Lebensdaten
1825 – 1899
Geburtsort
Zweibrücken
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Jurist ; bayerischer Staatsmann ; Publizist
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 121477347 | OGND | VIAF: 42695078
Namensvarianten
  • Völderndorff und Waradein, Otto Freiherr von
  • Völderndorff und Waradein, Otto von
  • Voelderndorff, Otto von
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Orte

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Zitierweise

Völderndorff und Waradein, Otto Freiherr von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd121477347.html [29.03.2024].

CC0

  • Biographie

    Völderndorff: Otto Freiherr von V. und Waradein wurde am 12. Juni 1825 zu Zweibrücken geboren, und es war, als ob die heitere Rheinpfalz ihm die Lebhaftigkeit ihres Temperamentes in die Wiege gelegt hätte. Sein Vater Franz Erdmann, bairischer Generalstaatsprocurator dortselbst (geboren zu Baireuth am 1. Juni 1788) starb schon frühe (28. Novbr. 1827) und ließ eine Wittwe mit zwei eigenen und vier Stiefkindern zurück. Drei derselben, darunter unseren Otto, brachte sie nach München zu ihrem Vater, dem früheren Reichskammerrichter und späteren bairischen Justizminister Heinrich Grafen v. Reigersberg, der die junge Frau liebevoll in sein Haus aufnahm. Da aber dem damals schwächlichen Knaben die Stadtluft wenig zusagte, entschloß sich die Mutter, sich von ihm in seinem sechsten Lebensjahre zu trennen und ihn, gleich seinen beiden Stiefbrüdern, dem protestantischen Pfarrer Gottfried Walker in dem weltentlegenen Haunsheim am Ausgange der schwäbischen Alb anzuvertrauen. Hier verbrachte V. seine Knabenzeit, und das protestantische Pfarrhaus hinterließ offenbar tiefere Eindrücke in seinem Geiste. Er ist sein Leben lang ein guter Protestant geblieben und erzählte oft und gerne, daß seine Familie zu denen gehört habe, die nach einer dem Friedenscongreß zu Münster im März 1647 übergebenen Liste, in Oesterreich unter der Enns auch nach der Gegenreformation dem evangelischen Glauben anhängen durften und unter Aufgabe kostbarer Güter den Wanderstab ergriffen, als die Verfolgungen nicht aufhörten.

    Im Alter von dreizehn Jahren wurde V. in die kgl. Pagerie zu München aufgenommen, wo er während fünf Jahren Gymnasialunterricht genoß. Es darf hier auf die reizvolle Schilderung hingewiesen werden, die er selbst über diese Epoche seines Lebens entworfen hat. ("Aus meiner Hofzeit“, Velhagen und Klasings Monatshefte, Heft 6, Februar 1900.) Schon damals gab er Proben einer außerordentlichen Begabung. So sah sich die Direction der kgl. Pagerie veranlaßt, König Ludwig I. am 11. August 1840 ein Gedicht zu unterbreiten, „welches der Edelknabe Otto Baron von Völderndorff, ein Jüngling von 15 Jahren, der nach Herz und Kopf zu den schönsten Erwartungen berechtigt, aus Anlaß des Allerhöchsten Geburts- und Namensfestes verfaßt hatte.“ — Der Poesie ist V. sein Leben lang treu geblieben, und wenn auch seine Bedeutung auf einem anderen Gebiete lag, so erblühen ihm doch überall auf seinem Lebensweg von den sonnigen Jugendtagen bis in sein hohes Alter launige und warm empfundene Dichtungen, die er selbst nie gesammelt hat und deren Werth auch über die gebietende Stunde nicht hinausreicht.

    Eine Kniegelenkentzündung, die er sich im J. 1841 infolge eines Sturzes vom Pferde beim Reitunterricht zugezogen hatte, und ein schweres Augenleiden, das ihn im J. 1842 befiel, nöthigten ihn, ein volles Jahr Gymnasium und Pagerie zu verlassen. Der Kunst des Dr. Schlagintweit verdankte er es, daß er im Frühjahr 1843 wieder in die Pagerie eintreten und im Herbste desselben Jahres die Absolutorialprüfung mitmachen konnte. Er bestand sie mit der ersten Note, und bei seinem Austritt aus der Pagerie wurde ihm unter dem 21. August 1843 bezeugt: „daß er sich während seines fünfjährigen Aufenthaltes in dieser Anstalt durch ununterbrochenen Fleiß und Eifer für die Wissenschaften, sowie durch sittlich gute Aufführung so auszeichnete, daß er in beiderseitiger Hinsicht seinen Mitpagen als Muster aufgestellt werden könne“. Bei seinen ausgezeichneten Talenten hätte er es dahin gebracht, daß er nicht nur in wissenschaftlicher Beziehung immer den ersten Rang unter seinen Mitpagen behauptete, sondern sich auch am kgl. neuen Gymnasium stets als einer der ersten und besten Schüler hervorthat.

    Nun bezog V. für fünf Jahre die Münchener Universität. Seine Studien waren in der ersten Zeit noch vielfach durch Augenleiden gestört, doch war er unermüdlich thätig und widmete sich während der damals vorgeschriebenen zwei philosophischen Jahre mit Vorliebe fremden Sprachen. Er studirte Hebräisch, Sanskrit und Chinesisch und bearbeitete eine Preisfrage über den Ursprung der römischen Götternamen, wofür ihm eine öffentliche Belobung zu Theil wurde. Auf Wunsch seines Großvaters, des Grafen v. Reigersberg, trat er, anfangs ohne Neigung, zum juristischen Studium über. Die anregenden Vorträge des Nationalökonom v. Herrmann und die persönliche Theilnahme des Geheimraths v. Bayer an seinen Studien machten ihn aber bald zum eifrigsten Juristen. In jugendlicher Begeisterung nahm er auch an den Bewegungen im Studentenleben des Jahres 1848 Theil. Er wurde Hauptmann im Studentenfreicorps und Präsident der allgemeinen Studentenversammlung. Als aber nach Wiederkehr der Ruhe Uebereifrige und Streber den Ausschluß des Corps der Alemannen verlangten, welche unter dem Banne der bestrickenden Lola Montez gestanden waren, rettete er dieselben in einer hierüber abgehaltenen Studentenversammlung durch eine donnernde Rede, deren pathetischer Schluß lautete: „So oft Tyrannen siegten, haben sie Proscriptionslisten erlassen; aber freie Männer verzeihen den Unterlegenen.“

    Bald wurde seine Betheiligung an der Politik eine ernstere; er schloß sich als Jünger den Anschauungen der liberalen Adeligen der zweiten Kammer, Rotenhan, Lerchenfeld, Thon-Dittmer, Bassus, Hegnenberg, Pfetten, Scheurl, Lindenfels u. A. an und wurde ein eifriger Mitarbeiter des „Nürnberger Kuriers“. Durch solche Nebenbeschäftigungen erlitten jedoch Völderndorff's juristische Studien keine Einbuße; er bearbeitete die juristische Preisfrage über den Erlaß, errang das Accessit hiefür und bestand am 18. October 1848 das Universitätsexamen. In Praxis trat er bei dem kgl. Landgericht und später bei dem Kreis- und Stadtgericht dortselbst. Während dieser Zeit, am 3. Juli 1850, promovirte er zum Doctor utriusque juris, wobei seine erste juristische Arbeit, „Zur Lehre vom Erlaß“, die umgearbeitete Preisaufgabe, im Verlag|von Christian Kaiser in München im Druck erschien. Im gleichen Jahre (1850) bestand er den Staatsconcurs und erhielt im Justiz- wie im Administrativfache die Note I und den ersten Platz unter 47 Rechtspraktikanten. Zu seiner Erholung reiste er dann nach Italien, wo er in der Vaticana fleißig die Glossatoren und die Kanonischen Sammlungen studirte.

    Zurückgekehrt, trat er als Rechtspraktikant bei dem kgl. Landgericht München, dann als Accessist bei dem kgl. Kreis- und Stadtgericht dortselbst und später als Volontär bei dem kgl. Advocaten Dr. Simmerl ein. Unter dem Minister v. Kleinschrod wurde er in das Justizministerium einberufen und fand, trotz starker dienstlicher Inanspruchnahme, noch Muße zu vielseitigen litterarischen Arbeiten auf dem Gebiete der Jurisprudenz. So setzte er nach dem Tode des Herausgebers die bekannte Sammlung des Appellrathes Fertig fort, schrieb 1851 eine Einleitung in das Studium des Rechtes, 1856 eine Abhandlung über die Papiere au porteur nach bayerischem Rechte, 1857 eine Studie über die Form der Rechtsgeschäfte und Commentare zu den Gesetzen betr. die Gewährleistung bei Viehveräußerungen (1860; 2. Aufl. 1861), die Verjährungsfristen (1859), die Abänderungen des Civilrechts, die Forderungen der Staatsschuldentilgungsanstalt (1861) und einige Bestimmungen der Wechselordnung (1864). Außerdem lieferte er Beiträge in die Blätter für Rechtsanwendung, die Blätter für administrative Praxis, die Allgemeine und die Münchener Zeitung, den Gerichtssaal, die Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, Hitzig's Annalen und andere Zeitschriften. Seine Fähigkeit der schnellen Auffassung und allseitigen Wiedergabe von Ideen war eine stupende, und ich erinnere mich, daß er zuweilen, noch während man einen Gegenstand mit ihm besprach, einen Aufsatz darüber zu Stande brachte. — Dabei litten seine Arbeiten wenig unter der Vielseitigkeit, welche, indem sie die menschliche Persönlichkeit hebt und bereichert, sonst zuweilen die Gründlichkeit des Fachmanns beeinträchtigt.

    In den Kreisen der von König Max II. nach München berufenen Gelehrten war der liebenswürdige, geistvolle junge Mann ein gern gesehener Gast. Er wurde von Liebig aufgefordert, sich an den damals beliebten Vorträgen zu betheiligen und sprach im J. 1858 über das Gesetzbuch der Kreuzfahrer und im folgenden Jahre über das Alphabet. Inzwischen, am 16. April 1853, war er zum functionirenden Staatsanwaltssubstituten bei dem königl. Kreis- und Stadtgericht München ernannt worden und hatte in dieser Eigenschaft während der Choleraepidemie des Jahres 1854 Gelegenheit, neben juristischen Kenntnissen auch moralischen Muth zu beweisen. — Als Ringelmann das Portefeuille der Justiz übernahm, erinnerte er sich daran, daß V. ihn einst zu der Uebertragung der Ausarbeitung eines Civilgesetzbuches beglückwünscht hatte, und berief ihn als Hülfsarbeiter zu dieser Thätigkeit. Am 27. October 1854 wurde er zum Ministerialsecretär und schon am 17. September 1856 zum Geheimen Secretär befördert. Als solcher nahm er unter Oberappellrath v. Endres nicht nur eifrig an den Gesetzgebungsarbeiten Theil und führte bei den Berathungen über den Entwurf das Protokoll, sondern er bearbeitete gleichzeitig das Referat über das pfälzische Justizwesen.

    Anläßlich seiner Beschäftigung mit dem Civilrechte Baierns empfand er das Bedürfnis, vor allem über den damaligen Stand des bürgerlichen Rechtes im Königreiche in seiner Mannichfaltigkeit und seinen verschiedenen Geltungsgebieten sich zu orientiren. Da eine verlässige Statistik in dieser Hinsicht fehlte, verwandte er seine Mußestunden auf diese schweren und mühevollen Erhebungen. Als er damit zum Abschluß gekommen war und Verleger Rohmer|das Werk durch den Druck zum Gemeingut machen wollte, äußerte Völderndorff's damaliger Chef Bedenken gegen dessen Veröffentlichung, da der Name eines Justizbeamten der Arbeit ein gewisses officielles Ansehen geben und die Anonymität zur Nachfrage nach dem Verfasser führen würde. V. legte die Frucht seiner Mühe zurück und ließ die überarbeitete Statistik erst im J. 1862, als die neue Organisation gekommen war, unter dem Namen des Rechtspraktikanten Joseph Peißl (Nördlingen 1863, Beck) erscheinen. In der Vorrede der zweiten, wesentlich vermehrten Ausgabe der Civilgesetzstatistik, welche 1880 erschien, nennt V. seinen angeblichen Mitarbeiter „einen braven, talentvollen jungen Mann, der, wie die Lieblinge der Götter, früh gestorben sei“, allein, so viel ich weiß, hat er niemals existirt.

    Am 1. Juli 1862 trat V. als Rath an das neuerrichtete Handelsappellationsgericht zu Nürnberg über und warf sich dort mit vollem Eifer auf die ehrenvolle Aufgabe, das neue deutsche Handelsgesetzbuch in die Praxis einzuführen. Unter der Leitung des vortrefflichen Präsidenten v. Seuffert strengte er alle seine Kräfte an, die kolossale Arbeitslast, welche den Gerichtshof fast erdrückte, zu bewältigen. Hundert Referate in einem Quartale war die von ihm gewöhnlich geleistete Arbeit. Daneben redigirte er die in der „Sammlung handelsgerichtlicher Entscheidungen seit Einführung des Handelsgesetzbuches in Bayern“ (Erlangen 1865, Palm & Enke, 2 Bde.) erschienenen Erkenntnisse und lieferte mit. Professor Anschütz den ersten Band des Commentars zu dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (Erlangen 1867, Palm & Enke), ein Werk, welches dazu beitrug, seinen Namen in der Juristenwelt vortheilhaft bekannt zu machen. Auch am politischen Leben betheiligte er sich lebhaft in jenen Tagen; seine Erholung fand er im Umgang mit dem in seiner Art einzig dastehenden Redacteur des „Korrespondenten von und für Deutschland“, Dr. Philipp Feust, einem Manne von seltenem Wissen, scharfem Geiste und echt conservativer Gesinnung.

    Einen bestimmenden Einfluß auf Völderndorff's späteren Lebensgang sollten die Beziehungen zu dem Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst gewinnen, dem er durch seinen Großvater vorgestellt worden war, und dem er in Nürnberg in dem Hause des alten Vorkämpfers des aristokratischen Liberalismus, des Grafen v. Giech, näher trat. Als Hohenlohe am 31. December 1866 zum Minister des kgl. Hauses und des Aeußern und zum Vorsitzenden im Ministerrathe ernannt worden war, setzte er es durch, daß V. an Stelle des nach Petersburg versetzten Grafen v. Tauffkirchen als Ministerialrath in das Ministerium des kgl. Hauses und des Aeußern einberufen wurde. Am 9. Januar 1867 betrat der neue Ministerialrath zum ersten Mal das Bureau in dem Ministerium, zu dessen unermüdlichsten Arbeitern er fast dreißig Jahre lang gehören sollte.

    Die folgenden drei Jahre bilden den Zenith der Beamtenlaufbahn Völderndorff's und sein Name wird an die für Baiern so wichtige Uebergangszeit des Ministeriums Hohenlohe immer geknüpft bleiben. Nun fand der geborene Reformator Gehör, nun konnte er seiner immer webenden Phantasie die Zügel schießen lassen. Die Ideen jagten sich förmlich in seinem Kopfe, Entwürfe folgten auf Entwürfe. „Es waren aufreibende, an Mühe und Arbeit reiche Jahre.“ „Oft ging ich um 7 Uhr morgens in das Bureau und kehrte abends um 10 Uhr heim, ohne etwas Anderes genossen zu haben, als ein belegtes Brod und ein Glas Madeira; aber es war doch die schönste Zeit meines Lebens.“ (Harmlose Plaudereien, Neue Folge S. 262.) Man hat sich vor dem Erscheinen der Hohenlohe'schen Denkwürdigkeiten Völderndorff's Einflußnahme vielleicht sogar größer gedacht, als sie in der That war, indem man seine|Eigenart verkannte und die Selbständigkeit des Fürsten Hohenlohe unterschätzte. Allein V. hatte mehr die Gabe, die fast unerschöpflichen Hülfsmittel seiner reichen Begabung einem fremden Willen dienstbar zu machen und anzupassen, als das Bestreben, seine Anschauungen Anderen aufzuerlegen und um jeden Preis zu verwirklichen. Sein glänzender Geist widerstrebte zuweilen etwas dem Zügel der steten Rücksichtnahme auf die gegebenen Verhältnisse und die praktischen Schranken. So kam es auch, daß von seinen Entwürfen über die Reform des Adels, der Fideicommisse, der Reichsrathskammer, des Ordenswesens, des Auslieferungsverfahrens u. a., trotz vielen trefflichen Ideen im Einzelnen, keiner in das praktische Leben überführt werden konnte, und daß es Hohenlohe auch nie gelang, V. eine maßgebende, selbständige Stellung, wie die des Justizministers, zugänglich zu machen, für welche er so viele Eigenschaften besessen hätte. V. führte freilich diese Thatsache auf den Umstand zurück, daß es von den Gegnern des Fürsten eine im voraus beschlossene Sache gewesen sei, jede von ihm stammende Maßnahme, die dem Fürsten zum Verdienst hätte angerechnet werden können, zu verhindern.

    Trotzdem war sein Antheil an der Politik jener Tage ein bedeutender. Er vertrat die Haltung Hohenlohe's betreffs des Dogmas der Unfehlbarkeit in der Kammer und wurde mit mehreren diplomatischen Missionen betraut. Auch mit Richard Wagner hatte er zu verhandeln, als der König den Auftrag gab, dessen politischen Ideen näher zu treten, und selbst zu Bismarck kam er damals in persönliche Berührung. Am meisten und tiefsten berührten ihn die Bemühungen Hohenlohe's, eine Verbindung mit dem Deutschland jenseits der Mainlinie wieder zu gewinnen. Im Auftrage des Fürsten entwarf er eine „Verfassung für den süddeutschen Bund", welche zuerst in der „Allgemeinen Zeitung" vom 26. März 1870 (Nr. 85) erschien, und die er nebst dem „Entwurf einer Verbindung des Norddeutschen und des Süddeutschen Bundes auf Grund des Prager Friedens“ und dem „Entwurf eines Vertrages über die Errichtung eines Eisenbahnvereines“ wiederholt in Hirth's Annalen (Jahrg. 1890, S. 241 ff.) veröffentlichte.

    Die spät erschienenen und Fragment gebliebenen Erinnerungen Völderndorff's „Vom Reichskanzler Fürsten von Hohenlohe“ (München 1902, Sep.-Abdr. aus den Beil. d. Allg. Zeitung) scheinen uns nicht ganz frei von den Spuren des Alters und geben ein viel weniger richtiges und bedeutendes Bild von der Zeit, als die gerade für diese Epoche sehr interessanten Denkwürdigkeiten Hohenlohe's. Die Freundschaft der beiden Männer überlebte übrigens das dreijährige Ministerium und dauerte bis zum Tode. V. wurde nicht müde, auch dem späteren Reichskanzler als juristischer Berather getreulich zur Seite zu stehen und aus seiner vielleicht noch erhaltenen Correspondenz dürfte hervorgehen, daß er seine Stimme immer in einem wahrhaft liberalen Sinne abgegeben hat.

    Als Fürst Hohenlohe von dem bairischen Ministerium zurücktrat, gab sich V. alle Mühe, wieder in den Justizdienst zurückzukommen. Seine Wünsche scheiterten jedoch an dem Widerstreben des damaligen Justizministers v. Lutz, welcher ihm abgeneigt war. Für V. kamen unter den folgenden Ministerien Hegnenberg und besonders Pfretschner Tage, von denen er sagte, sie gefielen ihm nicht. Was ihm aber jede Lage erträglich machte, war der Humor, der ihn nie dauernd im Stich ließ und seine literarische Nebenbeschäftigung, der er eifrig oblag. Obwohl der Praxis der Jurisprudenz thatsächlich entfremdet, fuhr er fort, juristische Werke zu liefern, welche den vollen Beifall der Praktiker fanden und heute noch haben. Sein Commentar zur Reichs-Concurs-Ordnung in 3 Bänden erlebte im J. 1884 die zweite Auflage, obwohl er den|etwas trockenen Stoff zuweilen durch ein drastisches Beispiel würzte und statt Cajus und Sempronius den Studenten Lustig, die Hausfrau Brummig und die Putzmacherin Lieblich einführte. Auch zu dem Reichsgesetz, betr. die Commanditgesellschaften auf Actien und die Actiengesellschaften vom Jahre 1884 lieferte er einen Commentar (Erlangen 1885, Palm & Enke).

    Weiteren Kreisen aber trat er durch die „Harmlosen Plaudereien“ nahe, die er seit Anfang der siebziger Jahre in der Beilage der Allgemeinen Zeitung veröffentlichte und welche gesammelt in zwei Bänden (München 1892 u. 1898, Beck) erschienen sind. „Diese 'Harmlosen Plaudereien"', schrieb ich aus Anlaß des Erscheinens des ersten Bandes der Sammlung in der Beilage der Allg. Zeitung vom 12. December 1891, „griffen hinein ins volle Leben, sprangen nach dem Grundsatz, daß man, um zu unterhalten, 'den Diskurs wechseln muß', vom Hundertsten ins Tausendste, brachten vom Großen das Kleine und vom Kleinen das Große und trugen oft durch einen guten Witz mehr zur Lösung einer Tagesfrage bei, als es der längste Artikel vermocht hätte. So wurden sie schnell populär, ihre Witzworte wurden verbreitet, ihre Einfälle belacht, ihre ernsten Seiten discutirt; man mußte sie gelesen haben, um mitreden zu können.“ Was besonders zu ihrer Beliebtheit beitrug, war der liebenswürdige Optimismus, der aus Völderndorff's Weltanschauung lächelte. Die Pfeile, die er abschießt, sind immer befiedert, niemals vergiftet. Sein Schutzpatron ist stets „der Harmlos“ geblieben, dem er einen seiner sprudelndsten und reizendsten Artikel gewidmet hat.

    Nur einen Vorbehalt fühlen wir uns verpflichtet zu machen. Die Anekdoten und historischen Reminiscenzen, welche sich in den harmlosen Plaudereien und in anderen Schriften Völderndorff's finden, müssen mit einer gewissen Vorsicht aufgenommen werden. Seine hohe Intelligenz ließ ihn mit Leichtigkeit juristische Schwierigkeiten entwirren, aber eine etwas eigenwillige Phantasie drängte ihn zuweilen weitab von den Bahnen des Realen und machte ihn Paradoxen geneigt. Es machte ihm Spaß, Andere zu mystisiciren und er gehörte zu denen, die einen glücklichen Einfalt, ein geistreiches Wort, eine gewagte Combination höher schätzen als die peinliche Feststellung einer nackten Thatsache.

    Inzwischen war im Ministerium des kgl. Hauses und des Aeußern auf Freiherrn v. Pfretschner Graf Crailsheim gefolgt, welcher die hohen Eigenschaften und die seltene Arbeitskraft Völderndorff's zu schätzen wußte. Wenn er auch einen anderen Beamten zu seiner ständigen Stellvertretung für mehr qualificirt erachtete, so ließ er doch V. nicht nur die äußeren Ehrenzeichen zukommen, welche die Persönlichkeit des Beamten allmählich zu umgeben pflegen wie Ringe den alternden Baum, sondern er brachte ihn für außergewöhnliche Auszeichnungen in Antrag. So wurde V. im J. 1893 zum Geheimen Rath und am 10. October 1895, bei seinem Rücktritt, zum Staatsrath i. a. D. ernannt. Unter den zahlreichen Referaten, die er bearbeitete, war ihm die mehr selbständige Function eines Rheinschifffahrtsbevollmächtigten, welche er seit 1879 inne hatte, besonders ins Herz gewachsen. Sie führte ihn alljährlich nach dem schönen Heidelberg und stellte seinen umfassenden juristischen Kenntnissen und seinem Organisationstalent neue schwierige und interessante Aufgaben.

    Nur wenige Jahre sollte es ihm vergönnt sein, sich in dem kleiner gewordenen Kreis alter und neuer Freunde des wohlverdienten Ruhestandes zu erfreuen. Ein quälendes Herzleiden setzte seinem bis zuletzt thätigen Leben am 10. December 1899 das Ziel. Da seine Ehe kinderlos geblieben war und seine Gattin, die mit vollster Hingabe an ihm hing, ihm im Tode|vorausgegangen war, bestimmte er einen Theil des von ihm ersparten Vermögens zu Präbenden des St. Annenordens.

    Ein Lebensbild Völderndorff's würde nicht vollständig sein, wenn wir nach Schilderung seiner geistigen Thätigkeit seine gemüthliche Veranlagung mit Stillschweigen übergingen. Er war nicht nur ein geistig hochstehender, sondern, was vielleicht noch seltener ist, ein durchaus liebenswürdiger Mensch. Seine Güte war unerschöpflich. In dem Kreis der Mitstrebenden, die so Vieles trennt, vertrat er immer das vereinigende Princip des Wohlwollens. Auch die Abneigungen der Laune, des Temperaments, der Partei hielten bei ihm nie Stand angesichts einer Bedrängniß, die ihm persönlich gegenübertrat. Stets hülfsbereit war er der treueste Freund und der zuverlässigste Berather. Neidlos erkannte er fremde Verdienste an, und gern half er der Jugend bei ihren ersten Schritten ins Leben und in den Dienst. Wenige werden ihm näher getreten sein, die ihm nicht Dank schuldig geworden sind, und die ihn kannten, werden den Worten beipflichten, die nach seinem Tode Fürst Hohenlohe schrieb: „Er war der beste, edelste Mensch, der mir im Leben begegnet ist.“

  • Autor/in

    Gottfried v. Böhm.
  • Zitierweise

    Böhm, Gottfried von, "Völderndorff und Waradein, Otto Freiherr von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 54 (1908), S. 758-764 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd121477347.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA