Lebensdaten
1651 – 1689
Geburtsort
Breslau
Sterbeort
Moskau
Beruf/Funktion
Dichter ; religiöser Schwärmer
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 11872522X | OGND | VIAF: 2542408
Namensvarianten
  • Kuhlmann, Quirinus
  • Culmannus, Quirinus
  • Cyrus, refrigeratorius Jerusalemitanus
  • mehr

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Zitierweise

Kuhlmann, Quirinus, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11872522X.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Quirinus (1628–55[?]), Kaufm., S d. Johannes u. d. Elisabeth N. N.;
    M Rosina (1635[?]-1719), T d. Adam Ludewig u. d. Magdalena Henslob;
    1) London 1682 Mary gen. Angelica Gould ( 1686), 2) Amsterdam 1687 Esther Michaelis;
    1 T aus 2) (früh †).

  • Biographie

    K. zeichnete sich bereits als Schüler des Breslauer Magdalenengymnasiums durch poetische Begabung aus. Das vom enzyklopädischen Wissensdrang des jungen Dichters zeugende epigrammatische Sammelwerk „Unsterbliche Sterblichkeit“ (1668) steht noch ganz im Banne des frühbarock-humanistischen Bildungsideals. Von ausführlichen Anmerkungen begleitet, die seine Belesenheit zur Schau stellen sollen, lassen sich diese Verse auf Dichter und Gelehrte (u. a. auf Opitz, Gryphius und Logau, auf Erasmus, Seneca, Plinius und Cicero) kaum von den „poetischen Grabschriften“ der Zeitgenossen unterscheiden. 1669 schreibt er die „Preißwürdige Venus“, eine nicht weniger gelehrte Hochzeitsdichtung, in der er eine Fülle von Gestalten der griech. und röm. Mythologie auftreten läßt. In den „Entsprossenen Teutschen Palmen“ (1670) huldigt er der Fruchtbringenden Gesellschaft in tausend Alexandrinern, die sämtliche prominenten Mitglieder der Reihe nach aufzählen. Der Einfluß der Nürnberger Dichterschule läßt sich in der während der Jenaer juristischen Studienzeit (1670–73) entstandenen Sonettensammlung „Himmlische Libes-küsse“ (1671) erkennen, die ihm bald den Titel eines kaiserl. Poeta laureatus einträgt. Wenn auch dem Aussagewert nach konventionell, zeigt sich hier doch bereits K.s formales Können. Von der traditionellen Form des petrarkistischen Sonetts abweichend, ersinnt er neue, eigenwillige und komplizierte Varianten. Noch in Jena entstehen zwei größere Prosakompilationen, die „Lehrreichen Weisheit-, Lehr-, Hof-, Tugend-Sonnenblumen“ (1671) sowie der „Geschichts-Herold“ (1672), beides Lesefrüchte aus einer Unzahl von Büchern. Grundidee des ersteren Werks ist eine Art|moralischer Weltschau unter dem Prinzip der Vanitas, das letztere stellt eine Anthologie exemplarischer Erzählungen aus vielen Ländern dar. In der Bibliographie zitiert K. fast 900 Titel von 473 Autoren, deren er sich bedient habe.

    Mit der 1673 erfolgten Übersiedlung nach Leiden setzt eine radikale intellektuelle Wandlung ein. Unter dem Einfluß der Anhänger Jacob Böhmes und des Schwärmerkönigs Johannes I. (Joh. Rothe) entzündet sich hier K.s religiöses Sendungsbewußtsein, das sich erstmals im „Neubegeisterten Böhme“ (1674) niederschlägt, worin er auf der Basis von 150 Weissagungen Böhmes „mehr als 1 000 000 000 Theosophische Fragen… zur Beantwortung vorgeleget“. Endgültig bricht der 23jährige nun mit dem Luthertum und sagt ihm den Kampf an. Als fanatischer Prophet des Böhmianismus begibt er sich zunächst zu Breckling und Gichtel in Amsterdam, anschließend auch in Lübecker und Hamburger Schwärmerkreise. Im März 1677 fährt er von hier nach England, wo sich ein kleiner Kreis loyaler Anhänger um ihn schart. Anfang 1678 begibt er sich auf seine erste große Reise, die ihn über Frankreich schließlich bis nach Kleinasien führen soll. Das waghalsige Unterfangen, noch vor Ende der Türkenkriege den Sultan in Konstantinopel zu bekehren, schlägt freilich fehl. Die Fernziele Rom und Jerusalem werden lediglich auf einer „Geistreise“ besucht. Schon 1677 verfaßt K. die ersten „Funffzehn Gesänge“, deren Entstehung teilweise noch bis in die Jenaer Zeit zurückreicht; der Rest dieser qualitativ unterschiedlichen Erlebnisdichtungen stammt aus England und von der Mittelmeerreise. In der Folgezeit entsteht eine Reihe kleinerer Prosaschriften, während sich im Kreise seiner Anhänger seit etwa 1680 die „Offenbarungen“ häufen, die in Anwesenheit K.s eintreten. Als „Jesueliter“ und „Sohn des Sohnes Gottes“ sammelt er Kräfte für die aktive Ausbreitung seiner „Kühlmonarchie“, die einst ganz Europa umspannen soll. In rascher Folge dichtet er nun die mystischekstatischen „Kühlpsalmen“ (1684 ff.), sein dichterisches Hauptwerk. Das von vornherein festgelegte Gesamtkonzept der Dichtung ist ungemein anspruchsvoll. Nach dem Vorgang des Alten Testaments, der Zeit Gottvaters, und des Neuen Testaments, der Zeit des Gottessohnes, soll sein eigenes Werk als drittes Testament nun die Zeit des Sohnes des Gottsohnes darstellen. Bis ins kleinste Detail reicht das zahlengebundene Ordnungsprinzip, nach dem er die einzelnen Teile der je 15 Psalmen umfassenden 10 Bücher der Dichtung arrangiert. So wird aus dem ersten zugleich der 16. und 91., aus dem zweiten der 17. und 92. Kühlpsalm u. s. f. Die 20 018 Verse hat der Dichter selbst sorgfältig numeriert. Unter dem Einfluß von Athanasius Kirchers „Ars combinatoria“ wie auch von Böhmeschem Gedankengut gewinnen die bloßen Zahlenrelationen 3, 5, 10, 15 für ihren Schöpfer geradezu mystische Bedeutung. Nicht die Zahlenmystik ist es jedoch, die den Leser mitreißt, sondern vielmehr K.s kühne Sprachmagie, die sich in ungeheuren Worthäufungen und Neologismen manifestiert und an die lyrischen Ideale des Expressionismus erinnert. Je weiter die Dichtung voranschreitet, um so raffinierter werden die technischen Mittel, die K. einsetzt. Keine rhythmische Möglichkeit bleibt unversucht, bis sich die ekstatisch-hymnischen Verse endlich ganz von der Reimbindung befreien, um in reimlosen Jamben auszuebben. Die Bücher 9 und 10 bleiben unvollendet.

    Im Leben K.s mehren sich nun die Schwierigkeiten. Selbst sein alter Freund Breckling distanziert sich nach und nach, es kommt zur offenen Feindschaft. Auch unter den eigenen Anhängern finden sich Kritiker, die der Selbstvergötterung des Dichters und seiner Gattin Esther – dargestellt mit Strahlenkrone und Kind im Arm – keinen Beifall zollen können. Unverdrossen wendet er sich dennoch seinem größten und letzten Vorhaben zu: Der Ausbreitung seiner „Kühlmonarchie“ bis ins zaristische Rußland. Doch schon bald nach dem Eintreffen in Moskau 1689 wird er vom dortigen luth. Pastor Joachim Meineke denunziert, wegen Aufruhrversuchs verhaftet und nach langer Folterung auf Befehl des Patriarchen Joachim öffentlich als Ketzer verbrannt.

  • Werke

    Ausgew. Dichtungen, 1923;
    Entsprossene Teutsche Palmen, hrsg. v. R. L. Beare, in: Journal of English and Germanic Philology 52, 1953, S. 346-71;
    Himml. Libes-küsse, hrsg. v. A. Astel, 1960;
    dass., Faks.-Neudr., hrsg. v. B. Biehl-Werner, 1972;
    Der Kühlpsalter, hrsg. v. R. L. Beare, 2 Bde., 1971 (W);
    dass., Faks.-Neudr. 1972;
    dass., Auswahl, hrsg. v. W. Vordtriede, 1966;
    dass., mit Faks.-Neudr. d. Quinarius, hrsg. v. H. L. Arnold, 1973;
    Neubegeisterter Böhme, Faks.-Neudr., 1972.

  • Literatur

    ADB 17;
    W.-E. Peuckert, in: Schles. Lb. III, 1928, S. 139-44 (L, P);
    K. Eschrich, Stud. z. geistl. Lyrik Q. K.s, Diss. Greifswald 1929;
    E. v. Kamptz, Q. K., Diss. Prag 1944;
    B. O. Unbegaun, Un ouvrage retrouvé de Qu. K., in: La Nouvelle Clio 3, 1951, S. 251-61;
    R. Flechsig, Q. K. u. s.|Kühlpsalter, Diss. Bonn 1952;
    H. Erk, Offenbahrung u. hl. Sprache im Kühlpsalter, Diss. Göttingen 1953;
    H. Müssle, Q. K., Trinität als Existenz, Diss. München 1953 (ungedr.);
    C. V. Bock, Q. K. als Dichter, 1957;
    W. Nigg, Hl. Weisheit, 1959;
    W. Dietze, Q. K., Ketzer u. Poet, 1963 (W, L);
    M. Hiti, Der Kühlspalter u. d. neue Kuhlmannbild, Diss. Graz 1964;
    E. Kabisch, Unterss. z. Sprache d. Kühlpsalter, Diss. Berlin 1970;
    K. K. E. Neuendorf, Das lyr. Werk Q. K.s, Diss. Rice University 1970;
    V. Fässler, Helldunkel in d. barocken Dichtung, 1971;
    S. Rusterholz, Klarlichte Dunkelheiten, in: Dt. Barocklyrik, 1973, S. 225-64;
    G. Gillispie, Primal Utterance, Observations in K.s Letters to Kircher in View of Leibniz' Theories, in: Festschr. f. W. Fleischhauer, 1978, S. 27-46;
    Goedeke III, S. 198-200;
    G. Dünnhaupt, Bibliogr. Hdb. d. Barocklit., II, 1981, S. 1043-58 (W);
    Kindlers Lit.-Lex. VI, S. 5410;
    RGG³.

  • Porträts

    Stich v. R. White n. P v. O. Henin, 1679, Abb. in: Dt. Schriftsteller im Porträt, Das Za. d. Barock, hrsg. v. M. Bircher, 1979, S. 104, u. b. Peuckert, s. L.

  • Autor/in

    Gerhard Dünnhaupt
  • Zitierweise

    Dünnhaupt, Gerhard, "Kuhlmann, Quirinus" in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 253-255 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11872522X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Kuhlmann: Quirinus K., ein religiöser Schwärmer des 17. Jahrhunderts, wurde geboren zu Breslau, den 25. Februar 1651. Von Natur hochbegabt, aber schon in seiner Jugend außerordentlich nervös, glaubte er sich eines Tages im visionären Zustande zum Heiligen berufen. Er sah an seiner linken Seite stets einen Lichtschein, den er sich als Heiligenschein deutete. Aus der Etymologie seines Namens Kuhlmann (Kohlmann) folgerte er, daß er wachsen solle wie der Kohl, das Senfkorn im Evangelium, und in seinem Vornamen Quirinus, den er mit dem ersten römischen Könige und mit dem Landpfleger Cyrenius gemeinsam hatte, sah er sich zum Herrscher der Welt bestimmt. 1670 bezog er die Universität Jena, nachdem ihm der Rector des Magdalenengymnasiums zu Breslau bereits gesagt hatte, „du wirst entweder ein großer Theologe oder ein großer Ketzer werden“. Die Rechtswissenschaft, für die er sich hatte einschreiben lassen, betrieb er auf der Universität aber nicht, sondern hing in seinem Jenenser Einsiedlerleben religiöser Schwärmerei nach. 1673 verließ er die Universität und begab sich in das Eldorado aller Schwärmer, in das Land der Geistesfreiheit, nach Holland; hier vertiefte er sich in Jacob Böhme's Schriften, die in Amsterdam herausgekommen waren, und erreichte bald unter den Anhängern des deutschen Theosophen den größten Ruhm. Das Maß von Kirchlichkeit aber, das Böhme noch besessen hatte, ließ K. weit hinter sich. In vollständiger Selbstverblendung construirte er sich eine Lehre, die darauf hinauslief, daß er als Prinz des höchsten Monarchen der Welt berufen sei, nach den vier Weltmonarchien die fünfte aufzurichten, die der Frommen, das Kuhlmannsthum. Alle weltlichen und geistlichen Fürsten wurden eingeladen, dem Könige dieses Reiches zu huldigen. Die Mahnung an den Papst sollte durch den berühmten Jesuiten Athanasius Kircher, vermittelt werden, mit dem K. eine Zeit correspondirte. Den türkischen Kaiser hat er in eigener Person eingeladen, wobei er aber in Konstantinopel nur mit Mühe der Einkerkerung durch die Flucht entgehen konnte. Die Irrfahrt nach der Türkei war eine von seinen vielen Agitationsreisen, die er zu Gunsten seiner Schwärmerei gemacht hat. Er hatte schon vorher in England und Frankreich Gesinnungsgenossen zu werben gesucht, aus der Türkei aber wandte er sich jetzt nach Rußland. Allein kaum war dem Patriarchen von Moskau der Plan des Schwärmers bekannt geworden, als er ihn ergreifen und am 4. Octbr. 1689 verbrennen ließ. Seine vielen Bücher, die er in seinem beruflosen Leben verfaßt hat, können, mit Ausnahme seiner deutschen Dichtungen, alle vergessen werden. Ihre Titel bei Adelung (s. u.) p. 82 ff. Als deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts wird er dagegen stets eine gewisse Bedeutung behalten; denn er war von Jugend auf eine poetische Natur und hatte schon als 20jähriger Jüngling den kaiserlichen Titel eines poeta laureatus bekommen. In seinem „Kuhlpsalter“ hat er 150 Psalmen auf sein eigenes religiöses Königreich gedichtet, von denen mancher allerdings an Verrücktheit grenzt, z. B. zu Ps. 53:

    Liebquelle Jesus Liebe lieber. Je mehr sie quillet ewigst über, Je mehr sie ewigst Dich liebküßt, Liebküssend ewigst Dich durchsützt, Durchsüßenb ewigst Dich umherzet, Umherzend ewigst in Dich sterzet.

    • Literatur

      Ueber ihn ist zu vergleichen ein ausführlicher Aufsatz bei Adelung, Geschichte der menschlichen Narrheit. Bd. V, S. 3—90. Derselbe nimmt Bezug auf eine frühere Darstellung von Harenberg: De Quirino Kuhlmann im museum historico-theologicum Bremense T. I p. 651—687. Hagenbach in Herzogs Realencyclopädie, 1. Auflage, Bd. VIII, S. 132.

  • Autor/in

    P. Tschackert.
  • Zitierweise

    Tschackert, Paul, "Kuhlmann, Quirinus" in: Allgemeine Deutsche Biographie 17 (1883), S. 331-332 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11872522X.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA