Lebensdaten
1871 – 1943
Geburtsort
Berlin-Friedenau
Sterbeort
Konzentrationslager Auschwitz
Beruf/Funktion
Schriftsteller ; Kunstkritiker
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118703706 | OGND | VIAF: 43332
Namensvarianten
  • Borchardt, Georg (eigentlich)
  • Borchardt, Georg Hermann (eigentlich)
  • Hermann, Georg
  • mehr

Verknüpfungen

Von der Person ausgehende Verknüpfungen

Personen in der NDB Genealogie
Personen im NDB Artikel

Verknüpfungen auf die Person andernorts

Aus dem Register von NDB/ADB

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Hermann, Georg, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118703706.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Hermann Borchardt (1830–90), Kaufm. in B.;
    M Bertha Levin (1835–1910);
    B Ludwig Borchardt ( 1938), Ägyptologe (s. NDB II), Heinrich ( 1935), Architekt;
    - 1) Berlin 1901 ( ca. 1918) Martha (1875–1955), T d. Robert Heynemann u. d. Bertha Heidenreich, 2) Lotte Samter ( 1923?);
    4 T.

  • Biographie

    H. besuchte das Askanische, dann das Friedrich-Werdersche Gymnasium in Berlin, erhielt erst 1890 das Einjährigenzeugnis, durchlief dann eine Kaufmannslehre und arbeitete als Gehilfe in einem Krawattengeschäft. Nach seinem Militärjahr in München (wegen Lungenentzündung vorzeitig entlassen) war er vorübergehend als „diätarischer Hilfsarbeiter“ im Statistischen Amt der Stadt Berlin beschäftigt, 1896-99 hörte er mit „kleiner Matrikel“ an der Universität Berlin literatur- und kunsthistorische Vorlesungen. Danach sicherte er sich als Kunstkritiker und -Schriftsteller (Der Simplicissimus und seine Zeichner, 1900; Die deutsch Karikatur im 19. Jahrhundert, 1901; Wilhelm Busch, 1902; Max Liebermann, 1904) „eine geringe Existenz“ (H.). Obwohl sich H. bereits als Schüler schriftstellerisch versucht (Skizzen in der „Jugend“ und im „Simplicissimus“) und neben einem Roman (Spielkinder, 1896) drei Bände Prosa-Skizzen veröffentlicht hatte, setzte er sich als Schriftsteller relativ spät durch: Erst der Roman „Jettchen Gebert“ (1906, später mit der Fortsetzung „Henriette Jacoby“, 1908, unter dem Obertitel „Jettchen Geberts Geschichte“ verlegt) machte ihn mit einem Schlag berühmt. Er lebte als vielgelesener Romancier in Berlin, zeitweise in Neckargemünd. Als Jude schon vor dem 1. Weltkrieg von dem völkisch-antisemitischen Literarhistoriker Adolf Bartels geschmäht und bedroht (H. verrät „auch bei Darstellung deutscher Menschen und Verhältnisse jene unangenehme jüdische … Überhebung, [die] sicher … für die mit [ihr] Behafteten einmal sehr unangenehme Folgen haben wird.“), emigrierte H. 1933, als mit der Herrschaft der Nationalsozialisten diese Drohung blutige Wirklichkeit zu werden begann, nach Holland. Doch entging auch er nicht dem Schicksal der europäischen Juden: Juni 1943 wurde er in das KZ Westerbork (Holland) eingeliefert, im November nach Auschwitz deportiert und ermordet.

    Die literarhistorische Bedeutung H.s beruht vor allem auf „Jettchen Geberts Geschichte“, in der er mit empfindsamer Einfühlung vom Schicksal eines jüdischen Mädchens berichtet, das an den Konventionen der Großfamilie und am Zwiespalt der Liebe zu zwei Männern zerbricht, und in der er zugleich ein detailliertes, kulturhistorisch zuverlässiges Bild des vormärzlichen Berlin und seiner jüdischen Bürger entwirft. Auch die meisten übrigen Romane H.s behandeln jüdisch-bürgerliche Stoffe; sie sind stark autobiographisch getönt und beschreiben – zum Teil in Zyklen miteinander verbunden – den Untergang des gebildeten (jüdischen) Bürgertums von der Jahrhundertwende bis zur Revolution 1918 und Inflationszeit (Eine Zeit stirbt, 1934). Daneben griff er auch Stoffe aus den unteren (Kubinke, 1910) und untersten sozialen Schichten (im Zuhälterroman „Rosenemil“, Amsterdam 1935, Neuauflage 1962) und aus der preußischen Geschichte auf (Grenadier Wordelmann, 1930). Seine Romane sind Unterhaltungsliteratur, aber Unterhaltungsliteratur von Rang, wie sie in Deutschland selten ist, denn ihre Anziehungskraft liegt nicht in der Kolportage, in der spannenden Handlung – im Gegenteil verliert sich H. oft in breiten, ein wenig gequälten Naturschilderungen, Philosophemen u. ä. –, sondern im kultur- wie sozialgeschichtlich charakteristischen Detail, in der Einbeziehung der Personen und der Handlung in das politische Geschehen und das kritisch beschriebene soziale Milieu. Die Komposition der Romane ist konventionell, vor allem am Fontaneschen Vorbild orientiert, aber nicht an dessen Kunst des Weglassens, die Sprache schlichte Alltagssprache, bisweilen sentimental oder gewollt humorvoll, treffend aber in der Wiedergabe des Berliner Dialekts und des Jargons der Unterschicht. Oberflächlich aber ist die „Philosophie“ H.s, der Glaube an das Leben wie es ist, an das unausweichliche Schicksal mit tödlichem Ausgang für die Helden der Romane und an die Unveränderbarkeit der Verhältnisse, was bei einem Autor befremdet, der für die Revolution von 1918 warme Sympathien hegte (im Roman „November achtzehn“, 1930), gegen Krieg, Ausbeutung und Armut, vor allem aber gegen den die deutsche Kultur zerstörenden Antisemitismus protestierte (Der doppelte Spiegel, 1926).

  • Werke

    Weitere W Romane: Doktor Herzfeld, I: Die Nacht d. Doktor Herzfeld, 1912, II: Schnee, 1921;
    Heinrich Schön jr. 1915;
    Einen Sommer lang, 1916;
    Der kleine Gast, 1925;
    Tränen um Modesta Zamboni, 1927;
    Träume d. Ellen Stein, 1928;
    Das Buch Ruth, 1931;
    Ruths schwere Stunde, Amsterdam 1934;
    Der etrusk. Spiegel, ebd. 1936;
    B. M., der unbek. Fußgänger, ebd. 1936;
    - Novellen u. Skizzen: Modelle, 1897;
    Die Zukunftsfrohen, 1898;
    Aus dem letzten Hause, 1898;
    Sehnsucht, Ernste Plaudereien, 1909;
    Der Guckkasten, 1916;
    Kleine Erlebnisse, 1919;
    - Schrr. üb. Kunst u. Politik: Skizzen u. Silhouetten, ges. Kunstaufss., 1902;
    Aus guter alter Zeit, 1913;
    Das Biedermeier im Spiegel s. Zeit, eine Slg. aus Briefen, Tagebüchern, Memoiren, Volksszenen u. ähnl. Dokumenten, 1913, Neuausg., bearb. v. H. J. Hansen, 1965;
    Vom gesicherten u. ungesicherten Leben, 1915;
    Randbemerkungen (1914–17), 1919;
    Spaziergang in Potsdam, 1926;
    Holland, Rembrandt, Amsterdam, 1926;
    Die Zeitlupe, 1928;
    Vorschläge e. Schriftstellers, 1929;
    Pro Berlin, 1931;
    - Schauspiele: Der Wüstling od. Die Reise nach Breslau, 1911;
    Jettchen Gebert, 1913;
    Henrielle Jacoby, 1915;
    Mein Nachbar Ameise, 1917;
    Frau Antonie, 1925. - Ges. Werke, 5 Bde., 1922;
    Auswahl: Nur f. Herrschaften, eingel. u. ausgew. v. Chr. Coler, 1952. - Autobiogr. Skizze: Im Spiegel (Pfeilerspiegel, ganze Figur), in: Das lit. Echo 17, 1914-15, Sp. 332-37.

  • Literatur

    A. Bartels, Zwei Judenromane, II: G. H.s „Jettchen Gebert“, in: Dt. Schrifttum, Betrachtungen u. Bemerkungen v. A. B., Bogen 4, 1909, S. 60-63;
    ders., Ullstein usw., ebd., Bogen 21, 1914, S. 129-33;
    A. Heine, G. H., in: Das lit. Echo 17, 1914-15, Sp. 326-32 (P);
    M. Krammer, Ein Nachfolger Fontanes, in: Berliner Hh. 1, 1946, S. 397 f.;
    Ch. Coler, „Es kam alles wie es kommen mußte“, Erinnerungen an G. H., in: Aufbau 3, 1, 1947, S. 182 f.;
    ders., G. H., Dichter u. Mahner, in: Das Goldene Tor 3, 1948, S. 31-33;
    H. Scholz, G. H. u. d. Berliner Dichtung, Nachwort zu: Rosenemil, 1962 (s. Text);
    Soergel I, S. 837-40 (P);
    Kosch, Lit.-Lex. (unter Borchardt).

  • Porträts

    Radierung v. H. Struck, Abb. b. Soergel I.

  • Autor/in

    Martin Glaubrecht
  • Zitierweise

    Glaubrecht, Martin, "Hermann, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 656-657 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118703706.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA