Lebensdaten
1654 – 1728
Geburtsort
Petershagen bei Minden
Sterbeort
Berlin-Britz
Beruf/Funktion
preußischer Minister
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 117128988 | OGND | VIAF: 40147699
Namensvarianten
  • Ilgen, Heinrich Rüdiger (bis 1701)
  • Ilgen, Heinrich Rüdiger von
  • Ilgen, Heinrich Rüdiger (bis 1701)
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Ilgen, Heinrich Rüdiger von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117128988.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Joh. Rudolf (1622–79), kurbrandenburg. Geh. Regierungsrat in M., Pfandherr zu P., S d. Heinrich (1590–1648), Waidkaufm., Schloßherr u. Ratsmeister in Erfurt, u. d. Martha Mohr;
    M Margarete Ursula ( 1659), T d. Jacob Barth ( 1670), aus Naumburg/Saale, schwed. Geh. Rat u. Kriegskommissar in Erfurt, u. d. Angelika Schneider gen. Weißmantel;
    Ur-Gvv Hans (1556–1620), Schloßherr, Oberster Vierherr in Erfurt;
    Schw N. N. ( Konrad Wilhelm Thulemeier, 1728, kurbrandenburg. GR u. Kammerdir. in Minden);
    - Königsberg/Pr. 1693 Marie Louise (1675–1720), T d. Getreidegroßhändlers u. Bgm. Karl Droste (1631–99) in Königsberg u. d. Constantia Henriette Droste (1704 mit d. Kindern geadelt);
    1 S, 2 T Heinr. Rütger ( 1750), preuß. Kriegsrat, Charlotte Luise (⚭ Frdr. Ernst Frhr. v. Knyphausen, preuß. Minister), Constantia ( 1] Erdmann Gf. v. Pückler, 1742, auf Branitz, 2] Sigismund v. Bronikowski, 1765, auf Chlastawe/Posen);
    N Wilhelm Heinrich v. Thulemeier (1683–1740), preuß. Staatsmin. (s. ADB 38).

  • Biographie

    Nach dem Studium der Rechte und Staatswissenschaften sowie längeren Bildungsreisen durch Westeuropa an der Seite eines jungen Adligen trat der ehrgeizige und aufstiegsbeflissene Bürgerssohn I. 1672 zunächst als Adjunkt seines Vaters bei der Regierung in Minden ein. Seine eigentliche Karriere begann, als er 1678, wohl auf Empfehlung von Leibniz, die Stelle eines Legationssekretärs bei seinem Landsmann Franz v. Meinders, dem Delegierten des Berliner Hofes bei den Friedensverhandlungen mit Frankreich, erhielt und mit diesem nach Paris ging. Danach wurde er 1679 zunächst kurz nach Minden und anschließend als Geheimsekretär nach Berlin in die Geh. Kanzlei des Kf. Friedrich Wilhelm berufen. Dort erwarb sich der sprachenkundige I. jene ausgebreiteten Kenntnisse und Fertigkeiten, zumal in der Handhabung der auswärtigen Korrespondenz, die ihn bald unentbehrlich machen und seinen weiteren Aufstieg begründen sollten.

    Noch der Große Kurfürst ließ ihn 1683 zum Geh. Kammersekretär avancieren. In der ihm übertragenen preuß. und poln. Kanzleiexpedition erhielt er Zugang zu den geheimen, allein dem Fürsten und seinen engsten Ratgebern vorbehaltenen auswärtigen Angelegenheiten. Unter Kf. Friedrich III., der ihm 1693 den Titel eines Hofrats und 1699 den eines Geh. Rates verlieh, kam mit dem Aufstieg des Günstlings Kolbe v. Wartenberg zur Herrschaft im Staate auch die Stunde I.s.|Als der unentbehrliche sachkundige Helfer des allmächtigen Oberkammerherrn gehörte er nunmehr jenem „Dignitätsconseil“ an, der unter Ausschaltung des alten Geh. Staatsrates die Richtlinien der brandenburg. Außen- und Innenpolitik faktisch bestimmte und der vor allem den Erwerb der preuß. Königskrone vorbereitete. Der Glanz der Königskrönung 1701 strahlte auch auf I. aus, den die Gunst des Königs nunmehr in den Adelsstand und zugleich zum Wirkl. Geh. Rat erhob. Indem sein Einfluß auf den lenkbaren Friedrich I. immer größer wurde, so daß ein auswärtiger Beobachter behaupten konnte, I. sei gegenwärtig König in Preußen, löste er sich auch aus der Abhängigkeit von Wartenberg.

    Aber auch der von der Ratio geleitete nüchterne Interessen- und Gleichgewichtspolitiker I., als den ihn seine außenpolitischen Denkschriften erweisen, vermochte das Dilemma des brandenburg.-preuß. Staates in der großen europ. Politik um die Jahrhundertwende nicht zu lösen. Die Mittellage zwischen den beiden Kriegssystemen im Nordosten und im Westen gestattete keine aktive Neutralitäts- und Vermittlungspolitik im Span. und Nord. Krieg, wie I. sie zunächst versuchte, sondern führte je länger, desto mehr zu einseitiger Abhängigkeit von den Westmächten. Innenpolitisch fand sich I., den der König 1705 zum Direktor der Chargenkasse und 1706 zum Regierungspräsidenten in Minden gemacht hatte, jetzt mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm in der Opposition gegen das verhaßte „System Wartenberg“, dessen Sturz 1710 herbeigeführt wurde. Die damals geknüpfte Verbindung überdauerte die Intrigen und Machtkämpfe der Schlußphase der Regierung Friedrichs I., so daß I. trotz sachlicher Meinungsverschiedenheiten auch nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. 1713 der wichtigste außenpolitische Ratgeber des neuen, mißtrauischen Königs blieb. Zwar wurden ihm zunächst zwei Kollegen gleichsam als Aufpasser zur Seite gestellt und die „Auswärtigen und publiquen Affairen“ einem „Kabinettsconseil“ übertragen, aber es kann nicht zweifelhaft sein, daß I., dem mit dem Amt des Landschaftsdirektors der Kurmark, Neumark und Magdeburgs sowie zahlreichen schwierigen Spezialmissionen wiederum auch innenpolitische Aufgaben zufielen, seine Führungsrolle nicht nur behaupten, sondern auch weiter ausbauen konnte.

    Institutionell und personell legte er in jenen Jahren den Grund für das „Auswärtige Amt“ in Preußen, dessen Gründungsgeschichte nicht auf das Jahr 1728 reduziert werden darf. Vielmehr begann die Entwicklung zum „modernen“ Fachministerium und zu einer förmlichen Behörde bereits wesentlich früher; die Person I.s bildete den Kristallisationskern dafür. Die zwei Tage nach I.s Tod, am 8.12.1728, ergangene Instruktion, in der der König sich die Vorschläge seines greisen Ratgebers für die künftige Organisation des auswärtigen Departements weitgehend zu eigen machte, dokumentierte noch einmal dessen Bedeutung für die preuß. Außenpolitik, die er durch drei Generationen als bewährter Praktiker der Staatsräson und als typischer Vertreter seines höfisch-barocken Zeitalters entscheidend mitbestimmt hat.

  • Literatur

    ADB 14;
    Acta Borussica, Abt. Behördenorganisation I-IV, 1894 ff.;
    Berliner geschriebene Ztgg. a. d. J. 1713-17 u. 1735, hrsg. v. E. Friedländer, 1902;
    J. G. Droysen, Gesch d. preuß. Pol. 3. T., 3. Abt., 1865, 4. T., Abt. 1-4, 1867-69;
    S. Isaacsohn, Gesch. d. preuß. Beamtenthums II, 1878, III, 1884;
    R. Koser, Die Gründung d. Auswärt. Amtes durch Kg. Friedrich Wilhelm I. im J. 1728, in: FBPG 2, 1889 (teilw. überholt);
    O. Hintze, Staat u. Ges. unter d. ersten König [v. Preußen], 1900, wieder in: Regierung u. Verwaltung, Ges. Abhh. z. Staats-, Rechts- u. Sozialgesch. Preußens, hrsg. v. G. Oestreich, Ges. Abhh. III, ²1967, S. 313-418;
    C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. König in Preußen, I: Jugend u. Aufstieg, 1941, erg. Nachdr. 1968;
    P. Baumgart, Zur Gründungsgesch. d. auswärt. Amtes in Preußen (1713–28), in: Jb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdtld. VII, 1958;
    ders., in: Westfäl. Lb. VII, 1959 (L, P).

  • Porträts

    Kupf. v. H. J. Otto, 1706 (Berlin, Geh. Staatsarchiv), Abb. in: E. Heyck, Friedrich I. u. d. Begründung d. preuß. Königtums, 1901.

  • Autor/in

    Peter Baumgart
  • Zitierweise

    Baumgart, Peter, "Ilgen, Heinrich Rüdiger von" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 133-134 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117128988.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Ilgen: Heinrich Rüdiger v. J., geboren zu Minden um die Mitte des 17. Jahrhunderts, als der Sohn eines Minden’schen Regierungsraths, machte nach der Beendigung seiner hauptsächlich juristischen und staatswissenschaftlichen Studien als Begleiter eines jungen Edelmanns längere Reisen durch den Westen Europa's, die ihm genaue Kunde von den vorzüglichsten Höfen des Continents verschafften. Nach seiner Rückkehr wurde er seinem Vater in der Regierung zu Minden beigegeben mit der Anwartschaft auf eine vakante Stelle daselbst. Aus dieser Thätigkeit soll der zurückhaltende junge Beamte durch Leibnitz gezogen worden sein, der auf der Durchreise durch Minden zufällig seine Bekanntschaft machte und von seinem natürlichen Scharfsinn wie seinen Kenntnissen angezogen ihn darauf hinwies, sich am Hofe zu Berlin ein weiteres Feld für seine Talente zu eröffnen. Ohne seine Stellung zu Minden aufzugeben, gelang es J. bei seinem Landsmanne, Franz v. Meinders, der eben damals, Ende 1678, mit einer Sendung nach Paris behufs des Friedensschlusses mit Frankreich betraut worden war, die Stelle eines Secretärs zu erhalten. In dieser Eigenschaft blieb er bis zum Abschluß des Friedens von St. Germain en Laye, 1679, thätig. Nach Berlin zurückgekehrt, zog ihn Kurfürst Friedrich Wilhelm in seine geheime Kanzlei als Geheimsecretär und beförderte ihn einige Jahre später, 1683, zum geheimen Kammersecretär unter gleichzeitiger Uebertragung einer der vier großen Kanzleiexpeditionen, der preußischen und polnischen. In dieser anscheinend untergeordneten, in Wirklichkeit sehr einflußreichen Stellung verblieb J. bis gegen das Ende des Jahrhunderts, indem er einige äußere Zeichen der Anerkennung, so die Verleihung des Charakters eines Hof-, 1699 eines geheimen Raths mehr sich aufnöthigen ließ, als daß er danach trachtete. Seine vorsichtige, allem Schein abholde Natur wies ihn stets nur auf das Reale, Wesentliche hin. Macht, Einfluß, auch hohe Einkünfte strömten dem klugen, bescheiden zurückhaltenden Manne von allen Seiten zu. Er gehörte zu jenen Naturen, die, wenn auch langsam vor-, doch nie zurückschreiten. Der Fall Eberhards v. Danckelmann, das Auskommen des neuen Günstlings, des eben so geschmeidigen, wie leeren Kolbe von Wartenberg, erwiesen sich für J. als überaus förderlich. Mit dem Abgange Danckelmann's wich der letzte vom Platz, der von den Zeiten des Großen Kurfürsten her eine umfassende und gründliche Kenntniß der auswärtigen Politik mit klarer Einsicht in die politische Stellung Brandenburg-Preußens und dessen, was ihm Noth that, verband. Der neue Günstling, aus dem Ausland herangezogen, in materiellen Genüssen und kleinlichen eigensüchtigen Bestrebungen aufgehend, bedurfte eines beständigen, klugen Berathers für die Lenkung der äußeren Politik, die ihm nach Danckelmann's Sturz zufiel, zugleich eines Mannes, der sich damit begnügte, die Fäden wirklich in der Hand zu halten, den Schein der Leitung aber einem Anderen gern gönnte. Ein solcher Mann war J., und wie es für den Günstling ein Glück war, gerade einen solchen Mann am Hofe zu finden und für sein Interesse zu gewinnen, so war es ein nicht geringeres für J., unter der von stürmischen Umwälzungen heimgesuchten Regierung Friedrichs I., gedeckt durch den Rückhalt seines mächtigen Gönners, aus geschützter und minder in die Augen fallender Stellung heraus die Politik doch recht eigentlich nach seinen politischen Grundsätzen leiten zu dürfen. Es wird glaubhaft versichert, daß Kolbe von Wartenberg, bemüht, den durch den Ausgang des deutsch-französischen Krieges erbitterten Kurfürsten auf andere, erfreulichere Gedanken zu bringen, von J. darauf hingewiesen worden sei, mit dem Kronproject, das dem Kurfürsten seit seinem Regierungsantritt nie ganz aus dem Sinn gekommen war, von neuem hervorzutreten. Dieser Plan und die Mittel, ihn zu verwirklichen, beschäftigten den Hof des Kurfürsten bekanntlich fast drei Jahre lang. J. befand sich unter den vertrauten Räthen, deren Gutachten darüber eingefordert wurde. Dasselbe fiel ganz so aus, wie es von ihm zu erwarten war. Unter Hervorhebung aller seiner Schwierigkeiten doch der Schluß, daß das Project gut und ausführbar sei. Dies zu erhärten, wurden ihm neben Kolbe die intimeren Verhandlungen mit Wien durch die Vermittlung des Gesandten Bartholdy aufgetragen, die Ende 1700 zu dem bekannten Krontractat führten. Schon das Nahen der Vollendung seines großen Planes belohnte Friedrich im reichsten Masse. Neben sonstigen Gunstbeweisen trug er J. 1699 die Berufung in den geheimen Staatsrath an, was dieser indeß zur Meidung des sich schon regenden Neids mit Entschiedenheit ablehnte. Eine noch werthvollere Gabe war jedoch das unbeschränkte Vertrauen, das sein Gebieter seiner Gewandtheit, seiner Ergebenheit und seinem Eifer entgegenbrachte. Friedrichs dankbares Gemüth ließ es sich nicht nehmen, gelegentlich der Krönung zu Königsberg am 18. Januar 1701 das auszuführen, was zwei Jahre zuvor durch J. selbst vereitelt worden war. J. befand sich unter den Ersten, denen der neue König den preußischen Adel verlieh. Gleichzeitig empfing derselbe das Patent eines wirklichen geheimen Raths und Mitglieds des Staatsraths, d. h. wurde er zum Minister ernannt. Auch jetzt noch wußte der consequente Mann jedes Hervortreten in die Oeffentlichkeit zu meiden. Getheilt zwischen den Arbeiten im Cabinet, den Verhandlungen mit auswärtigen Gesandten, den Sitzungen des geheimen Staatsraths und häuslicher Thätigkeit flossen seine Tage dahin. Bei den zahlreichen Hoffestlichkeiten erschien er nur auf dringende Veranlassung hin. So, ganz in der Arbeit für den Staat aufgehend, leistete der gewandte und unermüdliche Minister unendlich vieles nebeneinander. Nicht nur, daß er die Conferenzen mit den Vertretern fremder Mächte und die politische Correspondenz während der schwierigen Zeiten des nordischen Kriegs fast allein leitete, übte er auch auf die meisten Gebiete der inneren Politik einen bedeutenden, oft einen entscheidenden Einfluß. So war seine Theilnahme an den Arbeiten zur Reform der Justiz während der J. 1698—1713 eine äußerst lebhafte. Seiner Begutachtung verdankt die berühmte Allgemeine Ordnung die Verbesserung des Justizwesens betreffend vom 21. Juni 1713 ihre endgültige Form. Nicht minder regen Antheil nahm er an der Reform der Domänenverwaltung, der Hauptgrundlage der Staatsfinanzen, mit der man unvorsichtigerweise experimentirt hatte. Schon früh erklärte er sich als einen Gegner des kühnen Besserers Luben v. Wulffen und bemühte sich später im Verein mit Ernst Boguslav v. Kameke, dem Hauptgegner Lubens, der auch seinen Fall herbeiführte, die Verwaltung unter Aufnahme von Lubens wirklichen Verbesserungen nach dem alten Princip der Zeitpacht wieder einzurichten. Sogar zur Reorganisation der obersten Heeresverwaltung wurde er im J. 1712 mit herangezogen. Das von Friedrich Wilhelm v. Grumbkow ausgearbeitete Reformproject wurde, nachdem er es ergänzt und begutachtet, vom Könige angenommen und auf Grund desselben Grumbkow, sein späterer entschiedener Gegner, an die Spitze dieses einflußreichen Verwaltungszweiges gestellt. In der auswärtigen Politik nahm J. während der ersten Hälfte des nordischen Krieges eine im ganzen schwedenfreundliche Haltung ein. Er erstrebte eine Vereinigung mit Karl XII. und den mächtigsten norddeutschen Fürsten, um, gegen etwaige Angriffe im Rücken geschützt, aus dem von ihm erwarteten Zerfall der Republik Polen ein Stück der Beute zu erringen. Auf die Erwerbung Westpreußens, mindestens eines Landstrichs zur Verbindung Pomerellens mit dem Königreich Preußen, blieb der Blick des klarschauenden Politikers unablässig gerichtet. Friedrichs verkehrte Politik nöthigte hier wie auf dem westlichen Kriegsschauplatz zu halben Maßregeln und machte so jeden materiellen Erfolg unmöglich. Inzwischen stieg J. mit dem Sturz Kolbe's v. Wartenberg, Sommer 1711, zur ersten Stelle im Cabinet empor. Im Einverständniß mit Kameke und Marquardt Ludwig v. Printzen, den beiden anderen zur Zeit leitenden Ministem, vom Kronprinzen Friedrich Wilhelm geschützt und gefördert, ließ er es sich angelegen sein, neue Ordnung in die durch die Günstlingswirthschaft zerrüttete Verwaltung zu bringen. Dies gelang wenigstens insoweit, als es bei dem großen Bedarf des Königs und seines Hofs durchzuführen war. In seinem speciellen Ressort, dem der auswärtigen Angelegenheiten, in dem er durch ununterbrochene 33jährige Thätigkeit eine vollendete Meisterschaft und den unbestritten ersten Platz am Hof erlangt hatte, übte er seitdem bis zu seinem Lebensende einen meist maßgebenden Einfluß. Schon seit den Tagen des Großen Kurfürsten war die Leitung der auswärtigen Affären in das fürstliche Cabinet verlegt. Wie Jener von hier aus mit seinen vertrautesten Räthen, den Schwerin und Waldeck, Jena und Somnitz, die äußere Politik in einer selbst den übrigen Ministern öfters verhüllten Art geleitet, so hatte auch Friedrich I. erst mit Eberhard v. Danckelmann, später mit Kolbe und J. vom Cabinet aus die Politik des Staats geleitet. Jetzt wurde J, die Leitung der auswärtigen und Hoheitssachen ganz speciell übergeben und dieser behauptete die erste Stelle, obgleich von Friedrich Wilhelm I. der Generallieutenant v. Bork erst von Zeit zu Zeit, später ganz ins Cabinet gezogen wurde. Die autokratische Regierungsweise des ebengenannten Königs äußerte sich auf dem Gebiet des Auswärtigen nicht in so entschiedener Weise, wie in den inneren Angelegenheiten. Der König hatte das instinktiv richtige Gefühl, daß er den Finessen der Diplomatie nicht gewachsen sei und daher hier eines Beirathes bedürfe, der jene durchschaue und ihre für seinen Staat nachtheiligen Bemühungen zu durchkreuzen verstehe. Als einen solchen kannte er J. und schätzte ihn um so höher, als er von der Lauterkeit seines Charakters und von seinem Aufgehen im Staatsinteresse mehr als einen Beweis empfangen hatte. Die friedliebende und neutrale Natur seines Cabinetsministers paßte vortrefflich zu der des Monarchen selbst und kam dem von früher her entkräfteten Lande so zu Gute, daß nur so|die für die Folge nothwendige Sammlung der Kräfte ermöglicht ward. J. erhielt den König in einer dem Hause Habsburg günstigen Richtung. Das Uebergewicht, das sich der verschlagene Graf Seckendorff in seinen letzten Lebensjahren bei Friedrich Wilhelm I. zu verschaffen wußte, betrachtete er freilich mit berechtigtem Mißtrauen. Dennoch ließ er es sich angelegen sein, den König überall da wo er aus dem habsburgischen zum englisch-hannöverschen Interesse hinüberzuneigen schien, in jenes wieder zurückzulenken. Den vielberufenen Herrenhausener Vertrag vom 3. September 1725 schloß Friedrich Wilhelm zwar im Beisein, aber gegen die Intentionen Ilgen's ab. Doch ebensowenig entsprach der Vertrag von Wusterhausen (12. Octbr. 1726), der den König verpflichtete ohne bestimmte Gegenleistungen Seitens Oesterreichs, Ilgen's Ansichten, der sich ohne Scheu dem König gegenüber darüber ausließ. Die während der ersten Hälfte von Friedrich Wilhelms Regierung bescheidene, doch klare und vortheilhafte Politik Preußens begann mit dem Augenblick unklarer, schwankender und unfruchtbarer zu werden, wo der Sendling Seckendorff das Ohr des Königs mehr gewann, als der im Dienste seines Staats ergraute Minister. Mit Unmuth sah J. den Lauf der neuesten Politik, als ein sanfter Tod den fast Achtzigjährigen (6. December 1728) mitten aus der Arbeit dahinraffte. Ilgen's Persönlichkeit war nicht eben stattlich noch ehrfurchtgebietend. Seine scharfen Züge waren meist ohne jeden äußeren Ausdruck, so daß er alle die, die mit ihm geschäftlich zu verkehren hatten, besonders die fremden Gesandten, oft in die äußerste Verlegenheit brachte. In den Berichten an ihre Höfe beklagen sie sich des öfteren über die Unergründlichkeit, ja wol gar die Zweideutigkeit dieses Ministers, der immer gleichmüthig, immer ohne Affekt, sich nie fassen lasse und aus jedem Winkel noch einen Ausweg fände, der morgen verwerfe, was er heute angenommen, um übermorgen mit einer neuen Klausel, einer anderen Bedingung darauf zurückzukommen. J. stellt das Muster eines Diplomaten um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts dar, mehr fein als großartig, mehr auf die Erreichung kleiner Vortheile, als auf die offene Erstrebung eines großen Ziels gerichtet. Er hinterließ drei Kinder, einen Sohn und zwei Töchter, von denen die eine mit dem Minister Knyphausen, Ilgen's Freund und Gefährten, vermählt bereits 1731, die ältere, erst Gattin eines Grafen Pückler, dann eines Herrn v. Bronikowski, 1747 starb. Sein einziger Sohn trat frühzeitig in den Staatsdienst in ähnlicher Stellung, wie einst der Vater, als geheimer Secretär. Beim Eintritt Thulemeiers in das Cabinetsministerium, 1740, erhielt er die preußisch-polnische Expedition, die sein Vater bis zu seinem Tod und Thulemeier seit jener Zeit inne gehabt hatte. Von Friedrich Wilhelm I. war ihm die Leitung des geheimen Hof- und Staatsarchivs übertragen worden, die er bis zu seinem 1750 erfolgenden Tode zur höchsten Zufriedenheit seiner Herren versah. Mit ihm scheint das Geschlecht im Mannesstamme erloschen zu sein.

    • Literatur

      Droysen, Geschichte d. preuß. Politik, IV. 1, 319 ff. u. IV. 2. Isaacsohn, Geschichte des preuß. Beamtenthums, II. 295 ff. Cosmar und Klaproth, Geschichte des preuß. geh. Staatsraths, 393/394. v. Noorden, Europ. Geschichte im 18. Jahrhundert, I. 46, 47. Daneben Acten des geh. Staatsarchivs zu Berlin.

  • Autor/in

    Isaacsohn.
  • Zitierweise

    Isaacsohn, Siegfried, "Ilgen, Heinrich Rüdiger von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 14 (1881), S. 16-19 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117128988.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA