Lebensdaten
1824 – 1892
Geburtsort
Carouge Kanton Genf
Sterbeort
Rom;
Beruf/Funktion
Bischof von Lausanne und Genf ; Kardinal
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 119115913 | OGND | VIAF: 39367754
Namensvarianten
  • Mermillod, Gaspard
  • Mermillod, Caspar
  • Mermillod, G.
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Objekt/Werk(nachweise)

Orte

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Zitierweise

Mermillod, Gaspard, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119115913.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Jacques (1793–1872), Bäcker u. Gastwirt, S d. Claude (um 1747–1822) u. d. Marie Dubois (um 1763–1845);
    M Pernette (1800–76), T d. Pierre Mégard (1753–1831) u. d. Claudine N. N. (1759–1838).

  • Biographie

    M. entstammte dem kath. gebliebenen Umland der Calvin-Stadt Genf, genauer: jener altsavoyisch-kath. Landschaft, die erst im Gefolge des Wiener Kongresses dem Kanton Genf zugewachsen war. ohne diesem als gleichwertiger Bestandteil zu gelten. Mit Rücksicht auf seine streng kath. Erziehung kamen für M. deshalb auch die Bildungsmöglichkeiten Genfs nicht in Betracht. Man schickte ihn zur gymnasialen Ausbildung an das kleine Seminar Saint-Louis du Mont bei Chambéry, und 1841 wechselte er in der Absicht, Priester zu werden, an das von den Jesuiten geleitete „Grand Séminaire“ zu Freiburg im Uechtland über. 1847, kurz vor Ausbruch des Sonderbundskrieges, empfing er die Priesterweihe und wurde als Vikar in Genf eingesetzt. Diese durch Industrialisierung und Aufschwung des Fremdenverkehrs prosperierende Stadt befand sich damals infolge des Zuzugs vieler Arbeitskräfte aus kath. Gegenden in einem starken konfessionellen Wandel – für M., einen überzeugten, kämpferisch gesinnten und durchaus karrierebewußten „Ultramontanen“, ein verheißungsvolles Betätigungsfeld. In Wort und Schrift warb er für den „katholischen Standpunkt“. Er suchte den stetig wachsenden, aber noch keineswegs homogenen kath. Bevölkerungsteil zu aktivieren und gründete zu diesem Zweck u. a. den „Observateur de Genève“ (1848-51) und die „Annales catholiques de Genève“ (1852-62), kurzlebige Blätter, mit denen er aber eine kirchlich inspirierte Genfer Presse ins Leben rief. 1851 begann er schließlich zugunsten des Neubaus einer kath. Pfarrkirche in Genf zusammen mit seinem Pfarrer Joseph-Victor Dunoyer in Paris, einem der Zentren kath. Restauration, eine großangelegte Sammelaktion, die ihn auch nach Italien, Rom und Wien führte. Dabei errang er sich nicht nur als Prediger – vor allem in adeligen Kreisen und zumal bei den Damen der hohen Gesellschaft – einen klangvollen Namen, sondern wußte auch zahlreiche Verbindungen zu knüpfen: von den Spitzen des franz. Katholizismus bis hinauf zu Pius IX., der seine Aktivitäten mit Wohlgefallen aufnahm, ihn wiederholt in Privataudienz empfing und für die (1857 eingeweihte) neue Genfer Pfarrkirche Notre-Dame – M.s Werk – eine Marienstatue stiftete.

    Der Papst erblickte in M. (seit der Weihe der neuen Genfer Pfarrkirche deren „rector ecclesiae“), der sich selber als „Arbeiter des großen Pius IX.“ bezeichnete, einen „Hoffnungsträger“ des schweizer. Katholizismus. Erfüllt von dem Gedanken, nach London auch Genf wieder zum Bischofssitz zu erheben (und durch Installierung eines Bischofs auch in Berlin das prot. Dreieck London-Berlin-Genf zu neutralisieren), ernannte er M., nachdem|dieser im Juni 1864 (staatlich besoldeter) Pfarrer von Genf geworden war, am 21. 9. desselben Jahres zum Weihbischof des Bistums Lausanne und Genf (Titularbischof von Hebron mit Sitz in Genf) und erteilte ihm schon drei Tage später persönlich in Rom die Bischofsweihe. Der in Freiburg residierende Bischof von Lausanne und Genf, Étienne Marilley, mußte ihm unter dem Druck Roms (damit die Einwohner Genfs sich mehr und mehr daran gewöhnten, einen eigenen Bischof zu haben) zunächst (1864) erweiterte Vollmachten, schließlich (1865) die volle bischöfliche Jurisdiktion über den Kanton Genf abtreten.

    Die staatlichen Instanzen reagierten auf diese eigenmächtigen – die eidgenössischen Freiheiten verletzenden – Maßnahmen Roms, die tatsächlich zur Verschärfung des beginnenden Kulturkampfes in der Schweiz erheblich beitrugen, anfänglich einigermaßen zurückhaltend – obwohl sich M. sogleich auch als kompromißloser Verteidiger der Maximen der Enzyklika „Quanta cura“ und des Syllabus (1864) profilierte. Als aber während des Ersten Vatikanums M. nicht nur monatelang von Genf abwesend war und sich als Vorkämpfer einer Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit hervortat, sondern auch „vor ganz Europa als Bischof von Genf posiert(e)“ und überdies Gerüchte von seiner (von ihm selbst betriebenen) Ernennung zum Apostolischen Vikar von Genflaut wurden, setzte der Genfer Staatsrat den „curé de Genève“ ab (20.9.1872). Als der Papst ungeachtet des offenen Konfliktes mit dem Staat durch Breve vom 16.1.1873 diese Ernennung aussprach – mit Rücksicht auf die „Nöte der christlichen Sache 'in Genevensi Pago, vulgo Cantone'“, wie er provozierend begründete – und M. das päpstliche Dokument ohne Einholung des gesetzlich vorgeschriebenen behördlichen Plazets von allen Kanzeln des Kantons verlesen ließ, wurde er durch Beschluß des Staatsrates vom 15.2.1873 im Einvernehmen mit dem Bundesrat „aus der Eidgenossenschaft“ ausgewiesen, bis zum Verzicht „auf jede ihm vom Hl. Stuhl zuwider den Beschlüssen der eidgenössischen und kantonalen Behörden übertragenen Funktionen“. Nach Frankreich abgeschoben, nahm M. in Ferney Aufenthalt.

    Die unmittelbare Folge dieses Konfliktes, der sogleich internationales Aufsehen erregte, aber auch in der kath. Schweiz sehr unterschiedlich bewertet wurde, war eine gesetzliche Verschärfung der staatlichen Einflußnahme auf die kath. Kirche im Kanton Genf, schließlich die Spaltung der Katholiken durch Privatisierung der „römisch-kath.“ Kirche und Reservierung der staatlichen Subsistenz für die „catholiques libéraux“: für einen „Staatskatholizismus“, der sich mit der aufkommenden christkath. Kirche verband. M. dagegen richtete sich in seinem Exil zu Ferney, dann in einem ihm aus dem Nachlaß einer adeligen Dame zur Verfügung gestellten Schloß in Monthoux durchaus komfortabel ein. Ohnehin seit langem an eine „vie habituellement nomade“ gewöhnt, betätigte er sich, nunmehr in der Rolle eines um seiner religiös-kirchlichen Überzeugung willen Verfolgten, als agitierender Prediger in ganz Frankreich, Belgien und in Rom; er bereiste als Apostolischer Visitator Schweden, Norwegen, Dänemark, übernahm Missionen im Dienst der päpstlichen Diplomatie und meldete sich in dem von ihm (1868) begründeten und in seinem Sinne redigierten „Courrier de Genève“, einem vielbeachteten Publikationsorgan, regelmäßig zu Wort.

    Eine Entspannung in der Affäre M. bahnte sich erst unter Pius' IX. Nachfolger Leo XIII. an, der von Anfang seines Pontifikats an um eine Beilegung der Kulturkämpfe und damit um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in den einzelnen Ländern bemüht war. M., dem der Boden in der sich nach links entwickelnden und einem neuen Kirchenkampf zutreibenden franz. Republik zu heiß wurde, regte selbst, indem er seinen Friedenswillen betonte, eine elegante Lösung an: Leo XIII. berief ihn – nach langwierigen, geheimen Konsultationen mit den staatlichen Instanzen – am 15.3.1883 auf den vakanten Bischofsstuhl von Lausanne und Genf, unter gleichzeitiger formeller Aufhebung des Apostolischen Vikariats von Genf. Zwar blieb M. im Kanton Genf „persona ingrata“, doch wußte er sich als regierender Bischof in die gewandelten Verhältnisse zu fügen. Er engagierte sich sozialpolitisch und gründete 1885 in Freiburg die „Union catholique d'études sociales et économiques“ („Union de Fribourg“). Deren Vorarbeiten wurden, zusammen mit den Sozialideen des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel v. Ketteler, Grundlage für die Sozialenzyklika „Rerum novarum“ Leos XIII. (1891). Im selben Jahr 1885 zog er den 4. Internationalen Eucharistischen Kongreß in seine Bischofsstadt. M. setzte sich für die Gründung einer „freien“ kath. Hochschule in der Schweiz ein, die dann (in einer von M. allerdings nicht angestrebten Form, nämlich als kantonale Einrichtung) seit 1889 in der Katholischen Univ. Freiburg Gestalt gewann. Am 23.6.1890 erhob Leo XIII. M. zum Kardinal und berief ihn an die Römische Kurie. Am 11.3.1891 mußte er als Bischof von Lausanne und Genf resignieren Schon im folgenden Jahr starb er in Rom.

  • Literatur

    C. Massard, L'oeuvre sociale du Cardinal M., L'Union de Fribourg, d'après des documents inédits, 1914;
    M. Pfeiffer, Der Kulturkampf in Genf (1864–73) mit bes. Berücksichtigung d. Ausweisung v. Bischof M., Diss. Zürich 1970;
    P. Stadler, Der Kulturkampf in d. Schweiz, Eidgenossenschaft u. Kath. Kirche im europ. Umkreis 1848–88, 1984;
    LThK²;
    Gatz (P): Helvetia sacra I/4, 1988 (Qu., L);
    BBKL.

  • Autor/in

    Manfred Weitlauff
  • Zitierweise

    Weitlauff, Manfred, "Mermillod, Gaspard" in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 164-166 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119115913.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA