Lebensdaten
1825 – 1899
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
Komponist ; Musiker ; Violinist ; Kapellmeister ; "Walzerkönig"
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 11861908X | OGND | VIAF: 197746
Namensvarianten
  • Strauss, Johann Baptist
  • Strauß, Johann
  • Strauss, Johann (Sohn)
  • mehr

Orte

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Zitierweise

Strauss, Johann, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11861908X.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann (s. 1);
    M Maria Anna Streim;
    B Josef (s. 3), Eduard (s. 4);
    1) Wien 1862 Henriette (Ps. Jetty Treffz, Jetty Edle v. Treffz, Jetty Baronin Todesco) (1818–78, ev., später kath., Moritz Rr. v. Todesco, 1816–73, österr. Rr. 1861, jüd., Bankier, Gesellschafter d. Bankhauses „Hermann Todesco`s Söhne“, Großindustr., Eigentümer d. Textilfabrik Marienthal, Mäzen in W.), aus W., Sängerin u. a. in W., Dresden, Leipzig, Brünn u. London (s. Kosch, Theater-Lex.; Personenlex. Österr.; Hist. Lex. Wien; ÖBL), T d. Josef Chalupetzky (um 1783–1843), Gold- u. Silberarb., Juwelier in W., u. d. Henriette Wilhelmine Treffz (1794–1871, 2] Franz Josef Rr. v. Scherer, Statthaltereisekr.), aus Heilbronn, 2) Wien 1878 1887 Angelika (Lili) Dittrich (1850–1919), aus Breslau, Sängerin, 3) Coburg 1887 Adèle (1856–1930, 1] Anton Strauß, 1877, S e. Bankiers), T d. Leopold Deutsch (1825–um 1866), Produktenhändler, u. d. Hermine Strasser (* 1830); 7 außerehel. K d. 1. Ehefrau u. a. Franziska Todesco (1846–1921, 1] Alexander Baron Erős v. Bethlenfalva, Kdt. e. Rgt., 2] N. N. Prinz v. u. zu Liechtenstein), Aloisia (Louise Henriette) Todesco (* 1850, 1] Gustav Dreyhausen Edler v. Ehrenreich, 1839–84, 2] Ivan Frhr. Wimpffen zu Mollberg, 1847–95, aus Cremona, k. k. Oberstlt.); Gmm d. 1. Ehefrau Margarethe Schwan (1766–96, Karl Friedrich Treffz, 1767–1872, Advokat in Heilbronn, Univ.prokurator in Tübingen), Jugendfreundin Schillers.

  • Biographie

    Nach dem Besuch der Volksschule, seit 1837 des Schotten-Gymnasiums erhielt S. Unterricht in Klavier bei Wenzel Plachy (1785–1858), in Violine beim Leiter des Strauss-Orchesters Franz Amon (1803–64) sowie in Generalbaß und Komposition bei Joseph Drechsler (1782–1852). Seit 1839 sang S. als Chorknabe in St. Leopold. Versuche, ein Studium am Wiener Polytechnikum zu beginnen bzw. in das Bankwesen einzutreten, scheiterten.

    Ohne Einwilligung des Vaters erwirkte der noch minderjährige S. im Juli 1844 beim Wiener Magistrat eine Genehmigung, die durch den Tod Josef Lanners 1843 verwaiste Kapelle zu übernehmen und debütierte am 15. Okt. erfolgreich in Dommayer’s Casino in Hietzing, u. a. mit seinem Opus 1, dem Walzer „Sinngedichte“. In der Folge brach ein – auch von Verlegern und Zeitungen gesteuerter – harter Konkurrenzkampf zwischen Vater und Sohn aus. Um dem auszuweichen, begann S. 1845 mit ersten Konzertreisen durch österr.-ungar. Städte. Nach dem Tod seines Vaters im Sept. 1849 zum Direktor von dessen Kapelle gewählt, konnte er fast alle Konzertverträge in Wien (erstes Konzert am 7. 10. 1849) übernehmen und erreichte in den frühen 1850er Jahren die zuvor von seinem Vater gehaltene Position als Dirigent sämtlicher wichtigen Tanz- und Ballveranstaltungen. Lediglich bei den Bällen des Hofes mußte er sich mit Philipp Fahrbach (1815–85) abwechseln. Die permanente Überlastung durch zusätzliche Konzertreisen wie auch Kompositionsverpflichtungen seinem Verleger Carl Haslinger (1816–68) gegenüber führte jedoch zu schweren gesundheitlichen Zusammenbrüchen; 1853 bat er seinen Bruder Josef, ihn während des Erholungsurlaubs im Juli zu vertreten. Wegen der für mehrere Sommer mit der Direktion der Eisenbahnlinie St. Petersburg-Pawlowsk vereinbarten Konzertreisen mußten sich die beiden, oft in einem schwierigen Konkurrenzverhältnis stehenden Brüder über die Aufteilung der verschiedenen Verpflichtungen in Wien einigen. Bis 1861 bestritten sie die Karnevalsveranstaltungen gemeinsam, im Sommer weilte S. in Rußland, während Josef in Wien konzertierte. Danach band S. – zum Ärger Josefs – zusätzlich auch den jüngsten Bruder Eduard in das Familienunternehmen mit ein.

    1863 nach mehreren Gesuchen zum k. k. Hofball-Musik-Direktor ernannt, konnte sich S. auf wenige repräsentative Bälle und Konzerte im Wiener Volksgarten konzentrieren und unternahm daneben ausgiebige Konzertreisen nach Paris (Weltausstellung 1867) und London (über 60 Konzerte in Covent Garden). Bereits 1863 hatte er mit Haslinger gebrochen und sich dem Verleger Carl Anton Spina (1827–1906) zugewandt, der seine Werke, darunter seine berühmtesten Walzer, bis weit in die 1870er Jahre verlegte, wie „An der schönen blauen Donau“ (mit Chorbesetzung für den Wiener Männer-Gesangverein, op. 314, 1867), „Geschichten aus dem Wienerwald“, op. 325 (1868), „Wiener Blut“, op. 354 (1873), sowie die Polkas „Leichtes Blut“, op. 319 (1867), oder „Unter Donner und Blitz“, op. 324 (1868).

    Seit dem Winter 1867/ 68 wandte sich S. außerdem, durch erfolgreiche Aufführungen der Operetten von Jacques Offenbach (1819–80) und Franz v. Suppè (1819–95) ermuntert, der Operette zu. Er knüpfte Kontakte zu dem Direktor des Carltheaters Anton Ascher (1820–84) und zu dem Kapellmeister Richard Genée (1823–95). Nach Rückschlägen in der Wahl der Libretti und einschneidenden familiären Ereignissen (seine Mutter Anna starb 1869, kurz darauf sein Bruder Josef, wodurch Eduard nun alleiniger Leiter des Orchesters wurde) kam am 10. 2. 1871 am Theater an der Wien seine erste Operette zur Uraufführung. Dieses Erstlingswerk „Indigo und die vierzig Räuber“ rief auch Kritik hervor – so sprach Eduard Hanslick von einer „Tanzmusik mit unterlegtem Text“ –, doch ließ sich S. nicht entmutigen und komponierte in den folgenden Jahren die Operetten „Carneval in Rom“ (1873), „Die Fledermaus“ (1874) oder „Prinz Methusalem“ (1877), welche in Wien jedoch allesamt nicht den erhofften Erfolg erzielten. Unterdessen trat er weiterhin auf Bällen auf und unternahm zahlreiche Konzertreisen durch Westeuropa, wo er u. a. Operettenbearbeitungen zu Gehör brachte.

    Wenige Wochen nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete S. die junge Sängerin Angelika Dittrich. Nach der Trennung im Sept. 1882 wurde 1887 die Scheidung vollzogen, nachdem S. zum Protestantismus übergetreten und Staatsangehöriger des Hzgt. Sachsen-Coburg-Gotha geworden war. Gleich nach der Trennung wandte er sich der jungen Witwe Adèle Deutsch zu, die noch vor der Heirat 1887 zur bestimmenden Kraft in seinem Leben wurde. Mit ihrer und Genées Unterstützung wurde die Operette „Eine Nacht in Venedig“ fertiggestellt und im Okt. 1883 in Berlin uraufgeführt. Zwei Jahre später erlebte S. mit dem „Zigeunerbaron“ seinen größten Bühnenerfolg, blieb aber dennoch unsicher, ob er sich künftig der komischen Oper oder der Operette widmen und sich dem Theater an der Wien oder dem Hofoperntheater zuwenden solle. Auch die folgenden Bühnenstücke wie u. a. „Simplicius“ (1887), „Ritter Pásmán“ (1892) oder „Waldmeister“ (1895) waren nicht von Erfolg gekrönt. In den 80er Jahren trat er wieder verstärkt als Kapellmeister und Walzerkomponist auf und unternahm 1886 eine ausgedehnte Konzertreise nach Rußland und Berlin, wo er den „Kaiser-Walzer“, op. 437|(1889), uraufführte. Zu seinen letzten Werken gehörten der Walzer „Seid umschlungen Millionen“, op. 443 (1892), und das Potpourri „Klänge aus der Raimundzeit“, op. 479 (1898), sowie ein unvollendet gebliebenes Ballett „Aschenbrödel“ für die Hofoper. S. starb vermutlich an einer Lungenentzündung.

    S., der den Titel „Walzerkönig“ von seinem Vater erbte, konnte direkt an dessen Erfolg anknüpfen und diesen mit den Jahren noch steigern: So übernahm er das hervorragend eingespielte Orchester mit großem Notenfundus, konnte die Verträge mit Veranstaltern und Verlegern weiterführen und die verschiedenen Auftrittsmöglichkeiten und Aufführungsorte beinahe konkurrenzlos nutzen. Selbst das Formmodell des Walzers übernahm S., entwickelte es weiter und steigerte seine Popularität – nicht zuletzt durch die vielen Auslandsreisen.

  • Auszeichnungen

    A J.-S.-Denkmal v. E. Hellmer, 1921 (Wiener Stadtpark).

  • Werke

    Weitere W u. a. Bühnenwerke: Cagliostro in Wien, 1875;
    Blindekuh, 1878;
    Instrumentalmusik: weit über 400 Instrumentalwerke, u. a. Walzer: Künstler-Leben, op. 316, 1867;
    Wein, Weib u. Gesang (f. Männerchor u. Orchester), op. 333, 1869;
    Nordseebilder, op. 390, 1879;
    Rosen aus dem Süden (f. Sopran u. Orchester), op. 388, 1880;
    Frühlingsstimmen (f. Sopran u. Orchester), op. 410, 1883;
    Wiener Frauen, op. 423 (auch als „Les Dames de St. Petersbourg“ bekannt), 1886;
    Groß-Wien (f. Männerchor u. Orchester), op. 440, 1891; Polkas:
    Annen-Polka, op. 117, 1852;
    Tritsch-Tratsch-Polka, op. 214, 1858;
    Vergnügungszug, op. 281, 1864;
    Im Krapfenwald`l, op. 336, 1869; ferner Schnellpolkas, Quadrillen, Galoppe u. Märsche, Potpourris;
    S.-Gesamtausg., hg. v. F. Ratzek, ca. 60 Bde., seit 1967;
    Neue J.-S.Gesamtausg., hg. M. Rot, seit 1993;
    Komm. Werkverz., hg. v. Fr. Mailer;
    vgl. auch J. S. (Sohn), Sämtl. Werke in Wiedergabe d. Originaldrucke, hg. v. E. Hilmar, 5 Bde., 1991;
    W-Verz.: A. Weinmann, Verz. sämtl. Werke v. J. S. Vater u. Sohn, 1956.

  • Literatur

    ADB 36;
    H. Weigel, J. S. oder d. Stunde d. Operette, in: ders., Flucht vor d. Größe, 1960;
    K. Pahlen, Der Walzerkönig J. S., 1961;
    O. Stradal, Ewiger Walzer, J. S. in unserer Zeit, 1974;
    N. Linke, J. S. (Sohn) in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten, 1982 (P);
    ders., Musik erobert d. Welt, 1987;
    ders., „Es müßte einem was einfallen“, 1992;
    M. Schönherr, Lanner – S. – Zieherer, Ein synopt. Hdb. d. Tänze u. Märsche, 1982;
    F. Mailer, J. S., Leben u. Werk in Briefen u. Dok., 10 Bde., 1983–2007;
    E. Würzl, J. S., Höhen u. Tiefen d. Meisterjahre 1884–1894, Diss. Wien 1987;
    L. Finscher u. A. Riethmüller (Hg.), J. S., Zw. Kunstanspruch u. Volksvergnügen, 1995 (mit Btrr. u. a. z. sozialen Kontext d. Operette, zu Verlegern u. z. S.-Forsch.);
    Straussiana 1999, Studien zu Leben, Werk u. Wirkung v. J. S. (Sohn), Internat. Kongreß anläßl. d. 100. Wiederkehr d. Todestages, hg. v. W. Pass u. M. Fink, 2001;
    M. Linhardt, Residenzstadt u. , Zu e. kulturellen Topographie d. Wiener Unterhaltungstheaters (1858–1916), 2006;
    Periodika:
    Morgenbll., hg. v. d. Svenska Strauss Sällskapet, 1966 ff.;
    Tritsch-Tratsch, hg. v. d. Johann Strauss Soc. of Great Britain, 1966 ff.;
    Flugschrr., hg. v. d. Dt. Johann Strauß Ges., 1975–95, seit 1996 Mitt.bl. u. d. T. Neues Leben;
    Rathaus-Ball-Tänze, hg. v. d. Johann-Strauß-Ges. Wien, 1978–93, seit 1994 u. d. T. Wiener Bonbons;
    Die Fledermaus, hg. v. Wiener Inst. f. Strauß-Forsch., 1991 ff.;
    Wurzbach;
    Kosch, Theaterlex.;
    F. Stieger, Opernlex.;
    Pipers Enz. d. Musiktheaters, Bd. 6, 1997;
    Neues Hdb. d. Musikwiss., Bd. 6, 1980;
    Riemann;
    New Grove;
    MGG;
    MGG²;
    Hist. Lex. Wien;
    ÖML;
    ÖBL.

  • Porträts

    Kohlezeichnung v. L. Horovitz, 1896 (Wien Mus.);
    Ölgem. v. F. v. Lenbach, 1895 (Wien, Hist. Mus.), beide abgeb. in: MGG.

  • Autor/in

    Werner Bodendorff
  • Zitierweise

    Bodendorff, Werner, "Strauss, Johann" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 498-500 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11861908X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Strauß: Johann St., der genialste Tanzcomponist des 19. Jahrhunderts, geboren zu Wien am 25. October 1825, ebenda am 3. Juni 1899, Erbe und Mehrer des geistigen Vermögens seines gleichnamigen Vaters und des Weltrufes als „Walzerkönig“. Obwohl sich sein Talent frühzeitig regte und in ganzer Stärke unverkennbar zum Durchbruch drängte, fand er mit seinen musikalischen Bestrebungen zunächst nur den Widerspruch des Vaters, der in der Erinnerung an die Mühsale seiner eigenen Jugend zähe an dem Gedanken festhielt, den Sohn einer wissenschaftlichen, kaufmännischen oder Beamtenlaufbahn zuzuführen. Nur unter diesem Zwang war der Sohn vier Jahre auf dem Gymnasium, zwei an der Technik. Inzwischen hatten sich die ehelichen Bande zwischen den Eltern so gelockert, daß der Vater allen Einfluß auf die Führung des Sohnes verlor. An seiner Mutter (Anna, geb. Streim) fand der aufstrebende Jüngling eine liebevolle Förderin und Helferin. Im Clavier- und Violinspiel suchte er anfangs sich selbst fortzubringen. Es mißglückte nicht. Dann erhielt er Violinunterricht von Amon und Kohlmann, Compositionsunterricht von Hofmann. Da das Compositionstalent immer offenbarer wurde, kam er zu Josef Drechsler, einem gediegenen Kirchencomponisten und Regens chori ernster Schule, in die Lehre. Mit einem wohlgesetzten lateinischen Graduale erwarb der neunzehnjährige St. die Bewilligung der Behörde, ein selbständiges Orchester öffentlich zu leiten. Am 15. October 1844 trat er in Dommayer's Casino in Hietzing an der Spitze seiner kleinen aber wohlgeschulten Capelle zum ersten Mal als Componist und Dirigent von Tanzmusik vor das Wiener Publicum und gewann im Sturme die Liebe seiner Vaterstadt. Aber nur langsam die seines Vaters. „Er ist ein geborener Walzer“, heißt's in einem begeisterten Bericht aus jener Zeit. Aber der Vater sah zunächst nur einen gefährlichen Nebenbuhler im Sohne. Erst als er merkte, daß ihm der Sohn den Erfolg nicht streitig machte, sondern nur erhöhte, gab er zur Versöhnung die Hand. Bis zum Tode des Vaters (1849) hatte Wien zwei Strauß’sche Musikcapellen und konnte im Walzer schwelgen. Im Revolutionsjahr 1848 sah man oft den Vater als Capellmeister des ersten, den Sohn des zweiten Bürgerregiments neben einander wirken, diesen später auch bei der Nationalgarde. Sie zählten zu den volksthümlichsten Erscheinungen Wiens, denn sie hatten mit ihrer Kunst die Macht über das Gemüth der aufgeregten Zeitgenossen.

    So stand St. seit seiner Jugend im innigsten Zusammenhang mit dem Volke, dem er angehörte, und verlor diesen nie sein Leben lang. Seine Melodien erfreuten, erhoben, entzückten Jung und Alt, Arm und Reich gleicher Weise, sie waren der Ausdruck der Volksseele in ihrer Zeit. An Leichtigkeit der Erfindung, rhythmischem Schwung, Adel der melodischen Linien, Glanz der Instrumentirung, Fülle und Schönheit der Harmonie übertrifft St. selbst seinen vielbewunderten, genialen Vater. Schon in jungen Jahren zeigt er vollkommene Beherrschung seiner Kunst; und im Laufe seines ganzen Lebens das Streben nach Vertiefung seiner doch so eng begrenzten Kunstgattung. So|erwarb er sich auch die Anerkennung und Bewunderung der größten Meister der ernsten Kunst. Wie sein Vater von Mendelssohn, Schumann, Meyerbeer, Paganini, wurde er von Wagner, Liszt, Bülow, Brahms werth gehalten und hoch geschätzt. Wie jeden großen Meister zeichnete auch ihn ein unbezwinglicher Schaffensdrang und unablässiger Fleiß aus. Er hat in seinem langen Leben gegen fünfhundert Compositionen veröffentlicht, die in Millionen von Exemplaren in der ganzen Welt verbreitet worden sind. Sie sind so charakteristische Merkmale der Cultur ihrer Zeit, daß man sich kaum einen von Europäern berührten Erdenwinkel denken kann, in den nicht Strauß’sche Weisen durch Musiker, Dilettanten oder mechanische Musikwerke gedrungen wären. So groß ihre Zahl ist, sie haben überall die Fähigkeit erwiesen, die Menschen zu erheitern, ihre Gemüther zu erhellen, die Herzen zu erquicken, des Lebens Mühen erträglicher oder ganz vergessen zu machen. St. hatte die göttliche Gabe, solche Weisen ununterbrochen zu erfinden; er construirte sie nicht, sie fielen ihm ein. Daher auch seine Gewohnheit, sich die heiteren, kurzen Einfälle, wie sie ihm kamen, wahllos auf kleinen Papierschnitzeln aufzuschreiben, und dann aus dem stets wachsenden Vorrath das Geeignete herauszunehmen und in künstlerischer Gegensätzlichkeit aneinander zu reihen. Auch in seinen größeren, für die Bühne bestimmten Werken ist der unwiderstehliche rhythmische Schwung, der sinnliche Reiz seiner Melodien mehr für deren Welterfolg entscheidend gewesen, als die ab und zu vorkommende, bis zur Meisterschaft gediehene Durchbildung und Verarbeitung des Details.

    Die große Sorgfalt und der auserlesene Geschmack, die er beim praktischen Einstudiren und Aufführen seiner Werke zeigte, brachten seine Capelle frühzeitig zu einem hohen Ruf. Jahraus jahrein wußte er ihn in Wien von neuem zu bewähren und befestigte ihn ganz besonders auf seinen Reisen. Schon im J. 1848 wanderte er mit seiner Capelle durch Ungarn, Serbien und Rumänien; 1850 hörte man sie in Hamburg, 1851 in Prag, Dresden, Leipzig und Warschau. Es war ganz selbstverständlich, daß er 1853 zum kaiserlichen Hofballmusikdirector ernannt wurde. In den Jahren 1854—1870 erschien er alljährlich in Petersburg, wo seine Beliebtheit bei Hofe wie im Volke jener in seiner Heimath nichts nachgab und seine Concerte sich so einträglich gestalteten, daß er durch sie den Grundstock legte zu seinem späteren großen Vermögen. In dieser Zeit erzog er sich seinen jüngeren Bruder Josef zum Ersatzmann; als dieser zu kränkeln anfing, trat Bruder Eduard an seine Stelle. In den sechziger Jahren waren die Anforderungen an das Dirigenten- und Componisten-Kleeblatt aufs höchste gestiegen, und nur durch gegenseitiges Ablösen konnten sie allen Wünschen ihrer Zeitgenossen gerecht werden. 1861 sah man in Wien im Sophiensaal, 1867 in Budapest die drei Brüder gemeinsam im selben Concert auftreten und jubelte ihnen mit Begeisterung zu. 1867 dirigirte Johann seine Capelle in Wien zum letzten Mal und überließ sie von da an seinen Brüdern; Josef starb bald in jungen Jahren, Eduard leitete die Capelle ruhmvoll bis zu Ende des Jahrhunderts. Im selben Jahre 1867 dirigirte Johann seine Capelle in der Pariser Weltausstellung und in London, zwei Jahre später beim ungarischen Nationalfest in Budapest, 1872 in Boston bei der Hundertjahrfeier der Selbständigkeitserklärung Nordamerikas, wo er Monstre-Concerte mit 20 Subdirigenten leitete und zugleich mit Verdi und Bülow gefeiert wurde; 1874 erschien er in Italien und concertirte in Venedig, Verona, Livorno, Mailand, Turin, Genua und Neapel; 1877 leitete er in Paris mit ungeheurem Erfolg die Musik der Opernbälle und ein von der Regierung gegebenes Wohlthätigkeitsconcert, das einen so großartigen Reingewinn abwarf, daß ihm zu Ehren ein Opernfest gegeben|wurde und Marschall Mac Mahon ihn mit dem Ritterkreuz der Ehrenlegion auszeichnete. Nach langer Pause erschien er 1886 in Petersburg wieder und leitete unter dem größten Jubel zehn Concerte; dann in Moskau, Berlin und Hamburg. Zwei Jahre später dirigirte er wieder mehrere Concerte in Berlin. Von allen diesen Reisen kehrte er stets gern nach Wien zurück, wo seine Popularität an Herzlichkeit und Innigkeit nicht ihresgleichen hatte, besonders seit dem Erscheinen seines Walzers „An der schönen blauen Donau“ (1867) und seit er anfing, Operetten zu schreiben.

    Der erste Versuch auf diesem Gebiete waren „Die lustigen Weiber von Wien“ (Text von Braun), componirt 1870; es blieb beim Versuch, das Stück wurde nicht aufgeführt. Aber gleich das nächste, 1871 aufgeführte Werk „König Indigo“ rief helle Begeisterung hervor; der Text von Max Steiner wurde nicht gerühmt, aber die neuen Walzer aus „Indigo“ schienen alle vorangegangenen zu übertreffen. Und in Neapel, Paris, London machte man mit „Indigo“ nicht andere Erfahrungen, als auf den deutschen Bühnen. Nun war es an St., sich auf diesem Gebiete stets von neuem zu übertreffen, wollte er der Unübertreffliche bleiben. 1873 kam „Der Carneval in Rom“ (Text von Braun), ein Werk, das, mit dem vorangegangenen gemessen, weniger auf die Wirkung des Tanzes, als des Gesanges ausging, und so Gelegenheit bot zur Vertiefung des musikalischen Ausdrucks. Es ist eins der edelsten und feinsten Werke von St. und erhebt sich theilweise bis zur lyrischen Oper. So konnte es neben „Indigo“ bestehen und übertraf diesen noch an Verbreitung. Kurz nach der Wiener Aufführung war es auf 63 Bühnen im Repertoire und erhielt sich lange Zeit. Schon nach einem Jahre erschien aber auf den Brettern des Theaters an der Wien „Die Fledermaus“, das in jeder Richtung vollendetste, reifste Werk von St., das classische Meisterstück seiner Gattung. Ueber den Werth des Textes (von Rich. Genée) konnte man streiten; übermüthig heiter und geschickt aufgebaut ist er gewiß. Ueber die Musik war und ist die ganze Welt einer Meinung; ihr hinreißender Schwung, ihr bestrickender Melodienzauber zeigen die Genialität ihres Meisters im hellsten Licht und haben noch nichts verloren an Frische und Unmittelbarkeit. Kein Wunder, daß es binnen Jahresfrist in allen fünf Welttheilen unter dem größten Jubel von Millionen gegeben wurde und so ein bleibender Gewinn für Musiklitteratur und Theater geworden ist. St. konnte es nicht mehr übertreffen; aber es hatte bewirkt, daß man überall gierig und dankbar jedes neue Werk von ihm aufnahm, natürlich ganz besonders in Wien, wo jede Erstaufführung einer Strauß’schen Operette zu einem künstlerischen und geselligen Fest erster Ordnung geworden war. 1875 erschien „Cagliostro in Wien“ (Text von F. Zell), 1877 „Prinz Methusalem“ (Text von C. Treumann), 1878 „Blindekuh" (Text von Kneisel), 1880 „Das Spitzentuch der Königin“ (Text von Bohrmann), das die vorangegangenen Drei wieder in Allem übertrifft und sich auch durch schönen Aufbau größerer Musikformen auszeichnet. 1881 kam „Der lustige Krieg“ (Text von Zell und Genée), eines der besten Werke von St., schon im Text fast alle anderen übertreffend, in der Musik neben bestrickenden heiteren auch tieferen innigen Herzenstönen Raum gebend: nach der „Fledermaus“ der erste ähnliche Welterfolg. Die nächste Operette „Eine Nacht in Venedig“ wurde 1883 zuerst in Berlin, dann in Wien aufgeführt, dort — des Textes wegen — ohne, hier — der Musik wegen — mit dem größten Erfolg; und dieser blieb dem Werke lange treu, besonders in den nordamerikanischen Städten.

    1885 erschien „Der Zigeunerbaron“ (Text, nach Jokai, von Schnitzer), in der Kunst wie im Leben ein neuer Triumph von St., ein Werk, bei dem|die großen Vorzüge des Textbuchs, Volksthümlichkeit und reife, fertige Charaktere, in der Musik die überraschendsten Fortschritte des Componisten gezeitigt haben in Hinsicht auf dramatische Gestaltung und den Aufbau großer Formen. Ihm folgte zwar zunächst 1887 ein schwächeres Werk „Simplicius“ (Text von Léon) ohne Erfolg, aber der Weg, der von der „Fledermaus" über den „Lustigen Krieg“ und den „Zigeunerbaron“ ging, führte St. 1892 doch zu einer richtigen komischen Oper, den „Ritter Pázman“ (Text von Dóczi). Dieses feine musikalische Lustspiel wendet sich im Gegensatz zu den für alle Welt geschriebenen Operetten an den engeren Kreis der musikalisch Gebildeten; es zeigt den künstlerischen Ehrgeiz, das höhere Streben seines Schöpfers mehr, als dessen Genie und bleibt daher in der allgemeinen Wirkung zurück. In Wien, Prag, München und Berlin hat man sich kurze Zeit dafür interessirt, aber nicht davon geschwärmt. St. selbst sah die Grenze seiner Begabung sehr wohl ein und kehrte froh in sein eigentliches Reich zurück. 1893 brachte er den Wienern wieder eine Operette „Fürstin Ninetta“ (Text von Braun und Wittmann) und wurde mit Jubel aufgenommen; dieser Erfolg blieb ihm treu, als er 1894 mit einem ernsteren Werk kam, „Jabuka“ (Text von Kalbeck und Davis), das sich mehr der feinen Spieloper näherte, und 1895 dem „Waldmeister“ (Text von Davis), worin wieder der leichtere Ton überwog. Aber alle diese Erfolge blieben hinter denen der früheren Jahre zurück, und die letzte Operette von St. „Die Göttin der Vernunft“ (Text von Willner und Buchbinder) 1897 konnte kaum noch von Erfolg sagen. Frisch wendete sich nun der 74jährige Meister einer neuen Kunstgattung zu, dem Ballet. „Aschenbrödel“ sollte es sein; er arbeitete 1899 mit Eifer und Freude daran. Da entfiel seiner glückspendenden Hand die Feder für immer.

    Der Strauß’schen Naturanlage entsprechend überwiegt in der Musik seiner Operetten die Tanzform. Sie bieten eine glänzende Bestätigung der alten Kunstwahrheit, daß der gesungene Tanz, als der ursprünglichere, an Mitteln reichere, in der Wirkung auf das Gemüth tiefer geht, als der, der nur gespielt wird. Aber auch außerhalb der Operetten verwendet St. in vielen seiner Tänze, besonders Walzern, die Singstimmen, bald einzeln, bald im Chor, und das hat ihre Volksthümlichkeit nur gesteigert. Freilich blieben noch immer die meisten rein instrumental. Er schrieb nicht weniger als 160 Walzer, unter denen die „Ballgeschichten", „Morgenblätter", „An der schönen blauen Donau", „Geschichten aus dem Wiener Wald", „Wein, Weib und Gesang", „Tausend und eine Nacht", „Wiener Blut", „Bei uns z'Haus", „Du und Du", „O schöner Mai", „Rosen aus dem Süden", „Myrthenblüthen“ und „Frühlingsstimmen“ die beliebtesten gewesen sein dürften. Den Walzern reihen sich 74 Quadrilles an, 178 Polkas verschiedener Art (Polka française, Polka Mazurka, Polka schnell), 43 Märsche, einzelne Czardas, Romanzen, Phantasien, Potpourris, Polonaisen u. dgl. Sie sind alle ursprünglich für Orchester gesetzt, haben aber die meiste Verbreitung gefunden in den bequemen Bearbeitungen für Clavier zu zwei Händen. In der Orchesterbehandlung ist St. ein würdiger Sohn seines Vaters. Frei und ungezwungen, durchaus eigenartig, mit hoch entwickeltem Klangsinn und Geschmack bedient er sich dieses Kunstmittels, und zeigt darin eine so verblüffende Meisterschaft, daß vielfach die irrige Meinung aufkam, er hätte seine Werke nicht selbst instrumentirt. Seine handschriftlichen Partituren sprechen für ihn und zeigen seine blühende Phantasie auch in diesem Punkt.

    St. war drei Mal verheirathet. 1862—1878 mit Jetty Treffz, nach deren Tode mit Angelica Dittrich, seit 1883 mit Adele Strauß. Die Freude, die er überall verbreitete, wohin seine Töne kamen, lohnten ihm die Zeitgenossen mit einem stets wachsenden, fürstlichen Vermögen. Wenn er, an einzelnen Abschnitten seines Lebens angelangt, persönlich gefeiert wurde, nahmen Fürsten ebenso herzlich daran Theil, wie Arbeiter. So gestaltete sich auch sein Leichenbegängniß in Wien zu einer imposanten Kundgebung des ganzen Volkes. Da er ohne directe Nachkommen schied, widmete er sein Vermögen künstlerischen Zwecken.

    • Literatur

      Johann Strauß, ein Lebensbild von Ludwig Eisenberg, Leipzig 1894. — Johann Strauß von Rud. Freiherrn Procházka, Berlin 1900.

  • Autor/in

    Eus. Mandyczewski.
  • Zitierweise

    Mandyczewski, Eusebius, "Strauss, Johann" in: Allgemeine Deutsche Biographie 54 (1908), S. 610-614 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11861908X.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA