Lebensdaten
1906 – 2005
Geburtsort
Charlottenburg bei Berlin
Sterbeort
New York
Beruf/Funktion
Pianistin
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 130112488 | OGND | VIAF: 92794437
Namensvarianten
  • Sultan, Johanna Margarete (eigentlich)
  • Sultan, Grete
  • Sultan, Johanna Margarete (eigentlich)
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Sultan, Grete, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd130112488.html [25.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Kürschner, Gel.-Kal. 1931);
    B Wolfgang († 1936 Freitod), Halb-B Herbert (1894–1954), 1934 in d. USA, emigrierte 1939 n. England, Mitgründer d. Freien Dt. Hochschule, aktiv in d. Ltg. d. „Freien Dt. Kulturbunds“ ebd., 1946 apl. Prof. f. Soz.wiss. an d. Univ. Heidelberg, Lehrbeauftragter f. Finanzwiss. an d. Wirtsch.hochschule Mannheim, Mitgl. d. Inst. des Finances Publiques (s. Altpreuß. Biogr. IV/3; BHdwE), Halb-Schw u. a. Claire (Clara) (1891–1943 KZ Auschwitz, N. N. Guttsmann), Anni Victorius (* 1897), Pianistin, Kät(h)e Victorius, Psychoanalytikerin; – ledig.

  • Biographie

    S. entstammte einer großbürgerlichen Berliner Familie, in der die Musikpflege selbstverständlicher Bestandteil des Lebens war. Zum Bekanntenkreis gehörten u. a. Max Slevogt, Max Liebermann (der den Vater porträtierte), Ferruccio Busoni und Artur Schnabel. Schon früh erhielt S. Klavierunterricht von ihrer älteren Halbschwester Anni Victorius und zwei Tanten, die Schülerinnen von Clara Schumann bzw. Theodor Leschetizky gewesen waren. 1922–25 studierte S. Klavier an der Berliner Hochschule für Musik bei Leonid Kreutzer (1884–1953) und setzte ihre Ausbildung danach als Privatschülerin von Edwin Fischer (1886–1960) fort. Wichtige Anregungen vermittelten ihr ferner der Pianist Richard Buhlig (1880–1952), der sie mit Henry Cowell (1897–1965) bekannt machte, und Claudio Arrau (1903–91), mit dem sie eine langjährige Freundschaft verband. In den späten 20er Jahren startete S. eine vielversprechende Konzertlaufbahn. Ähnlich wie Buhlig verband sie in ihren Programmen klassische Werke mit solchen der zeitgenössischen Moderne, ihr Repertoire reichte dabei von Frescobaldi bis Arnold Schönberg, sie reiste mit dem Kammerorchester von Edwin Fischer und spielte im Duo mit dem Cellisten Enrico Mainardi (1897–1976).

    Von den Nationalsozialisten mit Auftrittsverbot belegt, konnte S. seit 1933 nur noch privat und in Konzerten des Jüdischen Kulturbundes spielen. Die Familie wurde enteignet, einige Mitglieder wurden Opfer des NS-Terrors. 1941 gelang es Buhlig, S. ein amerik. Affidavit zu verschaffen, das ihr nach einer gefahrvollen und mühseligen Reise die Emigration in die USA ermöglichte.

    In Amerika völlig unbekannt, verdiente S. ihren Lebensunterhalt anfangs mit privaten Klavierstunden. Sie lebte zunächst in Poughkeepsie (New York), lernte Englisch und fand 1942 durch Vermittlung des bereits 1933 emigrierten Pianisten Bruno Eisner (1884–1978) eine Anstellung bei der Young Men’s Hebrew Association (YMHA) in New York. 1947 erhielt sie die amerik. Staatsbürgerschaft. Von 1952 bis zu ihrer Pensionierung 1971 unterrichtete sie schließlich an der „Master’s School“ in Dobbs Ferry, New York, wo u. a. der Komponist Christian Wolff (* 1934) zu ihren Schülern zählte.

    Mit ihrem Debüt in New York 1947 entfaltete S. eine zweite Konzertlaufbahn, in der sie sich erneut für die Moderne einsetzte. 1946 hatte sie John Cage kennengelernt, der ihr 16 Stücke seiner 1956 entstandenen „Music for Piano“ widmete und die „Etudes australes“, die er 1974 unter dem Eindruck ihres Klavierspiels schrieb. Die beiden Künstler verband eine tiefe Freundschaft, zeitweise waren sie Nachbarn in einem Haus in Greenwich Village (New York).

    Mehrere Konzertreisen führten S. seit 1975 durch die USA, Mittel- und Südamerika, Japan und auch Europa, Deutschland besuchte sie dabei nur selten. Ihr Repertoire umfaßte Werke von Bach, Beethoven, Chopin bis hin zu Komponisten der Moderne, neben Cage z. B. Stefan Wolpe, Alan Hovhaness, Ben Weber, Christian Wolff, Tui St. George Tucker. Bis ins hohe Alter verband ihr Spiel mühelose Technik mit absoluter Hingabe an das musikalische Werk und war dabei gekennzeichnet durch die Synthese von analytischer Klarheit und Empfindsamkeit.

    S. teilte das Schicksal zahlreicher Künstler jüd. Abstammung aus ihrer Generation, die aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten, selbst wenn sie physisch überlebten, in ihrer Heimat fast vollständig in Vergessenheit gerieten. Nachdem noch die Uraufführung der kompletten „Etudes australes“ auf den Wittener Tagen für neue Kammermusik durch S. 1982 nur knapp notiert worden war, erwachte in den 1990er Jahren das Interesse an der hochbetagten Pianistin. Späten Ruhm erlangte sie mit einer Aufführung der „Etudes Australes“ 1991 in Zürich und als Interpretin der Goldberg-Variationen von J. S. Bach, die sie mit allen Wiederholungen noch 1996 in New York spielte.

  • Auszeichnungen

    A BVK 1. Kl. (2002).

  • Werke

    W Tonträger: John Cage, Etudes Australes, aufgenommen 1978/82, 4 LP, um 1987;
    Neued. 3 CDs, 1992;
    G. S., The Legacy, 1996–2002;
    Nachlaß:
    The Internat. Piano Archives at Maryland.

  • Literatur

    D. Revill, Tosende Stille, Eine John-Cage-Biogr., 1992;
    G. S. im Gespräch mit Juan Allende-Blin, in: Musiktradition im Exil, hg. v. J. Allende-Blin, 1993, S. 46–57 (P);
    N. Slonimsky, L. Kuhn u. D. McIntire (Hg., Bearb.), Baker`s biographical dict. of twentieth-century classical musicians, 1997;
    W. Rathert u. D. Schenk (Hg.), Pianisten in Berlin, Klavierspiel u. Klavierausbildung seit d. 19. Jh., 1999, S. 102 f. (P);
    A. Smoltczyk, Flucht u. Fuge, in: Der Spiegel Nr. 25, 2001, S. 194–96 (P);
    W. Rathert, Ein Kopfstand vor d. Aufnahmeprüfung, in: FAZ v. 16. 6. 2001 (P);
    ders., Ich bin übrig geblieben, Der Weg d. Pianistin G. S. v. Berlin n. New York, in: Berliner Ztg. v. 13. 07. 2002 (P);
    ders., Sense and Sensibility, in: FAZ v. 24. 8. 2002 (P);
    J.-C. Kuner, 32 Betrachtungen über G. S., Radiofeature (Regie: D. W. Meissner;
    WDR 3, 5. 5. 2002);
    M. Weber, Anders als alle anderen, in: Die Zeit v. 10. 10. 2002 (P);
    ders., ebd. v. 30. 6. 2005;
    B. Christiansen, Die vergessene Pianistin G. S. sollte man wiederentdecken, Tief geistig u. fast religiös, in: Stuttgarter Ztg. v. 27. 11. 2002;
    Lex. d. Klaviers, hg. v. C. Kammertöns u. S. Mauser, 2006, S. 703;
    S. Fetthauer u. M. v. Bredow, in: Lex. verfolgter Musiker u. Musikerinnen d. NS-Zeit, Univ. Hamburg, seit 2005 (Internet);
    G. Willmes, in: I. Harden u. G. Willmes, Pianisten Profile, 600 Interpreten, 2008, S. 708 f.;
    Nachrufe:
    M. v. Bredow, Rebellische Kgn., in: Der Tagesspiegel v. 29. 6. 2005;
    E. Brüning, Zwei Karrieren, Rebellisch u. werktreu, in: FAZ v. 28. 6. 2005;
    A. Midgette, G. S., 99, A Pianist And Mentor to Cage Is Dead, in: The New York Times v. 3. 7. 2005;
    MGG² Suppl., 2008 (P mit J. Cage).

  • Autor/in

    Marion Brück
  • Zitierweise

    Brück, Marion, "Sultan, Grete" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 695-696 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd130112488.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA