Lebensdaten
1885 – 1939
Geburtsort
Bleckede/Elbe
Sterbeort
Paris
Beruf/Funktion
Pädagoge ; sozialdemokratischer Erziehungs- und Bildungspolitiker
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118955853 | OGND | VIAF: 52683441
Namensvarianten
  • Kerlöw (Pseudonym)
  • Kerlöw-Löwenstein (Pseudonym)
  • Deutsch (Pseudonym)
  • mehr

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Zitierweise

Löwenstein, Kurt, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118955853.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Baruch gen. Bernhard (1860–1934), Kaufm. in B., später Versicherungsagent in Hannover, S d. Handelsmanns Wolf in Demerode u. d. Jutta Waggermann;
    M Janette (1856–92), Putzmacherin, T d. Handelsmanns Isaak Blumenthal in B. u. d. Male Meyer;
    Stief-M Bertha Blumenthal (Cousine d. M);
    - Hannover 1911 Mara Erwine (1891–1962), Dr. phil., Chemikerin, T d. David Kerwel, preuß. Militärbeamter, u. d. Ida Thierbach (aus ostpreuß. Gutsbes.fam.);
    1 S.

  • Biographie

    L., der 1906 als strenggläubiger Verfechter jüd. Tradition in das orthodoxe Rabbiner-Seminar in Berlin eintrat, verließ es 1908 als Atheist, der religiöse Bindungen als Abwendung von der Wirklichkeit und Diesseitigkeit menschlicher Existenz verwarf und für eine „soziale Ethik“ eintrat. Er schloß sich der „Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur“ und dem „Bund für Schulreform“ an|und promovierte 1910 („J. M. Guyau's pädagogische Anschauungen“) in Erlangen zum Dr. phil. Im Weltkrieg wirkte der Pazifist L. als unbewaffneter Rot-Kreuz-Sanitäter. Ende 1918 kehrte er als Mitglied eines Soldatenrates und zum marxistischen Sozialisten geworden nach Charlottenburg zurück, wo er schnell zu einem maßgeblichen erziehungs- und bildungspolitischen Sprecher der USPD, nach 1922 der Linken in der SPD wurde (u. a. Gruppe um die Zeitschrift „Der Klassenkampf“: P. Levi, K. Rosenfeld, M. Seydewitz, H. Ströbel u. a.). 1920-33 war er Mitglied des Deutschen Reichstages. Überzeugt, daß ein umfassender sozialer Wandel und statt „Schulreform“ nun „Schulrevolution“ nötig sei, entwarf (Kerlöw-)L. in der Schrift „Sozialistische Schul- und Erziehungsfragen“ (1919; erweiterte Fassung 1922) die Grundzüge einer „Sozialistischen Einheitsschule“, in der auf der Basis einer rätedemokratischen Gesellschafts- und Schul-Verfassung an die Stelle von stoffüberfrachtetem autoritären Drill- und Paukunterricht der alten „Klassenschule“ die solidarische Arbeitsgemeinschaft von Lehrern und Schülern treten sollte. „Nicht nur für, sondern auch wie das Leben sollten wir lernen“, war seine didaktische Maxime. Von der USPD/SPD-Mehrheit 1920 als Oberstadtschulrat in den Magistrat der neuen Gemeinde Groß-Berlin gewählt, unter dem Druck klerikaler, konservativer, deutschnationaler und antisemitischer Kreise aber vom Oberpräsidenten nicht bestätigt („Groß-Berliner Magistratskonflikt“), wurde er von der Stadtverordnetenversammlung von Berlin-Neukölln 1921 zum Stadtrat für das Volksbildungswesen berufen. In Zusammenarbeit mit Fritz Karsen u. a. schuf er hier die erste Gesamtschule („Karl-Marx-Schule“) und mit den „Arbeiter-Abiturienten-Kursen“ unter Karsens Leitung seit 1923 die erste Institution des zweiten Bildungsweges in Deutschland. Er förderte u. a. die Neuköllner „Städtische Volks- und Jugendmusikschule“, die unter Leitung von E. L. Knorr und H. Boettcher und der Mitarbeit von P. Hindemith besonders die musikalischen Interessen der Arbeiterbevölkerung und ihrer Organisationen pflegte und ein für Stätten dieser Art seither unerreichtes künstlerisches und musiksoziologisches Niveau errang. L. war 1924-33 Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer und Lehrerinnen Deutschlands“ (As sowie Mitglied der Vorstände des „Reichsausschusses für sozialistische Bildungsarbeit“ der SPD und des SPD-nahen „Sozialistischen Kulturbundes“. Seine Hauptaufgabe aber sah er darin, aus der 1923 gegründeten „Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Deutschlands“ (RAG) die Erziehungsbewegung der deutschen Arbeiterklasse zu machen und so dem „Kinderraub der Bourgeoisie am Proletariat“ entgegenzuwirken. Unter seinem Vorsitz wurde die RAG mit mindestens 125 000 Kindern (Nest-, Jung- und Rote Falken) im Alter von 6 bis 14 Jahren, ca. 10 000 Helfern, vorwiegend aus der Arbeiterschaft und der Arbeiterjugend, sowie rund 70 000 Eltern-Mitgliedern und Förderern zur größten Kinderorganisation und laienpädagogischen Bewegung der Republik. Mit den „Roten Kinderrepubliken“, großen selbstverwalteten Ferienzeltlagern mit bis zu 2 300 Kindern, schufen sich die Kinderfreunde ein eigenständiges Instrument kollektiver proletarischer Klassenerziehung, in dem der kath. Pädagoge L. Weissmantel die „pädagogische Form eines neuen Jahrtausends“ sah. L.s Theorie der sozialistischen Gemeinschaftserziehung (Kollektiverziehung) gründete sich auf die Theorien von Marx und Engels und die bildungs- und erziehungspolitischen Positionen der deutschen Vorkriegs-Sozialdemokratie (A. Bebel, K. Duncker, H. Schulz, C. Zetkin), griff aber auch – vor allem methodische – Ansätze der bürgerlichen pädagogischen Reformbewegung (J. H. Pestalozzi, F. Fröbel, E. Key, M. Montessori) auf und verarbeitete Erkenntnisse der Psychoanalyse (S. Bernfeld) ebenso wie der Individualpsychologie (O. Rühle). Er begriff „Das Kind als Träger der werdenden Gesellschaft“ (1924, erweiterte Fassung 1928). Dadurch erhielt L.s pädagogische Theorie und Praxis einen starken antiautoritären, „antipädagogischen“ Akzent. Bei allgemeiner Übereinstimmung in den gesellschafls- und erziehungspolitischen Grundanschauungen war die sozialistische Erziehungstheorie L.s im Verhältnis zu den Theoretikern der älteren österreichischen Kinderfreundebewegung (M. Adler, O. F. Kanitz) „urmarxistischer“ (D. Breitenstein), weniger voluntaristisch und methodisch stärker ausgeprägt (P. Klinkenberg). Auf der Grundlage der L.schen Theorie erreichte die deutsche Kinderfreundebewegung auch nach Ansicht sie heftig bekämpfender Gegner (D. Breitenstein; K. Algermissen) einen nicht nur für eine laienpädagogische Bewegung erstaunlich hohen Grad von Übereinstimmung von Theorie und Praxis.

    Nach einem SA-Überfall auf seine Wohnung mußte L. mit seiner Familie im Febr. 1933 emigrieren. Er ging über Prag nach Frankreich, wo er nach 1934 die „Sozialistische Erziehungs-Internationale“ als geschäftsführender Vorsitzender reorganisierte und erweiterte Die Tradition der deutschen Kinderfreunde wird heute vom „Falkenring“ (Kindergruppen) der „Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken“ fortgeführt.

  • Werke

    Sozialismus u. Erziehung, Eine Ausw. aus d. Schrr. 1919–33, Neu hrsg. v. F. Brandecker u. H. Feidel-Mertz, 1976 (mit biogr. Skizze v. Dyno Löwenstein [S], W-Verz.);
    hierin nicht enthalten u. a.: Soziolog. u. schulpol. Grundfragen d. weltl. Schule, 1926 (mit M. Adler);
    Die Kinderfreundebewegung, in: H. Nohl u. L. Pallat (Hrsg.), Hdb. d. Päd. V, 1929, S. 141-46;
    Sozialist. Erziehung als Forderung d. Gegenwart, 1930;
    Sozialdemokratie u. Schule, 1931;
    Karl Marx, Erzählt f. unsere Jugend, 1935 (unter Ps. Curt Falk;
    franz. u. fläm. Übers.);
    Die Berufserziehung im Dritten Reich, in: Dtld.berr. d. SOPADE, Paris, Jg. 1938, H. ⅘ (anonym). Nachlaß: Bonn, Archiv, d. soz. Demokratie.

  • Literatur

    D. Breitenstein, Die Sozialist. Erziehungsbewegung, 1930;
    K. Algermissen, Sozialist, u. christl. Kinderfreundebewegung, 1931;
    P. Klinkenberg, Socialistiese opvoedings- en onderwijsdenkbeelden, 1933;
    K. Exner u. a., K. L., Leben u. Leistung, 1957;
    L. v. Werder, Sozialist. Erziehung in Dtld. 1848-1973, 1974, S. 156-68;
    F. Brandecker, Erziehung durch d. Klasse f. d. Klasse, in: M. Heinemann, Sozialisation u. Bildungswesen in d. Weimarer Republik, 1976;
    ders., Arbeiterkindheit u. Kinderfreundebewegung in Dtld. 1919-33 (in Vorbereitung);
    ders., K. L. u. d. Grundlagen e. Sozialist. Päd., in: L'internazionale operaria e Socialista fra due guerre, = Annali, Milano, 1985;
    D. Keupp, K. L., in: Kunstamt Kreuzberg/Inst. f. Theaterwiss. d. Univ. Köln: Weimarer Republik, 1977, S. 545-60 (P).

  • Autor/in

    Ferdinand Brandecker
  • Zitierweise

    Brandecker, Ferdinand, "Löwenstein, Kurt" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 104-106 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118955853.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA