Lebensdaten
1840 – 1912
Geburtsort
Insel Reichenau/Bodensee
Sterbeort
Münster (Westfalen)
Beruf/Funktion
Religionsphilosoph
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 117493295 | OGND | VIAF: 12536114
Namensvarianten
  • Spicker, Gideon

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Zitierweise

Spicker, Gideon, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117493295.html [25.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann Baptist (1811–68), Landwirt u. Rebmann auf d. Insel R.;
    M Creszentia Sauter (1812–76); mind. 4 jüngere Geschw.

  • Biographie

    S. besuchte nach der Volksschule und Privatunterricht 1858/59 das Gymnasium in Konstanz und 1860/61 in Einsiedeln. Im Anschluß trat er 1861 dem Kapuzinerorden bei, den er 1864 nach Konflikten mit den Ordensoberen verließ, um seit 1865 in München Theologie (v. a. bei Johannes Huber u. Ignaz Döllinger), später Philosophie (v. a. bei Carl Prantl) zu studieren. 1868 wurde er aufgrund einer Arbeit über „Leben und Lehre des Petrus Pomponatius“ bei Prantl zum Dr. phil. promoviert. Seit der Habilitation bei Jakob Sengler in Freiburg (Br.) 1870 lehrte er hier als Privatdozent, seit 1875 als ao. Professor für Philosophie. In dieser Zeit entstand seine „Freiburger Trilogie“: Der v. a. vom Denken Prantls und Friedrich Albert Langes geprägte Band über „Die Philosophie des Grafen von Shaftesbury“ (1872) ist eine radikale Kritik an Religion und Metaphysik; in „Über das Verhältnis der Naturwissenschaft zur Philosophie“ (1874) setzte sich S. kritisch mit Lange und Kant auseinander; in „Kant, Hume und Berkeley“ (1875, Nachdr. zus. mit „Über das Verhältnis . . .“, mit Einl. u. Reg., hg. v. H. Schwaetzer, 2006) warf er die Frage nach der Metaphysikfähigkeit auf, die für ihn in letzter Konsequenz eine Frage nach dem Menschen ist.

    Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfs erhielt S. 1876 einen Ruf als o. Professor für Philosophie an die Akademie Münster, in dessen ultramontaner Atmosphäre er als Prantlschüler zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt war. Die Auseinandersetzungen kulminierten nach dem Erscheinen von S.s Werk „Lessings Weltanschauung“ (1883, neu hg. u. eingel. v. H. Herrmann-Trentepohl, 2005), in dem S. erstmals sein Ideal einer Religion in philosophischer Form auf naturwissenschaftlicher Grundlage präsentierte und seine Vorstellung von einem unsterblichen Geist entwickelte, der sich in verschiedenen Reinkarnationen individuell ausbildet. Sie führten zu einer letztlich ergebnislosen Debatte im Preuß. Abgeordnetenhaus über S.s Verbleib in Münster (abgedr. in d. Ed. d. Biogr. „Vom Kloster ins akad. Lehramt“, hg. v. H. Schwaetzer u. H. Stahl, ²2007).

    Inhaltlich an sein „Lessing“-Werk anknüpfend, entfaltete S. in den folgenden Jahren seine „Münstersche Trilogie“: In „Die Ursachen des Verfalls der Philosophie in alter und neuer Zeit“ (1892, neu hg. u. mit e. Vorwort versehen v. U. Hoyer, 2002) stellte er die These auf, daß die Religion den Menschen nicht nur zu einem transzendenten geistigen Wesen leite, sondern ihn auch selbst dazu mache. Dies führte ihn zur Formulierung eines neuen Glaubensbegriffs im erkenntnistheoretischen Sinn. Diese Überlegungen setzte S. in seinem methodischen Hauptwerk, „Der Kampf zweier Weltanschauungen“ (1898), fort, in dem er an die Position Friedrich Trendelenburgs in der Fischer-Trendelenburg-Kontroverse anknüpfte und für die „dritte“ Möglichkeit plädierte, daß unsere Vorstellungen mit den Dingen an sich zusammenstimmen können. Im Unterschied zu Trendelenburgs Konzeption entwickelte er das Ideal einer „cognitio intuitiva“: Nicht Gott offenbare sich dem Menschen, sondern im Laufe der Zeit erwerbe sich dieser ein Wissen von Gott und offenbare sich so ihm. Den Versuch, einen solchen Gottesbegriff konkret durchzubilden, unternahm S. in seinem „Versuch eines neuen Gottesbegriffs“ (1902). Als Ergänzung der Trilogie gilt S.s weit verbreitete Autobiographie „Vom Kloster ins akademische Lehramt“ (1908), in der S. im Rückgriff auf Goethes naturwissenschaftliche Methodik die Verknüpfung urphänomenaler Ereignisse in seinem Leben als eine Linie aufzeigte, anhand derer der Transzendentalsinn das Wirken der „Entelechie“, der unsterblichen Seele, im Leben wahrnehmbar werden lasse.

    Die intensive Rezeption von S.s Werk brach zunächst mit dem 1. Weltkrieg ab. Weitere Aufmerksamkeit erfuhr S., weil Rudolf Steiner, mit dem S. kurzzeitig in Briefkontakt stand, sich mit dessen Philosophie beschäftigte und ihn als „Dr. Strader“ in seinen Mysteriendramen verewigte. Seit Mitte der 1990er Jahre begann eine neue Erforschung und Edition des S.schen Werks, das als exemplarisch für seine Zeit gilt. Der Versuch einer Synthese von Wissenschaft, Religion und Philosophie in einer Weltanschauung unter Rekurs auf den „ganzen“ Menschen ist ein typisches Motiv. Darüber hinaus zeichnet sich S. durch eine originelle Religionsphilosophie aus, welche Vernunft und Glauben neu zusammenzudenken versucht. Schließlich gründet das Interesse an S. in seinem Versuch eines autobiographisch angelegten Unsterblichkeitsbeweises.

  • Auszeichnungen

    Geh. Reg.rat (1898);
    preuß. Roter-Adler-Orden (4 Kl. 1889, 3. Kl. 1905) u. a. Orden.

  • Werke

    Mensch u. Thier, Eine psychol.-metaphys. Abh. mit bes. Rücksicht auf Carl v. Prantl's Reformgedanken z. Logik, in: Zs. f. Philos. u. phil. Kritik NF 69/2, 1876, 193–270;
    Vom Kloster ins akad. Lehramt, 1908, hg. v. O. Krummacher, ²1914 ( P), mit e. Nachwort v. H. Schwaetzer u. H. Stahl-Schwaetzer, ³1999, hiervon ²2007 (Bibliogr. S. 213–17);
    Am Wendepunkt d. christl. Weltperiode, Phil. Bekenntnis e. ehem. Kapuziners, 1910, neu hg., eingel. u. komm. v. H. Schwaetzer, mit e. Vorwort v. U. Hoyer, 1998 (Bibliogr. S. 123–37);
    Phil. Aphorismen, hg. u. eingel. v. H. Schwaetzer, 1998;
    Rel. u. Wiss., G. S.s kl. Schrr., hg., eingel., übers. u. komm. in Verbindung mit A. M. Gehlen v. H. Schwaetzer, 2004;
    Briefe:
    G. S.s Freiburger u. Münsteraner Briefe an Moriz Carrière, in Zus.arb. mit A. Niedermeier hg. v. H. Schwaetzer, in: Kampf zweier Weltanschauungen, hg. v. U. Hoyer u. H. Schwaetzer, 1999, S. 109–13 u. 115–18.

  • Literatur

    H. Straubinger, Ein neuer Gottesbegriff, in: Phil. Jb. d. Görres-Ges. 22, 1909, S. 423–44;
    ders., Kritik d. S.schen Gottesbegriffes, ebd. 23, 1910, S. 23–37, 143–60, 302–21 u. 423–46;
    K. Beuschlein, Die Möglichkeit d. Gotteserkenntnis in d. Philos. G. S.s, 1914;
    A. Niedermeier, Das Evidente b. G. S., Btrr. z. Weltlage, 1987, S. 10–21;
    ders., Zum 150. Geb.tag G. S.s am 25. Jan. 1840, ebd., 1990, S. 52–69 (P);
    H. Schwaetzer, Anthropol. im Zeichen d. Bombe, Eine Skizze z. Entwicklung d. Anthropol. im 20. Jh. b. S., Anders, Buber u. Heisterkamp, in: L'homme machine?, Anthropol. im Umbruch, Ein interdisziplinäres Symposion, hg. v. dems. u. H. Stahl-Schwaetzer, 1998, S. 185–216;
    ders., Olim, Frater German, G. S., Ein Btr. im Kampf um Glauben u. Wissen, in: Helvetia Franciscana 29, 2000, S. 30–50;
    ders., Sinn, Subjekt, Transzendenz, G. S.s Idee d. Unsterblichkeit im Kontext v. Neukantianismus u. Spätidealismus, 2006;
    U. Hoyer u. H. Schwaetzer (Hg.), „Kampf zweier Weltanschauungen“, Metaphysik zw. Naturwiss. u. Rel. im Werk G. S.s, 1999 (P);
    dies. (Hg.), „Eine Rel. in phil. Form auf naturwiss. Grundlage“, G. S.s Rel.philos. im Kontext seines Lebens, seines Werkes, seiner Zeit, 2002 (P);
    H. Schwaetzer u. C. Schweizer (Hg.), Gesch., Entwicklung, Offenbarung, G. S.s Gesch.philos., 2005;
    K. Zeyer, Erkenntnistheorie im 20. Jh., Die kontroversen klass. Positionen v. S., Cassirer, Hartmann, Dingler u. Popper, 2005;
    Bad. Biogrr. NF V (W, L);
    BBKL 17 (W, L);
    Kosch, Lit.Lex.³ (W, L);
    Westfäl. Autorenlex. (W, L).

  • Autor/in

    Harald Schwaetzer
  • Zitierweise

    Schwaetzer, Harald, "Spicker, Gideon" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 676-677 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117493295.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA