Lebensdaten
1794 – 1868
Geburtsort
Hamburg
Sterbeort
Kopenhagen
Beruf/Funktion
Kunsthistoriker ; Museumsdirektor
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118628038 | OGND | VIAF: 62316937
Namensvarianten
  • Waagen, Gustav
  • Waagen, Gustav Friedrich
  • Waagen, Gustav
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Orte

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Zitierweise

Waagen, Gustav Friedrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628038.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Friedrich (1750–1822), aus Göttingen, studierte 1767 ebd. Math., Historien- u. Landschaftsmaler in H., übersiedelte 1807 n. Altwasser (Schlesien), 1809 n. Dresden (s. ThB; P);
    M Johanna Louise ( 1807), T d. Julius Gustav Alberti (1723–72), Pastor in H. (s. ADB I), u. d. Dorothea Charlotte Offeney (1733–1809);
    Tante-m Amalie Alberti (1769– 1837, Ludwig Tieck, 1773–1853, Schriftst., s. NDB 26), Johanna Alberti (1755–1827, 1] Peter|Wilhelm Hensler, 1742–79, Jur., Dichter, s. ADB XII, 2] Johann Friedrich Reichardt, 1752–1814, Komp., preuß. Hofkapellmeister, Schriftst., s. NDB 21);
    B Carl (1800–73, Nanette [Anna] Schechner, 1806–60, Opernsängerin, s. ADB 30; Kosch, Theater-Lex.; Kutsch-Riemens), Maler, Lith., Schriftst. in Breslau, Berlin, Rom u. München, HR (s. ADB 54; ThB);
    1831 Blandine (1811–80), T d. N. N. v. Seehausen, preuß. Rittmeister;
    K u. a. Anna Luise Helene ( Jakob Ignaz Hittorff, 1792–1867, Architekt, Archäol., s. NDB IX);
    N Gustav Rr. v. W. (1832–1906, bayer. Rr. 1892), bayer. Gen.major (s. BJ XI, Tl.), Adalbert (1833 / 34–98), Maler (s. ADB 54; BJ III, S. 189–91; ThB), Wilhelm Heinrich (1841–1900), Dr. phil., Geol., Paläontol., k. k. Oberbergrat, Prof. an d. Dt. Univ. Prag u. an d. Univ. Wien, Mitgl. d. Leopoldina 1888 (s. Pogg. III–IV; BJ V, S. 330 f.).

  • Biographie

    Prägend wurde ein Besuch bei dem Onkel Ludwig Tieck in Dresden 1801, als der siebenjährige W. die dortige berühmte Gemäldegalerie besichtigte. Nach Abschluß des Gymnasiums in Hirschberg (Schlesien) begann er 1812 ein Studium der Geschichte, Philosophie und Philologie an der Univ. Breslau. Als Freiwilliger in den Befreiungskriegen kam er 1814 mit dem preuß. Heer bis Paris und konnte dort die im Musée Napoléon zusammengetragenen Kunstschätze in Augenschein nehmen.

    1815 setzte W. sein Studium fort, zunächst in Breslau, seit 1818 in Heidelberg. Hier stand er in freundschaftlichem Kontakt mit den Brüdern Sulpiz (1783–1854) und Melchior Boisserée (1786–1851). Nach seinem Studienabschluß 1819 in Heidelberg mit einer altertumswissenschaftlichen Dissertation zog W. im folgenden Jahr nach München.

    Auf einer Reise in das Rheinland und die Niederlande 1819 sammelte W. Material für seine erste große Publikation: „Ueber Hubert und Johann van Eyck“ (1822) mit einem ersten Werkkatalog zu beiden Künstlern. Diese Schrift, die die „politische Geschichte, die Verfassung, den Charakter des Volkes, den Zustand der Kirche, der Sitten, der Literatur, endlich die Natur des Landes“ in die Würdigung der dt. u. niederl. Malerei des Spätmittelalters miteinbezog, bedeutete für die damalige Kunstwissenschaft etwas gänzlich Neues; sie gehört zu den „Gründungswerken einer historisch-kritischen Kunstgeschichtsschreibung“ (Bredekamp).

    1823 wurde W. als Mitarbeiter Aloys Hirts (1759–1837) nach Berlin für die Gründung eines neuen Museums berufen. Seit 1829 gehörte er der von Wilhelm v. Humboldt (1767–1835) geleiteten Galeriekommission an. Bereits ein Jahr später konnte die Berliner Gemäldegalerie eröffnet werden; W. wurde ihr erster Direktor. In dieser Position unternahm er zahlreiche, meist mehrmonatige Reisen, zum einen, da er die Bilderkenntnis aus eigener Anschauung für unerläßlich hielt, zum anderen, um Ankäufe für die Galerie zu tätigen. Er sorgte für eine nach Stilepochen und Schulen geordnete Hängung der Kunstwerke und hob dabei ästhetische Höhepunkte besonders hervor.

    1824 reiste W. mit Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), dem er freundschaftlich verbunden war, nach Italien; mehrfach besuchte er England. Die meisten dieser Reisen wurden ihm vom preuß. Kultusministerium finanziert. 1833 erfolgte ein längerer Aufenthalt in Paris und England. Hier konnte W. auch etliche sonst unzugängliche Privatsammlungen besuchen. Daraus resultierte das dreibändige Werk: „Kunstwerke und Künstler in England und Paris“ (1837 / 39). 1839 hielt sich W. für mehrere Monate in Wien auf. 1841–42 reiste er im Auftrag von Kg. Friedrich Wilhelm IV. nach Italien, um dort Kunstwerke für die kgl. Sammlungen anzukaufen. Die beiden Bände der „Kunstwerke und Künstler in Deutschland“ (1843 / 45) basierten ebenfalls auf verschiedenen Forschungsreisen. 1854 erschien das dreibändige Werk „Treasures of Art in Great Britain“ (Suppl.bd. 1857), worin W. die Ergebnisse mehrerer Englandreisen zusammenfaßte. 1861 und 1862 besuchte er St. Petersburg, 1866 Spanien. Seine außergewöhnliche Kennerschaft und sein fachliches Urteil waren in ganz Europa von öffentlichen Museen ebenso wie von adeligen und privaten Sammlern gefragt.

    Ab 1844 hatte W. die erste ao. Professur für „Moderne Kunstgeschichte“ an der Berliner Univ. inne. Seine Vorlesungen, in denen er die Kunstwerke nicht isoliert betrachtete, sondern im Zusammenhang ihrer Zeit und ihres Ortes, basierten auf den detaillierten Kenntnissen, die er sich auf seinen Reisen über die Kunst der Antike wie auch über Architektur, Skupltur, Malerei und Kunstgewerbe des Mittelalters erworben hatte. Seit den 1850er Jahren belasteten Kompetenzstreitigkeiten mit seinem Vorgesetzten, Generaldirektor Ignaz v. Olfers (1793–1872), W.s Arbeit zunehmend.

    1867 kam es nach der mißlungenen Restaurierung eines Gemäldes zu einem Konflikt, der schließlich auch im preuß. Abgeordnetenhaus verhandelt wurde. Im Jahr darauf verstarb W. auf einer privaten Reise nach Kopenhagen an einer akuten Erkrankung.

    Als Mitbegründer der wissenschaftlichen Kunstgeschichte nimmt W. eine herausragende Stellung ein. Mit Karl Friedrich v. Rumohr (1785–1843), Franz Theodor Kugler (1808– 58), Heinrich Gustav Hotho (1802–73) und Carl Schnaase (1798–1875) war er einer der Exponenten der „Berliner Schule“. W. war der erste Fachwissenschaftler in Deutschland, der die Leitung einer Gemäldegalerie innehatte und zugleich der erste, der einen kritischen Katalog – unter eigenem Namen – publizierte. Dieser war – wie alle weiteren Kataloge, die er für die europ. Kunstsammlungen verfaßte – als Grundlage für weiterführende Forschungen gedacht.

  • Auszeichnungen

    |korr. Mitgl. d. Bayer. Ak. d. Wiss. (1821);
    Geh. Reg.rat (1860);
    Ehrenmitgl. d. Akademien v. Wien, Florenz u. Neapel.

  • Werke

    Weitere W u. a. Ueber die in den Slgg. d. Kgl. Ak. d. Wiss. zu München befindl. Mumien u. andere ägypt. Alterthümer (1820);
    Verz. d. Gem.slg. d. Kgl. Mus. Berlin, 1830, Nachdr. 1998;
    Works of Art and Artists in England, 1838;
    Treasures of art in Great Britain: being an account of the chief collections of paintings, drawings, sculptures, illuminated mss., etc., 3 Bde., 1854 (Faks. 1970), Suppl.: Galleries and cabinets of art in Great Britain: Being an Account of More than Forty Collections […] Visited in 1854 and 1856, and Now for the First Time Described, 1857, Nachdr. 4 Bde., 2015;
    Verzeichniss d. Gem.-Slg. d. am 18. Jan. 1861 zu Berlin verstorbenen kgl. schwed. u. norweg. Konsuls J. H. W. Wagener, welche durch letztwillige Bestimmung in d. Besitz seiner Majestät d. Kg. übergegangen ist, 1861, Nachdr. in: Die Slg. d. Bankiers Wagener, Die Gründung d. Nat.gal., hg. v. U. Kittelmann, B. Verwiebe, A. Wesenberg u. J. Kloss-Weber, 2011;
    Hdb. d. Gesch. d. Malerei, Hdb. d. dt. u. niederl. Malerschulen, 1862;
    Handbook of Painting, The German, Flemish, and Dutch Schools, Based on the Handbook of Kugler, 1874;
    Kleine Schrr., Mit e. biogr. Skizze u. d. Bildniss d. Vf., hg. v. A. Woltmann, 1875 (P).

  • Literatur

    |ADB 40;
    e. krit. Monogr. fehlt bisher;
    K. Halm, Nachruf, in: SB d. kgl. bayer. Ak. d. Wiss. zu München, Bd. 1, 1870, S. 366–69;
    W. Waetzoldt, Dt. Kunsthistoriker v. Sandrart bis Justi, 1965, ³1986, Bd. 2, S. 29–45;
    I. Geismeier, G. F. W. –45 J. Mus.arb., in: Forsch. u. Berr., Staatl. Mus. zu Berlin 20 / 21, 1980, S. 397–419 (P);
    dies., G. F. W., Mus.dir. in d. preuß. Hauptstadt, in: Jb. d. Berliner Museen 37, 1995, S. 7–21;
    G. Bickendorf, Der Beginn d. Kunstgesch.schreibung unter d. Paradigma „Geschichte“, G. F. W.s Frühschr. „Ueber Hubert u. Johann van Eyck“, 1985;
    G. Bazin, Histoire de l’histoire de l’art: de Vasari à nos jours, 1986, S. 131 u. 528;
    T. v. Stockhausen, Gem.gal. Berlin, Die Gesch. e. Erwerbungspol. 1830–1904, 2000;
    F. Illies, Bemm. z. preuß. Kunstpol., Das Bsp. G. F. W., in: Preuß. Stile, Ein Staat als Kunststück, 2001, S. 180–89;
    H. Bredekamp u. A. S. Labuda, Kunstgesch., Univ., Mus. u. d. Mitte Berlins 1810–1873, in: H.-E. Tenorth, Gesch. d. Univ. Unter den Linden 1810–2010, 2010, S. 237–63, bes. S. 251–55;
    dies., In d. Mitte Berlins, 200 J. Kunstgesch. an d. HU, 2010, S. 37–41 (P);
    B. Holtz, Das Kultusmin. in d. Kunstpol. 1808 / 17 bis 1933, in: Acta Borussica N. F., 2. R.: Preußen als Kulturstaat, Abt. I, Bd. 2.1, 2010, S. 399–634;
    Metzler Kunsthist. Lex.

  • Porträts

    |Jugendbildnis v. F. L. H. Waagen, u. Ölgem. v. L. Knaus, 1855 (beide Berlin, Nat.gal.), Abb. in: Geismeier, 1980 (s. L), S. 397 u. 407;
    Porträt v. E. H., 1868, Holzstich n. e. Orig.zeichnung v. Reincke (Zentralbibl. Zürich);
    Lith. v. C. Steckmest, Brustbild n. halblinks, Druck u. Verlag v. L. Sachse & Co. Berlin.

  • Autor/in

    Kathrin Ellwardt
  • Zitierweise

    Ellwardt, Kathrin, "Waagen, Gustav Friedrich" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 150-152 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628038.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Waagen: Gustav Friedrich W., Kunsthistoriker, wurde am 11. Febr. 1794 zu Hamburg als Sohn des Malers Christian Friedrich Heinrich W. geboren. Seine Mutter Johanna Louise war die Tochter des Hamburger Pastors Alberti und die Schwester von Ludwig Tieck's Gattin. Bei Gelegenheit eines Besuches, den die Familie im J. 1801 Tieck in Dresden abstattete, gewann W. bei einem Besuche der dortigen berühmten Galerie, obwol erst sieben Jahre alt, die ersten bleibenden künstlerischen Eindrücke. Als der Vater im J. 1807 nach dem Tode seiner Gattin von Hamburg nach Altwasser (nach Andern nach Waldenburg) in Schlesien übersiedelte, kam W. auf das Gymnasium zu Hirschberg, nach dessen Absolvirung im J. 1812 er die Universität Breslau bezog. Beim Ausbruch des Krieges im J. 1813 trat W. als freiwilliger Jäger in das preußische Heer ein. Er kam bis Paris und lernte dort im Louvre die größten Kunstschätze der Welt kennen, die Napoleon damals als Siegesbeute aus allen Ländern nach Paris hatte schleppen lassen. Nach Beendigung des Krieges im J. 1815 kehrte W. nach Breslau zurück und nahm hier im Hause des mit ihm verwandten Professors Karl v. Raumer Wohnung. Um seine Universitätsstudien abzuschließen, wandte er sich im J. 1818 nach Heidelberg, dessen Universität damals in voller Blüthe stand. Er fand dort Gelegenheit, die Boisserée’sche Sammlung altdeutscher Gemälde, die bald darauf nach Stuttgart und sodann nach München gebracht wurde, kennen zu lernen und in den Handschriften der Bibliothek Studien über Miniaturmalerei zu machen. Im J. 1819 unternahm er von Heidelberg aus seine erste eigentliche Kunstreise, die ihn über Mannheim, Worms und Oppenheim nach Mainz und von da zu Schiff nach Köln und über Aachen nach den Niederlanden führte. Nach der Rückkehr von der Reise siedelte er nach München über und machte sich die dortigen Sammlungen sowie die künstlerischen und wissenschaftlichen Anregungen der Stadt nach Kräften zu Nutze. Als Frucht dieses Aufenthaltes schrieb er eine Abhandlung über „die in der Sammlung der kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften vorhandenen Mumien und anderen ägyptischen Alterthümer“ (1820), auf Grund deren er zum correspondirenden Mitgliede der Münchener Akademie ernannt wurde. Wichtiger als diese Arbeit, die ganz außerhalb des Kreises seiner späteren Studien liegt, war sein im J. 1822 in Breslau erschienenes Werk „Ueber Hubert und Johann van Eyck“. Dieses Werk gehört zu den Marksteinen der modernen|Kunstgeschichte. „Zum ersten Mal“, urtheilt Karl Schnaase darüber, „wird hier der Versuch gemacht, die Erscheinung dieser Meister vollständig zu beleuchten, sie im Einklange mit der Gesammterscheinung des Zeitalters aufzufassen, die technischen und culturhistorischen Ursachen nachzuweisen, welche auf ihre Kunst Einfluß hatten“. Mit dieser Auffassung traf, wie Schnaase weiter bemerkt, W. „in das Herz der Kunstgeschichte“ und stellte sich damit dem Frhrn. v. Rumohr, dessen bahnbrechende Forschungen ihm als Vorbild dienten, ebenbürtig zur Seite. Im J. 1823 wurde W. nach Berlin berufen, um sich an den Vorarbeiten zur Gründung eines neuen Museums zu betheiligen. Er wurde zunächst als Hülfsarbeiter bei der Bestimmung der Gemälde aus der Solly’schen Sammlung, die den Grundstock der Gemäldegalerie bilden, verwendet und kam dadurch mit dem Hofrath Hirt, der in der Museumscommission die maßgebende Stimme führte, in häufige Differenzen. Um so wärmer gestalteten sich seine Beziehungen zu dem berühmten Architekten Karl Friedrich Schinkel, den er im J. 1824 auf einem kurzen Streifzug durch Italien begleiten durfte. Nach seiner Rückkehr mußte W. noch einige Zeit in der alten Weise weiterarbeiten. Als aber im J. 1829 eine neue Galeriecommission gebildet wurde, trat W. an die Stelle Hirt's und übernahm damit die Anordnung der Galerie, die Vorarbeiten zur Bestimmung der Meister und die Anfertigung des Kataloges, eine Arbeit, die er, rastlos thätig, so förderte, daß die Eröffnung der Galerie schon im Sommer 1830 erfolgen konnte. Obwol W. von der Ansicht ausging, daß „der erste und höchste Zweck eines Museums sei, die geistige Bildung der Nation durch die Anschauung des Schönen zu fördern“, und daß das historische Interesse erst in zweiter Linie komme, so entschied er sich doch mit Rücksicht auf das ihm zur Verfügung stehende Material für eine streng systematische Anordnung der Bilder nach Perioden und Schulen. Auf diesem Wege gewann die Berliner Sammlung allein durch ihre Aufstellung einen höheren, eigenthümlichen Werth, als sie ihn durch ihren Inhalt allein hätte beanspruchen können. W. wurde noch im J. 1830 zum Director der Berliner Galerie ernannt und behielt diese Stellung bis an das Ende seines Lebens. Aber während ihm von verschiedenster Seite Dank und Anerkennung für sein Wirken ausgesprochen wurde, wollte Hirt nichts davon wissen und griff die Commission für die Einrichtung des Museums an, wozu er eine Recension in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik (1831) über den dritten Band von Rumohr's „Italienischen Forschungen“ benutzte. W. erwiderte den Angriff durch die Herausgabe eines kleinen Buches: „Herr Hofrath Hirt als Forscher über die Geschichte der neueren Malerei“ (Berlin und Stettin 1832). Da sich jedoch Hirt mit der maßvollen Entgegnung Waagen's nicht zufrieden gab, sondern ihn persönlich verdächtigte und ihn des Undanks zieh, wurde die ganze Angelegenheit für W. eine Quelle lang fortgesetzten Verdrusses, während sich Hirt in seinen erneuten Angriffen gegen Rumohr und W. solche Blößen gab, daß er selbst seinen wissenschaftlichen Ruf auf das schlimmste gefährdete. Im J. 1833 veröffentlichte W. in Raumer's historischem Taschenbuch einen größeren Aufsatz über Rubens, der dadurch denkwürdig ist, daß W. zum ersten Mal in Deutschland und im Gegensatz zu der herrschenden Auffassung den Genius des Meisters würdigte und seine historische Bedeutung nachwies. Als seine Hauptaufgabe aber betrachtete es W., sich eine möglichst ausgebreitete Bilderkenntniß anzueignen und die ganze erhaltene Masse von Gemälden durch eigene Anschauung kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke unternahm er fortgesetzt größere oder kleinere Kunstreisen, für die ihm der Staat größtentheils die Mittel gewährte, und bildete sich auf diese Weise zu einem der hervorragendsten Bilderkenner unseres Jahrhunderts aus. Zunächst ging W. im Jahre 1833 auf zehn Wochen nach Paris und von da nach England, wo er, mit den|besten Empfehlungen versehen, nicht nur von den Leitern der öffentlichen Sammlungen überall mit offenen Armen empfangen wurde und eine Menge interessanter Bekanntschaften machte, sondern auch Zutritt zu den sonst schwer zugänglichen Privatsammlungen der englischen Großen erhielt. Die Ergebnisse dieser Reise veröffentlichte er in dem in den Jahren 1837 bis 1839 erschienenen dreibändigen Werke „Kunstwerke und Künstler in England und Paris“, das für die Kenntniß der reichen Schätze im englischen Privatbesitz grundlegend geworden ist, das neben den Bildern auch die Handzeichnungen berücksichtigt, und das für das Studium der handschriftlichen Miniaturmalerei geradezu bahnbrechend gewirkt hat. Im J. 1839 bereiste W. verschiedene Theile von Deutschland und hielt sich dann drei Monate lang in Wien auf, um die dortigen Kunstwerke eingehend zu studiren. Als im J. 1840 König Friedrich Wilhelm IV. zur Regierung gelangt war, gab er den Befehl, daß die aus der Galerie von Sanssouci und aus den königlichen Schlössern an das Museum abgelieferten Gemälde zurückgegeben werden sollten. Dadurch würden die größten und empfindlichsten Lücken in der Sammlung entstanden sein, und es bedurfte der größten Geschicklichkeit Waagen's um den drohenden Verlust von dem seiner Leitung unterstehenden Institute abzuwenden. Anfang September 1841 wurde er im besonderen Auftrage des Königs nach Italien geschickt, um dort Gemälde, Sculpturen und andere Kunstwerke anzukaufen. Er dehnte seinen Aufenthalt daselbst bis Ende des Jahres 1842 aus und brachte eine Reihe werthvoller Erwerbungen mit nach Berlin, die als entschiedene Bereicherungen der Sammlung angesehen werden konnten, seinen Gegnern aber Veranlassung gaben, gegen ihn die Beschuldigung zu richten, daß er bei seinen „kostspieligen Ankäufen die kläglichsten, zum Theil unerklärlichsten Mißgriffe“ begangen habe. Zu seinen Gegnern zählte vor allem der neu ernannte Generaldirector, Herr v. Olfers, dessen Schuld es war, daß viele der von W. erworbenen Kunstwerke nicht ausgestellt wurden und so dem Publicum die Möglichkeit fehlte, sich ein Urtheil über Waagen's Verdienste zu bilden. Das Resultat seiner zu verschiedenen Zeiten in Süddeutschland ausgeführten Reisen faßte W. in dem in den Jahren von 1843 bis 1845 veröffentlichten zweibändigen Werke: „Kunstwerke und Künstler in Deutschland“ zusammen. Im J. 1844 erfolgte seine Ernennung zum außerordentlichen Professor der Kunstgeschichte an der Berliner Universität, doch gelangte er nicht zu einer wirklichen Entfaltung seiner Lehrkräfte, da er zu häufig durch Reisen von Berlin entfernt gehalten wurde und sich begnügte, nur allgemein orientirende Vorträge zu halten. Am meisten fühlte er sich nach England hingezogen, das er von Berlin aus bis zum Jahre 1857 fünfmal besucht hat. Seine erneuten Wahrnehmungen faßte er im J. 1854 in dem dreibändigen Werke: „Treasures of Art in Great Britain“, zusammen, das als eine stark umgearbeitete und vermehrte Auflage seines obengenannten Buches erscheint. Seine freundschaftlichen Beziehungen zu Sir Charles Eastlake, dem Leiter der Londoner Nationalgalerie, und überhaupt das Ansehen, das er in England genoß, verwickelten ihn danach in Streitigkeiten mit Mr. Morris Moore, einem rabiaten und auf seine kunsthistorischen Kenntnisse eingebildeten englischen Maler. Moore kam im J. 1856 eigens nach Berlin, um Material gegen W. zu sammeln und dieses dann auch gegen Eastlake zu benutzen. W. mußte sich entschließen, eine öffentliche Erklärung gegen Moore abzugeben und die ganze Nichtswürdigkeit feines Treibens aufzudecken, sah sich aber sowol in englischen, wie in deutschen Zeitungen den thörichtesten Angriffen ausgesetzt, die ihm das Leben verbitterten. Schlimmer noch war es für ihn, daß sich sein Verhältniß zu seinem Chef, dem Generaldirector v. Olfers, von Jahr zu Jahr verschlechterte. Olfers, ein vornehmer Dilettant mit einigem Kunstinteresse, aber ohne gründliche wissenschaftliche Bildung, glaubte|seine Meinung überall geltend machen zu müssen und fühlte sich, getragen von der Gunst Friedrich Wilhelm's IV., als unumschränkter Gebieter, dem die Befugnisse der einzelnen Directoren viel zu weit gingen. Bereitwillig ging er in Verbindung mit Stüler auf den Lieblingswunsch des Königs, die Erbauung eines neuen Museums betreffend, ein und verfuhr dabei im höchsten Maße dilettantisch. Waagen's Wunsch nach einer Erweiterung der Galerie wurde nicht berücksichtigt, im Gegentheil verlor sie, statt zu gewinnen, da ihr durch den Neubau das Nordlicht entzogen wurde. Für die Erwerbungen fehlte es unter Olfers' Leitung an einem festen Principe. Das Geld wurde ohne Rücksicht auf die Güte der Gegenstände für massenhafte Einkäufe verwendet, sodaß die Mittel nicht vorhanden waren, wenn es sich um eine ernsthafte Concurrenz handelte. Trotz dieser Zustände konnte W. noch eine Anzahl bedeutende Erwerbungen der Galerie zuführen, aber in entscheidenden Fällen blieb seiner Stimme das Gehör versagt, während geringe und werthlose Stücke angekauft wurden, ohne daß er darüber befragt wurde. Aehnliche Schwierigkeiten bereitete Olfers W. hinsichtlich des Galeriekataloges, den W. in gründlicher, für wissenschaftliche Zwecke ausreichender Weise vorbereitet hatte, aber nicht zum Druck bringen konnte. Am meisten aber schmerzte W. die rücksichtslose und unverständige Art, mit der Olfers in Sachen der Erhaltung und der Restauration der Kunstwerke vorging. W. suchte diesen Uebergriffen so viel wie möglich entgegenzutreten und erhob im J. 1860 Protest, als während seiner Abwesenheit ein schönes Gemälde, die „bußfertigen Sünder“ von van Dyck durch Restauration zu Schaden gekommen war, aber er richtete mit seinen Vorstellungen nichts aus, da persönliche Rücksichten das Ministerium verhinderten, die Entsetzung Olfers' bei Friedrich Wilhelm IV. zu beantragen. Was half es W., daß man ihn um dieselbe Zeit (1860) zum Geheimen Regierungsrath ernannte, wenn man seinen Gegner zum wirklichen Geheimrath mit dem Titel Excellenz beförderte? W. suchte den Trost in solchen Unannehmlichkeiten immer wieder in der Arbeit und entwickelte gerade in jenen Jahren eine intensive Thätigkeit. Auf Wunsch des englischen Verlegers Murray ließ er im Jahre 1860 eine englische Bearbeitung der die deutschen und niederländischen Malerschulen behandelnden Abschnitte von Kugler's „Handbuch der Malerei“ erscheinen, aus der sich dann als eine wesentlich selbständige Leistung sein „Handbuch der Geschichte der Malerei“ entwickelte (Stuttgart 1862). W. behandelte darin bloß die Geschichte der deutschen und niederländischen Malerschulen und lehnte die Darstellung der italienischen Schulen ab, so lange das Werk von Crowe und Cavalcaselle nicht vollständig erschienen sei. Auf Wunsch des Kaisers von Rußland reiste er, zuerst im J. 1861 und dann wieder im J. 1862, nach St. Petersburg, um die Gemäldesammlung der Eremitage zu studiren und seinen Rath für ihre Aufstellung. Sichtung und Katalogisirung zu ertheilen. Als die Frucht dieser Reisen haben wir das Werk: „Die Gemäldesammlung in der kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg nebst Bemerkungen über andere dortige Kunstsammlungen“ (München 1864) zu begrüßen, in dem er zum ersten Mal ein bis dahin noch unbekannt gewesenes Gebiet der Kunstwissenschaft erschloß. Kurz nach Abschluß dieser Arbeit vollendete er eine andere Arbeit, die ihm besonders am Herzen lag, seine Beschreibung „der vornehmsten Kunstdenkmäler in Wien“, die in den Jahren 1866—1869 in zwei Bänden zu Wien erschien. Trotz seiner hohen Jahre unternahm W. im Spätsommer des Jahres 1866 eine Reise nach Spanien, auf der er bis Malaga und Cadix vordrang und eine Menge von Notizen sammelte, die in dem 1. und 2. Bande von A. v. Zahn's Jahrbüchern für Kunstwissenschaft veröffentlicht wurden. Im J. 1867 begab er sich zum Besuch der Weltausstellung nach Paris und reiste dann noch einmal nach England. Als er nach der Rückkehr von dieser Reise|zum ersten Mal wieder die Galerie betrat, fand er, daß in seiner Abwesenheit die große trauernde Madonna von Andrea del Sarto restaurirt und gleichzeitig vollkommen ruinirt worden war. Der Unwille der Künstler und Kunstfreunde über diese Eigenmächtigkeit von Olfers ging so weit, daß die Akademie und der Berliner Künstlerverein beim Ministerium Beschwerden erhoben und Twesten im Abgeordnetenhause die Angelegenheit vorbrachte, wobei er die Regierung aufforderte, das Museum „gegen seine jetzige Verwaltung zu schützen“. Für W. hatten diese Vorgänge eine schlimme Folge. Er gerieth in die größte Aufregung, die sich steigerte, als im J. 1868 die Grenzboten eine scharfe Kritik des Berliner Galeriekatalogs veröffentlichten, die nicht unberechtigt war, W. aber ungerecht traf, da er ja nur durch die Kurzsichtigkeit seiner vorgesetzten Behörde von dem Druck seines catalogue raisonné abgehalten worden war. Als Olfers, der von einem Schlaganfall betroffen war, wieder soweit hergestellt worden war, daß er die Leitung der Geschäfte wieder übernehmen konnte, betrieb er den Plan eines Umbaus des Schinkel’schen Museums, wogegen W. wenigstens in dem Hauptpunkt Widerspruch erhob, da er die Anlage im wesentlichen beizubehalten wünschte. Um sich zu erholen, besuchte er im Sommer seinen Freund Baron Mohrenheim, den russischen Gesandten in Kopenhagen, von wo aus er sich noch nach Stockholm wenden wollte. Aber er war kaum in Kopenhagen angekommen, als er an einer Brustentzündung erkrankte, die er nicht überstehen sollte. Er starb zu Kopenhagen am 15. Juli 1868 und wurde dort auch begraben. Nach seinem Tode erschienen seine „Kleinen Schriften“ gesammelt (Stuttgart 1875). Nachdem ihn schon früher Krüger in höchst charakteristischer Weise gezeichnet hatte, schuf Knaus sein in den Besitz der Familie übergegangenes Oelportrait.

    • Literatur

      Nach der biographischen Skizze A. Woltmann's, abgedruckt in Waagen's „Kleinen Schriften“ S. 1—52. — Vgl. Illustrirte Zeitung. Leipzig 1868. Bd. 51. Nr. 1316. S. 195—197. —
      Zeitschrift für bildende Kunst III, 257—261. XVI, 341. —
      Bär 1885. XI, 305. — Bruno Meyer, Studien und Kritiken. Stuttgart 1877. S. 186—205. — Handschriftliche, noch ungedruckte Briefe Waagen's haben sich erhalten in dem Briefwechsel C. A. Böttiger's auf der Kgl. öffentl. Bibliothek zu Dresden und in der nachgelassenen Correspondenz Julius Schnorr't von Carolsfeld im Besitz des Bibliotheksdirectors Dr. Franz Schnorr von Carolsfeld in Dresden.

  • Autor/in

    H. A. Lier.
  • Zitierweise

    Lier, Hermann Arthur, "Waagen, Gustav Friedrich" in: Allgemeine Deutsche Biographie 40 (1896), S. 410-414 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628038.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA