Lebensdaten
1923 – 2008
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Ludwigsfelde-Gröben (Brandenburg)
Beruf/Funktion
Informatiker ; Gesellschaftskritiker
Konfession
jüdisch
Namensvarianten
  • Weizenbaum, Joseph
  • Weizenbaum, Josef

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Zitierweise

Weizenbaum, Joseph, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz140242.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Jechiel (Harry) (1875–1954, 1] Rebecka, 1879–1916, T d. Louis Wagner, Bäckermeister in Samter [Szamotuły]), aus Chrzanów (Galizien), Hofkürschnermeister in B., Pelzhändler, emigrierte 1936|n. Detroit (Michigan, USA), S d. Udla (?) W., später Gaenger ( v. 1906), Kommissionär in Chrzanów;
    M Henriette Orman (* 1901), aus Wien, T d. Abraham Leib Petersel (Orman[n]) (1875–1934), aus Österr., u. d. Ryfka Friedlander (* 1874);
    1 Halb-B Leo (* v. 1923), 1 B Henry F. (Francis) Sherwood (bis 1943 Heinrich W., Heinz W.) (1921–2005, seit 1940 kath., 1] Virginia Postler, 2] Irene Szeczesny), Informatiker, 1943 US-Staatsbürger, 1966–77 Leiter d. europ. Diebold-Forsch.progr., Gründer d. Fa. Sherwood & Associates, Bad Homburg v. d. Höhe (s. Z. Carden, The Secret Files of Henry F. Sherwood, 2005);
    1) (?) Thelma Goode, 2) 1952 Ruth, T d. Robert Elmore Manes ( um 1972) u. d. Mary Agnes Tuten (1905–2006);
    1 S aus 1) David, 4 T Pm (* 1955), Sharon (* 1956), Miriam Sarger W. (* 1960), Naomi (* 1961).

  • Biographie

    W. wuchs im bürgerlichen jüd. Milieu am Berliner Gendarmenmarkt auf, besuchte das Luisenstädtische Realgymnasium und wurde 1935 zum Wechsel auf die Knabenschule der jüd. Gemeinde gezwungen. Im Jan. 1936 emigrierte er mit seiner Familie nach Detroit (USA). Nach dem Highschool-Abschluß 1940 studierte W. seit 1941 – unterbrochen vom Kriegsdienst als Meteorologe der U. S. Army 1942–45 – Mathematik an der Wayne Univ. Detroit (M. Sc. 1950). Die universelle Sprache der Mathematik half ihm, mit dem Anderssein in der Emigration umzugehen; die Beschäftigung mit Sprache war für ihn identitätsstiftend und begründete seine spätere Forschung und Gesellschaftskritik.

    Seit 1950 arbeitete W. an der Wayne Univ. Detroit als wissenschaftlicher Assistent an der Konstruktion von Rechenanlagen mit; es folgten Tätigkeiten als Computerbauer und Programmierer u. a. für die U. S. Navy und 1955–63 für General Electrics, wo er an der Entwicklung des weltweit ersten Computersystems für Banken mitwirkte. 1963 wurde er Visiting, 1964 Associate und 1970 o. Professor für Computer Science (Informatik) am Massachusetts Institute of Technology (em. 1988). Forschungsaufenthalte führten W. 1972 / 73 an das Center for Advanced Studies in the Behavioral Sciences an die Stanford Univ. und 1973 / 74 an die Harvard Univ. Seit 1996 lebte er in Berlin.

    W. verfaßte zahlreiche Publikationen, die nur anfangs computerwissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Inhalt hatten. Als einschlägig gelten seine Arbeiten zu Programmiersprachen und Referenzzählern. 1966 veröffentlichte er mit „ELIZA“ ein Computer-Programm zur Analyse menschlicher Sprache und zum Studium der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. W.s Arbeiten, mit denen er über die Fachwelt hinaus bekannt wurde, gelten als wichtige Beiträge zur maschinellen Informationsverarbeitung und grundlegend zur Entwicklung von sog. Künstlicher Intelligenz (KI).

    W. gilt als einer der ersten maßgeblichen Kritiker einer unreflektierten Anwendung von Computertechnologie. Er sympathisierte mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA, protestierte gegen den Vietnamkrieg und wandte sich seit den 1970er Jahren mit Vorträgen und Interviews an eine breite Öffentlichkeit mit der Forderung, daß Wissenschaft und Technik dem Gemeinwohl dienen müßten und sich der Kriegsforschung verweigern sollten. Sein System „ELIZA“ verstand er v. a. als eine Art Parodie, mit der er eine drohende Abhängigkeit des Menschen von einer Maschine demonstrieren wollte. Den Einsatz solcher Systeme als Universalmaschinen lehnte er ab.

    In seinem viel beachteten Schlüsseltext „Alptraum Computer“ (in: Die Zeit v. 21. 1. 1972) warnte W. vor den Gefahren einer unkritischen Technikgläubigkeit. Sein Hauptwerk „Computer Power and Human Reason“ (1976, dt. 1977, ⁹1994, Nachdr. 2008, zahlr. Überss.) wurde in einer Zeit zunehmender Computerisierung und ihrer öffentlichen Diskussion v. a. im dt.sprachigen Raum populär. Es gilt als Standardwerk zum Themenkomplex Computer und Gesellschaft. Darin argumentierte W. u. a. gegen KI-Befürworter wie Marvin Minsky, Herbert A. Simon und Allen Newell. Demnach können Mensch und Maschine auch nicht theoretisch gleichgesetzt werden, da bestimmte Denkakte dem Menschen vorbehalten blieben. Denn menschliche Erfahrung, kulturelle Kontexte und unbewußte Prozesse seien nicht auf Maschinen übertragbar, da sie nicht vollständig in formalen Sprachen ausgedrückt werden könnten; Computer könnten rechnen, aber nicht urteilen.

    Seit den 1980er Jahren widmete sich W. Themen wie dem Überwachungsstaat, der Datenüberflutung durch das Internet, der westlichen Konsumgesellschaft und dem Umgang mit natürlichen Ressourcen. Er setzte sich für nachhaltiges Handeln ein und kritisierte unverantwortlich handelnde Politiker. W., der 1981 zu den Gründern der Initiative „Computer Professionals for Social Responsibility“ und 1984 des Forums „InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ gehörte, warnte in seiner letzten Lebensphase eindrücklich vor den katastrophalen Folgen des Klimawandels, die nur durch Zivilcourage und organisierten Widerstand gegen den globalen Kapitalismus verhindert werden könnten.

  • Auszeichnungen

    A Humboldt-Preis d. Alexander-v.-Humboldt-Stiftung (1994);
    Norbert Wiener Award for Professional and Social Responsibility (1998);
    Dr. h. c. Univ. Bremen (1998) u. Univ. Hamburg (2003);
    Gr. BVK (2001);
    Dagmar and Václav Havel Foundation VIZE 97 Prize (2002);
    Ehrenmitgl. d. Ges. f. Informatik (2003);
    W.-Inst. f. d. vernetzte Ges., Berlin.

  • Werke

    Weitere W Knotted List Structures, in: Communications of the ACM 5, 1962, H. 3, S. 161–65;
    Symmetric List Processor, ebd. 6, 1963, H. 9, S. 524–36;
    ELIZA, A Computer Program for the Study of Natural Language Communication between Man and Machine, ebd. 9, 1966, H. 1, S. 36–45;
    Kurs auf d. Eisberg oder nur d. Wunder wird uns retten, sagt d. Computerexperte, 1984, seit ²1988 u. d. T. Kurs auf d. Eisberg, Die Verantwortung d. einzelnen u. d. Diktatur d. Technik, ³1991;
    Ohne uns geht’s nicht weiter, „Künstl. Intelligenz“ u. Verantwortung d. Wissenschaftler, in: Bll. f. dt. u. internat. Pol. 31, 1986, H. 9, S. 1037–45;
    Es ist e. Explosion d. Quatsches, Spiegel Streitgespräch, in: Der Spiegel 10, 1987 (mit K. Haefner);
    Computermacht u. Ges., Freie Reden, hg. v. G. Wendt u. F. Klug, 2001 (Biogr. S. 133–38);
    Wo sind sie, d. Inseln d. Vernunft im Cyberstrom? Auswege aus d. programmierten Ges., 2006, engl. 2015 (mit G. Wendt, P);
    Wir gegen d. Gier, in: SZ v. 8.1.2008;
    Radiofeature: Der Computer hat d. geringste Verständnis, in: Dtld.funk Kultur v. 8.1.2008 (mit St. Detjen).

  • Literatur

    |D. Schnorbusch, Dr. Elizas Patienten in d. Dämmerung, J. W. u. d. Frage, wie viel Technol. d. Demokratie verträgt, in: Kultur & Technik 32, 2008, H. 1, S. 20–23 (P);
    H. Merschmann, Der zornige alte Mann d. Informatik, in: Spiegel Online v. 8. 1. 2008 (P);
    ders., Der Kritiker geht, d. Kritik bleibt bestehen, ebd. v. 7.3.2008 (P);
    P. Illinger, Ein kundiger Zweifler, in: FAZ v. 7.3.2008 (P);
    G. v. Randow, Joe W., freier Geist, in: Zeit Online v. 6.3.2008;
    J. Markoff, J. W., Famed Programmer, Is Dead at 85, in: The New York Times v. 13.3.2008 (P);
    K. Sagatz, Der Computerwissenschaftler, d. z. Kritiker wurde, in: Der Tagesspiegel v. 20.3.2016 (P);
    D. Siefkes u. a. (Hg.), Pioniere d. Informatik, Ihre Lebensgesch. im Interview, 1999, S. 31–59;
    P. McCorduck, Machines Who Think, 2004;
    P. S. Russell u. P. Norvig, Artificial Intelligence, a Modern Approach, ³2010;
    N. J. Nilsson, Die Suche n. Künstl. Intelligenz, e. Gesch. v. Ideen u. Erfolgen, 2014 (P);
    BHdE II;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Dokumentarfilme u. a.: P. Haas u. S. Holzinger, W., Rebel at Work, 2007;
    J. Schanze, Plug & Pray, 2011.

  • Autor/in

    Malte Rehbein
  • Zitierweise

    Rehbein, Malte, "Weizenbaum, Joseph" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 711-713 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz140242.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA