Lebensdaten
1893 – 1939
Geburtsort
Szamocin
Sterbeort
New York
Beruf/Funktion
Schriftsteller ; Dichter ; Publizist ; Politiker
Konfession
konfessionslos
Normdaten
GND: 118623230 | OGND | VIAF: 32003575
Namensvarianten
  • Toller, Ernst Hugo
  • Toller, Ernst
  • Toller, Ernst Hugo
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Zitierweise

Toller, Ernst, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118623230.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Mendel (Max) (1856–1911, jüd.), Kaufm., Gastwirt, seit 1905 Stadtverordneter in S., S d. Joseph, Kaufm. in Tuchel (Tuchola), u. d. Hanne Meyer;
    M Charlotte (Chaie, Ida) (1856–1933), T d. Hoimann Moses Cohn, Gastwirt in S., u. d. Ernestine Tuchmann;
    B Heinrich (1886–1945), Kaufm., Gastwirt in S., seit 1921 in Landsberg/Warthe, 1942 aus Prag nach Theresienstadt deportiert, Schw Hertha (1887– um 1942, Erich Cohn, Kaufm. in Landsberg/Warthe), mit ihrem Ehemann 1942 aus Berlin n. Auschwitz deportiert;
    London 1935 Christiane (1917–74, 2] Norbert Guterman, 1900–84, Übers., 3] Gaston Gerassy, Bes. e. Nachtclubs in Mexico), Theater- u. Filmschausp. (s. Lex. emigrierte Filmschaffende; L), T d. Otto Grautoff (1876–1937), aus Lübeck, Dr. phil., Kunsthist., Übers., Schulfreund v. Thomas Mann, 1927 Gründer u. Präs. d. Dt.-franz. Ges., Kunst- u. Büchersammler (s. Rhdb.; BHdE II; Biogr. Hdb. Kunsthist.), u. d. Erna Heinemann (1888–1949), Kunsthist., Übers.; kinderlos; UrGvv d. Ehefrau Ferdinand Heinrich Grautoff (1789–1832), Hist. (s. ADB IX; Biogr. Lex. Schleswig-Holstein XII; Lübecker Ll. II);
    1 T d. Ehefrau Andrea Valeria Grautoff (Ps. Andrea Valeria) (* 1943, León García Soler, * 1934, pol. Journ. in Mexiko), Astrol.

  • Biographie

    Wegen nervöser Eß-, Schlaf- und Gehstörungen mußte T. seine Schulausbildung zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr unterbrechen. 1907–14 besuchte er das Realgymnasium in Bromberg und immatrikulierte sich im April 1914 an der franz. Ausländeruniversität Grenoble. Bei Beginn des 1. Weltkriegs gelang ihm über die Schweiz die Flucht nach Deutschland, wo er in München als Kriegsfreiwilliger beim 1. bayer. Fußartillerie-Regiment eintrat. Als Unteroffizier (seit März 1916) an der Westfront erlitt T. im Mai 1916 einen psychischen und physischen Zusammenbruch, in dessen Folge er nach Lazarett- und Sanatoriumsaufenthalten 1917 als „dauernd arbeitsverwendungsfähig Heimat“ aus dem Kriegsdienst entlassen wurde. T. studierte Rechtswissenschaften und Nationalökonomie zunächst in München, wo er dem Kreis um den Theaterwissenschaftler Artur Kutscher (1878–1960) angehörte, dann seit Okt. 1917 in Heidelberg, wohin er Max Weber (1864–1920) nach der 2. Lauensteiner Tagung folgte. Während dieser Zeit näherte er sich dem in Europa damals erstarkenden intellektuellen Anarchismus an. T. wurde 1917 Vorsitzender der Heidelberger Ortsgruppe des „Kulturpolitischen Bundes der Jugend in Deutschland“, korrespondierte mit dem anarchistischen Theoretiker Gustav Landauer (1870–1919) und lernte in Berlin, wohin er Ende Dez. 1917 vor den bad. Militärbehörden ausgewichen war, den sozialistischen Publizisten Kurt Eisner (1867–1919) kennen. Ihm folgte er nach München, agitierte dort für den von der USPD angeleiteten Friedensstreik der Munitionsarbeiter und wurde am 3. 2. 1918 verhaftet. Die von T. verfaßten Flugblätter, die auf der Basis literarischer Skizzen entstanden, galten als versuchter Landesverrat, weil sie sich gegen die geplante Frühjahrsoffensive des dt. Heeres richteten und ihr Ton bei den Arbeiterinnen der Rüstungsbetriebe Wirkung zeigte. Am 6. 4. 1918 wurde T. u. a. auf Fürsprache Max Webers aus der Untersuchungshaft entlassen, aber im Juli 1918 nach Gerichtsbeschluß von den Münchner Psychiatern Emil Kraepelin (1856–1926) und Ernst Rüdin (1874–1952) untersucht. Im Sept. 1918 endgültig vom Kriegsdienst befreit, beteiligte er sich an Eisners Seite am Aufbau der Republik in Bayern, zunächst als|Mitglied des Arbeiterrats, nach Eisners Ermordung in der ersten Räterepublik als Vorsitzender des Zentralrats und während der kommunistischen Herrschaft als Abschnittskommandeur der Roten Armee. Anfang Mai 1919 entzog er sich in wechselnden Münchner Verstecken der Verfolgung durch „Weiße“ Truppen, bevor er Anfang Juni aufgespürt und am 16. 7. 1919 in einem Hochverratsprozeß zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt wurde.

    Mit den in den Haftanstalten Eichstätt und Niederschönenfeld geschriebenen Gedichten (u. a. Das Schwalbenbuch, 1924) und in rascher Folge entstandenen Dramen (Die Wandlung, 1919; Masse-Mensch, 1921; Die Maschinenstürmer, 1922; Der dt. Hinkemann, 1923) wurde T. zum bekanntesten, in 27 Sprachen übersetzten dt. Bühnenautor der 1920er Jahre. Die Andeutungsbühne, die Entwicklung von Lichtregie und Massenszenarien, die Verwendung von dokumentarischen Filmaufnahmen und technischen Bühnenapparaturen wurden bis in die 1930er Jahre hinein von experimentierfreudigen Regisseuren (Karlheinz Martin, Jürgen Fehling, Erwin Piscator) an seinen Texten erprobt, bei Textänderungen oftmals gegen den Willen des Autors.

    Nach der Entlassung aus der Haft 1924 gelangen T. noch kurzlebige Bühnenerfolge (Hoppla, wir leben!, 1927; Feuer aus d. Kesseln, 1930), doch überfielen ihn erneut die durch Krieg und Haft verstärkten Depressionen. Seine justizkritischen Schriften (u. a. Justiz, Erlebnisse, 1927) mündeten in den Plan einer autobiographischen Trilogie, die das Schicksal seiner von Krieg und Nationalismus zerstörten Generation beschreibt (Eine Jugend in Dtld., 1933, neu hg. u. komm. v. W. Frühwald, 2011, P; Briefe aus d. Gefängnis, 1935, Fragmente e. Spanienbuches, 1938/39). Seit Ende Febr. 1933 war T. in wechselnden Staaten im Exil, im Aug. 1933 wurde er ausgebürgert. Seine (zu) groß angelegten politisch-sozialen Projekte scheiterten, zumindest nach T.s eigener Einschätzung, so z. B. die Sammlung des dt.sprachigen Exils oder die humanitäre Aktion für die hungernden Flüchtlinge im Span. Bürgerkrieg, die durch Francos Sieg zeitlich überholt wurde. Am 22. 5. 1939, kurz vor dem Beginn des 2. Weltkriegs, den er vorausgesagt hatte, erhängte sich T. in einem Hotel in New York.

    Den Nationalsozialisten gelang es, das Andenken T.s in ihrem Macht- und Einflußgebiet weitgehend zu zerstören. Erst zu Beginn der 1960er Jahre, als das Interesse am Verhältnis von Politik und Literatur wieder zu wachsen begann, wurden in zwei Auswahlausgaben auch Teile seines Werks wieder zugänglich (Ausgew. Schrr., Berlin [Ost] 1961; Prosa, Briefe, Dramen, Gedichte, Reinbek 1961). Die unterschiedlichen Versuche, T.s Dramen auf der Bühne wieder zu etablieren, blieben wegen der Zeitnähe dieser Stücke ohne Erfolg. Gegenwartsautoren wie Tankred Dorst (T., 1968) und Albert Ostermaier (Zw. zwei Feuern, T.topographie, 1993) stellten deshalb die Person T.s in den Mittelpunkt poetisch-dokumentarischer Texte, das Schicksal eines Autors, der am tragischen Zwiespalt zwischen einer gewaltgierigen Welt und der von ihm politisch wie literarisch ersehnten Menschheitsutopie zerbrochen ist.

  • Auszeichnungen

    A E.-T.-Ges. u. E.-T.Preis d. E.-T.-Ges., Neuburg/Donau (seit 1993).

  • Werke

    Weitere W Der Tag d. Proletariats, Ein Chorwerk, 1920;
    Gedichte der Gefangenen, Ein Sonettenkreis, 1921;
    Bilder aus d. gr. franz. Rev., (Szenarium) z. 25. Gewerkschaftsfest Leipzig, 1922;
    Der entfesselte Wotan, Komödie, 1923;
    Erwachen, (Szenarium) z. Gewerkschaftsfest Leipzig, 1924;
    Vormorgen, 1924 (Gedichte);
    Die Rache d. verhöhnten Liebhabers oder Frauenlist u. Männerlist, Ein galantes Puppenspiel, 1925;
    Dt. Rev., Rede, 1925;
    NS, Eine Diskussion über d. Kulturbankrott d. Bürgertums zw. E. T. u. Alfred Mühr, 1930;
    Quer durch, Reisebilder u. Reden, 1930;
    Wunder in Amerika, Schauspiel, Bühnentyposkript, 1931 (mit H. Kesten);
    Die blinde Göttin, Schauspiel, 1933;
    Seven Plays, 1935;
    No More Peace, A Thoughtful Comedy, 1936;
    Pastor Hall, Play in Three Acts, 1938, dt. Bühnentyposkript 1946; J. M. Spalek u. W. Frühwald (Hg.), E. T.s amerik. Vortragsreise, in: Lit.wiss. Jb. NF 6, 1965, S. 267–311; K. Wolff, Briefwechsel e. Verlegers, hg. v. B. Zeller u. E. Otten, 1966, S. 321–31; Ges. Werke, hg. v. J. M. Spalek u. W. Frühwald, 5 Bde., 1978; Jawaharlal Nehru/E. T., Dok. zu e. Freundschaft, hg. v. J. Oesterheld, 1989; J. Jordan (Hg.), Previously Unpublished Poems of German Playwright E. T. (1893–1939), 2000; Sämtl. Werke, Krit. Ausg., Im Auftr. d. E. T.-Ges. hg. v. D. Distl u. a., 6 Bde., 2015; – Bibliogr.: J. M. Spalek, E. T. and His Critics, A Bibliogr., 1968; M. Pilz (Hg.), E.-T.-Bibliogr. 1968–2012, Mit Nachträgen zu J. M. Spalek (…), 2015; – Nachlaß: T.-Archiv, basierend auf d. T.-Slg. v. J. M. Spalek, unter Obhut d. E.-T.-Ges. e. V. im StadtA Neuburg/Donau; dazu: J. M. Spalek, Der Nachlaß E. T.s, Ein Ber., in: Lit.wiss. Jb. NF 6, 1965, S. 251–66.

  • Literatur

    L S. Großmann, Der Hochverräter E. T., Die Gesch. e. Prozesses, 1919;
    H. Hoffmann u. E. Herold, Ein J. Bayr. Rev. im Bilde, 1919;
    A. Mitchell, Rev. in Bayern 1918/1919, Die Eisner-Reg. u. d. Räterep., 1967;
    W. Frühwald, Kunst als Tat u. Leben, Über d. Anteil dt. Schriftst. an d. Rev. in München 1918/1919, in: Sprache u. Bekenntnis, Sonderbd. d. Lit. wiss. Jb., hg. v. dems. u. G. Niggl, 1971, S. 361–89;
    ders. u. J. M. Spalek, Der Fall T., Komm. u. Mat., 1979 (P);
    T. Bütow, Der Konflikt zw. Rev. u. Pazifismus im Werk E. T.s, 1975;
    R. Eichenlaub, E. T. et l’expressionisme politique, 1980;
    J. Hermand (Hg.), Zu E. T., Drama u. Engagement, 1981;
    C. ter Haar, E. T., Appell oder Resignation, ²1982;
    W. Rothe, E. T. in Selbstzeugnissen u. Bilddok., 1983 (P);
    R. Dove, He was a German, A Biogr. of E. T., 1990 (P), dt. 1993;
    ders. u. S. Lamb, Traum u. Wirklichkeit, E. T.s span. Hilfsaktion, in: Exil, Forsch., Erkenntnisse, Ergebnisse 1, 1990, S. 5–26;
    D. Distl, E. T., Eine pol. Biogr., 1993;
    W. Fuld u. A. Ostermaier (Hg.), Die Göttin u. ihr Sozialist, Christiane Grautoffs Autobiogr. – ihr Leben mit E. T., 1996 (P);
    C. Hempel-Küter u. H. H. Müller, E. T., Auf d. Suche nach d. geistigen Führer, in: Internat. Archiv f. Soz.gesch. d. dt. Lit., 8. Sonderh., 1997, S. 78–106;
    R. Sheppard, Proletar. Feierstunden and the Early Hist. of the Sprechchor 1919–1923, ebd., S. 147–85;
    T. Unger u. M. Wojtczak (Hg.), E. T.s Geb.ort Samotschin, 2001;
    Erich Mühsam, Tagebücher 1910–1924, hg. v. C. Hirte, ³2004;
    E. Kraepelin, Gutachten E. T., in: Ed. Emil Kraepelin, Bd. 7, hg. v. W. Burgmair u. a., 2009, S. 145–77;
    BHdE II;
    Kosch, Theaterlex.;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Killy (P);
    Metzler Autoren Lex. (P);
    Lex. sozialist. Lit. (P); Metzler Lex. dt.-jüd. Lit. (P).

  • Porträts

    P Bronzebüste v. R. Sintenis, 1926 (Städt. Kunsthalle Mannheim); Zeichnung v. E. Spiro, 1930 (Schiller-Nat.mus./DLA Marbach), Abb. in: T. Unger, Dichterbilder v. Walther v. d. Vogelweide bis Elfriede Jelinek, hg. v. F. Möbus u. F. Schmidt-Möbus, 2003, S. 150; Kreidelith. v. H. Reichel, 1925, Abb. in: W. Frühwald, Nachrr. vom Sommer d. Anarchie, in: „Die Sprache d. Bilder“, Hermann Haarmann z. 60. Geb.tag, hg. v. K. Siebenhaar, 2006, S. 55; Photogrr. in: E. T., Letters from Prison, Including Poems and a New Version of „The Swallow Book“, 1936, u. in: R. Herz u. D. Halfbrodt, Rev. u. Fotogr., München 1918/19, 1988.

  • Autor/in

    Wolfgang Frühwald
  • Zitierweise

    Frühwald, Wolfgang, "Toller, Ernst" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 339-341 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118623230.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA