Wetzel, Erhard

Lebensdaten
1903 – 1975
Geburtsort
Stettin
Sterbeort
Wremen/Nordsee
Beruf/Funktion
Jurist ; NS-Beamter
Konfession
evangelisch
Namensvarianten

  • Wetzel, Erhard Georg Heinrich
  • Wetzel, Erhard
  • Wetzel, Erhard Georg Heinrich

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Zitierweise

Wetzel, Erhard, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz142018.html [27.12.2025].

CC0

  • Wetzel, Erhard Georg Heinrich

    | Jurist, NS-Beamter, * 7.7.1903 Stettin, † 24.12.1975 Wremen/Nordsee, Wremen/Nordsee. (evangelisch)

  • Genealogie

    V Erich (1867–1954), aus Zedlin (Siodłonie, Lkr. Stolp, Pommern), Feldwebel, dann Oberger.vollzieher in Jakobshagen (Pommern), später in Potsdam, zuletzt in Berlin-Nikolassee, S d. Friedrich ( v. 1898), Lehrer;
    M Clara (1876-v. 1954), T d. Heinrich Golchert, Bes. e. Gasthofs in Damsdorf b. Kloster Lehnin, u. d. Auguste Keitzke;
    B Johann Georg (* 1906), Dr. phil.;
    Charlotte Bremer (1911–1996);
    1 T Erika.

  • Biographie

    Nach dem Abitur 1921 in Potsdam und anschließendem Jurastudium in Berlin (1. Staatsexamen 1925) wurde W. 1928 in Göttingen zum Dr. iur. promoviert. Bis 1933 war er in der Berliner Justizverwaltung tätig. Dem Eintritt in die NSDAP im Mai 1933 folgte eine Beschäftigung im NS-Rechtswahrerbund. 1935 wurde W. Mitarbeiter im Rassenpolitischen Amt der NSDAP, wo er von 1940 bis Kriegsende als Hauptstellenleiter fungierte. 1939 bereits als Rassebeauftragter in der Zivilverwaltung im besetzten Polen eingesetzt, wurde W. 1941 zum Rassedezernenten im neugegründeten Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMfbO) bestellt (Oberreg.rat 1942, Min.rat 1944).

    Bei Kriegsende wurde W. in Potsdam von den Sowjets gefangengenommen und interniert, im Febr. 1950 erfolgte die Übernahme durch die Dt. Volkspolizei der DDR. Kurz darauf stand W. bei den „Waldheimer Prozessen“ unter Anklage und wurde vom Landgericht Chemnitz auf Grundlage der Kontrollratsdirektive 38 (Verhaftung u. Bestrafung v. Kriegsverbrechern) zu einer 25jährigen Haftstrafe verurteilt. Nach einem Gnadenerweis im Okt. 1952 erfolgte eine Verringerung des Strafmaßes um zehn Jahre. W. wurde Ende 1955 aber aus der Haftanstalt Torgau, möglicherweise aus gesundheitlichen Gründen, entlassen und in die Bundesrepublik überstellt. Nach kurzem Aufenthalt bei Verwandten in Berlin-Steglitz lebte er seit März 1956 in Hannover, wo er im niedersächs. Innenministerium als Ministerialrat „zur Wiederverwendung“, später „außer Dienst“ geführt und mit einer Pension versehen wurde. Ein von der Staatsanwaltschaft Celle im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozeß eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde noch bis mindestens März 1962 geführt, dann aber eingestellt. Gegen die Untersuchungen setzte W. sich juristisch zur Wehr. 1965 von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen aufgenommene Ermittlungen gegen W. wurden ebenfalls wieder eingestellt.

    W. klagte 1963 erfolglos gegen das Land Niedersachsen auf Fortzahlung seiner Pension. 1970 übersiedelte er nach Wremen.

    W. kann als Prototyp des NS-Schreibtischtäters gelten. Als Mitarbeiter im Rassenpolitischen Amt der NSDAP und als Rassedezernent im RMfbO verfaßte er Stellungnahmen und Denkschriften, die Einfluß auf die Anwendung der „Nürnberger Gesetze“ in den|von Deutschland besetzten Gebieten der Sowjetunion und die Verfolgung, Entrechtung und Vernichtung von Juden in Baltikum, Weißrußland und der Ukraine gewannen.

    Auch ist seine Teilnahme an Nachfolgekonferenzen zur Umsetzung der Beschlüsse der „Wannseekonferenz“ dokumentiert. Als überzeugter Antisemit forderte W. eine weitreichende Definition des Begriffs „Jude“ und eine Kategorisierung, die auch allein nach dem äußeren Erscheinungsbild erfolgen könne. Um eine dt. Besiedelung Osteuropas zu ermöglichen, sollte die einheimische slaw. Bevölkerung nach W.s Überzeugung stark dezimiert werden. Von Bedeutung für die Erforschung des Genozids an den europ. Juden ist W.s „Gaskammerbrief“ an Reichskommissar Hinrich Lohse (1896–1964) vom 25.10.1941, eines der frühesten Zeugnisse der Überlegungen, die jüd. Bevölkerung Osteuropas durch Giftgas zu ermorden. Neben dem „Gaskammerbrief“ war W.s Vorschlag vom Dez. 1944, lett. Kinder und Jugendliche der „Euthanasie“ zuzuführen, ein Ansatzpunkt für Ermittlungen der westdt. Justiz. Konrad Meyer (1901–1973), Hauptautor des „Generalplan Ost“, bescheinigte W. „150prozentigen Nazismus“, Otto Bräutigam (1895–1992) (RMfbO) bezeichnete ihn als „Rassefanatiker“. Konstantin Stamati (ebenfalls RMfbO) attestierte W. eine „verkrampfte, ungeschickte Art der Menschenbehandlung“. W. sei im Laufe der Jahre zu einer „komischen Figur“ geworden.

    W.s Wiederverwendung in der bundesdt. Ministerialbürokratie erfolgte anscheinend zunächst in Unkenntnis seiner Rolle im NS-Regime: Noch Ende 1958 galt W. in einer Dokumentation des „Generalplans Ost“ in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“, die auf W.s Beteiligung an den verbrecherischen Plänen des Nationalsozialismus aufmerksam machte, als „verschollen: umgekommen oder untergetaucht“. Erst durch die Lektüre von Akten des Eichmann-Prozesses im Juli 1961 wurden Beamte des niedersächs. Innenministeriums auf W. aufmerksam, dessen Mittäterschaft an den NS-Verbrechen nie juristisch befriedigend aufgearbeitet wurde. Vermutlich hing W. seinen Überzeugungen bis zum Lebensende an, sein Grabstein in Wremen trägt NS-Runen.

  • Werke

    |Der Ausschluß v. Ver.mitgll., insbes. d. Frage seiner gerichtl. Nachprüfung in Lit. u. Rechtsprechung, 1928 (Diss.);
    Ber. über e. Besprechung im Reichsmin. f. d. besetzten Ostgebiete über d. Fragen d. Eindeutschung, insbes. in d. balt. Ländern, Febr. 1942 u. Stellungnahme u. Gedanken z. Gen.plan Ost d. Reichsführers-SS, April 1942, in: Vom Gen.plan Ost z. Gen.siedlungsplan, Dok., hg. v. Cz. Madajczyk, 1994, Dok. Nr. 9 u. Nr. 16.

  • Literatur

    |H. Heiber, Der Gen.plan Ost, in: VfZ 3, 1958, S. 281–325;
    NS-Verbrechen, Einer kam durch, in: Der Spiegel 34 v. 16.8.1961, S. 23–25;
    Enz. d. Holocaust, Die Verfolgung u. Ermordung d. europ. Juden, hg. v. I. Gutman u. E. Jäckel, 1993;
    I. Heinemann, Ambivalente Sozialingenieure? Die Rasseexperten d. SS, in: G. Hirschfeld u. T. Jersak (Hg.), Karrieren im NS, Funktionseliten zw. Mitwirkung u. Distanz, 2004, S. 73–95;
    A. Zellhuber, „Unsere Verw. treibt e. Katastrophe zu …“. Das Reichsmin. f. d. besetzten Ostgebiete u. d. dt. Besatzungsherrschaft in d. Sowjetunion, 2006;
    G. Aly u. S. Heim, Vordenker d. Vernichtung, überarb. Neuaufl. 2013;
    Qu BA, R6/74 (RMfbO), DO 1/92933 (P).

  • Autor/in

    Andreas Zellhuber
  • Zitierweise

    Zellhuber, Andreas, "Wetzel, Erhard Georg Heinrich" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 2-3 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz142018.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA