Lebensdaten
1878 – 1960
Geburtsort
Hannover
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Theaterwissenschaftler
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118725645 | OGND | VIAF: 77110847
Namensvarianten
  • Kutscher, Artur
  • Kutscher, A.
  • Kutscher, Arthur
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Zitierweise

Kutscher, Artur, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118725645.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Carl (1839–89), Lehrer, Leiter e. Sprachheilanstalt, entwickelte erfolgreiches Heilverfahren gegen Stottern, aus Bergmannsfam. in Clausthal;
    M Eleonore Zieseniß (1855–1938), aus Bauern- u. Gastwirtsfam. in H.;
    1) 1907 Gertrud Schaper, 2) 1916 Betty Pachtner;
    1 T aus 1), 1 S (⚔), 3 T aus 2).

  • Biographie

    Der musisch begabte K. begann 1899 das Studium der Literaturwissenschaft in München bei Franz Muncker, Hermann Paul und Roman Woerner, setzte es in Kiel (1900) und Berlin (1900/01) fort und kehrte dann wieder nach München zurück. Hier schloß er Freundschaft mit Otto Falckenberg und Frank Wedekind, den er bei den „Elf Scharfrichtern“ kennengelernt hatte. 1904 wurde er mit seiner Arbeit über „Das Naturgefühl in Goethes Lyrik bis zur Ausgabe der Schriften von 1789“ (1906) zum Dr. phil. promoviert. Goethes Lyrik, so betont K., lasse sich nicht durch philologisierende Zergliederung erschließen; vielmehr sei das Gefühl, das schöpferische Mitempfinden, für das Entschlüsseln wichtig. Nach einjährigem Militärdienst in Hannover arbeitete er für Hermann Löns' Zeitungsbeilagen „Heimat“ und „Kunst und Literatur“. Löns gehörte ebenso zu seinem Freundeskreis wie der andersartige Max Halbe. 1905 erhielt er vom Verlagshaus Bong & Co. den Auftrag, dessen Schiller-Ausgabe neu zu edieren (Gesammelte Werke, 10 Bde., 1908). 1907 habilitierte sich K. in Berlin mit der Abhandlung „Friedrich Hebbel als Kritiker des Dramas, Seine Kritik und ihre Bedeutung“ (1907). Nachdem er noch im selben Jahr Privatdozent in München geworden war, nahm er nicht nur seine früheren Kontakte zu den dortigen literarischen Kreisen auf, sondern setzte sich auch mit den meisten bedeutenden deutschen Autoren in Verbindung, um sie zu ihrem Verhältnis zur zeitgenössischen Literatur zu befragen. Er brach alsbald mit dem damals selbstverständlichen Grundsatz der Literarhistoriker, nur über bereits verstorbene Autoren zu lesen. Das brachte ihn bei seinen philologisch ausgerichteten Kollegen in den Geruch der Unwissenschaftlichkeit, weshalb er 1915 zwar ao. Professor (seit 1940 im Beamtenstatus) wurde, aber nie o. Professor. Skeptisch wurde auch seine These aufgenommen, Theater sei nicht literarisch, sondern in erster Linie mimisch zu erfassen: „Im Mimus steckt das Wesentliche der theatralischen Ausdruckskunst und nicht im Logos.“ Seit 1909 forderte er die Schaffung einer neuen Disziplin „Theaterwissenschaft“, deren Forschung auf dieser Einsicht fußen sollte. 1926 konnte er zwar innerhalb des literarwissenschaftlichen Bereichs ein „Institut für Theaterkunde“ gründen, ein planmäßiger Lehrstuhl für Theaterwissenschaft wurde in München jedoch erst nach K.s Tod errichtet. Als Wedekind 1918 starb, ordnete K. den Nachlaß und schrieb eine dreibändige Biographie des damals noch weitgehend verkannten Dichters (Frank Wedekind, Sein Leben und seine Werke, 1922). Indem er Wedekinds Kampf gegen das Bürgertum darlegte und auf die mimischen Qualitäten seiner Dramen hinwies, schuf er dem Wedekind-Verständnis eine noch heute gültige Grundlage. Gerade diese Arbeit war es, die große Widerstände seitens der Fakultät hervorriefen. Während des 1. Weltkriegs stand K. an der Westfront. Dort sammelte er Soldatenlieder und verfaßte ein „Kriegstagebuch“ (2 Bde., 1915).

    Wenn der querköpfige Individualist auch zu wenig akademischen Ehren gelangte, wurde er doch dank seines Instinkts für die Welt des Theaters sowie seiner Kontaktfreudigkeit gegenüber zeitgenössischen Schriftstellern und gegenüber seinen Studenten zu einem der anregendsten und populärsten Professoren der Münchener Universität. Seine „Übungen zur Theaterkritik an Hand des Spielplans“ zogen nicht nur Hörer aus dem engeren Fachbereich, sondern Studenten aller Fakultäten an. 1908 gründete er das „Kutscher-Seminar“, aus dem im Laufe der Zeit – gemäß dem Motto: „Wir arbeiten nicht um des Wissens willen, wir arbeiten um des Wirkens willen!“ – zahlreiche Theaterpraktiker hervorgingen: Erwin Piscator, Helmut Käutner, Hans Schweikart, Hugo Härtung und August Everding. Aber auch Schriftsteller wie Klabund, Bertolt Brecht, Hanns Johst und Manfred Hausmann gehörten zu seinen Schülern. K., der über 100 Semester Kolleg hielt, freute sich, daß unter seinen Hörern nicht nur zahlreiche Dissertationen (120), sondern auch viele Ehen (die Zahl ist unbekannt) zustandekamen. Namhafte Schriftsteller haben an den legendären Autorenabenden des „Kutscher-Kreises“ aus ihren Werken gelesen: Thomas und Heinrich Mann, Stefan Zweig, Georg Kaiser, Karl Wolfskehl, Joachim Ringelnatz, Rudolf Binding, Herbert Eulenberg, Bruno Frank und Isolde Kurz. Diese Autorenabende, die in irgendeinem Schwabinger Bierlokal stattfanden, wurden von K. jeweils durch eine improvisierte kritische Würdigung des Gehörten abgeschlossen. Zusammen mit Karl Henckell und Hubert Wilm gründete er 1911 das „Junge Krokodil“, bei dessen Zusammenkünften Dichter, Wissenschaftler und Politiker zu Wort kamen. Seit 1910 spielte er mit seinen Studenten Theater, veranstaltete die Faschingsfeste der „Zirkusleute“, die das Sprungbrett für das Kabarett „Die vier Nachrichter“ (1931-35) wurden, aber auch wissenschaftliche Exkursionen (bis 1953 insgesamt 158), die anfangs zu den oberbayer. und Tiroler Bauerntheatern führten, später zu den Ruinen antiker Theater in Italien und Griechenland sowie zu allen wichtigen Bühnen Europas. Aus den Exkursionen entwickelten sich die „Studienfahrten deutscher Akademiker“, die bis 1979 von K.s Schüler Karl Brotze durchgeführt wurden.

    K.s Bedeutung beruht nicht so sehr auf seinen wissenschaftlichen Publikationen als auf seinem fruchtbaren Wirken als „Theaterprofessor“ und Mentor der modernen Literatur.|

  • Auszeichnungen

    Gr. Bundesverdienstkreuz.

  • Werke

    Weitere W Schiller u. wir, 1909;
    Die Kunst u. unser Leben, 1909;
    Die Ausdruckskunst d. Bühne, Grundriß u. Bausteine z. neuen Theater, 1910;
    Hebbel u. Grabbe, 1913;
    Das Salzburger Barocktheater, 1924;
    Die Elemente d. Theaters 1936;
    Vom Salzburger Barocktheater z. d. Salzburger Festspielen, 1939;
    Lönsbrevier, 1944;
    Drama u. Theater, 1946;
    Grundriß d. Theaterwiss., 1949;
    Stilkde. d. Dt. Dichtung, 1951;
    Frank Wedekind, 1954;
    Der Theaterprofessor, Ein Leben f. d. Wiss. v. Theater, Autobiogr., 1960 (P). - Hrsg.: Heinr. v. Reder, Gedichte, 1910;
    Dt. Dichterwald, 1911;
    Das richtige Soldatenlied, 1917;
    J. V. v. Scheffel, Ges. Werke, 3 Bde., 1917;
    H. Hoffmann v. Fallersleben, Das Parlament zu Schnappel, 1918;
    F. Wedekind, Lautenlieder, 1920;
    ders., Ges. Werke VII/VIII, 1920;
    Schiller, Ges. Werke, 4 Bde., 1935.

  • Literatur

    Für A. K., Ein Buch d. Dankes, hrsg. v. H. Günther, 1938 (P; 185 Btrr.);
    Erfülltes Leben, Festschr. f. A. K., hrsg. v. dems., 1953 (W, P);
    B. Rhotert, in: Maske u. Kothurn 7, 1961.

  • Porträts

    Büste v. Oskar Garvens. 1903;
    Gem. v. A. Weisgerber, 1914;
    Gem. v. F. Heckendorf, 1952, alle abgeb. in: Festschr., 1953, s. L;
    Büste (Ton) v. S. Rehbinder-Kruse;
    dass. (Bronze), 1979 (München, A. K.-Realschule).

  • Autor/in

    Eva-Suzanne Bayer-Klötzer
  • Zitierweise

    Bayer-Klötzer, Eva-Suzanne, "Kutscher, Artur" in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 346 -367 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118725645.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA