Lebensdaten
1860 – 1919
Geburtsort
Störmthal bei Leipzig
Sterbeort
Travemünde
Beruf/Funktion
liberaler Politiker ; Nationalökonom
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118738178 | OGND | VIAF: 73985753
Namensvarianten
  • Naumann, Friedrich
  • Naumann, Fr.

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Zitierweise

Naumann, Friedrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118738178.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Friedrich Hugo (1826–90), Pfarrer, S d. August Friedrich (1794–1878), Arzt in Döbeln, u. d. Christiana Elenora Dölitzsch (1798–1879);
    M Agathe Marie (1838–1906), T d. Friedrich Ahlfeld (1810–84), D. theol., Pfarrer, Geh. Kirchenrat in Leipzig (s. NDB I), u. d. Rosalia De Marées (1812–87);
    Blasewitz 1889 Maria Magdalena (1859–1938), T d. Cuno Moritz Zimmermann (1815–98), Pfarrer in Döbeln, seit 1863 in Seifersdorf b. Rabenau (s. BJ III), u. d. Henrietta Maria Luise Pflugradt (1825–1908);
    1 T.

  • Biographie

    Das Leipziger Nikolai-Gymnasium und die Fürstenschule St. Afra in Meißen bereiteten|den Weg zum Theologiestudium in Leipzig (1879–83). Zwischenzeitlich verbrachte N. zwei Semester in Erlangen, die vor allem für seine Hinwendung zur kirchlichen Sozialpraxis wichtig wurden. 1881 gehörte er zu den Mitbegründern des „Vereins deutscher Studenten“, von dem er sich ein Vierteljahrhundert später nach harten Kämpfen wieder zurückzog. Während seiner Tätigkeit als „Oberhelfer“ in Wicherns Erziehungsstätte „Rauhes Haus“ (Hamburg) seit 1883 vertiefte sich seine Auffassung von der „Inneren Mission“. 1886 übernahm er eine Pfarrstelle in Langenberg (sächs. Erzgebirge). Seine Reden und ersten, z. T. noch tastenden Schriften machten ihn allmählich bekannt, so daß er 1890 das Amt eines „Vereinsgeistlichen“ der Inneren Mission erhielt. Nun begann sich sein öffentliches Wirken auszuweiten, u. a. als Wortführer der progressiven Christlich-Sozialen im „Ev.-Sozialen Kongreß“. Verstärkt befaßte er sich mit marxistischer Literatur, um für die Auseinandersetzung mit der sozialistischen Bewegung gewappnet zu sein. Gleichzeitig vollzog sich die innere Trennung von Adolf Stoecker, der ihn in seiner Jugend stark beeindruckt hatte. Stoeckers Sozialkonservativismus stellte N. nun seinen Christlichen Sozialismus entgegen. 1895 gab er sein Pfarramt auf, zwei Jahre später übersiedelte er nach Berlin. 1896 gründete er, nachdem er sich ein Jahr zuvor in der Wochenschrift „Hilfe“ ein Sprachorgan geschaffen hatte, den „Nationalsozialen Verein“. Nach sieben Jahren löste er ihn, nachdem sein Versuch, in den Wahlen 1898 und 1903 ein Mandat zu erlangen, gescheitert war, wieder auf. In der deutschen Parteiengeschichte stellt dieser – wesentlich von Pfarrern, Lehrern, Studenten getragene – Versuch eine Randerscheinung dar; sie ist jedoch bezeichnend für die unbefangene, nicht durch Konventionen belastete Art, mit der die unterschiedlichsten deutschen Probleme angefaßt wurden – außenpolitisch mit mancher Naivität und Fehleinschätzung, innenpolitisch nach der sehr akzentuierten Formel des N.schen Programmbuches „Demokratie und Kaisertum“ (1900, ⁴1905). Sein Bemühen, die „modernen“ Züge Wilhelms II. hervorzuheben, schlug später angesichts der politischen Improvisationen des Kaisers in Enttäuschung um. Wichtig war ihm vor allem, den mechanistischen Illusionismus der traditionellen Sozialdemokratie zu durchstoßen: Mit der zur Wirklichkeit gewordenen, zur Wirksamkeit berufenen demokratischen Grundordnung (Kampf gegen das preuß. Dreiklassenwahlrecht) sollte auch die Anerkennung der Militärnotwendigkeiten verbunden sein. N.s Monarchismus war rein rational, sein Demokratismus als erzieherische Aufgabe begründet. Seine gesamtpolitische These, verantwortete Ordnung in einer sich industrialisierenden Gemeinschaft, beruhte auf den Zwängen, die aus dem starken Volkswachstum um die Jahrhundertwende erwuchsen. N.s Anschauung, in der sich Statistik und Phantasie begegneten, bestimmte auch seine ökonomischen und sozialpolitischen Argumentationen (Neudeutsche Wirtschaftspolitik, 1902, verändert 1906). 1903 schloß sich N. mit der Mehrheit seiner Gefolgschaft der „Freisinnigen Vereinigung“ an, jener Gruppe der „Linksliberalen“, die sich im Kampf um den neuen Zolltarif am härtesten geschlagen hatte. Es war dann wesentlich sein Werk zäher Geduld, daß sich die zersplitterten Gruppen 1910 in der „Fortschrittlichen Volkspartei“ vereinten. Inzwischen war N. Mitglied des Reichstags geworden, 1907-12 für Heilbronn, 1913 für Waldeck; seine politische Position im Parlament mußte er sich erst allmählich erobern auf dem Weg über sozialrechtliche Arbeit in den Spezialausschüssen und als brillanter Redner. Mit seinem Programm eines „Gesamtliberalismus“ und eines „Industrieparlamentarismus“ warb er für eine Verständigung mit der Sozialdemokratie und für eine freie Entfaltungsmöglichkeit der Gewerkschaften. Durch Reisen kannte er einiges von Europa und dem Vorderen Orient; 1913 hatte er, stark beeindruckt, England besucht.

    Während des Krieges setzte sich N. innenpolitisch für den „Burgfrieden“ ein, seit 1917 für die Bildung des „Interfraktionellen Ausschusses“ aus Parlamentariern der Sozialdemokratie, des Zentrums und der Liberalen sowie für Verfassungsreformen und die Demokratisierung des preuß. Wahlrechts. Außenpolitisch wandte er sich gegen die ausufernde Annektionspropaganda und eine Eskalation des U-Boot-Krieges. In seinem außerordentlich erfolgreichen Buch „Mitteleuropa“ (1915) vertrat N. in der Kriegszielfrage eine mittlere Linie und einen Rückzug auf die kontinentale Position durch einen wirtschaftlichen und militärischen Zusammenschluß mit Österreich-Ungarn sowie weiteren Staaten Ost- und Südosteuropas. Dieses „Mitteleuropa“ war im Elementaren die Resignation gegenüber der eigenen Jugend, die die Flotten- und Kolonialpolitik bejaht hatte. Als Vertreter Berlins von der neugegründeten „Deutschen Demokratischen Partei“ aufgestellt, deren erster Vorsitzender er im Juli 1919 werden sollte, ging er in die Nationalversammlung nach Weimar. Sein|Entwurf „volksverständlicher Grundrechte“, eine Apologie sozialer und freiheitlicher Wünschbarkeiten, wurde nicht in die Reichsverfassung aufgenommen. Seine Warnungen vor den Folgen des Verhältniswahlrechts verhallten ebenso ungehört wie jene vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrags. Durch Krankheit zunehmend behindert, erreichte er immerhin eine Sicherung der künftigen Rechtsstellung der Kirchen im Staat.

    N.s Stellung in der deutschen Geschichte reicht über den politischen Raum hinaus. Die Gründung des „Deutschen Werkbundes“ (1907), eine Vereinigung von Künstlern und Industriellen, die für die gewerbliche Produktion neue künstlerisch und qualitativ hochrangige Maßstäbe zu entwickeln versuchte, ging wesentlich auf die Anregung des kunstsinnigen N. zurück. 1917 gründete er die „Staatsbürgerschule“, eine Vorläuferin der „Hochschule für Politik“ (1920, seit 1959 „Otto-Suhr-Institut“ der FU Berlin). Bis 1903 und in seinen letzten Lebensjahren verfaßte er religiöse Betrachtungen („Andachten“), vor allem über die Problematik christlicher Ethik im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltag. Durch seine ungewöhnliche Rednergabe, seine unkonventionelle Denkweise und seine gewinnende, lautere Persönlichkeit übte er auf die junge Generation, die in der Weimarer und der Bonner Republik zu politischer Wirksamkeit gelangte, starken Einfluß aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte die FDP an sein politisches Vermächtnis an und benannte nach N. die ihr nahestehende Stiftung in Gummersbach.|

  • Auszeichnungen

    D. theol. (Heidelberg, 1903).

  • Werke

    Weitere W u. a. Arbeiterkatechismus, 1889;
    Was heißt Christlich-Sozial?, 2 Bde., 1894/96;
    Nationalsozialer Katechismus, 1897;
    Die Erneuerung d. Liberalismus, 1906;
    Geist u. Glaube, 1911;
    Der Kaiser im Volksstaat, 1917;
    Erziehung z. Pol., 1918;
    Gestalten u. Gestalter (aus d. Nachlaß), 1919;
    Ausgew. Schrr., hrsg. v. H. Vogt, 1949;
    Werke, hrsg. v. W. Uhsadel u. a., 6 Bde., 1964.

  • Literatur

    Th. Heuss, F. N., 1937, ²1949, ³1968 (W, L, P);
    ders., F. N.s Erbe, 1959;
    ders., F. N. u. d. dt. Demokratie, 1960;
    A. Milatz. F.-N.-Bibliogr., 1957 (W, L);
    A. H. Nuber, F. N., Ausst.kat. Heilbronn, 1962 (P);
    P. G. v. Beckerath u. A. Gröppler, Der Begriff d. sozialen Verantwortung b. F. N., 1962;
    D. Düding, Der Nationalsoziale Verein 1896-1903, 1972;
    A. Lindt, F. N. u. Max Weber, 1973;
    P. Theiner, Sozialer Liberalismus u. dt. Weltpol., F. N. im Wilhelminischen Dtld., 1983;
    D. Kleinmann, in: Prot. Profile, hrsg. v. K. Scholder u. D. Kleinmann, 1983, S. 267-85 (P);
    W. Spael, F. N.s Verhältnis zu Max Weber, 1985;
    B. Loew, F. N., 1985 (P);
    W. Göggelmann, Christl. Weltverantwortung zw. sozialer Frage u. Nationalstaat, Zur Entwicklung F. N.s 1860-1903, 1987;
    J. Campbell, Der Dt. Werkbund 1907-1934, 1989;
    O. Lewerenz, Zwischen Reich Gottes u. Weltreich, F. N. in seiner Frankfurter Zeit, Diss. Heidelberg 1993;
    Staatslex.;
    TRE;
    BBKL.

  • Porträts

    Gem. v. M. Liebermann, 1909 (Kunsthalle Hamburg).

  • Autor/in

    Theodor Heuss , Redaktion
  • Zitierweise

    Heuss, Theodor; Redaktion, "Naumann, Friedrich" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 767-769 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118738178.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA