Lebensdaten
1530 oder 1532 – 1594
Geburtsort
Mons (Hennegau)
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Komponist ; Musiker
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118569945 | OGND | VIAF: 23356192
Namensvarianten
  • di Lasso, Orlando
  • Orlando di Lasso
  • Roland de Lanus
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Zitierweise

Lasso, Orlando di, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118569945.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V N. N. ( vermutl. v. 1554) in Mons;
    M N. N. ( vermutl. v. 1554);
    München 1558 Regina ( 1600), Kammerdienerin, T d. Stadtschreibers Paul Weckhinger (Wägginger) in Landshut u. d. Margret (Trumpel?), hzgl. Kammerfrau; Schwägerin Barbara ( Hans Vischer, Hofbassist u. Büchsenmacher); zahlr. K, u. a. Ferdinand ( 1609), Hofkapellmeister in München, Rudolph ( 1625), Hoforganist ebd. (beide s. MGG VIII, L), Regina ( 1] Hans v. Aachen, 1615, Maler, s. NDB I, 2] Alexander Abundi, 1648, Hofbossierer in München);
    N Anna Vischer ( Jacob Regnart, 1599, Komponist, s. MGG VIII);
    E Ferdinand (1592–1630), Hofkapellmeister in München (s. MGG VIII).

  • Biographie

    L. ist einer der ersten Musiker, dessen Leben in frühen Lexika, Archivalien, Büchern und Notendrucken zahlreiche biographische Spuren hinterlassen hat. Dennoch wissen wir nichts von seiner Herkunft, seiner Ausbildung, seinen Lehrern, Vorbildern und Freunden. In einer Kantorei erzogen, wurde er als Kind wegen seiner schönen Stimme zweimal entführt, von den Eltern aber zurückgeholt. 1544 schloß er sich als Chorknabe dem Vizekönig von Sizilien, Ferrante Gonzaga, an, der als Feldherr Karls V. im Krieg gegen Franz I. von Frankreich in die Niederlande, vermutlich sogar nach Mons selbst, gekommen war. Im Gefolge Gonzagas reiste L. 1545 nach Palermo, dann Anfang 1546 nach Mailand. Nach dem Stimmbruch verließ er zu Beginn des Jahres 1549 seinen Dienst bei Gonzaga und zog nach Neapel, wo er bei Giovanni Battista d'Azzia, Marchesa della Terza, lebte. Von dort wandte er sich 1551 nach Rom, wohnte zunächst im Palast des Erzbischofs von Florenz, Antonio Altoviti, und wurde dann Kapellmeister an S. Giovanni in Laterano. Während dieser Zeit italianisierte er seinen Namen. Drei Jahre später kehrte er in die Heimat zurück, um seine erkrankten Eltern zu besuchen, fand sie aber nicht mehr am Leben. Mit einem neapolitan. Edelmann, Giulio Cesare Brancaccio, begab er sich nun auf Reisen nach England und Frankreich|und ließ sich anschließend in Antwerpen nieder, ohne dort eine feste Stellung zu finden. Zu dieser Zeit erschienen die ersten Drucke seiner Kompositionen in Venedig, Antwerpen und Rom. 1557 ist er in München als Kapelltenorist am Hofe Albrechts V. nachweisbar. 1562/63 rückte er als Nachfolger Ludwig Dasers zum Kapellmeister der Hofkapelle auf. L. unternahm von München aus viele Reisen, teils zur Sängeranwerbung in die Niederlande und nach Italien, teils als Begleitung des Herzogs. Zu nennen sind die Reisen in die Niederlande 1560, 1564, 1572 (in Köln abgebrochen wegen der kriegerischen Unruhen) und vermutlich 1577; nach Prag und Frankfurt zur Wahl und Krönung Maximilians 1562; nach Italien 1567, 1573, 1574, 1578, 1582 und 1585 (Wallfahrt nach Loreto); nach Prag 1570; nach Paris 1571; nach Wien zum Kaiser 1573. Trotz dieses zeitraubenden Reiselebens und anstrengender Hofverpflichtungen schuf er bis zu seinem Lebensende ein gigantisches Werk, das größtenteils in über 400 Einzel- und Sammeldrucken in Italien, Frankreich, Belgien und Deutschland veröffentlicht wurde. Sein hohes Ansehen in Europa als der bedeutendste Komponist seiner Zeit fand Niederschlag in Ehrungen, Anerkennungen und Gunstbeweisen, deren Summe für einen Musiker ungewöhnlich wenn nicht einmalig ist. 1570 erhielt er den erblichen Adel, 1574 erhob ihn Papst Gregor XIII. zum Ritter des Goldenen Sporns (als nachweislich ersten Musiker), Papst und Kaiser beschenkten ihn mit goldenen Ehrenketten, Kg. Karl IX. von Frankreich hatte ihm seit 1560 eine hohe Ehrenpension ausgesetzt und wollte ihn 1574 als Komponisten an seinen Hof ziehen, 1580 bot ihm der Kurfürst von Sachsen das Amt des Hofkapellmeisters in Dresden an. Beim internationalen Komponistenwettbewerb in Evreux gewann L. 1575 und 1583 den ersten Preis für die beste Motettenkomposition, der bayer. Herzog garantierte ihm lebenslängliche Besoldung, Pensionsversorgung für die Witwe im Überlebensfall und gab Anstellungszusicherungen für die Söhne Ferdinand und Rudolph. Von Anfang an mit höherer Besoldung versehen als der noch amtierende Vorgänger im Kapellmeisteramt, erreichte L. ein hohes Gehalt, das ihn – er war nur Musiker – im Einkommen einem einfachen Hofrat gleichsetzte.

    L. war einer der fruchtbarsten Komponisten der Musikgeschichte, sowohl in Bezug auf die Vielzahl seiner Kompositionen als auch auf die Universalität musikalischer Gattungen. Über ganz Westeuropa verstreute Abschriften und eine Fülle von Instrumentalbearbeitungen (Tabulaturen) sind ein weiteres Zeugnis für die Beliebtheit seiner Sätze. Zwei Werkzyklen behielt sich Hzg. Albrecht V. in kostbaren Manuskripten persönlich vor, von denen der eine erst nach des Herzogs Tod, der andere erst nach L.s Ableben an die Öffentlichkeit kamen: die „Psalmi poenitentiales“ (sog. Mielich-Kodex) und die „Prophetiae Sibyllarum“. Mit Ausnahme der eigenständigen Instrumentalmusik – zwölf zweistimmige Motetten sine textu sind hier vielleicht der einzige Beleg – hat er in allen Formen und Gattungen der damaligen Musikpraxis geschrieben. Ein Hauptgrund für diesen ungewöhnlichen kompositorischen Reichtum liegt zweifellos in L.s Stellung. Als Hofkapellmeister mußte er für die täglichen gesungenen Messen sowie für die tägliche Tafelmusik komponieren; der Hof interessierte sich für deutsche Lieder, deren Texte man im Lande sammeln ließ; und die franz. Ehrenpension wird wohl der Anlaß gewesen sein, franz. Chansons zu vertonen, die nach Ausweis der Drucke und Nachdrucke in Frankreich von überwältigendem Erfolg waren. So umfaßt L.s Schaffen beides: geistliche und weltliche Musik. Nach Umfang, Rang und Bedeutung gliedert es sich vornehmlich in Motetten, Madrigale, Chansons und deutsche Lieder. Die Magnificat haben teilweise einige Verbreitung gefunden, die Messen (zum überwiegenden Teil sog. Parodiemessen über fremde und eigene Kompositionen) blieben an Beachtung zurück. Kleinere Werkgruppen bilden die Lektionen, Passionen, Hymnen und Offizien. Daß dieses breitgefächerte Schaffen sich aber nicht nur aus den Verpflichtungen der Stellung erklärt, sondern auch aus seinem erlebnisreichen Lebensweg und seiner weiten Begabung, verraten die frühen Veröffentlichungen vor der Münchener Anstellung, in denen er diese Gattungsbreite bereits pflegt und auf der Suche nach Mäzenen anbietet. Welche Bedeutung die Zeitgenossen L. zuerkannten, zeigt sich nicht zuletzt darin, daß er schon mit 35 Jahren als einziger Musiker in Pantaleons „Prosopographia“ (1566) aufgenommen wurde (unsere früheste biographische Quelle für L.) und, wichtiger noch, daß man seine Werke, z. T. noch zu seinen Lebzeiten, in Gesamtausgaben zu sammeln suchte. Das ist für Musiker bis heute beispiellos geblieben. Noch erstaunlicher für die Zeit war, daß man nach seinem Tode seine Werke weiterdruckte und sogar noch weitere Gesamtausgaben|anlegte, als seine Musik längst aus der Mode gekommen war.

    An L.s Musik rühmten die Zeitgenossen die Bildlichkeit der Wortvertonung und die Kraft und Vielfalt des musikalischen Ausdrucks. Diese leidenschaftliche Expressivität, die die Hörer nach ihren Aussagen damals außer sich geraten ließ, bedeutete den Verzicht auf das Gleichmaß ausgewogener Linienführung, wie sie die folgende Zeit bis heute als Ideal einer „klassischen“ Kirchenmusik postulierte und als lehr- und lernbare Kontrapunktik in den Theorie- und Kompositionslehren vorschrieb. Im Sinne einer solchen Regelhaftigkeit wirkt L.s Musik oftmals nervös, in ihrem Ablauf überraschend und unvorhersagbar, sie opfert die Kontinuität einer ruhigen Bogenbildung gern einzelnen Affekten und Text-Ausdeutungen, die auch vor dem Effekt nicht haltmachen. Diese „unklassische“ Haltung, besonders in seiner Kirchenmusik, dazu die Gewagtheit mancher Texte seiner weltlichen Werke, konnten L.s Nachruhm nicht förderlich sein bei einer Nachwelt, die, von der „prima pratica“ des 17. Jh. bis zum „Caecilianismus“ des 19. Jh. an Kirchenmusik engere Maßstäbe anlegte und der Kunstmusik das unterhaltende Element mehr und mehr entzog und es schließlich fast gänzlich verbannte.

    Es gibt keine offenen Angriffe aus dem eigenen Lager gegen den neben Palestrina bedeutendsten Komponisten der Gegenreformation, aber Zurückhaltung gegenüber seinem geistlichen Werk ist doch spürbar. Das ist um so bedauerlicher, als L. ein einigendes Band christlicher Kultmusik hätte werden können. Er ist der einzige der kath. Komponisten, der von Anfang an auch von den Evangelischen akzeptiert worden ist. Die Gründe liegen vielleicht in seiner Toleranz ev. Schülern gegenüber und wohl auch in der expressiven Kraft seiner weltlichen und geistlichen Werke, aus denen sich im Sinne einer „Figurenlehre“ schematische Vorbilder für Textausdeutungen ableiten ließen, die von prot. Kirchenmusikern gern gepflegt und als Inventionshilfen geschätzt waren. Die erwähnten frivolen Chansons blieben wegen der Fremdsprachigkeit ihrer Texte zwar in Deutschland ohne Resonanz, in Frankreich hingegen wehrten sich die Calvinisten gegen deren unkeusche Haltung, in der sie eine Wesensart kath. Lebensführung sahen, und benutzten die beliebten Chansons im Kampf gegen die kath. Kirche, indem sie sie mit umgedichteten geistlichen Texten (Kontrafakturen) unterlegten.

    Neben der kompositorischen Ausdruckskraft ist es besonders die stilistische Vielfalt L.s, die bis heute Bewunderung hervorruft. Die Reichweite von den mystisch-esoterischen, chromatischen „Sibyllen“ bis zu den ordinären, vitalen „Moreschen“ ist fast beispiellos; neben eindringlichen geistlichen Motetten gibt es prunkvolle, extravertierte weltliche Staatsmotetten, die auf Gepränge angelegt sind; die Chanson steht in bester franz. Tradition wie das Madrigal in allen Spielarten in der italienischen; den deutschen Liedern ist Innigkeit nicht abzusprechen. Dem entgegen aber eint L.s kraftvolle Musikalität das Auseinanderstrebende solcher Eigentümlichkeiten zu einem höheren, rein musikalischen Ausdruck; um dem Stimmungsgehalt des Textes Rechnung zu tragen, kann er seine stilistischen Möglichkeiten überall einsetzen. Nationale Charakteristika sind ihm Ausgangspunkt und nicht Selbstzweck; entscheidend ist seine individuell prägende Schöpferkraft, die sich dieser Mittel bedient, ohne sich von ihnen bestimmen zu lassen. Mit L. findet die franko-fläm.-ital. Polyphonie vor dem stilistischen Wendepunkt der Neuen Musik um 1600 ihren krönenden Abschluß.

  • Werke

    Ausgg.: seit 1555 üb. 400 Drucke, zeitgenöss. Gesamtausgg.: Les meslanges d'Orlande de Lassus, 1576;
    Orlandi Lassi … Teutsche Lieder mit fünff Stimmen, 1583;
    Magnum Opus Musicum Orlandi de Lasso, 1604;
    Jubilus B. Virginis hoc est centum Magnificat ab Orlando de Lasso … composita, 1619;
    Sämtl. Werke (Motetten, weltl. Werke), hrsg. v. A. Sandberger u. F. X. Habel, 21 Bde., 1894–1927, 2. Aufl. hrsg. v. H. Leuchtmann, 1968 ff.;
    Sämtl. Werke, Neue Reihe (Messen, Magnificat, Hymnen u. a.), 1956 ff.; Briefe:
    O. di L., Bd. II: Briefe, hrsg. v. H. Leuchtmann, 1977;
    R. Eitner, Chronolog. Verz. d. gedr. Werke v. H. L. Hassler u. Orlandus de Lassus, 1874.

  • Literatur

    ADB 18;
    A. Sandberger, Btrr. z. Gesch. d. bayer. Hofkapelle unter O. di L., 1894 f. (dazu H. Leuchtmann, Namenslisten z. bayer. Musikgesch., in: Musik in Bayern, Hh. 10-14, 1975-77);
    ders., Ausgew. Aufsätze z. Musikgesch., 1921;
    W. Boetticher, O. di L. u. s. Zeit, 1958 (W);
    ders., Aus O. di L.s Wirkungskreis, 1963;
    H. Leuchtmann, O. di L., Bd. I: Sein Leben, 1976 (P-Verz.);
    ders., O. di L. als Ritter d. Goldenen Sporns, in: Musik in Bayern, H. 14, 1977, S. 94 f.;
    O. di L., Ausstellungskat. d. Bayer. Staatsbibl. 26, hrsg. v. H. Hell u. H. Leuchtmann, 1982 (L, P);
    Grove;
    MGG VIII (W, L, P);
    Riemann.

  • Autor/in

    Horst Leuchtmann
  • Zitierweise

    Leuchtmann, Horst, "Lasso, Orlando di" in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 676-678 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118569945.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Lassus: Orlandus de L. (Orlando di Lasso, Orland de Lassus, Roland Lassus, Roland Lassé, mit seinem Familiennamen Roland de Lattre heißend), der letzte große Tonmeister der niederländischen Schule, wurde im J. 1520 zu Mons im Hennegau geboren. Schon als Chorknabe an der Nikolaikirche daselbst imponirte er durch seine schöne Stimme. Zweimal soll er deswegen entführt worden sein. Das dritte Mal fügten sich die Eltern dem Wunsche des Ferdinand Gonzaga, Generals Karls V. und Vicekönigs von Sicilien, der sich damals in Saint-Didier aufhielt und den Knaben wegen der herrlichen Stimme zu sich nehmen wollte. Nach Beendigung des Feldzuges in den Niederlanden nahm der General den jungen L., der damals 12 Jahre zählte, mit sich nach Mailand und von da nach Sicilien. Andere meinen, die Verurtheilung des Vaters als Falschmünzer habe den Knaben veranlaßt, seinen Namen Roland de Lattre in Orlandus de L. umzuändern und die Dienste des genannten Generals aufzusuchen. — Im Alter von 18 Jahren verließ L. seinen bisherigen Patron und schloß sich einem gewissen Constantin Castriotto an, der ihn nach Neapel in das Haus des Marquis de la Terza führte. Hier blieb er fast drei Jahre lang. Im J. 1541 begab er sich nach Rom, wo der Kardinalerzbischof von Florenz, der gerade dort anwesend war, ihn sehr freundlich in sein Haus aufnahm und ihm nach Verlauf von sechs Monaten die Kapellmeisterstelle an St. Giovanni im Lateran besorgte. Diesen Posten bekleidete er, wie die Archivnotizen der Basilika besagen, bis zum Jahre 1548; während Samuel a Quickelberg, ein zeitgenössischer Biograph, den L. bereits im J. 1543 nach Mons reisen läßt, um seine schwer erkrankten Eltern zu besuchen. Da er indeß diese nicht mehr am Leben fand, so verließ er bald darauf seine Vaterstadt und machte mit einem Edelmanne Cesare Brancaccio, verschiedene große Reisen. Diese sollen sich (nach Samuel a Quickelberg) über England und Frankreich erstreckt haben. Doch scheint die Reise durch England zweifelhaft zu sein, denn in einer Dedication an den Herzog Albert vom 1. Juni 1562 kommt L. auf seine Reisen zu sprechen und sagt: „Cum praecipuas Italiae, Galliae et Flandriae partes peragrarem“. England erwähnt er hierbei nicht. Nach Beendigung dieser Reisen ließ er sich in Antwerpen nieder, wo er zwei Jahre lang verblieb. Verschiedene Drucke und Dedicationen bezeugen dieses. So widmete er am 13. Mai 1555 Al. Mag.co ed honorato S.or Stefano gentile sein in Antwerpen gedrucktes erstes Buch der Madrigale, Vilaneschen, Canzonen etc. und im folgenden Jahre dem Sign. Antonio Perenotto degniss. Vescouo d'Aras (Granvella) das ebenfalls in Antwerpen erschienene erste Buch der Motetten zu fünf und sechs Stimmen. Im J. 1545 hatte er bereits in Venedig das erste Buch vierstimmiger Messen und fünfstimmiger Motetten drucken lassen.

    In Antwerpen wurde L. u. a. mit der berühmten Familie Fugger bekannt, welche hier zur Vermittelung des Handels mit den überseeischen Ländern eine große Factorei etablirt hatte. Wahrscheinlich durch ein Mitglied dieser Familie ließ der kunstsinnige Baiernherzog, Albrecht V., an L., dessen Compositionen bereits viel von sich reden machten, die Einladung ergehen, nach München an seinen Hof zu kommen und noch tüchtige Musiker aus den Niederlanden mitzubringen. L. nahm dieses Anerbieten an und begab sich im J. 1557 nach München, wo der Herzog ihn sofort zum Director der Kammermusik ernannte mit einem Gehalt von 200 Gulden. Zum Kapellmeister wählte er ihn nicht, weil er der deutschen Sprache noch nicht mächtig war.

    Recht bald erwarb L. sich das Vertrauen des Hofes, wie auch seiner Collegen. Einer der letzteren, Massimo Trojano, sagt von ihm: „Er lebt mit allen geehrten Tonkünstlern in solcher Eintracht, daß jeder im Umgange ihn verehrt und in seiner Abwesenheit nur rühmlichst sich über ihn äußert. Seine musikalische Sicherheit weiß mit genialer Kunst den Gesang so taktmäßig zu leiten, daß, wie der Krieger beim Schalle der Trompete Muth faßt, seine geübten Sänger mit ebenderselben Munterkeit und Kraft ihre anmuthigen Stimmen ertönen lassen“ (M. di Trojano, Die Vermählungsfeier des Herzogs Wilhelm V. von Bayern etc. übersetzt von F. Würthmann. München 1842, S. 24).

    Nach Verlauf eines Jahres (1558) heirathete L. eine Ehrendame des herzoglichen Hofes, Regina Weckinger, welche ihm mit der Zeit vier Söhne (Ferdinand, Rudolf, Johannes und Ernst) und zwei Töchter (Anna und Regina) gebar. Bei der Geburt des ersten Kindes erhielt sie vom Herzoge einen silbernen Gürtel zum Geschenke. In den beiden darauffolgenden Jahren 1559 und 1560 componirte L. im Auftrage seines Herrn die sieben Bußpsalmen (nach der Vulgata die Psalmen 6, 31, 37, 50, 101, 129 und 142; nach der Luther’schen Uebersetzung jedoch 6, 32, 38, 51, 102, 130, 143). Die Angabe einiger Geschichtschreiber, welche auch Thibaut (Reinheit der Tonkunst, Kap. VII) wiederholt, König Karl IX. von Frankreich habe, „um nach der Bluthochzeit Seelenruhe wieder zu erlangen“ zu dieser Composition den Auftrag gegeben, ist unrichtig, denn die Bartholomäusnacht fällt in das Jahr 1572. — L. hat diese Bußpsalmen in wahrhaft künstlerischer Anordnung der Reihe nach vollständig durchcomponirt. Die Composition richtet sich in ihrer Gliederung nach den Psalmversen. Die einzelnen Sätze sind abwechselnd bald zwei-, drei-, vier- und fünfstimmig. Der Schlußsatz: Sicut erat in principio ist jedesmal sechsstimmig. Das Werk ist einerseits von großer technischer Vollendung, andererseits tief durchdrungen von echt kirchlichem Bewußtsein. Bald haben wir im gleichen Contrapunkt Note gegen Note, bald freie Imitation, bald Canon. Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß die unabhängige Stimmenführung und nicht die durch das Zusammentreffen der Stimmen erzeugte Harmonie den Tonsetzern der damaligen Zeit die Hauptsache war. L. versteht es, beides in genialer Weise mit einander zu verbinden. Seine Melodie ist fließend, seine Harmonie zeigt Fülle und Kraft. Die größere oder kleinere Stimmenzahl, sowie die vielfach wechselnde Verbindung höherer und tieferer Stimmen verleihen der Composition schöne Abwechselung. Wie der Maler die Farben mischt, jenachdem er Licht oder Schatten hervorbringen will, so mischt L. die Stimmgattungen immer wieder auf andere Weise, bis er für die Gedanken des Textes den zutreffenden musikalischen Ausdruck gefunden hat. Ebenso wie die Tonlagen, weiß er auch die Tonarten in seinem Sinne als Kunstmittel zu verwerthen und zwar durch die Auswahl derselben und die Modulationen. Bewunderungswürdig ist in allen Psalmen der melodische Fluß, hervorgerufen durch die mannigfaltige rhythmische Gliederung der Stimmen und die häufige geschickte Verwendung der Synkopen.|Ebenso sind noch hervorzuheben die sehr schönen zweistimmigen Sätze, die in reichfigurirter Nachahmung einen so unerschöpflichen Reichthum an zarten und anmuthigen Klängen aufzuweisen haben, ferner die schönen harmonischen Cadenzen und die reichbewegten, großartigen Schlußsätze. L. hat sich in den Text dieser Psalmen vollkommen vertieft und den Empfindungen, welche wir in den Worten ausgesprochen finden, durch seine Tonverbindungen Gestalt und Ausdruck gegeben. Er versteht es dabei bis in das tiefste Mark zu erschüttern, aber auch zu erheben und zu trösten. (Weiteres über die einzelnen Psalmen in meinem „Orlandus de L., der letzte große Tonmeister der niederländischen Tonschule“, Freiburg, Herder 1878, S. 16—23).

    Mit dieser Composition erlangte unser Meister einen ähnlichen Ruf, wie Palestrina mit seiner Missa papae Marcelli. Herzog Albrecht ließ das Werk auf Pergament abschreiben, in zwei Foliobänden binden und vom Maler Hans Mielich mit schönen Bildern ausstatten. Diese stellen, wie M. di Trojano sagt, in genialen Emblemen mit erhabenem, phantasiereichem Erfindungsgeiste das ganze alte und neue Testament dar. Die Malerei ist so zart und fein gehalten, als wollten die gemalten Figuren Gesänge anstimmen (a. a. O. S. 26). Der Freund des Lassus, Samuel a Quickelberg, lieferte in zwei weiteren Bänden die Beschreibung und Erklärung der in den beiden Folianten enthaltenen Illustrationen. Unter anderen sagt er in der Vorrede: „Mandavit itaque princeps illustrissimus excellentissimo suo Orlando de Lassus musico, quo praestantiorem ac suaviorem nullum nostra saecula tulere, hos psalmos quinque potissimum vocibus componendos, qui quidem adeo apposite lamentabili et querula voce, ubi opus fuit, ad res et verba accommodando, singularum affectuum vim exprimendo rem quasi actam ante oculos ponendo, expressit, ut ignorari possit: suavitasne affectuum lamentabiles voces; an lamentabiles voces suavitatem affectuum plus decorarint. Hoc quidem musicae genus musicam reservatam vocant: in qua ipse Orlandus mirifice, ut quidem in aliis carminibus, quae sunt fere innumerabilia, sic etiam in his ingenii sui praestabilitatem posteris declaravit. Caeterum psalmi isti VII poenitentiales et duo psalmi „Laudate“, cum jam essent ab Orlando compositi, adeo probata (?) sunt illustrissimo principi, cujus solum inter nostri saeculi principes musicam est judicare, ut curarit ea in augustissimis membranis exscribi, et imaginibus locupletissimis exornari; demum et cum ipsa pictura tam praestabilis et locuples evasisset, etiam preciosis claustris tanquam quibusdam sumptuosissimis monilibus jussit communiri“. (H. Delmotte, Notice biographique sur Roland de Lattre. Valenciennes 1836, S. 37, übersetzt ins Deutsche von S. W. Dehn, Berlin 1837, S. 29.)

    In Anerkennung der Verdienste des L. ernannte der Herzog Albert ihn im J. 1562 zu seinem obersten Kapellmeister, an Stelle des Ludwig d'Aser, der wegen seines Alters pensionirt worden war. Damit gelangte unser Meister an die Spitze der ersten Kapelle in Europa, welche die ausgezeichnetsten Musiker zu ihren Mitgliedern zählte. Damals gehörten zu ihr 12 Bassisten, 14 Tenoristen, 13 Altisten, 16 Discantknaben, 6 Castraten und 30 Instrumentisten. Die Singknaben hatte L. nicht blos zu unterrichten, sondern auch in Pflege. Für ihren Aufenthalt kaufte er von der Katharina Stainin, Wittib und Bürgerin, ein eigenes in der Graggenau gelegenes Haus, wozu ihm der Fürst im J. 1567 1000 Gulden Kaufgeld bewilligte. Interessant wird es sein, über die Dienstordnung der Kapelle einiges zu vernehmen. Dieselbe war nach M. di Trojano folgende: „Die Sänger haben jeden Morgen beim Hochamte, am Sonnabend und an gebotenen Feierabenden zur Vesper zu erscheinen. Die Blasinstrumente spielen an Sonn- und Festtagen bei dem Hochamte und der Vesper mit den Sängern. Die Streichinstrumente spielten damals nur bei der|Tafel; es gaben aber oft auch die herzoglichen Musiker zur Mittagszeit auf der Viola, Viola di Gamba, dem Clavichord, der Querpfeife und Zither und anderen Instrumenten mit den Kammersängern die angenehmsten Concerte.“

    „Bei der Tafel ist die Ordnung des Dienstes folgende: Nachdem die ersten Speisen aufgetragen sind, alles sich gesetzt hat und alles Geräusch vorüber ist, beginnen die Blasinstrumente, als: Sackpfeife, Flöte, Querpfeifen, Posaunen und Hörner französische Lieder und andere muntere Stücke zu spielen. Nach diesem spielt Antonio Morari mit seinen Musikern auf Saiteninstrumenten: der Viola, Viola di Gamba und anderen ebenfalls französische Gesänge, Motetten und Madrigale in schöner Harmonie. Endlich, wenn zum Nachtische die Früchte aufgetragen werden, beginnt Orlando di Lasso mit seinen Sängern seine täglich neu verfertigten Compositionen vorzutragen. Gewöhnlich werden die schönsten Quartette, Terzette von diesen geübten Sängern immer zu des erlauchten Herzogs vollkommener Zufriedenheit gesungen, welcher, wie ich selbst gesehen, oftmals die Tafel unterbricht und der Musik allein seine Aufmerksamkeit schenkt“.

    Um diese Zeit hatte L. durch seine Compositionen bereits einen über ganz Europa verbreiteten Ruf erlangt. Man beehrte ihn, ähnlich wie den Palestrina in Italien, mit dem Titel „Fürst der Musiker“. Mehrere Monarchen gaben ihm eclatante Beweise ihrer Hochachtung. Am 7. December 1570 verlieh der Kaiser Maximilian auf dem Reichstage zu Speier ihm und seinen legitimen Nachkommen den Reichsadel und das ritterliche Wappen. Dieser Auszeichnung folgten, wie wir sehen werden, noch andere. Im folgenden Jahre machte L. eine Reise nach Paris und kehrte dort bei dem ihm befreundeten Buchdrucker Adrian Leroy ein, der ihn dem Könige Karl IX. vorstellte. Dieser nahm den Kapellmeister Albrechts äußerst freundlich auf und entließ ihn mit kostbaren Geschenken. Dagegen dedicirte L. dem Könige eine Sammlung Lieder, welche als Dedication eine Ode auf den Monarchen enthält. Aber auch seine zweite Heimath München vergaß er nicht. Er sandte einen Band fünfstimmiger Motetten dorthin, die er dem Herzog Wilhelm, seinem fürstlichen Protector, widmete. Noch im selben Jahre kehrte er von seinem Urlaub nach München zurück und nahm seine Arbeit als Kapellmeister, wie als Componist in gewohnter Weise wieder auf. In den folgenden Jahren erschien auf Kosten des Herzogs Wilhelm eine Prachtausgabe der Kirchencompositionen des L. in 5 Foliobänden, „Patrocinium musices“. Der erste Band, Motetten enthaltend, ist selbstverständlich dem Herzog Wilhelm gewidmet. Den zweiten Band dagegen, der fünfstimmige Messen enthielt, dedicirte der Autor am 1. Jan. 1574 dem Papste Gregor XIII. Bald darauf reiste L. selbst nach Rom, um dem heiligen Vater sein dedicirtes Werk persönlich zu überreichen. Dieser nahm den Künstler sehr wohlwollend auf, ernannte ihn unter dem 6. April dieses Jahres zum Ritter des goldenen Sporns de numero participantium und ließ ihn durch die Ordensritter Kardinal Kajetan und Angelo Mezzatosta in der päpstlichen Kapelle mit dem Sporen und Schwerte feierlich bekleiden und umgürten. Zugleich benutzte L. diese Reise dazu, in den größeren Städten Italiens tüchtige Sänger, Instrumentisten und Schauspieler für den Dienst des Herzogs zu gewinnen, wie wir dies aus den Briefen an den Herzog Wilhelm d. d. Bologna d. 3. März und d. d. Florenz d. 7. März ersehen können (Nohl, Musikerbriefe, 2. Ausgabe, Leipz. 1873, S. XXX ff.). Wie lange L. in Italien blieb, läßt sich mit Sicherheit nicht bestimmen. Am 1. Mai befand er sich noch in Rom, denn an diesem Tage erhielt er durch die Gebr. Fugger 400 Kronen ausgezahlt. Bei seiner bald darauf erfolgten Rückkehr nach München fand er eine Einladung Karls IX. vor, der ihn bat, nach Paris zu kommen und die Hofkapellmeisterstelle bei ihm zu übernehmen. Obwol das Anerbieten des französischen Königs|unter sehr vortheilhaften Bedingungen erfolgt war, zögerte L. doch, dasselbe anzunehmen. Seine schöne Stellung in München, die Anhänglichkeit an das herzogliche Haus, dem er durch so viele Wohlthaten verbunden war, hielten ihn zurück. Der Herzog, der dies merkte, rieth ihm aber, er möge die bedeutendere Stellung, welche seiner am französischen Hofe wartete, nicht aufs Spiel setzen und der Einladung des Königs Folge leisten. So trat L. mit seiner ganzen Familie die Reise nach Paris an. Doch bereits in Frankfurt hörte er, daß Karl IX. am 30. Mai gestorben sei und kehrte nun schleunigst nach München zurück. Der Herzog empfing ihn mit offenen Armen; er hatte sogar ein eigenes Lobgedicht auf die Rückkehr seines Kapellmeisters verfaßt. L. nahm seine gewohnte Arbeit als Kapellmeister wieder auf und war nicht minder thätig im Componiren. Im J. 1579 sollte er abermals den Edelmuth und die Freigebigkeit des Herzogs kennen lernen. Dieser sicherte ihm nämlich in Anbetracht seiner bisherigen guten und treuen Dienste, für seine ganze Lebenszeit ein jährliches Gehalt von 400 Gulden zu, mit der ausdrücklichen Klausel, daß Niemanden das Recht zustehen solle, von dieser Summe aus irgend welchem Grunde etwas abzuziehen. Nicht lange darnach, am 24. October desselben Jahres, starb Herzog Albrecht und Wilhelm V. folgte ihm. Dieser war ebenfalls Musikliebhaber, er spielte sogar die Laute, Zither, Lyra und andere Instrumente mit großer Vollkommenheit. Dem L. gegenüber zeigte er sich ebenso wohlwollend, wie sein Vater. Das folgende Jahr sollte unserm Meister wiederum einen neuen, ehrenvollen Ruf bringen. Kurfürst August von Sachsen, dessen Kapellmeister Scandellus am 18. Juni gestorben war, lud den L. unter glänzenden Anerbietungen ein, nach Dresden zu kommen und die Hofkapellmeisterstelle zu übernehmen. Dieser lehnte aber dankend ab und empfahl dem Kurfürsten für dies Stelle den Jakob Regnart, Mitglied der Kapelle des Kaisers Maximilian in Prag oder Balduin Hayaux, der sich in der Kapelle des Herzogs von Württmderg befinde.

    In diese Zeit fällt auch ein Ereigniß, welches dazu angethan war, den L. beim Volke populär zu machen. Im J. 1584 sollte das hl. Fronleichnamsfest in altherkömmlicher Pracht durch Procession etc. feierlich begangen weiden. Es brach aber schon in der Frühe ein heftiges Gewitter mit Sturm und Regen los. Herzog Wilhelm ließ nach Beendigung des Hochamtes zu verschiedenen Malen vom Kirchthurme aus Beobachtungen anstellen, ob das Wetter sich nicht günstiger gestalten werde. Indeß, die dichten schwarzen Wolken gaben wenig Hoffnung; doch meinte der Herzog, man solle das Wetter Gott, dem Herrn überlassen und vorläufig mit dem Sanctissimum bis unter das Portal ziehen. Sobald nun die Procession vor die Thüre trat und L. mit der herzogt. Kapelle den Psalm: Gustate et videte, quam suavis sit Dominus timentibus eum etc. angestimmt hatte, hörte der Regen plötzlich auf und die Sonne strahlte in vollem Glanze vom Himmel herab, sodaß die Procession durch die ganze Stadt und in die Kirche zurückziehen konnte, ohne im mindesten vom Regen belästigt zu werden. Ja man wollte sogar bemerkt haben, daß jedesmal, wenn L. die genannte Motette singen ließ, die Sonne viel Heller geschienen habe, als vorher. Dieses Ereigniß machte auf die Menge einen tiefen Eindruck und die Motette: Gustate et videte etc. wurde jetzt vielfach bei Processionen gesungen, die man zur Erlangung einer günstigen Witterung veranstaltete.

    1587 schenkte ihm Herzog Wilhelm einen Garten in Schöngeising an der Amper, und bewilligte seiner Gattin Regina, für den Fall, daß sie den Gatten überlebe, eine Pension von 100 Gulden. L. besaß auch ein Landgut in Putzbrunn (District Wolfrathshausen) und seit 1578 mehrere Häuser und Grundstücke in der Hofmark Maifach. Zudem hatte er sich allmählich ein Kapital von|4400 Gulden erspart und dasselbe gegen die üblichen Zinsen, 5 vom Hundert, in der baierischen Schatzkammer hinterlegt. Nachdem er aber die Zinsen einige Jahre lang eingenommen, bekam er Gewissensbisse hierüber und schickte dem Herzog das bis dahin Empfangene zurück. „Er sei“, schreibt er, „aus Christlichem gueten eyfer und gewissen, bevorab auf unnserer heiligen allgemainen Muetter der Kirchen vorgeende Gottseelige Unnderricht und getreue sorgfalltigkeit, So Sy umb unnserer Seelen Hayl unnd ewiger seeligkeit willen tregt, in sich selbs ganngen und habe befunnden solch' Interesse bis daheer unrecht und unzimblich empfangen zu haben“. Der Herzog nahm die Summe zwar an, machte sie ihm aber bald darauf wieder zum Geschenke vermöge einer Schenkungsurkunde vom 6. März 1580 (abgedruckt von K. A. Muffat in seiner biographischen Skizze „Orlando di Lasso“ im Taschenbuch für vaterländische Geschichte von Hormayr und Rudhart, 1852—53, S. 282).

    In seiner letzten Lebensperiode entwickelte L. eine erstaunliche Fruchtbarkeit im Componiren; indessen stellten sich doch auch allmählich die Schwächen des Alters bei ihm ein. Der tägliche Kapellendienst wurde ihm beschwerlich; er kam deshalb beim Herzoge um theilweise Dispensirung ein, um desto ungestörter der Compositionsthätigkeit sich hingeben zu können. Unter dem 6. Decbr. 1587 wurde sein Gesuch bewilligt. Er könne, so theilte ihm der Herzog mit, kommen wann er wolle, auch sei ihm gestattet, einige Zeit im Jahre in Schöngeising oder sonst irgendwo im Herzogthum zuzubringen, doch müsse er stets zur Stelle sein, wenn er (der Herzog) ihn rufen lasse. Für diese Erleichterung sollten ihm vom Jahre 1590 an 200 Gulden von seinem Gehalte (800 Gulden) abgezogen werden; dagegen wolle der Herzog hinwiederum für die beiden Söhne des L., Ferdinand und Rudolf, sorgen. L. verzichtete jedoch auf die ihm bewilligte Vergünstigung und fuhr fort, seinen Dienst als Kapellmeister prompt zu verrichten. Dazu kam jetzt ein merkwürdiger Arbeitstrieb über ihn, gleichsam als habe er sein nahes Ende vorausgeahnt. Diese beständige productive Thätigkeit übte aber auf seinen Geisteszustand einen schlimmen Einfluß aus. Als eines Tages Regina von Geising zurückkehrte, fand sie ihren Gemahl im Zustande völliger Geistesabwesenheit. Er erkannte weder sie noch irgend einen anderen der Seinigen. Herzog Wilhelm schickte sofort seinen Leibarzt Dr. Mermann zu dem Kranken. Durch dessen Bemühungen wurde L. in etwas wieder hergestellt; allein seine frühere Geistesfrische kehrte nicht zurück. Er war trübsinnig und menschenscheu geworden. Der Herzog ließ ihm durch Dr. Mermann sagen, er brauche sich des Gehaltes wegen gar nicht zu beunruhigen, es werde ihm trotz seiner Krankheit ganz und voll ausgezahlt werden. Diese Mittheilung vermochte jedoch nicht, ihn aufzurichten. Er schrieb vielmehr in einem Anfalle von Trübsinn an den Herzog, er wolle den Hofdienst quittiren, wenn der Herzog ihm die Von seinem Vater versprochenen 400 Gulden Pension geben und noch etwas Beliebiges hinzufügen wolle. Der Herzog nahm dieses Gesuch auf Bitten der Regina nicht übel auf, erklärte aber, wenn ihr Gatte noch ein Mal um seine Entlassung einkommen werde, könne er dieselbe haben. Als im J. 1592 bei Gelegenheit der Reduction der Hofkapelle L. mit den übrigen Musikern auf die herzogliche Rentkammer geladen worden war, vernahm er, daß sein Gehalt am 800 Gulden festgesetzt sei. Dieser Summe fügte der Herzog später noch einen Betrag von 40 Gulden jährlich für die Hofkleidung hinzu. Der Meister gab sich wieder ganz der Compositionsthätigkeit hin. Im J. 1594 dedicirte er eine Sammlung sechsstimmiger Gesänge dem Bischofe Johann Otto von Augsburg und am 24. Mai desselben Jahres sein Schwanenlied „Lagrime di San Pietro“ dem Papste Clemens VIII. Schon am 14. Juni machte der Tod seiner rastlosen Thätigkeit ein Ende. In seinem Testament hatte er zu seinem und seiner|Erben und Nachkommen immerwährendem Gedächtniß, Trost und Heil der Seelen im Heiligengeistspitale zu München für jeden Armen eine jährliche Spende und in der Kirche zum hl. Johann Baptist in Schöngeising ein Jahrgedächtniß und zwei (stille) Messen gestiftet. Er wurde begraben auf dem Franziscanerkirchhofe, wo seine Gattin ihm ein prachtvolles Denkmal aus rothem Marmor setzen ließ mit folgender Inschrift:

    Orlandi cineres, eheu: modo dulce loquentes Nunc mutos, eheu: flebilis urna premit. Lassae sunt flendo Charites tua funera Lasse, Principidus multum, chareque Caesaribus. Belgica quem tellus genitrix dedit ingeniorum, Ingeniorum altrix Boia, fovit humus. Corporis exuvias eadem quoque Boia texit, Post lustra ac hysmes sena bis acta duas. Robora, saxa, feras Orpheus, at hic Orpbea traxit Harmoniaeque duces perculit harmonia. Nunc quia complevit totum concentibus orbem, Victor cum superis certat apud superos.

    Nach dem Ableben des Meisters forderte die herzogliche Hofkammer von der Wittwe 707 Gulden 40 Kreuzer zurück, welche L. seit dem Jahre 1590 über Gebühr empfangen habe, denn von diesem Termine an müsse der Abzug von 200 Gulden jährlich eintreten. Regina wandte sich mit einer Bittschrift an den Herzog, ob mit Erfolg, wissen wir nicht. Sie starb am 5. Juni 1600 und wurde neben ihrem Gatten begraben. Das Grabdenkmal, von welchem Delmotte und Dehn eine Abbildung bringen, befindet sich jetzt im Nationalmuseum zu München.

    Außer Palestrina gibt es wol kaum einen Componisten im 16. Jahrhundert, der eines so ausgezeichneten, weitverbreiteten Rufes sich erfreute, wie Orlandus de Lassus.

    Sprüchwörtlich waren die Verse:

    Hic ille est Lassus, lassum qui recreat orbem Discordemque sua copulat Harmonia!

    Die gleichzeitige Litteratur ist sehr reich an enthusiastischen Lobgedichten auf diesen Meister der Töne. Bei Dehn und Delmotte findet man eine Anzahl derselben abgedruckt.

    Standbilder erhielt er in neuerer Zeit in München und in seiner Vaterstadt Mons. (Vgl. De la part que la Société des Sciences du Hainaut a prise à l'érection de la statue D'Orlande de Lassus. Mons 1854.)

    Die Zahl der Werke des L. übersteigt alles sonst Dagewesene. Schmiedhammer, der ein Generalverzeichniß sämmtlicher Compositionen aufgenommen hat, zählt folgende auf: 1) Musica sacra: Alma redemptoris 2; Antiphon. et responsoria 1; Asperges me 4; Ave Regina 6; Benedictus 3; Cantiones sacrae latinae et germanicae 429; Domine ad adjuvandum 2; Hymnen 34; Introitus 1; Lamentationen 13; Litaneien 19; Magnificat 180; Miserere 1; Missae 51; Requiem 2; Motetten 780; Nunc dimittis 12; Officia propria 5; Passionen 2; Psalmen 2; Psalmi poenitentiales 7; Regina coeli 6; Responsorium 1; Salve Regina 8; Vidi aquam 1; zusammen 1572. 2) Musica profana: Cantat. et dialogi 7; Cantiones latinae 34; Canzonette 59; Chansons 371; Madrigali 233; Chansons allemandes 61; zusammen 765.

    Mögen auch in diesem Verzeichnisse manche Compositionen doppelt rubricirt sein, so bekommen wir doch annähernd einen Begriff von der großen Provuctivität des Meisters.

    Das bis jetzt vollständigste Verzeichniß der im Druck erschienenen Werke des L. sowol in chronologischer als alphabetischer Ordnung hat Robert Eitner zusammengestellt. (Beilage zu den Monatsheften für Musikgeschichte, V. und VI. Jahrgang, Berlin 1874—75.) Die handschriftlichen Werke, soweit sie in München auf der Staatsbibliothek vorhanden sind, finden sich verzeichnet in: Die musikalischen Handschriften der k. Hof- und Staatsbibliothek in München von Jul. Jos. Maier, München 1879.

    Bis zum Jahre 1562 erschienen die Werke durchweg in Venedig, Antwerpen, Löwen und eines in Rom. Von 1562 ab tritt Nürnberg in den Vordergrund, von 1567 an München, welches von jetzt an fast ausschließlich die Werke des L. zuerst veröffentlicht. Paris tritt erst mit dem Jahre 1570 als Druckort auf und ist bis spät in das 17. Jahrhundert bemüht, die Werke des L. zu vervielfältigen. (Eitner, Monatshefte für Musikgeschichte, VI. 109.)

    Orlandus de L. bildet den Abschluß der niederländischen Schule, ist aber zugleich ihr vollkommenster Repräsentant. In seinen Compositionen finden wir schon die Keime der „Zukunftsmusik“, denn er bedient sich der Chromatik zur Charakterisirung des Textes. Im übrigen ist er Diatoniker, wie seine Vorgänger. In den sogen. Künsten der Niederländer wohl erfahren, verschmäht er es, der contrapunktischen Factur an sich einen Werth beizulegen und die trockenen Verstandesofterationen seiner Vorgänger nachzuahmen. Er benutzt vielmehr die Künste seiner Schule nur als Mittel zu höherem Zweck. Als Hauptsache galt ihm, seinen Compositionen Geist und Leben einzuhauchen, und dadurch ragt er so hoch über seine Vorgänger hervor, obwol Josquin de Près ihm hier schon bedeutend vorgearbeitet hatte. Als ein Mann, der vieler Herren Länder gesehen, vieler Völker Musik kennen gelernt hatte, versteht er es, auf eine eigenthümlich reizende Weise die italienische Anmuth, die leichte Factur der Franzosen und die Innigkeit des deutschen Gemüthsausdruckes mit dem künstlich ausgebildeten Stil der Niederländer zu verschmelzen und diesen dadurch auf die höchste Stufe der Vollkommenheit zu bringen. Ebenso mannigfaltig wie der Text ist auch seine Schreibweise. Aus seinen kirchlichen Schöpfungen weht uns heiliger Ernst, gewaltige Kraft, keuscher Sinn entgegen, während in seinen weltlichen Compositionen eine originelle Auffassung nach allen Richtungen hin zum Ausdruck gelangt. Wenn Baini, der gelehrte Biograph Palestrina's, von unserm Meister sagt: „Orlando di Lassus fiammingo di nascita, fiammingo di stile, sterile di bei coneetti, privo di anima e di fuoco, e che con alcune messe e motetti ad 8 voci di stil piano si usurpo l'eccessivo elogio: Lassum qui recreat orbem (Memorie storico-critiche della vita etc. d. G. P. da Palestrina, II. 432), so hat er damit seine Unkenntniß der Werke des L. bewiesen. Palestrina verherrlicht sich durch seine Werke von selbst. Baini brauchte also nicht zur Verhimmelung desselben den bedeutendsten Zeitgenossen herunterzusetzen. Wenn auch bei L. das formalistische Element der contrapunktischen Verwebung der Stimmen ein gewisses Uebergewicht hat gegenüber der korrekten harmonischen Stimmenentfaltung Palestrina's, so können wir doch ohne Bedenken den L. an die Seite Palestrina's stellen. „Bei Palestrina“, sagt Ambros, „tritt mehr das Lichthelle, Liebenswürdige, wenn wir so sagen sollen, Engelhafte zu Tage, das Jedermann sogleich anmuthet, die höchste künstlerische Weisheit in scheinbar selbstverständlichen Formen, während Lassus' Musik tiefere, dunklere Töne anschlägt, mehr eine energische Kraft entwickelt, Umrisse von mächtigster Lebendigkeit, aber von geringerer Anmuth als die Musik des Römers, daher sie denn auch für den ersten Eindruck nicht in gleichem Maße gewinnend sein kann, bis bei näherer Bekanntschaft ihre Sprache in ihrer ganzen geistigen Gewalt verständlich wird“ (Geschichte der Musik, 2. Aufl., III. 359). Eine ausführliche Besprechung der Messen. Motetten, Lieder etc. findet der Leser in meiner oben citirten Biographie, S. 57 bis 76.

    Die größte Anzahl der gedruckten und handschriftlichen Compositionen des L. befindet sich auf der k. Hof- und Staatsbibliothek in München. Auch die Bibliotheken in Paris, Rom, Bologna, Kassel, Göttingen, Brandenburg (Katharinenkirche), Danzig, Köln (Jesuitenbibliothek), Elbing (Marienkirche) u. a. besitzen alte Drucke der Compositionen des L. Neuere Ausgaben findet der Leser verzeichnet in Robert Eitner, Verzeichniß neuer Ausgaben alter Musikwerke. Beilage zu den Monatsheften für Musikgeschichte, Jahrg. II, III u. IX, Berlin 1871 und 1877. Das größte Verdienst um die Herausgabe der Werke des L. in der neueren Zeit hat sich unstreitig Professor Commer in Berlin erworben. Die Musica sacra von ihm (jetzt im Verlage von Manz in Regensburg) enthält Bd. V—XII ausschließlich Compositionen von L.: 12 Messen von 4—8 Stimmen, ein Requiem, 22 Magnificat, 69 lateinische Gesänge, darunter Passion, Te Deum, Lamentationen, Salve Regina, Ave Regina, 44 deutsche Motetten und Psalmen, während seine Selectio operum musicorum Batavorum 19 Stücke dieses Componisten enthält.

    • Literatur

      Delmotte, Notice biographique sur Roland de Lattre, connu sous le nom d'Orland de Lassus. Valenciennes 1835, ins Deutsche übertragen von S. W. Dehn, Biographische Notiz über Roland de Lattre, bekannt unter dem Namen Orland de Lassus. Berlin 1837. Neueste Biographie: Wilhelm Bäumker, Orlandus de Lassus, der letzte große Meister der niederländischen Tonschule. Freiburg in Baden 1878.

  • Autor/in

    W. Bäumker.
  • Zitierweise

    Bäumker, Wilhelm, "Lasso, Orlando di" in: Allgemeine Deutsche Biographie 18 (1883), S. 1-9 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118569945.html#adbcontent

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