Lebensdaten
1869 – 1936
Geburtsort
Iglau (Mähren)
Sterbeort
Moskau
Beruf/Funktion
Mediziner ; Anatom ; Sozial- und Gesundheitspolitiker
Konfession
konfessionslos
Normdaten
GND: 118620657 | OGND | VIAF: 42630933
Namensvarianten
  • Tandler, Julius
  • Tandler, J.

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Zitierweise

Tandler, Julius, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118620657.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Moritz (* 1843), aus Jamnitz, Börsen-Arrangeur, Hadernhändler, Bürodiener, Redaktionsdiener, seit etwa 1871/73 in W., S d. Nathan u. d. Philippine N. N.;
    M Rosalia (Rosalie) (* 1848), aus Polna (Böhmen), T d. Josef Schiller (Schüller) u. d. Helenna N. N.; 6 jüngere Geschw; 1900 Olga Rosa Antonie († 1948, ev.), aus Budapest, T d. Wilhelm Klauber, Ing., u. d. Antonie Aich;
    S Wilhelm (1904–67), studierte an d. staatswiss. Fak. d. Univ. Wien, später in Kalifornien (USA).

  • Biographie

    T. absolvierte nach der Übersiedlung seiner Familie nach Wien dort Volksschule und Gymnasium (Abitur 1889), begann im selben Jahr das Medizinstudium (1895 Dr. med.) und war seit 1893 als Demonstrator bei dem Anatomen Emil Zuckerkandl (1849–1910) tätig, dessen Assistent er 1895 wurde. 1899 habilitierte T. sich über „Anatomie, vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte“. Seit 1903 unbesoldeteter ao. Professor, wurde T. nach dem Tod Zuckerkandls 1910 zu dessen Nachfolger als o. Professor ernannt, nachdem er während dessen Krankheit bereits das Institut geleitet hatte. Als anerkannter Anatom publizierte T. seit 1896 wiss. Arbeiten, darunter ein „Lehrbuch der systematischen Anatomie“ (4 Bde., 1919–29). Seinen universitären Beruf als Anatom übte er bis zu seiner Zwangspensionierung 1934 aus. 1917 wurden in der Folge einer Unterredung T.s mit Ks. Karl I. zwei Ministerien für soziale Fürsorge und für Volksgesundheit gegründet. Von Mai bis Okt. 1919 amtierte T. als Unterstaatssekretär und Leiter des Volksgesundheitsamtes. Im Nov. 1920 wurde er zum Amtsführenden Stadtrat für das Wiener Wohlfahrtswesen bestellt, sein Hauptwirkungsgebiet lag seitdem im Bereich der Kommunalpolitik.

    T. prägte das „Wiener System“ der Wohlfahrts- und Sozialpolitik konzeptionell und in der Praxis seit 1920 bis zu seiner Beurlaubung 1933. Sein Fürsorgekonzept orientierte sich sowohl an einem produktiven, leistungsfähigen „Volkskörper“ als auch am Individuum unter dem Aspekt der „Effizienz“: Sein Konzept einer „qualitativen“ Bevölkerungspolitik war stark bestimmt von der Unterscheidung zwischen „bevölkerungspolitisch produktiven“ (z. B. für Jugend- und Familienfürsorge, Gesundheits- und Erziehungsfürsorge) und „bevölkerungspolitisch unproduktiven“ Ausgaben (für Trinkerfürsorge, Psychiatrie u. Altenversorgung). Während der 1920er Jahre steigerte er die Ausgaben für die „produktiven“ Sektoren im Zuge einer durch ausgebildete Fachkräfte betriebenen Sozialarbeit. T.s Fürsorgepolitik erkannte den Bedürftigen ein „Recht auf Fürsorge“ zu, dem die Pflicht zu angepaßtem Verhalten gegenüberstand.

    Obwohl es nicht an Äußerungen, die einer „negativen Eugenik“ zugerechnet werden können, mangelt, war T. nicht an gesetzlichen Zwangsmaßnahmen orientiert, sondern favorisierte die Beeinflussung durch Beratung und Aufklärung. T. war dem Denken des Finanzsoziologen Rudolf Goldscheid (1870–1931) und seiner „Menschenökonomie“ verpflichtet.

    1930/31 nahm T. an Sitzungen des Hygienekomitees beim Völkerbund in Genf teil und absolvierte Reisen nach Athen, um Pläne zur Reorganisation des Gesundheits- und Wohlfahrtswesens auszuarbeiten. Nach seiner Beurlaubung für das Wintersemester 1933/34 durch das Unterrichtsministerium und der Ernennung von Karl Honay zum Stadtrat für das Wohlfahrtswesen am 24. 7. 1933 reiste S. zuerst nach China (Sept. 1933), kehrte aber nach den „Februar-1934-Ereignissen“ (der Zerstörung der demokratischen Ersten Republik) nach Wien zurück, wo er verhaftet, aber am 28. 3. 1934 wieder entlassen wurde. Während seiner Inhaftierung durch das Regime des „Austrofaschismus“ erfolgten im Ausland erste Solidaritätsbekundungen für ihn, u. a. in Form einer erneuten Einladung vom National Medical College in Shanghai und der New York Univ. Zuletzt wurde ihm im Polizeigefangenenhaus mit Wirkung Ende März 1934 die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand mitgeteilt. Im selben Jahr kehrte T. nochmals nach China zurück. Im Febr. 1936 arbeitete er, ähnlich wie schon in China, als Berater für Spitalsausbau und Medizinerausbildung in der Sowjetunion. Er verstarb in Moskau infolge von „Herzschwäche und Darmlähmung“.

  • Auszeichnungen

    A Mitgl. d. Freimaurer-Loge „Lessing zu den Drei Ringen“ (1922), d. Zentralausschusses d. Ver. „Freie Schule“, d. Ges. d. Ärzte, Wien (1897), d. k. k. österr. Orient- u. Überseeges., d. Beirates d. Österr. Bundes f. Volksaufartung u. Erbkde.;
    – Gedenktafeln an T.s Wohnhaus (Wien, Beethovengasse 8) u. an d. Kinderübernahmestelle (1946, 1965–85 J.-T.-Heim, seit 1985 J.-T.-Fam.zentrum, Wien, Billrothstraße 9);
    Denkmal im Arkadenhof d. Univ. Wien (1956);
    Prof.-Dr.-J.-T.-Medaille d. Stadt Wien (seit 1960);
    Briefmarke z. 50. Todestag (1986).

  • Werke

    Das Kind im Wachsen u. Werden, 1912;
    Anatomie d. Herzens, 1913;
    Die biol. Grundlagen d. sekundären Geschlechtscharaktere, 1913;
    Topographie dringl. Operationen, 1916;
    Ehe u. Bevölkerungspol., 1924;
    Wohltätigkeit oder Fürsorge?, 1925;
    Das Wohlfahrtsamt d. Stadt Wien, 1931.

  • Literatur

    A. Goetzl u. R. A. Reynolds, J. T., A Bibliography, 1945;
    A. Gisel, Werk u. Widerhall, 1964;
    M. Stober, Personalbibliogr. d. Prof. u. Dozenten d. Anatomie an d. Med. Fak. d. Univ. Wien im ungefähren Zeitraum v. 1845 bis 1969, Diss. Erlangen/Nürnberg 1971;
    A. Magaziner, Der Wegbereiter, 1975;
    N. Leser u. R. Berczeller, Als Zaungäste d. Politik, Österr. Zeitgesch. in Konfrontationen, 1977;
    G. Melinz, Von d. „Wohltäterei“ z. Wohlfahrt, Möglichkeiten u. Grenzen soz.demokrat. Gesundheits- u. Fürsorgepol. in Wien (1918–1934), in: Ausst.kat. „Rotes Wien“ 1918–1934, 1993, S. 104–20;
    ders. u. G. Ungar, Wohlfahrt u. Krise, Das Bsp. Wiens 1929–1938, 1996;
    K. Sablik, J. T., Mediziner u. Soz.reformer, 1983, ²2010;
    W. Maderthaner (Red.) u. H. Breitner, J. T., 1997;
    Fischer;
    BHdE I;
    NÖB 21, 1987, S. 72–78 (P);
    Lex. Naturwiss.;
    Ärztelex.;
    Personenlex. Österr.;
    Biogr. Lex. Demographie;
    Internat. Freimaurerlex.;
    Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft.

  • Porträts

    Relief v. J. F. Riedl, 1946 (Wien, Gedenktafel im J.-T.-Fam.zentrum, s. A);
    Büste v. dems., 1956 (Wien, Arkadenhof d. Univ., s. A), Abb. in: Gelehrte in Stein u. Bronze, hg. v. Th. Maisel, 2007, S. 69.

  • Autor/in

    Gerhard Melinz
  • Zitierweise

    Melinz, Gerhard, "Tandler, Julius" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 776-777 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118620657.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA