Lebensdaten
um 1340 – 1418
Geburtsort
Brakel
Sterbeort
Maastricht
Beruf/Funktion
Kirchenpolitiker ; providierter Bischof von Verden ; Historiker
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118525549 | OGND | VIAF: 28728357
Namensvarianten
  • Dietrich von Nyem
  • Niem, Dietrich von
  • Dietrich von Niem
  • mehr

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Zitierweise

Dietrich von Nieheim, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118525549.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus ratsfähigem Bürgergeschlecht, das aus Nieheim stammt, auch in Höxter u. Hildesheim nachweisbar;
    V Dietrich, wahrsch. Ratsherr in Brakel, die Stadt stiftete wohl für ihn 1344 Jahrgedächtnis.

  • Biographie

    D. hatte Grundbesitz in und bei Hameln, wo er ein Spital für Laienschwestern gründete. 1395-1401 „Elekt“, in Wahrheit von Bonifaz IX. gegen den Willen des Kapitels „providierter“ Bischof von Verden, gelangte er, wenn er auch (1396) in Verden ein Synodalstatut erließ, bei gelegentlicher Residenz in Lüneburg nicht in den Besitz des Bistums. Er lebte seit 1370 an der päpstlichen Kurie, der er, zunächst als Schreiber eines der Richter der „Rota“, mit Gregor XI. an der Jahreswende 1376/77 von Avignon nach Rom folgte. Hier, wo er am Campo de'Fiori wohnte, war er der eigentliche Gründer des noch heute bestehenden deutschen Nationalhospizes Santa Maria dell' Anima. Durch Urban VI. wurde D. Scriptor und Abbreviator der Kanzlei, er behielt diese Ämter, in führender Stellung unter den Abbreviatoren, bis zum Tode bei, daneben war er Inhaber mehrerer Pfründen an deutschen und niederländischen Kirchen (Minden, Bonn, Köln, Lüttich), zum Alterssitz wählte er Sankt Servatius in Maastricht.

    1380 erneuerte er in amtlichem Auftrag das Kanzleibuch der römischen Kirche (Liber Cancellarie) und stellte, vielleicht noch früher, die Verfahrensregeln der Rota (Stilus palacii abbreviatus) zusammen. Dom Papst Urban VI. als enger Vertrauter (Vorleser), dem Kardinal „von Bari“ Landulf Maramaldi als Familiar und Kaplan verbunden, war der von der eigentlich politischen Korrespondenz der in humanistischer Manier schreibenden italienischen Kammerreferendare ausgeschlossene Kenner des hergebrachten Kanzleistils den Ereignissen und auch den folgenden Päpsten der römischen Obödienz Bonifaz XI., Innozenz VII., Gregor XII. nahe genug, um in seiner Geschichte der Kirchenspaltung seit 1378 (De Schismate, 1409/10) literarische Porträts der Päpste und anderer Persönlichkeiten zu geben; auch nahe genug an den Geschäften, um in seinem „Hain der Kircheneinigung“ (Nemus Unionis, Juli 1408) Akten aus fremder und eigener Feder über die Zögerungen und Schritte der einander entgegenstehenden Päpste Gregor XII. und Benedikt XIII., der Kardinäle, König Ruprechts, König Ladislaus' von Neapel zu sammeln, die endlich zum Konzil von Pisa führten, für das D. den Erzbischof von Köln, Friedrich von Saarwerden gewann. Nur mit dem niedersten Grad der Artisten (Baccalaureus in artibus) ausgestattet, ohne Erwerb akademischer Grade doch am päpstlichen Generalstudium in Rom gebildeter Jurist, von der humanistischen Welle der Zeit mehr berührt als getragen, war der Bewunderer und Ausschreiber Boccaccios und Petrarcas ein leidlicher Kenner der antiken lateinischen Autoren, ein neugieriger Aufspürer und handgreiflicher Schilderer von Merkwürdigkeiten in Geschichte, Volksart und Natur sowohl Italiens wie seiner mit galliger Liebe charakterisierten niederdeutschen Heimat, insbesondere des Landes um Verden und der Lüneburger Heide; das Fraterherrenhaus zu Münster in Westfalen, ein Ableger der niederländischen „Devotio Moderna“, verehrte ihn noch nach Jahrhunderten als seinen Wohltäter.

    Seine Bedeutung besteht darin, daß er die Forderung nach Union und Reform der Kirche mit einer Leidenschaft erhob, welche seinen im Sommer 1410 veröffentlichten „Dialogus“ (vom 1. Herausgeber „De Modis uniendi et reformandi ecclesiam“ genannt) über die ganze zeitgenössische politische Literatur, auch über Autoren wie Ailli oder Andreas von Escobar dominieren läßt als klares, konsequentes, am Kirchenbegriff|Wilhelms von Occam orientiertes Zeugnis der konziliaren Theorie: nicht das Ergebnis einer ursprünglich revolutionären Gesinnung, sondern der äußerste Punkt, bis zu dem die Not der Kirchenspaltung den am Papsttum als der Garantie der Kircheneinheit festhaltenden konservativen Kurialbeamten, den historisch denkenden Deutschen in der Tradition der von ihm benutzten Schriften des Jordanus von Osnabrück und des Alexander von Roes getrieben hat. Einberufer und Leiter des Konzils ist für D. der Kaiser, das Kaisertum Quelle des päpstlichen Primates, dessen göttliche Einsetzung unter reichlicher, für die Zeit einzigartiger Benutzung des Defensor Pacis des Marsilius von Padua bestritten wird. Die in immer neuen Ansätzen, Quellenexzerpten, Glossen beschworene Erinnerung an die Verdienste Karls des Großen und der Ottonen um Einheit und Reinheit der Kirche, der Staufer um den Kreuzzug erzeugte D.s kirchenpolitisch gemeinte Werke über die deutsche, besonders sächsische Geschichte seit Karl dem Großen: eine „Chronik“ 1399, das „Viridarium imperatorum et regum Romanorum“ 1411, welchem neben vielen anderen, vor allem brieflichen Dokumenten die Weltchronik des Frutolf von Michelsberg zu Grunde liegt; eine weitere, an den von D. gemachten Fund der gefälschten Investiturprivilegien Hadrians und Leos VIII. angeschlossene Chronik (daher vom 1. Herausgeber „Privilegia“ genannt) 1413/14; eine vierte, auf dem Konstanzer Konzil geschriebene Deutsche Geschichte (demnächst aus der Kapitel-Bibliothek Toledo in Monumenta Germaniae); das Ganze eine einzigartige, nur mit den Bestrebungen des Nikolaus von Cues und später der patriotischen Humanisten vergleichbare Belebung früh- und hochmittelalterlicher deutscher Reichstradition. D. bereitet das Konstanzer Konzil durch eine eigene Reformschrift (Avisamenta, 1414) vor und begleitet es bis Sommer 1417 mit seinen Gutachten, wobei er, der leidenschaftliche Verfechter deutscher Herrschaft in Böhmen und Feind der dortigen „Wiclefiten“ und des Hus, mit einer fast taciteischen Vorliebe für primitive Völker und unter der Wirkung polnisch-litauischer Propaganda gegen den deutschen Orden in Preußen auftrat. Die Wirkung der Schriften D.s, vorab der historischen, reicht vom Konstanzer Konzil selbst (anonymer Traktat über Kirchen- und Reichsreform 1417) über Dietrich Engelhus bis zu Flacius Illyricus und zu dem 1. Herausgeber der „Privilegia“, dem reichspatriotisch gesinnten Juristen Simon Schard, der im selben Jahr (1566) die von D. benutzte sogenannte Briefsammlung des Petrus de Vinea herausgab. Die einzige (Wiener) Handschrift des Viridariums ist als Fürstenspiegel für den Regierungsantritt König Albrecht II. (1438) hergestellt worden.

  • Werke

    Weitere W Traktat üb. d. Berufung d. Generalkonzile 1413/14 (Autograph), in: Hs. 226 d. Augsburger Stadtbibl., Facsimile: SB d. Ak. d. Wiss. Heidelberg, 1929.

  • Literatur

    ADB XXIII (unter Niem);
    H. Heimpel, D. v. Niem, 1932 (mit endgültiger Zuweisung d. Dialogs u. erster Edition d. Ablaßtraktats 1403, d. Briefwechsels m. d. Abbreviator Joh. Stalberg 1411 u. v. je einem Gutachten üb. d. Konstanzer Geleit für Papst Johann XXIII. u. für Hus, 1415 sowie Kat. d. bis 1932 bekannten 34 Schrr.);
    ders., in: Westfäl. Lb. V, 1937;
    H. Grundmann, Polit. Gedanken ma. Westfalen, in: Westfalen 27, 1948, S. 16 ff.;
    A. Lhotsky, Das Viridarium imperatorum et regum Romanorum, in: SB d. Ak. d. Wiss. Wien, phil.-hist. Kl. 226, 3, 1949, Ausg. v. A. Lhotsky u. K. Pivec, in: MG, Staatsschrr. d. späteren MA V, 1, 1956;
    K. Pivec, Qu.-analysen zu D. v. N. I (Ottonenzeit), in: MIÖG 58, 1950;
    ders. u. H. Heimpel, Neue F zu D. v. N., = Göttinger Nachrr., 1951;
    S. Krüger, Die Darmstädter Hs. d. D. v. N., in: DA 12, 1956.

  • Autor/in

    Hermann Heimpel
  • Zitierweise

    Heimpel, Hermann, "Dietrich von Nieheim" in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 691-692 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118525549.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Niem: Dietrich oder Theoderich v. N. (Nieheim), bedeutender Geschichtsschreiber, am 22. März 1418, wurde zwischen 1340 und 1350 in dem Paderborn’schen Städtchen Nieheim geboren. Wo er seine wissenschaftliche Ausbildung erhielt, läßt sich nicht sicher nachweisen; unter Urban V. oder wahrscheinlicher erst unter Gregor XI. wurde er Notar der päpstlichen Rota in Avignon und übersiedelte im J. 1376 mit der Curie nach Rom. Urban VI., der ihn in seine nähere Umgebung zog, ernannte ihn zum Abbreviatur in der Kanzlei. N. verfaßte damals eine kleine Schrift: „De stilo“, welche das Verfahren und den Rechtsgang der Rota behandelte und stellte einen „liber cancellariae“ her, ein Handbuch der päpstlichen Kanzlei, in welchem die giltigen Kanzleiordnungen gesammelt und redigirt sind. Als Urban im Herbst 1383 nach Neapel zog, um den König Karl von Durazzo zur Erfüllung seiner Versprechungen zu bewegen, erlebte N. in seinem Gefolge manche Abenteuer, bis es ihm Anfang 1385 gelang, sich von der Curie zu trennen. Indessen finden wir ihn 1387 wieder in seiner früheren Stellung, bis er 1395 von Bonisacius IX. zum Bischof von Verden befördert wurde. Er trat zwar seine Würde an, vermochte sich aber gegen mancherlei Widerstand nicht zu behaupten und kehrte nach Rom zurück. Seine weiteren Bemühungen waren vergeblich; nachdem der Papst selbst ihn fallen gelassen hatte, mußte er auf seinen Titel verzichten und in seine Kanzleithätigkeit zurücktreten, in welcher er 1403 wieder erscheint. In die Zwischenzeit fällt die Gründung eines deutschen Nationalhospizes in Rom, welchem N. eifrige Fürsorge und später reichliche Schenkungen zugewendet hat; es ist dies das heutige Institut dell' Anima. Auch zur Feder hat er damals gegriffen und eine Chronik zu schreiben begonnen, von welcher uns jedoch nur Bruchstücke erhalten sind. Die nächsten Jahre vergingen, ohne daß er einen über seine amtliche Thätigkeit hinausreichenden Einfluß ausübte.

    Schon seit langer Zeit hatte die traurige Lage der Kirche, welche theils durch das Schisma, theils durch die Maßlosigkeit Urban's VI. und die Geldgier Bonifacius IX. veranlaßt wurde, N. mit schmerzlichem Zorne erfüllt. Erst die Wahl Gregors XII. erweckte Hoffnungen, welche aber nur zu bald vereitelt wurden. N. war in der Begleitung des Papstes, als dieser im Mai 1408 zu Lucca durch sein Verhalten den Bruch mit dem größten Theile der Cardinäle herbeiführte, welche ihn verließen, um sich in Pisa mit den avignonesischen Collegen zu vereinigen und mit ihnen weitere Schritte zu beschließen, N., welcher sich vergeblich vemühte, Gregor zur Nachgiebigkeit zu bewegen, blieb, als dieser Lucca verließ, dort zurück, beschäftigt, ein großes Werk zu vollenden. Er stellte die Actenstücke verschiedener Art zusammen, welche ihm über die Unionsverhandlungen bekannt geworden waren, die päpstlichen Erlasse, Gutachten, Flug- und Privatschriften, dann die Briefe, welche er selbst geschrieben und erhalten hatte, und fügte mancherlei hinzu, was ihm sonst nützlich schien. Dem Ganzen gab er den Titel: „Nemus unionis“. Obgleich er im Herzen mit dem Gange der Dinge nicht einverstanden war, schloß er sich doch den Pisanern an. Ein während der ersten Tage des September in Pisa selbst entstandenes Pamphlet gegen Gregor XII. und seine Anhänger ist wohl auch aus seiner Feder geflossen.

    In der Meinung, daß ein Ende des Schisma, eine Reform der Kirche nur von Deutschland aus bewirkt werden könne, ging er bald darauf dorthin, wenn er auch auf die Persönlichkeit Ruprechts von vornherein und, wie sich bald zeigte, mit Recht geringe Hoffnungen setzte. Dem Kölner Erzbischofe Friedrich, mit dem er schon seit längerer Zeit in Verbindung stand, hat er damals das Nemus unionis überreicht. Obgleich das Pisaner Concil durch die Erhebung des Papstes Alexanders V. die Verwirrung nur noch steigerte, hielt sich N. doch zu diesem und trat wieder in seine ehemalige Curialstellung ein. An demselben Tage, an welchem dessen Nachfolger Johann XXIII. in Bologna die Krönung erhielt, am 24. Mai 1410, schloß er ein neues litterarisches Werk ab, seine drei Bücher „De schismate“, deren Niederschrift er Ende 1409 begonnen hatte.

    Sie sind die bedeutendste Schrift Niem's, auf welche sich sein Ruhm als Schriftsteller hauptsächlich begründet. Man kann sie als Memoiren bezeichnen und sie zeigen die Licht- und Schattenseiten dieser Gattung der Geschichtsschreibung. Mit feuriger Lebendigkeit schildert N. die Ereignisse seit dem Jahre 1376, wie er sie selbst erlebt und in seinem Gedächtnisse bewahrt hatte, in schnellem Flusse der Darstellung, ohne die Einzelheiten noch einmal ängstlich zu prüfen. Er ist ganz Parteimann und schreibt als solcher, aber er enthüllt uns seine Zeit in ihrem vollen und warmen Pulsschlag. Dem neu antretenden Papste widmete er alsbald wohlgemeinte Rathschläge: „De bono regimine Romani pontificis“. Bald zeigte sich, wie wenig sie fruchteten und allgemein kam die Concilsidee zu neuer Kraft. Auch N. war von ihr erfüllt und wir besitzen schon aus dem Sommer und Anfang Herbst 1410 Aufzeichnungen von ihm, in denen er seine Ansichten entwickelt hat. Doch bieten sie in der Gestalt, in welcher sie vorliegen, der Kritik manche schwierige Frage. Es sind die Abhandlungen: „De modis uniendi ac reformandi ecclesiam“ und: „De difficultate reformationis in concilio universali“. Ihr Grundgedanke ist, daß weder der Papst noch die Cardinäle das Concil berufen dürften und dieses über dem Papste stehen müsse. Auch gegen die Hussiten, contra dampnatos Wiclivitas Pragae, hat er damals eine kleine Abhandlung verfaßt.

    Endlich mußte sich Johann XXIII. entschließen, das Concil nach Konstanz zu berufen. So trat Deutschland an die Spitze der kirchlichen Bewegung und Niem's lange gehegtes Ideal war damit erfüllt. Sofort suchte er der Welt in der flüchtig hingeworfenen Flugschrift: „Jura ac privilegia imperii“ die Macht und Herrlichkeit der kaiserlichen Würde aus der Geschichte nachzuweisen. Bedeutender und zu dem besten, was er verfaßt hat, zählend, sind die bald darauf entstandenen: „Avisamenta pulcherrima de unione et reformatione membrorum et capitis fienda“, ein Programm über die Gesichtspunkte, von denen die Kirchenreform auszugeben habe, der Niederschlag der Erfahrungen eines langen, vielbewegten Lebens, die Schäden des päpstlichen Systems klar enthüllend. Als das Concil eröffnet war, begann N. sofort ein Tagebuch zu führen, welches uns leider nicht erhalten ist. Es liegt aber theilweise zu Grunde der „Vita Johannis XXIII. papae“, welche N. nach dessen Absetzung niederschrieb. An diese schließen sich wieder inhaltsreiche tagebücherartige Aufzeichnungen, welche bis in den Juni 1416 fortgeführt sind.

    Es ist sehr wahrscheinlich, daß N. bei den Verhandlungen des Concils eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat. Freilich konnte das nur unter der Hand geschehen, aber er wird als Rathgeber an dem Vorgehen der deutschen Nation einen bedeutenden Antheil gehabt haben. Wir wissen auch, daß er im August 1415 zu den Geschäftsführern derselben gehörte. Daß die Reform der Kirche das dringendste Werk sei und vor der Neuwahl eines Papstes erledigt werden müsse, war ganz seine Ueberzeugung. — Am 22. März 1418 ist er in Mastricht|gestorben und in der dortigen Servatiuskirche bestattet worden. Vermuthlich hat er diese Pfründe erst in den letzten Jahren erhalten und sich dorthin zurückgezogen, um als hochbetagter Greis sein Leben in Ruhe zu beschließen.

    Es ist nicht nur die große Zahl und der Umfang seiner Schriften, welche Niem's Bedeutung als Geschichtsschreiber begründen. Sie sind eine der wichtigsten und interessantesten Quellen für die Geschichte jener Zeiten wegen der lebhaften und anschaulichen Schilderung der Ereignisse und Persönlichkeiten, wegen der genauen Kunde, welche er von den Dingen und namentlich von denen am römischen Hofe besaß, und wegen des warmen und verständnißvollen Antheils, welchen er an den großen Zeitfragen nahm. Stil und Auffassung sind freilich noch rein mittelalterlich und mit dem Humanismus, dessen erste Vertreter Petrarca und Boccaccio ihm bekannt waren, hat er nichts gemeinsam. Die historischen und juristischen Kenntnisse sind recht umfassend, aber erste entbehren der Klarheit und kritischen Sichtung. N. besaß einen weiten Blick; auch die Naturwissenschaften zogen ihn an und er beobachtete mit Verstand und Urtheil die natürlichen und geographischen Verhältnisse der Länder und Völker, welche er auf seinen weitausgedehnten Reisen kennen lernte. Aber am hellsten leuchtet hervor der Eifer für die Kirche und die Liebe zum deutschen Volke. Die große Vergangenheit desselben ist ihm die Quelle, an der er sich immer wieder in trüben Tagen erfrischt, und auf welche sich seine Hoffnungen für die Zukunft aufbauen. Vor allem liebt er seinen eigenen Stamm, die „hochragenden, kühnen und feurigen Sachsen“. So bildet er in jener denkwürdigen Epoche, in welcher die mittelalterliche Welt überlebt und entartet in sich selbst zerfiel, eine eigenartige und fesselnde Erscheinung.

    • Literatur

      Die ältere Litteratur über ihn bei Sauerland, Das Leben des D. v. N. nebst einer Uebersicht über dessen Schriften. Göttingen 1875, und bei Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen II. — Die seitdem erschienenen Abhandlungen hat Sauerland im „Historischen Jahrbuch“ 1886, S. 59 ff. zusammengestellt. Eine allgemeine Darstellung von Dietrich's Leben und Bedeutung gab Lindner in der Zeitschrift für Allgemeine Geschichte etc. 1885. Die von ihm benutzten Quellen behandelt Alf. Fritz in den Münsterischen Beiträgen etc. Herausgeg. von Lindner, X. Heft. — Eine neue Ausgabe seiner Werke wird von Sauerland und Erler vorbereitet.

  • Autor/in

    Theodor Lindner.
  • Zitierweise

    Lindner, Theodor, "Dietrich von Nieheim" in: Allgemeine Deutsche Biographie 23 (1886), S. 671-673 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118525549.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA