Lebensdaten
erwähnt 9. – 21. Jahrhundert
Beruf/Funktion
Adelsfamilie ; Dynasten
Konfession
-
Normdaten
GND: 118766589 | OGND | VIAF: 15565446
Namensvarianten
  • Welfen

Objekt/Werk(nachweise)

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Welfen, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118766589.html [29.03.2024].

CC0

  • Biographie

    Der Name der W. ist seit dem 12. Jh. belegt. Das älteste europ. Adels- und Königsgeschlecht hat alemann., fränk. und bayer. Wurzeln. Das hohe Prestige und singuläre Profil der W. gründete im Mittelalter auf einer weitgespannten Herrschaft, die durch sich wandelnde räumliche Bezüge (Westfranken, Burgund, Italien, Bayern, Sachsen) strukturiert war. Seit dem 11. Jh. ist ein dynastisches Wissen erkennbar, das sich in der Spurensuche Hzg. Heinrichs des Schwarzen (reg. 1120–26) nach seinen welf. (und heiligmäßigen) Vorfahren (Bf. Konrad v. Konstanz, reg. 934–75) und der Pflege ihrer Memoria manifestierte; dieses formte sich im 12. Jh. zu einem welf. Hausbewußtsein, das die religiösen Gemeinschaften der welf. Stiftungen in Weingarten, Lüneburg, Braunschweig und Steingaden pflegten und verschriftlichten. Als erstes bedeutendes Adelsgeschlecht wurde die Familie zum Gegenstand von „Hausgeschichtsschreibung“ („Genealogia Welforum“, um 1126; „Historia Welforum“, um 1170), bebilderte Stammbäume illustrierten und kommemorierten ihre Generationenfolge und dynastischen Verbindungen (u. a. „Welfenstammbaum“, 1187 / 90).

    Herkunft und Anfänge der weit verzweigten Adelsfam. im 8. Jh. liegen weitgehend im Dunkeln. Die Einheirat der Töchter Graf Welfs I. ( 825) , Judith (819) und Hemma (825 / 27), in die karoling. Königsfamilie dokumentiert den adligen Rang und die Zugehörigkeit der W. zur fränk. Reichsaristokratie. Die Ausstattung mit Gütern und königlichen Ämtern und der (häufige) Einsatz im Dienst des Reiches förderten die besitzmäßige und herrschaftliche Verankerung des welf. Familienverbandes in unterschiedlichen Regionen des Karolingerreichs. Während der im westfränk. Reich begüterte Zweig der W. (die Rudolfinger, 888–1032, s. NDB 22) das Königreich (Hoch-)Burgund schuf (888), blieb die ältere (süddt.) Linie der W. als Grafen im Zürich-, Augst- und Schussengau mit Besitz im bayer. Ammer- und Vinschgau sowie im Bodenseegebiet und Inntal in Schwaben und Churrätien verwurzelt.

    Im 10. Jh. in ihrem Aktionsradius weitgehend auf Schwaben beschränkt, worüber nur wenige gesicherte Erkenntnisse vorliegen, eröffnete erst die Heirat GrafWelfs II. ( 1030) mit Imiza (v. Luxemburg), der Nichte Ksn. Kunigundes (975–1040), neue politische Perspektiven. Sie erneuerte die Nähe zum (otton.-sal.) Königtum, das die mit der Herzogswürde von Kärnten (1047) und Bayern (1070) ausgezeichneten W. – trotz mancher Konflikte – mit wichtigen reichspolitischen Aufgaben betraute und sie 1055 nach dem söhnelosen Tod Herzog Welfs III. (v. Kärnten, reg. 1047–55) vor dem dynastischen Ende bewahrte. Unter seinem aus Italien gerufenen Neffen und Erben, Welf IV. (reg. 1070–1101), stiegen die W. als bayer. Herzöge endgültig in die erste Reihe der weltlichen Reichsfürsten auf.

    In den großen Konflikten des 11./ 12. Jh. ergriffen die W. dezidiert Partei, ohne dabei ihre eigenen herrschaftlichen und dynastischen Interessen zu vernachlässigen. Als Anhänger der Kirchenreform und Träger der antisal. Fürstenopposition im Reich kämpften sie lange Zeit auf seiten des Reformpapsttums; das Scheitern der von Urban II. initiierten politischen Ehe Welfs V. (reg. 1102–20) mit der romtreuen Mgfn. Mathilde v. Tuszien (1046–1115) und die kaiserliche Zusage einer dauerhaften Verankerung der bayer. Herzogswürde in der welf. Familie führten jedoch 1096 / 98 zur Aussöhnung der W. mit Heinrich IV. (1050–1106).

    Die für die weitere Geschichte der W. folgenreichste Weichenstellung vollzog Heinrich IX. (der Schwarze) ( 1126, s. NDB VIII). Während seine Heirat mit der sächs. Herzogstochter Wulfhild (1095 / 1100) und der Erwerb billungischer Erbgüter (im Raum Lüneburg) der| welf. Herrschaftsbildung eine neue Richtung wies, begründete die Ehe seines Sohnes, Heinrichs X. (des Stolzen) (reg. 1126–39, s. NDB VIII), mit der Tochter Kg. Lothars III. (1075–1137) den welf. Anspruch auf die sächs. Herzogswürde. Mit seinem politischen Kurswechsel bei der Königswahl 1125, der Entscheidung für den sächs. Hzg. Lothar und gegen seinen eigenen stauf. Schwiegersohn, Friedrich II. von Schwaben (reg. 1105–47), ebnete Heinrich seiner Familie den Weg zum Königtum. Auch wenn welf. Königskandidaturen 1138 und 1152 scheiterten, nahmen die seit 1165 mit dem engl. Königshaus verwandten W. bis 1180 mit zwei Herzogtümern, Besitz- und Herrschaftsrechten in vier Regionen (Bayern, Sachsen, Schwaben u. Italien) eine königsgleiche Stellung ein und gestalteten die Reichs- und Italienpolitik entscheidend mit. Der im Verlust des Reichsfürstenstandes und dem Entzug beider Herzogtümer und zahlreicher Lehen gipfelnde Sturz Heinrichs (des Löwen) (reg. 1142–80, s. NDB VIII) 1180 und der Verkauf des süddt. Welfenbesitzes durch den erbenlosen Welf VI. (1115 / 16–91) an die Staufer markieren einen Wendepunkt in der welf. Geschichte.

    Otto IV. (reg. 1198–1218, s. NDB 19), der im engl. Exil aufgewachsene Sohn Heinrichs des Löwen, errang zwar als erster und einziger W. die dt. Königs- (1198) und röm. Kaiserkrone (1209), doch seine ambitionierte, aber glücklose Politik scheiterte am päpstlichen Widerstand und fehlenden Rückhalt bei den Reichsfürsten. Die weitgehende Revision der Folgen von 1180 gelang erst Ottos Neffen, Otto (dem Kind) (reg. 1227–52, s. NDB 19), dem letzten verbliebenen Vertreter des welf. Hauses, nach der Aussöhnung mit Ks. Friedrich II. 1235. Mit Ottos Erhebung in den Reichsfürstenstand und der Bildung des neuen Fürstentums Braunschweig-Lüneburg, eines in männlicher und weiblicher Linie erblichen Herzogtums, kehrten die W. in den Kreis der Reichsfürsten zurück. Durch sein reichspolitisches Engagement, die Konsolidierung der welf. Herrschaft in Sachsen und eine weitsichtige Fiskal- und Städtepolitik schuf Otto die Grundlagen für eine erfolgreiche Territorial- und Heiratspolitik seiner Familie.

    Der Fortbestand der Dynastie und die Einheit des Hauses, die Wahrung und Durchsetzung einer hegemonialen Stellung in Sachsen und die Erweiterung des eigenen Territoriums durch eine gezielte Erwerbs- und Heiratspolitik bildeten die Leitlinien welf. Politik im Spätmittelalter. Um den Erhalt ihrer Dynastie zu sichern und Erbstreitigkeiten vorzubeugen, schlossen sie Hausverträge und teilten seit 1267 / 69 immer wieder Land und Herrschaft in zeitweilig fünf welf. Fürstentümer (Braunschweig, Lüneburg, Grubenhagen, Göttingen, Calenberg), die rechtlich als nichtselbständige Teile im Verband des (unteilbaren) Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg fungierten. Braunschweig, der ideelle Mittelpunkt des Hauses bis 1671, und die Saline in Lüneburg verblieben im gemeinschaftlichen Besitz aller welf. Linien. Der stets betonten Einheit des Hauses verliehen sie nach den Erfahrungen des Lüneburger Erbfolgekriegs (1369/71–88) durch die Annahme der neuen, für alle welf. Fürsten verbindlichen Titulatur eines Herzogs von Braunschweig-Lüneburg sichtbaren Ausdruck und rechtliche Geltung. Ihren (gegen die Askanier gerichteten) Anspruch auf die Herzogswürde in Sachsen untermauerten sie mit einem heraldischen Argument. Seit 1361 / 70 trat das Roß, das (vermeintliche) sächs. Wappentier, in Helmzier und Siegel an die Stelle des bisherigen Löwen.

    Zur Intensivierung ihrer Herrschaft und effektiveren Kontrolle ihrer Finanzen (Steuern, Schuldverschreibungen) setzten die welf. Fürsten seit dem 14. Jh. auf eine verstärkte Schriftlichkeit und den Aufbau administrativer Strukturen, was sich in der Anlage von Lehnbüchern und Urkundenregistern (ab 1344), der Bildung von Ämtern, Groß- und lokalen Vogteien, einem Gesamtarchiv, fürstlichen Ratskollegium (ab 1401) und Landeshaushalt sowie der Bestellung zentraler Amtsträger wie Marschall, Hofmeister und Kanzler (ab 1412) niederschlug.

    Auf die frühneuzeitliche Entwicklung der welf. Fürstentümer und die gegenseitigen Beziehungen der Linien wirkten Vorgänge wie der Schutz und die Erweiterung des eigenen Territoriums, dessen administrativ-ökonomische Ausgestaltung wie rechtliche und kulturelle Prägung sowie die konfessionelle Frage nachhaltig ein. Mit dem Hausvertrag von Münden (1512) vollzogen die Herzöge von Lüneburg, Calenberg und Braunschweig eine klare Trennung der jeweiligen Herrschaftsrechte und regelten strittige Ansprüche auf Hannover und das Fst. Göttingen. Neuerliche, um das Erbe erloschener Nebenlinien, Calenberg (1584), Grubenhagen (1596) und Braunschweig (1634), ausbrechende Konflikte legten die W. im Erbvertrag von 1635 bei, der die neu dimensionierten Fürstentümer Braunschweig-Wolfenbüttel, Calenberg-Göttingen-Hannover und Lüneburg-Celle in ihrem territorialen Bestand sicherte und damit vor einer kaiserlichen Intervention (Lehnsvergabe) bewahrte.

    Mittleres Haus Braunschweig(-Wolfenbüttel) (1495–1634)

    Zahlreiche Eingriffe in seine territoriale Substanz bis 1432 verhinderten lange Zeit, daß das Fst. Braunschweig eine geographische Einheit bildete. Erst die Durchsetzung der Unteilbarkeit des Landes (Primogenitur, 1535), enge Beziehungen zum habsburg. Kaiserhaus und wichtige territoriale Erwerbungen (Hochstift Hildesheim, Grafschaften Hoya u. Diepholz) beförderten seine weitere Entwicklung, die sich im Ausbau einer zentralen Landesverwaltung mit Kanzlei und Geh. Kammerrat (ab 1573) und Finanzorganisation (Trennung von fürstl. Rentamt u. Landrentei; Schatzrat ab 1598) sowie in der Gründung der luth. Univ. Helmstedt (1576) spiegelte.

    Neues Haus Lüneburg(-Celle) (1535–1705)

    Das Fst. Lüneburg blieb als einziges von welf. Landesteilungen verschont. Seine zunächst in Lüneburg, dann in Celle residierenden Fürsten betrieben eine auf Kauf, Tausch und Verpfändungen gegründete erfolgreiche Erwerbspolitik im Raum zwischen Aller, Weser und Leine. Im 16./ 17. Jh. steigerten sie ihre Landesherrschaft erfolgreich zu einem geradezu absoluten Regiment durch die Errichtung einer ev. Kirchenhoheit in dem seit 1527 prot. Land, die Säkularisierung geistlichen Besitzes und den Aufbau einer zentralen Landes- und Finanzverwaltung mit Kanzlei, Rentkammer (1537) und Kammerrat (1592 / 97). Ungeachtet der zeitweiligen Abspaltung von Nebenlinien (Harburg, Gifhorn, Dannenberg) sicherten die Durchsetzung der Primogenitur (1611) und Erbabsprachen den Bestand des Hauses bis 1705, als es nach dem söhnelosen Tod Hzg. Georg Wilhelms (1624–1705) an die Linie Calenberg-Hannover fiel.

    Fürstentum Calenberg-Grubenhagen (1432–1714)

    Nach bescheidenen territorialen Anfängen um 1432 stieg das um die Fürstentümer Göttingen (1495) und Grubenhagen (1665) erweiterte Fst. Calenberg mit seiner neuen Residenz Hannover (ab 1636) im Laufe des 17. Jh. zum führenden Zentrum welf. Politik und Hofkultur auf; seine politisch geschickt agierenden Landesherren vertraten erfolgreich ihre Interessen in der Reichspolitik und auf europ. Ebene.

    Hzg. Ernst Augusts (1629–98, s. NDB IV) Durchsetzung der innerfamiliär höchst umstrittenen Primogenitur (1680 / 82), die Vergrößerung des eigenen Territoriums um das Fst. Lüneburg-Celle (erst 1705) durch die Heirat (1682) seines Sohnes Georg I. Ludwig (1660–1727, s. NDB IV) mit der Erbtochter Sophie Dorothea (1666–1726, s. ADB 34) und der Kurverzicht seines älteren Bruders Georg Wilhelm v. Lüneburg (1691) bildeten entscheidende Voraussetzungen für seine schon länger angestrebte Erhebung zum Kurfürsten. Von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), dem gelehrten Bibliothekar in Hannover und fürstl. Ratgeber, publizistisch begleitet und legitimiert, wurde Ernst August im März 1692 nach langwierigen Verhandlungen (und gegen den bis 1706 währenden Protest der braunschweig. Linie) und erheblichen finanziellen Aufwendungen („Handsalben“) von Ks. Leopold I. zum Kurfürsten erhoben. Die endgültige Aufnahme in das Kurkolleg und allgemeine Anerkennung Hannovers als neuntes Kurfürstentum zogen sich wegen des anhaltenden Widerstands der kath. Kurfürsten noch bis Sept. 1708 hin.

    Kurfürstentum und Königreich Hannover (16921866)

    Die seit 1648 verfolgte politische Strategie einer gezielten Rangsteigerung und Ausweitung des eigenen Territoriums bescherte der hann. Linie 1714 den bislang größten Erfolg, den Erwerb der engl. Königswürde. Sie war das erhoffte, aber nicht kalkulierbare Ergebnis geänderter (engl.) Gesetze, dynastischer Zufälle und der Lohn für eine weitsichtige Heiratspolitik. Durch die Heirat (1658) Hzg. Ernst Augusts mit Sophie von der Pfalz (1630–1714, s. NDB 24), der Tochter Kgn. Elisabeth Stuarts und Enkelin Kg. James ’ I., gingen deren Erbansprüche auf die engl. Krone auf die welf. Linie Hannover über. Doch erst die gesetzliche Beschränkung der Thronfolge auf die prot. Linie des Hauses Stuart (1688) und der Tod des nächsten Erben, Hzg. Williams v. Gloucester (1700), ließen Sophie auf den ersten Platz der engl. Thronfolge vorrücken. Das engl. Parlament schuf mit dem „Act of Settlement“ (1701: Festlegung d. Thronfolge d. Hauses Hannover) und dem „Act of Naturalisation“ (1706: Einbürgerung Sophies als Engländerin) die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Nachfolge ihres Sohnes Hzg. Georg I. Ludwig als engl. König (Georg I., reg. 1714–27) im Okt. 1714 – nach dem Tod seiner Mutter Sophie (1714) und Kgn. Annes (1714).

    Während Georg I. und seine vier kgl. Nachfolger aus dem Haus Hannover ihr politisches Hauptaugenmerk zeitlebens auf eine (mehr oder weniger erfolgreiche) Regierung des Vereinigten Königreichs und seines entstehenden Kolonialimperiums richteten, sank| das von ihnen in Personalunion gelenkte und immer sporadischer besuchte Kfst. Hannover seit Mitte des 18. Jh. zu einem weitgehend auf sich selbst gestellten Nebenland der brit. Krone ab.

    Gestützt auf Minister- und Geheimen Rat als politische Führung, ein kameralistisches Wirtschaftssystem und stehendes Heer suchte Kurhannover seine Stellung als zweitstärkste Regionalmacht im Norden des Reiches nach Brandenburg-Preußen in den Kriegen und Konflikten des 18./ 19. Jh. zu behaupten. Die mit engl. Hilfe erlangte Erhebung zum Königreich (Hannover) auf dem Wiener Kongreß 1815 ging einher mit einer erheblichen Arrondierung des eigenen Territoriums im Norden (um Arenberg-Meppen, Lingen u. Ostfriesland) und Westen (Goslar, Hildesheim).

    Der Tod Kg. Wilhelms IV. (reg. 1830–37, s. ADB 43) 1837 bedeutete nicht nur das Ende der Personalunion mit England, sondern auch den staatsrechtlichen Übergang Hannovers von einer konstitutionellen Monarchie (seit 1831 / 33) zu einem der zeitweilig reaktionärsten Staaten (Protest der „Göttinger Sieben“ 1837) des Deutschen Bundes unter Kg. Ernst August (reg. 1837–51, s. NDB IV). Der gezielte Konfrontationskurs seines Sohnes Kg. Georgs V. (reg. 1851–66, s. NDB VI) gegenüber Preußen endete 1866 mit der Annexion des Kgr. Hannover, das als neue preuß. Provinz eingegliedert wurde. Der jahrzehntelange, politisch von der prowelf. Deutschhannoverschen Partei unterstützte, erbitterte Streit mit den Hohenzollern um die welf. Thronansprüche auf Hannover und die vollständige Rückgabe des zeitweilig sequestrierten welf. Immobil- und Kapitalbesitzes zog sich bis 1913 hin, als Ernst August II., Hzg. v. Cumberland (1845–1923), im Namen seines Hauses endgültig auf die Restitution des Kgr. Hannover verzichtete und die dt. Reichsverfassung anerkannte.

    Das neue Haus Braunschweig (1635–1884)

    Das aus der Lüneburger Nebenlinie Dannenberg hervorgegangene neue Haus Braunschweig und seine Fürsten schlugen politisch, herrschaftlich und kulturell vielfach andere Wege ein als ihre welf. Verwandten. Hzg.August d. J. (reg. 1635–66, s. NDB I) und sein Sohn, der auch als Schriftsteller tätige Anton Ulrich (reg. 1685–1714, s. NDB I), wie auch ihre Nachfahren begeisterten sich für Literatur, Musik, Theater und Wissenschaft. Die bedeutende Bibliothek in Wolfenbüttel, schon Mitte des 16. Jh. gegründet, wurde zu einer der größten ihrer Zeit, der Hof zu einem der kulturellen Zentren Norddeutschlands und einer führenden Ausbildungs- und Erziehungsstätte für den adligen Nachwuchs geformt.

    Ehen mit dem Haus Hohenzollern und der Eintritt welf. Fürstensöhne in preuß. Dienste zeugen von den engen beiderseitigen Beziehungen und der politischen Orientierung der Braunschweiger W. an Preußen bis 1918.

    Den Reformkurs, den der aufgeklärte Hzg. Karl I. (reg. 1735–80, s. NDB XI) in Wirtschaft (Gründung von Bankinstituten), öffentlicher Verwaltung (umfangreiche Landvermessung) und Wissenschaft (Gründung des Vorläufers der TU Braunschweig) einschlug, setzte sein Urenkel Wilhelm (reg. 1830 / 31–84, s. ADB 43) auf der staatsrechtlichen Ebene fort. Er erließ eine neue Verfassung mit konstitutionellen Elementen (1832), gewährte 1848 Koalitions- und Pressefreiheit unter Abschwächung der Zensur und modernisierte sein Herzogtum durch eine umfassende Gesetzgebung und effektivere Verwaltung.

    Die Welfen seit 1913 / 18

    Während sich das Hzgt. Braunschweig, das nach dem Erlöschen der älteren W.linie 1884 an die hann. Linie des Gesamthauses gefallen war, nach Abdankung des letzten welf. Herzogs im Nov. 1918 zum demokratischen Freistaat Braunschweig wandelte, prozessierte der hann. Erbprinz Ernst August III. (1887–1953, reg. 1913–18) in den 1920er Jahren erfolgreich gegen Braunschweig und Preußen um die Restitution von Besitz und Einkünften aus dem aufgehobenen Hzgt. Braunschweig und um die Rückgabe des im sog. Welfenfonds seit 1866 eingefrorenen Hausvermögens.

    Nach der Rückkehr aus dem österr. Exil auf Schloß Cumberland (und in Gmunden) 1933 und dem Verlust des zeitweiligen Lebensmittelpunktes Schloß Blankenburg am Harz 1945 residieren die Nachfahren Ernst Augusts heute auf Schloß Marienburg in Pattensen, auf dem Hausgut Calenberg und auch in Hannover (Nebengebäude von Schloß Herrenhausen).

    Der Welfenschatz

    Seit dem 11. Jh. traten die W. als Auftraggeber, Käufer, Stifter und Sammler bedeutender Kunstwerke auf – motiviert durch religiöse, repräsentative und politische Gründe. Die aus dem einstigen Reliquienschatz von St. Blasius in Braunschweig hervorgegangene bedeutendste Kunstsammlung der W. (seit dem späten|19. Jh. W.schatz genannt) bestand – ausweislich des ältesten Verzeichnisses von 1482 – aus 138 Goldschmiedearbeiten (Reliquiaren) des 11. bis 15. Jh. Nach Verlusten seit 1671 mit Unterbrechungen in der Schloßkirche Hannover verwahrt, wurde der Schatz 1866 zum Privateigentum Kg. Georgs V. von Hannover erklärt. Ihre hohe Verschuldung während der Weltwirtschaftskrise 1929 / 30 zwang die W. 1930 / 32, den Schatz zum Kauf anzubieten. Als die Stadt Hannover ablehnte, erwarben ihn drei jüd. Kunsthändler aus Frankfurt/M.; sie verkauften 40 der 82 noch vorhandenen Stücke an Museen und Privatsammlungen in Europa und in den USA (Mus. of Art Cleveland, Ohio, u. Art Inst. of Chicago), wurden jedoch kurz darauf zur Emigration gezwungen. 1935 erwarb der preuß. Staat die verbliebenen 42 Kunstgegenstände (seit 1957 in Besitz der Stiftung Preuß. Kulturbesitz, seit 1963 im Kunstgewerbemus. in Berlin ausgestellt). Die von den Erben der jüd. Kunsthändler seit 2008 geforderte Restitution des Schatzes lehnt die Stiftung unter Berufung auf eine Empfehlung der Limbach-Kommission bis heute ab. – Das von Heinrich dem Löwen dem Stift St. Blasius in Braunschweig geschenkte berühmte Helmarshauser Evangeliar von 1185 / 88, das sich seit seiner Versteigerung 1983 im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland und anderer Geldgeber befindet, wird heute in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel verwahrt.

  • Quellen

    |B. Flentje u. F. Henrichvark, Die Lehnbücher d. Herzöge v. Braunschweig v. 1318 u. 1344 / 65, 1982; U. Schwarz, Das Reg. d. welf. Herzöge Bernhard u. Heinrich f. d. Land Braunschweig 1400–1409 (–1427), 1998; Qu. z. Gesch. d. W. u. d. Chron. Burchards v. Ursberg, hg. v. M. Becher, 2007.

  • Literatur

    |G. Schnath, Gesch. Hannovers im Za. d. neunten Kur u. d. engl. Sukzession 1674 –1714, 5 Bde., 1938–82;
    J. Fleckenstein, Über d. Herkunft d. W. u. ihre Anfänge in Süddtld., in: Studien u. Vorarbb. z. Gesch. d. großfränk. u. frühdt. Adels, hg. v. G. Tellenbach, 1957, S. 71–136;
    K. Schmid, Welf. Selbstverständnis, zuerst in: Adel u. Kirche, Gerd Tellenbach z. 65. Geb.tag dargebracht v. Freunden u. Schülern, hg. v. J. Fleckenstein u. a., 1968, S. 389–416, erneut in: ders., Gebetsgedenken u. adliges Selbstverständnis im MA, Ausgew. Btrr., Festgabe z. sechzigsten Geb.tag, 1983, S. 424–53;
    H. Patze, Die welf. Territorien im 14. Jh., in: Der dt. Territorialstaat im 14. Jh., hg. v. dems., Bd. II, 1970, S. 7–99;
    S. Zillmann, Die welf. Territorialpol. im 13. Jh. (1218–1267), 1975;
    Gesch. Niedersachsens, begr. v. H. Patze, Bd. 2–5, 1983–2016;
    R. Gresky, Die Finanzen d. W. im 13. u. 14. Jh., 1984;
    O. G. Oexle, Adliges Selbstverständnis u. seine Verknüpfung mit d. liturg. Gedenken, das Bsp. d. W., in: ZGORh 134, 1986, S. 47–75;
    J. Ahlers, Die W. u. d. engl. Könige 1165–1235, 1987;
    G. Pischke, Die Landesteilungen d. W. im MA, 1987;
    Die W. u. ihr Braunschweiger Hof im hohen MA, hg. v. B. Schneidmüller, 1995;
    C.-P. Hasse, Die welf. Hofämter u. d. welf. Ministerialität in Sachsen, 1995;
    W. Hechberger, Staufer u. W. 1125–1190, Zur Verwendung v. Theorien in d. Gesch.wiss., 1996;
    E. Schubert, Gesch. Niedersachsens v. 9. bis z. ausgehenden 15. Jh., in: Gesch. Niedersachsens, Bd. 2 / 1: Pol., Vfg., Wirtsch. v. 9. bis z. ausgehenden 15. Jh., hg. v. dems., 1997, bes. S. 575–872, s. o.;
    Die W., Landesgeschichtl. Aspekte ihrer Herrschaft, hg. v. K.-L. Ay, L. Maier u. J. Jahn, 1998;
    Der W.schatz u. sein Umkreis, hg. v. J. Ehlers u. D. Kötzsche, 1998;
    Die Braunschweig. Landesgesch., hg. v. H.-R. Jarck u. G. Schildt, 2000;
    „Eine Welt allein ist nicht genug“, Großbritannien, Hannover u. Göttingen 1714–1837, hg. v. E. Mittler 2005;
    The Hanoverian Dimension in British History, 1714–1837, hg. v. B. Simms u. T. Riotte, 2007;
    N. Kruppa, Illuminierte Herrscher, Bildl. Erinnerungen an die frühen W. in ihren süddt. Klöstern, in: Niedersächs. Jb. f. Landesgesch. 80, 2008, S. 241–82;
    P. Steckhan, W.ber., 150 J. Fam.gesch. d. Herzöge v. Braunschweig u. Lüneburg dokumentiert in Photogr. u. Film, 2008;
    H.-G. Aschoff, Die W., Von d. Ref. bis 1918, 2010;
    B. Schneidmüller, Die W., Herrschaft u. Erinnerung (819–1252), ²2014;
    Th. Vogtherr, Die W., Vom MA bis z. Gegenwart, 2014;
    The Hanoverian succession, dynastic politics and monarchical culture, hg. v. A. Gestrich u. M. Schaich, 2015;
    R. Emans, S. Hiemke, O. Huck (Hg.), Musik an d. Welfenhöfen, 2016;
    G. Vercamer, Die W. in d. „Historia Welforum“, Ihre Identifikation mit d. süddt. Region u. ihre Verortung im Reich, in: Legitimation v. Fürstendynastien in Polen u. d. Reich, hg. v. G. Vercamer u. E. Wółkiewicz, 2016, S. 97–129;
    F. M. Schnack, Die Heiratspol. d. W. v. 1235 bis z. Ausgang d. MA, 2016;
    C. Rauh (Hg.), Das Haus Hannover im Dritten Reich (in Vorbereitung);
    LexMA;
    Dict. of Art;
    Dict. of Middle Ages.

  • Autor/in

    Hubertus Seibert
  • Zitierweise

    Seibert, Hubertus, "Welfen" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 723-727 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118766589.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA