstand trat die Mannschaft des stehenden Heeres zur Landwehr über. Neu brachte B. hinzu die Teilung der Landwehr in zwei Aufgebote: das erste war im Kriege gleich dem stehenden Heere zu verwenden, das zweite als Besatzung und im Notfalle zur Verstärkung der Feldarmee. Die Übungen der Landwehr waren meist Sonntags, aber Landwehr I hatte einmal des Jahres in größeren Abteilungen Übung mit Teilen des stehenden Heeres. Mit dem 39. Lebensjahre hörte die Wehrpflicht auf. Doch der Landsturm blieb als gesetzliche Landeseinrichtung für Fälle äußerster Not erhalten. Als Motive für die Beibehaltung der Landwehr nannte B. die ruhmvolle Erfahrung von 1813 sowie die Tatsache, daß Preußen als kleinste der Großmächte und bei schwachen Finanzen niemals ein so großes stehendes Heer halten konnte wie die anderen Mächte, die Landwehr aber bei geringen Kosten eine bedeutende Vermehrung der Streitkräfte darstellte. Denn B. gehörte ganz zu jenem Kreis von Patrioten, die mit Gneisenau Preußen die Aufgabe setzten, die Führung in Deutschland zu ergreifen durch den dreifachen Primat der Waffen, der Verfassung und der Wissenschaft, und seine Heeresreform ist von diesem Gedanken durchzogen.

    Die Ausgestaltung und Durchführung des Wehrgesetzes waren ganz das Werk B.s, dieses unerhört arbeitsamen und klugen, auch sehr scharfkantigen Ostpreußen, der das politische Bedürfnis des Staates in Einklang zu bringen suchte mit den auch ihm zum Lebensbedürfnis gewordenen neuen Idealen der Rechtsgleichheit, der Volkstümlichkeit, der Erziehung zu Vaterlandsliebe und Menschlichkeit. In der Fülle der nahezu unübersehbaren Fragen, die durch die allgemeine Wehrpflicht aufgeworfen waren und die B. meistern mußte, finden sich einige von außerordentlicher historischer Tragweite. Die Rechtsgleichheit war nicht durchgeführt. In der Instruktion über den einjährigen Dienst (1816) wachte B. jedoch darüber, daß nicht gesellschaftliche oder wirtschaftliche Sonderinteressen sich eindrängten. Peinlich dagegen blieb immer, daß nach der Lage der Dinge niemals der Gedanke aufkommen konnte, alle Wehrfähigen in das stehende Heer einzustellen und das Los über Dienst oder Freilassung entscheiden mußte. Vergebens suchte B. nach einer gerechteren Lösung. Es blieb dabei, daß bei wachsender Bevölkerung die Landwehr immer mehr Ungediente aufnehmen mußte.

    In der Landwehrordnung vom 21.11.1815 hat B. das Verhältnis von Linie und Landwehr geordnet; es war die schwierigste Frage der ganzen Heeresorganisation; sie hat in Konflikte geführt, die den preußischen Staat fünf Jahrzehnte lang beschäftigt haben und in denen schon B.s persönliches Schicksal sich entschieden hat. Er legte nicht, wie Scharnhorst in den Entwürfen von 1808/12, das Schwergewicht in das stehende Heer; er hatte nur zwei Reservejahrgänge. Er verwarf aber auch, der preußischen Tradition getreu, das Milizsystem, wodurch das stehende Heer nur Exerzierschule für die Landwehr geworden wäre. Er schuf zwei Heere. Das stehende Heer wurde so groß, wie der Staat dies damals leisten konnte, und nur so weit belastet mit Beurlaubten, daß bei den damaligen schwierigen Verkehrsverhältnissen eine rasche Mobilmachung noch möglich war. Die Landwehr aber war nicht nur als Notbehelf gedacht, sondern gleichwertig neben das stehende Heer gestellt, so daß der Kabinettskrieg zum Volkskrieg werden konnte. Die Landwehr wurde befähigt, Heer und Volk im Geiste der Reformzeit eng zusammenzuführen, das Volk mit den neuen Erlebnissen der allgemeinen Wehrpflicht und des Drilles auszusöhnen und ein Gegengewicht zu bieten gegen das stehende Heer mit seinen Berufsoffizieren und ihrem überlieferten Kastengeist, das so leicht ein gefügiges Werkzeug werden konnte in der Hand eines absoluten Monarchen. Die Landwehr wurde also nicht wie das stehende Heer nach rein militärischen Gesichtspunkten gegliedert, sondern ihre Verbände waren landsmannschaftlich, gegründet auf die Glieder der zivilen Verwaltung, auf die Kreise und Provinzen; die Führer der Kompanien und Schwadronen wurden vom Offizierkorps der Landwehr gewählt, wobei, abermals im Geiste des Freiherrn vom Stein, an die Eigentümer gedacht war, vornehmlich aber an die Einjährigen, die im stehenden Heere die Qualifikation zum Offizier erworben hatten.

    Gegen den Kriegsminister sammelte sich, kaum daß er die grundlegenden Anordnungen durchgesetzt hatte, die zur alten Ordnung zurückstrebende Hofpartei. Sie griff die allgemeine Wehrpflicht und die Landwehr an - „eine Nation bewaffnen, heißt den Widerstand und Aufruhr organisieren“ -, sie legte keinen Wert auf Führerschaft in Deutschland und suchte die ganze innerpolitische Reformarbeit abzubrechen, während B. in der Pflege des Gemeingeistes durch die bürgerlichen Institutionen, durch Gemeindeordnung, Verfassung und Volksvertretung die Vorbedingung der Landwehr sah und dem unvollendeten Zustand der inneren Gesetzgebung die Schuld an den Fällen von Unbotmäßigkeit zuschrieb. Als der König die Einbeziehung der Landwehr in den Divisionsverband der Linie anordnete, nahm B. Ende 1819 den Abschied. Es war, da auch die anderen Verfassungsfreunde ausschieden, ein vollständiger, berühmt gewordener Umschwung, das Ende der preußischen Reformzeit, entscheidend für die ganze Zukunft Preußens.

    Nach 20 Jahren, durch den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV., ist B. zurückberufen worden, 69 Jahre alt. 1841-47 ist er nochmals Kriegsminister gewesen. Aber sein Programm von Verfassung und Volksvertretung war jetzt überholt durch die großen sozialen Änderungen, in die nicht mehr die patriarchalischen Formen lediglich beratender Ausschüsse paßten. Ebenso war vieles, auf das B. die Wehrverfassung gegründet hatte, anders geworden. Die Zahl der Freigelosten war immer größer geworden, auch als man bei der Linieninfanterie zum zweijährigen Dienst übergegangen war. Doch B. betrieb nicht die Vermehrung des stehenden Heeres, sei es der Cadres oder der Etatstärke, obwohl jetzt die Geldmittel reichlicher zur Verfügung standen als 1814; denn er wollte den Geist der Landwehr nicht zurückgedrängt sehen durch den Kastengeist der Berufsoffiziere. Er ist darüber öfters in Konflikt geraten mit dem Prinzen Wilhelm, dem späteren König und Kaiser, der jetzt nicht mehr so sehr wie ehedem den Standesgeist des Offizierskorps, sondern die praktische Erfahrung des Berufsoffiziers vorbrachte, wenn er die Schlagkraft der immer noch sehr selbständigen Landwehr bezweifelte und die der Krone nur gewährleistet sah, wenn das stehende Heer das Übergewicht und die Führung erhielt und so ein einheitliches Heer geschaffen wurde. Zu einem persönlichen Bruch zwischen dem Prinzen und dem Kriegsminister ist es aber nie gekommen. Im 76. Lebensjahre nahm B. 1847 seinen Abschied und wurde dabei zum Generalfeldmarschall ernannt.

    Nach Wilhelms Intentionen hat dann Roon seit 1859 die neue Form des Heeres geschaffen. So gehören B. und Roon, diese beiden bedeutendsten preußischen Kriegsminister, im Andenken der Geschichte zueinander als Antipoden. Sie haben zwei sehr voneinander verschiedene Systeme geschaffen, in denen das „Volk in Waffen“ sich verwirklicht hat. Das Heer B.s ist nie zum Einsatz gelangt und hat als politisch-militärisches Ideal nur in der Erinnerung weitergelebt; das Roonsche System hat sofort in drei siegreichen Kriegen sich bewährt und blieb dann in Preußen und Deutschland unverändert in Geltung bis zu seinem Zusammenbruch (1918).

  • Werke

    B.s Hauptwerke - das Wehrgesetz u. d. Landwehrordnung - bequem zugänngl. in: W. Altmann, Ausgew. Urkk. z. brandenburg.-preuß. Verfassungs- u. Verwaltungsgesch. II, 1915, S. 151-53, 165-75; ferner aus d. Nachlaß:
    Erinnerungen aus d. Leben d. Gen.-Feldmarschalls H. v. B., hrsg. v. F. Nippold, 3 T., 1889/90, neue Aufl. unter d. Titel Denkwürdigkeiten u. Erinnerungen, 2 Bde., 1899, ²1913 (nur bis 1813 reichend).

  • Literatur

    ADB III;
    F. Meinecke, Das Leben d. Gen.-Feldms. H. v. B., 2 Bde., 1896/99 (grundlegend, hierauf beruhen alle anderen Biogrr.);
    ders., B. u. Roon, in: HZ 77, 1896, wieder abgedr. in: Von Stein zu Bismarck, 1907, Preußen u. Dtld. im 19. u. 20. Jh., 1917, u. Preuß.-dt. Gestalten u. Probleme, 1940;
    W. v. Tümpling, Zur Geneal. d. B., in: Dt. Herold, 1901, Nr. 8;
    M. Lehmann, B.s Denkwürdigkeiten, in: Hist. Aufsätze u. Reden, 1911, S. 215-27;
    H. Foerts, in: Gr. Deutsche II, 1935, S. 620-34;
    F. Schnabel, Dt. Gesch. im 19. Jh. II, ²1949, bes. S. 309-22. - Zu Ov Ernst Joh. Sigism.: Priesdorff II, S. 263;zu S Hermann: Priesdorff VII, S. 145-49 (P).

  • Porträts

    Gemälde v. J. Stieler (oft reproduziert); Bronzebüste v. E. A. Hopfgarten, 1847 (Berlin, Hohenzollernmus.);
    Gem. v. F. Gérard, 1818, Abb. in: Gr. Deutsche im Bild, 1936, S. 233.

  • Autor/in

    Franz Schnabel
  • Zitierweise

    Schnabel, Franz, "Boyen, Hermann von" in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 495-498 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118662481.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Boyen: Leopold Hermann Ludwig v. B., wurde 23. Juni 1771 aus altadelicher Familie in der Ehe des Oberstlieutenants Joh. Friedr. v. B.|mit einem Frl. v. Holtzendorff zu Kreuzburg in Ostpreußen geboren, 1848. Des früh Verwaisten nahm sich eine Tante liebevoll an und sorgte für gute Erziehung. 1784 trat B. als Gefreiter-Corporal in das Infanterieregiment Anhalt zu Königsberg. Auf der dortigen guten Kriegsschule unter Capitän v. Rauch und durch fleißigen Besuch der Vorlesungen von Kant und Krauß erwarb er sich gediegene Bildung und durch diese die Liebe des trefflichen Generals v. Günther, dessen Adjutant er 1794 wurde und dessen „militärischen Schüler“ sich B. mit dankbarem Stolz zu nennen pflegte. An seiner Seite machte er den durch Madalinski's Einfall in Südpreußen veranlaßten Feldzug mit, und wie sehr sich B. mit ihm einlebte, zeigt der Umstand, daß er noch 1834 „Erinnerungen aus dem Leben Günther's“ schreiben konnte. Doch auch zu jener Zeit schon war B. eifrig litterarisch thätig. Dichtkunst und Geschichte beschäftigten ihn vorzugsweise, und gern gab er seinen Eindrücken und Stimmungen in historischen Gesängen und volksliederartigen Strophen Ausdruck. 1799 wurde er Stabscapitän im Regiment Prinz George von Hohenlohe. Im August desselben Jahres schrieb er zu Bartenstein einen Aufsatz „Ueber die militärischen Gesetze“, der eine menschenwürdige, edlergeartete Praxis vertrat. Es war das neun Jahre früher, bevor der damalige Oberstlieutenant v. Gneisenau zur Empfehlung der neuen humanen Kriegsartikel seine „Freiheit der Rücken“ schrieb, und die Veröffentlichung jenes Aufsatzes in den „Jahrbüchern der Preußischen Monarchie“ soll B. übelgenommen worden sein und dem „Büchersoldaten“ die Beförderung verkümmert haben. Ein anderer Aufsatz, den er 1806 über die Führung des zu erwartenden Krieges dem Generalkriegscollegium eingereicht, machte die Unbill wieder gut. Er wurde zum Officier à la suite Sr. Majestät ernannt und machte als solcher den unglücklichen Feldzug mit. Bei Auerstädt am Fuße verwundet und im Stein’schen Hause zu Weimar gepflegt, erfreute er sich des Verkehrs mit der Herder’schen Familie und mit Wieland, welcher sogar lebhaft in ihn drang, den Degen mit der Feder zu vertauschen. 1807 wurde B. als Capitän im Generalstabe zu dem am Narew gegen Massena stehenden russischen Corps commandirt, am 31. Januar 1808 sah er sich zum Major befördert, und bald darauf begann seine wichtige Thätigkeit in der „militärischen Reorganisationscommission“. Scharnhorst treu zur Seite stehend, war B. einer der entschiedensten Vorfechter der kühnen Reformen, denen nicht wenige ausgezeichnete Männer Opposition machten. B. hatte großen Antheil an Scharnhorst's Denkschrift vom 31. Juli 1807, durch welche die Errichtung einer Nationalmiliz beantragt wurde, d. h. die Herstellung der allgemeinen Landesbewaffnung, „die in der Folge vielleicht zu großen Zwecken dienen könne“, und besonders fiel ihm die Ausführung der Scharnhorst’schen Idee des „Krümpersystems“ zu. — In Folge des Sieges der Reformpartei wurde B. 1810 als Oberstlieutenant Director der I. Abtheilung im Kriegsministerium und erhielt den Militärvortrag im Cabinet. Als jedoch 1812 Preußen gezwungen wurde, das Bündniß mit Frankreich einzugehen, nahm B. als Oberst seinen Abschied, um in Oesterreich und Rußland gegen Napoleon zu wirken. 1813 traf er wieder bei seinem Könige in Breslau ein und wurde am 9. März zum Chef des Generalstabes des 3. Armeecorps ernannt. Als solcher fungirte er in den Kämpfen von Luckau, Großbeeren und Dennewitz und in der Leipziger Schlacht, in den holländischen Affairen, sowie bei Laon und endlich bei Paris. Seit dem 22. Dec. 1813 war B. Generalmajor. Nach dem Frieden zum Geh. Staats- und Kriegsminister ernannt, gab er dem Vaterlande eine große Zahl hochwichtiger organischer Gesetze, an deren Spitze das berühmte Gesetz vom 3. Sept. 1814 „Ueber die allgemeine Verpflichtung zum Kriegsdienst“ steht. Der Erlaß dieses Gesetzes war um so verdienstlicher, als sich die alte Cantonverfassung mit ihren Exemtionen seit dem 27. Mai schon wieder als Rückschritt geltend machte. Deren.|Einrichtungen und Privilegien aber widersprachen durchaus dem Geiste, der die Wege nach Paris gebahnt; erst Boyen's Septembergesetz sicherte die Erfolge des Sieges und entwickelte im Volke frische moralische Kraft und waffenfreudige Zuversicht. Dies Gesetz ist die Grundlage des preußischen Wehrthums und der Wiedergeburt des deutschen Reiches. Im März 1817 widmete B. „Sr. Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm III., dem Stifter unserer gegenwärtigen Kriegsverfassung“ eine „Darstellung der Grundsätze der alten und der gegenwärtigen Kriegsverfassung Preußens“, die er als Handschrift angesehen wissen wollte und nicht für die öffentliche Bekanntmachung bestimmte und die daher auch nicht gedruckt, sondern nur lithographirt wurde. Sie ist für Boyen's Auffassungsweise der großen militärpolitischen Fragen, über welche unmittelbar nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ein tiefgreifender Meinungskampf begann, höchst bezeichnend und auch an sich sehr werthvoll, ist jedoch nur in wenigen Büchersammlungen vertreten. — Am 2. April 1818 wurde B. zum Generallieutenant befördert. Um diese Zeit aber war es, wo gegen eine seiner wesentlichsten Schöpfungen, gegen die Landwehr, ernste Angriffe gerichtet wurden, welche theils der reactionären Stimmung regierender Kreise, theils militärtechnischen Bedenken entsprangen. B. glaubte durch seinen Rücktritt der über Alles hochgehaltenen Institution besser dienen zu können als durch einen fortgesetzten Principienkampf, der sich zuletzt durch Persönlichkeiten verbitterte und verschärfte, und er trat am Weihnachtstage 1819 zum Schmerze seiner Gesinnungsgenossen ins Privatleben zurück. Ihm selbst war die Muße keine Freude, aber mit dem edlen Ernste eines ganzen Mannes nahm er die Schickung hin. Historische und poetische Thätigkeit begleiteten ihn. Wie Günthern, so setzte er auch Scharnhorst ein litterarisches Denkmal in den „Beiträgen zur Kenntniß des Generals von Scharnhorst“ (1833). Gegen Haugwitz' Memoire veröffentlichte er eine Gegenschrift ("Minerva“ 1837). Unter seinen Dichtungen ist es besonders eine, die zu großer Popularität gelangte: das zur 25. Jahresfeier der Stiftung der Landwehr gedichtete Lied: „Der Preußen Losung ist die Drei“, in welchem „Recht, Licht und Schwert“ edel-kräftig gefeiert werden. — Die Thronbesteigung König Friedrich Wilhelms IV. gab B. nach 20jährigem Ruhestande dem öffentlichen Dienste zurück. Vor der Huldigung noch wurde „der Gründer der Landwehr“ zum Mitgliede des Staatsraths berufen und reactivirt, am 22. Nov. 1840 zum General der Infanterie befördert und am 1. März 1841 zum Kriegsminister und zum Chef des Staatsministeriums ernannt. B. trat das hohe Amt sogleich mit jener Lebendigkeit und Frische an, die er sich durch Körperübungen und Studien bewahrt. Als er 1841 in Begleitung des Königs am Jahrestage der Schlacht von Belle-Alliance der Enthüllung des Gneisenau-Denkmals zu Sommereschenburg beiwohnte, ließ sich Friedrich Wilhelm IV. durch den ältesten Sohn Gneisenau's das Band des schwarzen Adlerordens ablösen und schmückte damit B., als den echten Freund des großen Verewigten. 1842 wurde B. Chef des 1. Infanterieregiments (jetzt „Kronprinz"), desselben, bei welchem er einst 1784 eingetreten war. — Wie sehr B. auch zu dieser Zeit das Bedürfniß empfand, seine eigene Verwaltungsthätigkeit in ihrem historischen Zusammenhange mit früheren Perioden aufzufassen und sie an großen allgemein geltenden Grundsätzen zu prüfen, beweist seine 1847 geschriebene und als Manuscript gedruckte Schrift: „Ueberblick der preußischen Heerverfassung und ihrer Kosten seit dem Tode des großen Kurfürsten“. — Eine Zahl wichtiger Einrichtungen bezeichnete auch Boyen's zweites Ministerium. Doch nicht mehr lange vermochte der Siebziger die schwere Last des höchsten Staatsamtes zu tragen. Nachdem er noch die Kämpfe des „Vereinigten Landtages“ mit durchfechten geholfen, erbat er seinen Abschied und erhielt denselben als General-Feldmarschall und Gouverneur der Invaliden. Die Märztage von 1848 zu erleben, wurde ihm erspart. Am 15. Februar 1848 hörte sein edles, allem Großen und Guten mit voller Hingebung geweihtes Herz zu schlagen auf. Seinem Wunsche gemäß wurde er dicht neben Scharnhorst auf dem Berliner Invalidenkirchhofe bestattet. Aus seiner Ehe mit der jüngsten Tochter des Kammer-Assistenzraths Berent in Gumbinnen hinterließ B. einen Sohn Hermann, zur Zeit General der Infanterie, Generaladjutant, Chef des hessischen Füsilierregiments Nr. 80 und Gouverneur von Berlin, und drei Töchter, welche als Ehrenstiftsdamen zu Berlin leben. — König Friedrich Wilhelm IV. schuf dem Dahingeschiedenen ein hochbedeutungsvolles Denkmal, indem er der ostpreußischen Feste Loetzen den Namen „Boyen“ gab und die sechs Bastione derselben nach Boyen's Vornamen und dessen Losung: „Recht, Licht und Schwert“ benannte. Welche Gesinnung aber Kaiser Wilhelm dem Gründer der Landwehr bewahrt, das zeigen die Worte, die der hohe Herr beim Empfange der Senioren des Eisernen Kreuzes am 31. März 1871 sprach: „Wir müssen anerkennen, daß wir nur auf den Grundlagen weiter gebaut haben, welche 1813, 1814 und 1815 gelegt worden sind, und damit auch das große Verdienst der Männer jener Zeit, insbesondere Boyen's, der leider oft und lange verkannt worden ist.“

    • Literatur

      Der Aufsatz über B. von Preuß in Gubitz' Volkskalender von 1847 ist unter Boyen's Mitwirkung geschrieben. Vgl. ferner Spener’sche Zeitung vom 23. Juni 1871.

  • Autor/in

    Jähns.
  • Zitierweise

    Jähns, Maximilian, "Boyen, Hermann von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 3 (1876), S. 219-222 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118662481.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA