Lebensdaten
1663 – 1727
Geburtsort
Lübeck
Sterbeort
Halle/Saale
Beruf/Funktion
Pädagoge ; lutherischer Theologe ; Pietist ; Gründer des Halleschen Waisenhauses
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118534688 | OGND | VIAF: 66477244
Namensvarianten
  • Francke, August Hermann
  • A. H. F.
  • F., A. H.
  • mehr

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Zitierweise

Francke, August Hermann, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534688.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johannes (1625–1670), seit 1666 Hofrat Hzg. Ernsts d. Frommen in Gotha, S d. Hans (1587–1650) aus Heldra (Thür.), Freibäcker in L., u. d. Elsabe Wessel;
    M Anna (1635–1709), T d. David Gloxin ( 1671), Bgm. in L., u. d. Anna Schabbel;
    Rammelburg 4.6.1694 Anna Magdalena (1670–1731), T d. Otto Heinr. v. Wurm auf Klein-Furra;
    3 S, 1 T, u. a. Gotthilf August s. (2), Johanne Sophie Anastasia (* 1697, Joh. Anastasius Freylinghausen, 1739, s. NDB V).

  • Biographie

    F. studierte als Stipendiat der Lübecker Familienstiftung Schabbelianum mit Unterbrechungen in Erfurt und Kiel, wo ihn Ch. Kortholt, ein führender Vertreter der Reformorthodoxie, fesselte. Wie schon sein Vater wuchs auch der Sohn völlig in der geistigen Luft dieser Reformbestrebungen auf. Nach der Stipendiatenordnung wurde er auf die Gelehrtenlaufbahn festgelegt. Seine glänzende Sprachbegabung wie die Modeströmung lenkten ihn auf die orientalischen Sprachen hin. In Hamburg erwarb er sich bei Esra Edzardi ausgezeichnete hebräische Kenntnisse, die ihm, als die Stipendienauszahlungen infolge finanzieller Schwierigkeiten Lübecks ins Stocken gerieten, eine Fortsetzung des unterbrochenen Studiums in Leipzig 1684 als Sprachlehrer des J. Wichmannhausen ermöglichten. Hier wirkte J. B. Carpzov stark auf ihn, der den jungen Magister zur Übersetzung und Drucklegung der von M. de Molino herausgegebenen mystizistischen „Guida spirituale“ aus dem Italienischen ins Lateinische veranlaßte, was F. später viele Verdächtigungen eintrug. Carpzov regte F. auch an, mit anderen Magistern ein wissenschaftlich-exegetisches Collegium philobiblicum zu gründen. Während eines Studienaufenthaltes bei dem als Exegeten bekannten Lüneburger Superintendenten K. H. Sandhagen erfolgte 1687 die „Bekehrung“ F.s, die ihn von allen religiösen Skrupeln befreite und als eine echte Begnadigungs- und Berufungserfahrung in den barocken seelischen Ablaufformen auf die Bahn einer schöpferischen religiös-pädagogisch-organisatorischen Aktivität führte.

    Nach Leipzig zurückgekehrt, sammelte F. Studenten in erbaulichen Collegia biblica, die eine Studentenerweckung hervorriefen, die auf die Bürgerschaft übergriff. Die Theologische Fakultät unter der Führung Carpzovs griff 1691 ein, als sie den traditionellen rationalistisch-intellektualistischen Studienbetrieb bedroht sah, und alarmierte die kursächsische Regierung, die widerstrebend eine Untersuchung anordnete. Carpzov erweiterte sie zu einem förmlichen Inquisitionsverfahren, in dessen Fortgang J. Feller und Ch. Thomasius, die für F. Partei ergriffen, gemaßregelt wurden. F. wurde aus dem Vorlesungsbetrieb der Theologischen, nicht aber der Philosophischen Fakultät ausgeschlossen. Inzwischen hatte er in Erfurt sein erstes Pfarramt angetreten, konnte sich aber dort infolge der Nachstellungen durch die feindselige und mißtrauische Orthodoxie nicht halten, nachdem er sich offen der philadelphisch gesonnenen, kirchen- und sozialkritischen Erweckungskreise in- und außerhalb der Stadt angenommen hatte. Doch hatte Spener, den F. während der Leipziger Vorgänge kennengelernt hatte, in Berlin bereits vorgesorgt. Die philadelphisch gesonnene Adelsbürokratie in Berlin ermöglichte ihm im Januar 1692 seinen Amtsantritt als Gemeindepfarrer in Glaucha bei Halle und als Professor für griechische und orientalische Sprachen an der im Aufbau begriffenen Universität Halle.

    Die von F. begründete Armenschule in Glaucha entwickelte sich rasch zu einer großen Schulstadt mit den verschiedensten Schulgattungen, in Verbindung mit einem Waisenhaus und studentischen Freitischen, die ihm Weltruhm eintrugen. Inner- und außerhalb Deutschlands bildeten sich unter dem Adel und im neu aufstrebenden Bürgertum Freundeskreise, die ihm die Mittel zu einem großartigen Ausbau reichten, so daß die berühmte Waisenhausapotheke, die Buchhandlung und die Cansteinische Bibelanstalt (1710) auch noch angefügt werden konnten. Seine berühmte Schulpyramide entwickelte sich aus der „Armenschule“ (1695), aus der eine „Deutsche Schule“ für Bürgerkinder hervorging. Für Söhne adliger Familien entstand das „Pädagogium“ als höhere Schule, während für begabte Bürgersöhne die Lateinschule als Parallelgründung ausgebaut wurde. F. und seine Mitarbeiter schauten nach begabten Kindern aus, um sie als künftige Mitarbeiter bei einer geplanten Generalreformation der Welt aus den Kräften eines erweckten Christentums einsetzen zu können. Darum förderten sie selbst ärmste Kinder bis zur Hochschulreife. Damit war das bisherige Bildungsprivileg der höheren Stände prinzipiell durchbrochen, wenn auch F. innerhalb der bisherigen ständischen Ordnung praktisch verharrte und für den Regier- und Wehrstand das Pädagogium reservierte. Von wesentlicher Bedeutung erwies sich der Ausbau des Schulwesens für die weibliche Jugend. Über tausend Mädchen besuchten gleichzeitig seine Schulen. Die Gründung eines ersten Mädchengymnasiums führte noch nicht zur Blüte des Schulwesens für die weibliche Jugend; grundsätzlich aber waren damit dem weiblichen Geschlecht alle Bildungsmöglichkeiten bis zur Hochschulreife eröffnet. Im Aufbau einer geschlossenen Schulpyramide, die von der Elementarschule über die Lateinschule beziehungsweise über das Adelspädagogium zur Hochschule führte, bildete die Universität jedoch nicht die Endstufe. Für besonders Qualifizierte errichtete beziehungsweise plante F. nach abgeschlossenem Hochschulstudium höhere Seminare beziehungsweise Gelehrten-Collegia wie zum Beispiel das Collegium Orientale. Zur vollen Ausbildung kam dieser Plan jedoch nicht.

    In der Lehrerausbildung beschritt F. neue Wege. Seine ersten Lehrer fand er unter den bedürftigen Studenten, die für einen 2stündigen täglichen Unterricht einen Freitischplatz in den Stiftungen empfingen und die sich durch gegenseitiges Hospitieren im Unterricht, durch pädagogische Besprechungen, durch Führung eines Diariums förderten und durch schriftliche Instruktionen des vielbeschäftigten F. gelenkt wurden. Aus diesem lose organisierten „Seminarium Praeceptorum“ entstand ein „Seminarium Selectum Praeceptorum“, in welchem 10 von etwa 100 Seminaristen eine 2jährige sorgfältige Ausbildung genossen. Hier liegen die Anfänge einer geordneten Lehrerbildung. Bald erging von allen Seiten an F. die Aufforderung, die von ihm in der ersten Lehrerbildungsanstalt und an seinen Schulen ausgebildeten Theologiekandidaten als Hauslehrer und zur Einrichtung der verschiedensten Schulen nach der neuen revolutionären Schulmethodik F.s zu vermitteln.

    In seiner Didaktik fußte F. auf den pädagogischen Reformbestrebungen Ernsts des Frommen, wie sie im Gothaer Gymnasium, das er in seiner Jugend selbst besucht hatte, Gestalt gewonnen hatten und in denen sich die Einflüsse eines Ratichius und Comenius auswirkten. In den Halleschen Schulen wurden die deutsche Sprache und die Realien sorgfältig gepflegt. F. richtete die erste Schulsternwarte ein, die erste groß angelegte Lehrmittelsammlung (Naturalienkabinett) und den Werkunterricht. Die Sprachbegeisterung seiner Zeit wirkte sich in der sorgfältigen Pflege der modernen Sprachen aus. In der Unterrichtsmethode galt die „eromatische“, das heißt die Aneignung des Stoffes im lebendigen Frage- und Antwortspiel. Der Erziehungsplan war auf die Entfaltung von Frömmigkeit und Welttüchtigkeit angelegt. Im steten Wechsel zwischen theoretischem und anschaulich - praktischem Unterricht (Werkunterricht) und der sogenannten Rekreation, im gestrafften Tageslauf, in dem die Schüler nie ohne Aufsicht blieben, wurden sie zu einem tätigen Leben erzogen und alle Langeweile aus der Schule vertrieben. Die Fama vom Spielverbot scheint unausrottbar zu sein. Im Wochenplan war dem Spiel (Ballspiel) eine gewisse Möglichkeit eingeräumt. Musik wurde getrieben, wenn auch nicht Opernmusik. Es fehlte durchaus nicht an groß aufgezogenen und kindertümlichen|Schulfesten als den natürlichen Höhepunkten des Schullebens, an denen die Kinder beschenkt wurden. Das hemmungslose Prügeln, das bis in das 19. Jahrhundert hinein das Schulwesen charakterisierte, wurde in den Stiftungen unterbunden. Nur als ultima ratio konnte durch die Lehrerkonferenz die körperliche Züchtigung verhängt werden, was sehr selten vorkam, dann aber von den Eltern oft gefordert wurde. Wenn man nicht dem Fehler verfällt, die Schulmethode F.s nach heutigen Erkenntnissen zu beurteilen, erweist sie sich im damaligen zeitbedingten Zuschnitt bei aller Einseitigkeit als wegweisend. F.s europäische Berühmtheit gründete sich wesentlich auf seine pädagogischen Erfolge in einem Jahrhundert der Bildungsgläubigkeit. Die bei ihm ausgebildeten Lehrer wurden weit über Deutschland hinaus führende Pädagogen, die zum Beispiel beim Ausbau beziehungsweise Aufbau des höheren russischen Bildungswesens wesentlich beteiligt gewesen sind. Nur in diesem gesamteuropäischen Rahmen ist ein zutreffendes Bild von F.s Bedeutung für die Pädagogik zu gewinnen.

    Die Zahl der Schüler und Schülerinnen wie der Studenten innerhalb der Anstalt wuchs (knapp 3000, darunter 40 % Mädchen), aber nach 1720 trat ein Mangel an hervorragend begabten Mitarbeitern ein, so daß sich bereits eine geheime Tragik im Leben des Mannes zeigte, der durch die Berichte über seine Stiftungen Ungezählten den Mut zum Gottvertrauen stärkte.

    Seit 1695 knüpften sich die ersten Verbindungen mit dem petrinischen Rußland auf dem Weg über das Baltikum an. Über Holland und England erweiterten sich die Verbindungen mit Nordamerika und Südafrika, über Skandinavien nach Ostindien, über Schlesien nach Österreich-Ungarn, Siebenbürgen und bis Konstantinopel, über die Schweiz nach Frankreich und Italien. Überall tauchten Schüler F.s als Lehrer und Boten einer neuen ökumenischen und philadelphischen Gesinnung auf, welche die erweckten Gruppen in allen Konfessionskirchen zur Bekundung einer ökumenischen Brüderlichkeit und Arbeitsgemeinschaft zusammenführen sollten. Dabei entstand ein umfassendes Nachrichtennetz mit Spezialberichterstattern, die F. die Gründung einer ersten brandenburg-preußischen Zeitung, der „Hallischen Zeitung“ (1703/08), ermöglichten.

    Viele ausländische Studenten kamen nach Halle und wurden von F. unterstützt. F. proklamierte eine Generalreformation der Welt aus den Kräften eines Erweckungschristentums und entwarf eine Fülle von vorwärtsweisenden Reformplänen, die ihn zu einem Bahnbrecher als Theologen, Pädagogen und Soziologen machten. Bei der Entstehung des preußischen Staatssozialismus hat F. entscheidende Hilfe geleistet. Die enge Verbindung mit der Berliner Regierung half F., den Widerstand der mit den Landständen verbundenen Orthodoxie zu brechen, die sein Werk bedrohten, ohne daß er dabei die bedenkliche Stärkung des staatlichen Summepiskopats überblickte. Mitten in allen Bewegungen seiner Zeit stehend, kämpfte F. gegen die skeptische Grundtendenz der Aufklärung, die ihn in Konflikt mit Ch. Thomasius und vor allem mit Ch. Wolff brachte. Anderseits stand er ihr doch in seinen utopistisch-optimistischen Zügen, die sich besonders in seiner Bildungsbegeisterung zeigten, sehr nahe. Auch asketisch-gesetzliche wie spiritualistische Elemente sind in seiner Frömmigkeit bemerkbar, doch hielt er an der lutherischen Lehrüberzeugung im allgemeinen fest und verwarf allen lehrmäßigen Unionismus. In seinen letzten Lebensjahren ist eine Ernüchterung bei F. zu erkennen.

    Die theologische Wissenschaft verdankt F., der erst 1698 eine theologische Professur erhielt, die erste exegetische Monatsschrift (Observationes biblicae, 1696), die Forderung einer Bibelrevision, die Förderung der orientalischen Sprachstudien durch sein 1702 gegründetes Collegium orientale und vor allem die Durchsetzung biblischer Philologie im theologischen Studienbetrieb. Seine ökumenischen Bemühungen führten zu einer praktischen Arbeitsgemeinschaft mit maßgebenden Kreisen der Kirche von England und der dänischen Staatskirche für die Missionierung Ostindiens. So überwand durch seine und seines Sohnes Bemühungen um die Entstehung eines ersten deutschen lutherischen Kirchenverbandes in Pennsylvanien und durch die Mitsorge für die junge Missionskirche in Indien das Luthertum seine bisherige europäische Begrenzung. Von seinem Wirken als „Seelsorger Deutschlands“ zeugen circa 40 000 erhaltene Briefe und vor allem seine Schriften, die eine für die Zeit einmalige Höhe von einer ½ Million Auflage erreichten.

    Nach der finanziellen Seite verkörperten die F.schen Stiftungen eine neue Wirtschaftsgesinnung. Neben die traditionelle Methode, gemeinnützige Anstalten durch Spenden aufrechtzuerhalten, trat bei F. sofort das Bestreben, durch wirtschaftliche Unternehmungen mit hohen Gewinnquoten die Grundlage der Stiftungen zu sichern und zu erweitern. Dazu trat das konsequente Bemühen, alle erreichbaren staatlichen Privilegien und Vergünstigungen einzubeziehen. F.|erkannte, daß die Spendenfreudigkeit abnehmen mußte, und war darauf bedacht, einen Teil der Spenden mit zur Anlage von Erwerbsunternehmungen einzusetzen. Ohne zuerst feste Pläne zu besitzen, tastete er die Erwerbsmöglichkeiten ab und versuchte sich mit Großhandel und Manufakturen, vor allem mit dem Fernhandel in Pelzen und Luxusgütern zum Beispiel aus Rußland und dem Balkan. Doch konzentrierte sich der Hallenser schließlich auf Buchhandel und Medikamentenhandel. Hier wurde der vertikale Aufbau von der eigenen Kröllwitzer Papiermühle über Druckerei, Verlag und Buchhandel zur Kostensenkung probiert. Andererseits dienten die landwirtschaftlichen Betriebe und der Viehhandel der Stiftungen zur Abrundung der Selbstversorgungsmöglichkeiten.

    Zu Lebzeiten F.s sind über 100 000 Taler verbaut und über 200 000 Taler zugunsten der Schüler und Studenten verausgabt worden. Lebte man bis 1718 ohne finanzielle Reserven, so stieg diese flüssige Kapitalmasse 1724 bis auf 34 000 Taler, fiel aber bis 1727 auf 26 000 Taler zurück. Während die Spenden allmählich auf 12% der Einnahmen sanken, stieg der entsprechende Anteil an Einnahmen aus eigenen Wirtschaftsunternehmungen. Bei aller Rechenhaftigkeit und dem Bestreben nach größtmöglicher Unkostensenkung (Rationalisierung) blieb F. seinem Ziel treu, alles, auch die wirtschaftlichen Unternehmungen, bedingungslos für seine großen Reich-Gottes-Pläne und vorwiegend für den Ausbau der stiftungseigenen Freitische für Schüler und Studenten und für die kostenlose Verteilung von Arzneien für Arme und zur Gewährung von kleinen zinslosen Darlehen an Hilfsbedürftige innerhalb des Mitarbeiter- und Studentenkreises einzusetzen.

  • Werke

    W u. a. Glauchisches Bedenck-Büchlein, Leipzig 1693;
    Timotheus z. Fürbilde e. Studiosi theol. vorgestellt, Halle 1703;
    Öffentl. Zeugnis v. Wort, Werk u. Dienst Gottes, ebd. 1703;
    Segensvolle Fußstapfen d. noch lebenden u. waltenden liebreichen u. getreuen Gottes, zur Beschämung d. Unglaubens entdecket durch e. wahrhaftige u. umständl. Nachr. v. d. Waisenhaus …, ebd. 1709;
    Idea Studiosi Theologiae, 1712, ⁴Halle 1738.

  • Porträts

    Ölgem. (Halle/S., F.sche Stiftungen);
    Denkmal v. Ch. Rauch (ebd.);
    Ölgem. v. A. Pesne, Abb. in: Die Gr. Deutschen im Bild, 1937.

  • Autor/in

    Erich Beyreuther
  • Zitierweise

    Beyreuther, Erich, "Francke, August Hermann" in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 322-325 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534688.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Francke: August Hermann F., der Gründer des Waisenhauses zu Halle und der damit verbundenen ausgedehnten Anstalten, wurde den 22. (den 12. a. St.) März 1663 zu Lübeck geboren, den 8. Juni 1727. Seine Familie stammte väterlicherseits aus dem hessischen Dorfe Heldra, unweit Mühlhausen i. Th. Sein Großvater Hans F., ein Bäcker seines Handwerks, erwarb durch Heirath mit einer Wittwe das Bürgerrecht in Lübeck und gelangte zu gutem Wohlstande. Sein Vater, Johann F., studirte die Rechtswissenschaft und gelangte nach vollendeten Studien und längeren Reisen früh zu solchem Ansehen, daß ihm nicht allein einer der angesehensten Männer Lübecks, der spätere älteste Bürgermeister der Stadt, David Gloxin, eine seiner Töchter zur Ehe gab, sondern auch von verschiedenen Seiten wichtige Aemter und Aufträge übertragen wurden. Hierdurch kam er in Beziehung mit dem Herzog Ernst dem Frommen von Sachsen-Gotha, der ihn 1666 als Hof- und Justizrath in seine Dienste zog. So kehrte August Hermann in der zartesten Jugend in die Heimath seiner Väter zurück. Er hatte indessen kaum das siebente Jahr zurückgelegt, als er seinen Vater verlor. Von seiner frühesten Jugend genoß er, wie er in einem von seiner eigenen Hand geschriebenen Bruchstück seines Lebens (s. Kramer, Beiträge zur Geschichte A. H. Francke's, S. 28 ff.) bezeugt, namentlich von Seiten seines Vaters eine sehr sorgfältige Erziehung, bei welcher seine früh hervortretende „Liebe zum Worte Gottes und insonderheit zum heiligen Predigtamt“ fleißig genährt wurde. Einen besonderen Einfluß übte nach dem Tode des Vaters in dieser Beziehung eine ältere Schwester Anna durch ihren frommen Wandel und ernsten Sinn auf ihn aus. Nachdem er bis zu seinem 13. Jahre durch Privatlehrer unterrichtet|war, trat er in die Selecta des Gymnasiums zu Gotha, wurde aber schon nach einem Jahre als reif für die akademischen Studien entlassen. Indessen hielten ihn die Seinigen noch zwei Jahre in der Heimath zurück, während welcher er sich im Lateinischen und Griechischen zu vervollkommnen strebte und eifrig philosophische Studien trieb, ja auch in theologischen einen Anfang machte. Aber dies geschah, wie er in jenem Bruchstück klagt, „schon nicht mehr in rechter Absicht, zur Ehre Gottes und zum Dienst des Nächsten, sondern vielmehr um eigener Ehre und Nutzens willen.“ Im 16. Jahre bezog er die nahe gelegene Universität Erfurt, wo er unter Leitung eines befreundeten „alten Akademicus“ Namens Hertz, bei dessen Mutter er in Wohnung und Kost trat, seine akademischen Studien begann. Hier blieb er indessen nur ein halbes Jahr und wurde dann, nachdem er ein sehr bedeutendes Familienstipendium, dessen Curator sein Oheim Gloxin war, erhalten, nach Kiel gesandt, um dort hauptsächlich unter Leitung des frommen Professor Kortholt, einer der Hauptzieden der damals noch jungen Universität, in dessen Haus er zugleich eintrat, seine Studien fortzusetzen. Dort blieb er fast volle drei Jahre, und trieb in dieser Zeit mit großem Eifer nicht nur alles mit der Theologie zusammenhängende, sondern auch allgemeinere Wissenschaften, indem er den berühmten Polyhistor Morhof fleißig hörte. Auch das Englische zu lernen und zu üben fand er Gelegenheit. Zugleich fing er an, sich im Predigen ernstlich zu üben. Aber obwol er sich einen ernsten Wandel angelegen sein ließ, blieb sein Christentum trotz mehrfacher tiefer gehender Regungen, ein äußerliches. „Meine Theologie,“ sagt er, „faßte ich in den Kopf und nicht ins Herz, sie war mehr eine todte Wissenschaft, als eine lebendige Erkenntniß.“ Da er im Hebräischen, obwol er es bereits in Erfurt angefangen hatte, in Kiel wenig gefördert worden war, begab er sich von dort nach Hamburg, um den Unterricht des für dieses Fach berühmten Esra Edzardi zu genießen. Dieser nahm sich seiner mit großer Treue und allem Fleiß ohne irgend einen Entgelt an, und versah ihn, da er bereits nach zwei Monaten, die er diesem Studium ausschließlich gewidmet hatte, in die Heimath zurückgerufen wurde, mit der nöthigen Anweisung, in welcher Weise er es fortzusetzen habe, um zu einer gründlichen Kenntniß der Sprache zu gelangen. Er befolgte dieselbe, soweit es mit den ihm zu Gebote stehenden Hülfsmitteln möglich war, und las in den anderthalb Jahren, die er in Gotha blieb, die hebräische Bibel wol sechs Mal durch. Auch sonst studirte er eifrig und lernte, wie in Kiel englisch, so hier französisch. Auch erwarb er sich allgemeine Achtung als ein frommer und fleißiger Student, „in der That aber war ich,“ schreibt er, „nichts als ein bloßer natürlicher Mensch, der viel im Kopfe hatte, aber vom rechtschaffenen Wesen, das in Christo Jesu ist, weit genug entfernt war.“ Zu Ostern 1684 ging er auf den Wunsch eines Studiosus (er hieß Wichmannshausen und wurde später Professor des Hebräischen in Wittenberg) nach Leipzig, um zu diesem zu ziehen und ihn im Hebräischen privatim zu unterweisen. Zugleich benutzte er diese Gelegenheit, um sowol bei den dortigen Professoren der Theologie Collegia zu hören, als auch sich in seinen Sprachkenntnissen zu vervollkommnen. So lernte er das Rabbinische und das Italienische. Im J. 1685 erwarb er den Grad des Magisters und habilitirte sich durch eine Disputation „De grammatica ebraea“. Von da an las er Collegia und erwarb hierdurch, sowie durch anderweitige Lehrthätigkeit hinreichende Mittel, um mehrere Jahre in Leipzig bleiben zu können. Von besonderer Wichtigkeit theils durch den unmittelbar dadurch auf ihn geübten Einfluß, theils besonders durch die daran sich knüpfenden Folgen wurde der im Sommer 1686 von ihm in Gemeinschaft mit dem M. Paul Anton, dem späteren Professor der Theologie in Halle, unter dem Namen Collegium philobiblicum gegründete Verein von Magistern zur regelmäßigen Uebung in der damals in hohem Grade auf den Universitäten vernachlässigten Exegese sowol des Alten als Neuen Testamentes. Spener, der kurz vorher als Oberhofprediger nach Dresden gekommen war, und welchem Anton Kenntniß davon gegeben, freute sich sehr über das Unternehmen und förderte es durch seinen Rath, wonach die praktische Seite der Erklärung mehr betont wurde. Die Sache fand in wachsendem Maße Anerkennung und Anklang und wurde für F. von besonderem Segen. „Denn dieses Collegium hat mich erst recht,“ sagt er, „in das Studium des Textes hineingebracht, daß ich die großen Schätze, welche uns in der heiligen Schrift dargereicht werden, besser erkennen und aus ihr selbst hervorsuchen lernete, da ich zwar vorher auch die Bibel fleißig studirt, aber mehr um die Schale als um den Kern und die Sache bekümmert gewesen.“ Auch in seinem inneren Christenthum wurde er dadurch mehr und mehr gefördert. Entscheidend wurde in dieser Beziehung sein Aufenthalt in Lüneburg, wohin er sich zu Michaelis 1687 auf Veranlassung seines Oheims Gloxin begab, der ihm das obenerwähnte Stipendium nochmals mit der Weisung verlieh, sich dort unter der Leitung des als Exeget berühmten Superintendenten Sandhagen eingehenden exegetischen Studien zu widmen. So wurde er aus dem unruhigen Treiben Leipzigs in die Stille geführt, in welcher die in seiner bisherigen Führung angelegte Entwickelung durch Gottes Gnade zum Abschluß kam. Bald nach seiner Ankunft in Lüneburg hatte er auf eine an ihn gerichtete Aufforderung eine Predigt übernommen und zum Text derselben Ev. Joh. 20, 31: „Dieses ist geschrieben, daß ihr glaubet, Jesus sei Christ, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habet," gewählt. Die Meditation über denselben führte ihn zu der immer tiefer gehenden Prüfung, ob er selbst den lebendigen Glauben, den er fordere, besitze, wodurch ihm alle bis dahin gewonnenen Ueberzeugungen, selbst die Existenz Gottes, unsicher wurden. Zugleich erschien ihm sein ganzes Leben und Alles, was er gethan, geredet und gedacht hatte, als Sünde und ein großer Gräuel vor Gott. Durch diesen Zwiespalt gerieth er in die größte Angst, die ihn bald zu Thränen, bald zum Gebet zu dem Gott trieb, „den er doch nicht kannte." Dieser qualvolle Zustand dauerte längere Zeit und schon gedachte er daran, die Predigt, deren Tag nun herannahte, abzusagen, „weil er im Unglauben und wider sein eigen Herz nicht predigen und die Leute also betrügen könne.“ In dieser großen Angst fiel er eines Sonntags Abends nochmals auf seine Kniee und flehte um Errettung aus diesem elenden Zustande. Da erhörte ihn der Herr, „der lebendige Gott, und versicherte ihn in seinem Herzen mit solcher Kraft seiner Gnade in Christo Jesu, daß er plötzlich von allem Zweifeln befreit und wie mit einem Strom der Freude überschüttet wurde.“ Er war wie aus dem Tode zu einem neuen Leben geboren, weshalb er bis zum Ende seines Lebens Lüneburg seine geistliche Geburtsstadt, wie Lübeck seine leibliche nannte. Wenige Tage darauf hielt er die Predigt mit großer Freudigkeit. Dies ist der wichtigste Moment seines Lebens. „Das ist die Zeit,“ sagt er, „dahin ich eigentlich meine wahre Bekehrung rechnen kann. Denn von der Zeit an hat es mit meinem Christenthum einen Bestand gehabt, und von da an ist es mir leicht geworden zu verläugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt; von da an habe ich mich beständig zu Gott gehalten, Beförderung, Ehre und Ansehen von der Welt, Reichthum und gute Tage und äußerliche, weltliche Ergötzlichkeit für nichts geachtet; und da ich vorhin mir einen Götzen aus der Gelehrsamkeit gemachet, sahe ich nun, daß Glaube wie ein Senfkorn mehr gelte als hundert Säcke voll Gelehrsamkeit, und daß alle zu den Füßen Gamaliels erlernete Wissenschaft als Dreck zu achten sei gegen die überschwengliche Erkenntniß Jesu Christi unseres Herrn.“ Diese Worte schrieb er wenige Jahre nach jener Gebetserhörung|in Lüneburg, sie drücken aber nicht blos die damalige Stimmung seiner Seele, sondern den Grundton seines ganzen Lebens aus, der ihm Richtschnur und Antrieb wurde zu allem, was er fortan that, und aus welchem er die Kraft schöpfte zu allem, was er vollbrachte.

    Gegen Ende des Winters ging er nach Hamburg, um die Unterweisung des gelehrten und mit Spener engbefreundeten Hauptpastors Johann Winkler, zu dem er zog, zu genießen, und trat in engen Verkehr mit dem dort lebenden frommen Candidaten Nicolaus Lange, dem Bruder des späteren Professors Joachim Lange, durch den das in ihm erweckte neue Leben kräftig gefördert wurde. Wichtig war es, wie er später selbst hervorhob, daß er durch Schwierigkeiten, die sich in Bezug auf das ihm verliehene Stipendium erhoben, veranlaßt, einige Kinder sehr jungen Alters ein Vierteljahr unterrichtete und dadurch einen praktischen Einblick in die Jugenderziehung gewann.

    Zu Anfang des J. 1689 begab er sich nach Dresden zu Spener, in dessen Hause er zwei Monate verlebte. Dies ist der Anfang des innigen Verhältnisses dieser beiden Männer, welches für beide, insbesondere für F., sowie für die gesammte evangelische Kirche Deutschlands so überaus folgenreich werden sollte. Von dort kehrte er nach Leipzig zurück, wie Spener an seinen Schwiegersohn Prof. Rechenberg daselbst schreibt, totus pietate ardens. Er trat dort ganz in seine früheren Verhältnisse ein, aber der neue Geist, der ihn erfüllte, gestaltete sie in unglaublicher Schnelligkeit um. Nicht nur auf seine näheren Freunde, sondern auch auf einen stets wachsenden Kreis von Studirenden übte er einen außerordentlichen Einfluß. Seine Vorlesungen wurden sehr zahlreich besucht, und sein feuriger Glaube, der nun nichts Anderes mehr im Auge hatte, als volle und ganze Hingabe an Christum, weckte in vielen ein ähnliches Streben. In den dadurch allmählich hervorgerufenen Bewegungen und Parteiungen wurde der früher schon, namentlich in Bezug auf Anhänger Spener's gebrauchte Spottname „Pietisten“ auf die Freunde der neuen Richtung von ihren Gegnern angewandt, und blieb seitdem die stehende Bezeichnung derselben. Die übertriebensten Gerüchte über die Lehren und das Leben der Anhänger der angeblichen neuen Secte wurden absichtlich verbreitet, obwol es an manchen Uebertreibungen von Seiten dieser, wie es in solchen Bewegungen zu geschehen pflegt, nicht gefehlt haben mag. Dazu kamen manche persönliche Motive, wie Neid wegen der Erfolge der jungen Magister und Haß gegen Spener, den man als den Beschützer derselben ansah, der aber damals bereits in Folge seines Freimuths bei dem Kurfürsten in Ungnade gefallen war. Der Hauptträger der allmählich zu immer größerer Heftigkeit steigenden Feindschaft insbesondere gegen F. war Johann Benedict Carpzov, Pastor zu St. Thomas und Professor der Theologie, ein Mann von bedeutendem Ansehen und leidenschaftlichem Gemüth. Er war die Seele aller demnächst gegen F. ergriffenen Maßregeln, aus denen sich die sogenannten pietistischen Streitigkeiten entwickelten, die eine lange Reihe von Jahren, mit einer Leidenschaft ohne Gleichen geführt, die evangelische Kirche aufs tiefste bewegten. Gegen das Ende des Sommers bereits wurde F. von der theologischen Facultät die Fortsetzung seiner biblischen Vorlesungen untersagt und eine Untersuchung über die vielen wegen der neuen Lehren gegen ihn erhobenen Klagen angestellt und dem Kurfürsten darüber berichtet. In Folge des von F. dagegen nebst seiner eigenen mit großer Ruhe, aber festem Freimuth geschriebenen Apologie eingereichten rechtlichen Gutachtens, welches der damals noch in Leipzig lebende Christian Thomasius mit der ihm eigenen Schärfe verfaßt hatte, sollten ihm auch die philosophischen Vorlesungen, die er statt jener begonnen hatte, verboten werden. Die weitere Entwicklung dieser Verhältnisse wurde jedoch dadurch gehemmt, daß F. zu Anfang des J. 1690 durch die Nachricht von dem erfolgten|Tode seines Oheims Gloxin veranlaßt wurde, wegen des Stipendiums nach Lübeck zu eilen. Dort, wo er sich einige Monate aufhielt, bekam er den Ruf als Diaconus an der Augustinergemeinde in Erfurt, besonders auf Veranlassung des Senior des dortigen geistlichen Ministeriums Prof. Breithaupt, eines Freundes von Spener, den er selbst auch schon früher kennen gelernt hatte. Er folgte demselben und wurde trotz der von dem größten Theile der Geistlichkeit in Folge der von Leipzig ausgegangenen Anregungen gegen ihn erhobenen Opposition ordinirt. Er entwickelte in seinem Amte vom Anfang an die größte Thätigkeit sowol in der Predigt und Unterweisung der Jugend, als auch in der Seelsorge. Auch hielt er Vorlesungen, da ihm ein Theil seiner früheren Zuhörer aus Leipzig gefolgt war, andere, namentlich aus Jena, von ihm angezogen wurden. So gewann er bald einen wachsenden Einfluß theils in der Stadt, theils über die Grenzen derselben hinaus. Aber eben dies weckte die Feindschaft und Eifersucht seiner Gegner, die überdies in einer von Carpzov verfaßten sehr heftigen, gegen die Pietisten und insbesondere gegen F. gerichteten Schrift eine starke Stütze fand, von Neuem auf, und er wurde in Folge der dadurch veranlaßten und mit der schreiendsten Ungerechtigkeit geführten Verhandlungen, auf Verfügung des Kurfürsten von Mainz, unter dessen Regierung damals Erfurt stand, daß er seines Amtes zu entlassen sei, vom Rathe, da er die Aufforderung seine Entlassung nachzusuchen, mit Entschiedenheit ablehnte, abgesetzt und trotz aller flehentlichen Bitten aus seiner Gemeinde und der entschiedenen Protestation Breithaupt's aus der Stadt gewiesen. Er verließ Erfurt am 7. October 1691. Mit welcher Freudigkeit er selbst dies alles trug, beweist sein herrliches Lied „Gott Lob ein Schritt zur Ewigkeit“, welches er damals gedichtet haben soll und welches in die meisten Gesangbücher Eingang gefunden hat. Dieser schmachvolle Vorgang schlug für ihn, wie für die Kirche zum größten Segen aus. Nicht allein wurde er durch die dabei bewiesene ebenso feste, wie maßvolle Haltung in immer weiteren Kreisen bekannt, sondern es wurde dadurch auch die Veranlassung herbeigeführt, daß er die Stellung fand, in der allein die Wirksamkeit, die seinen Namen unsterblich gemacht hat, möglich war. Spener nämlich, der zu Ostern desselben Jahres als Consistorialrath und Propst zu St. Nicolai nach Berlin berufen worden war, und bedeutenden Einfluß auf die Besetzung der geistlichen Stellen im Kurfürstenthum Brandenburg und namentlich auch der theologischen Professuren an der damals neu zu gründenden Universität zu Halle a. d. S. gewonnen hatte, rief ihn nach Berlin, mit der Absicht, ihn dorthin zu senden, wie Breithaupt bereits als Professor der Theologie dahin berufen war. Nach einigem Zögern begab er sich nach Berlin und lebte dort wiederum, da sich die Entscheidung seiner Anstellung verzögerte, mehrere Monate in Spener's Hause. Er selbst enthielt sich jedes Schrittes in seiner Sache, predigte aber öfter und wurde dadurch den angesehensten Männern Berlins persönlich bekannt. Da inzwischen andere Rufe von verschiedenen Seiten an ihn gelangten und man ihn festhalten wollte, wurde ihm endlich die Stelle des Pfarrers in Glaucha an Halle und zugleich die Professur der orientalischen Sprache an der Universität übertragen. Am 7. Januar 1692 traf er in Halle ein. So war er an den Ort gestellt, an welchem er bis an sein Lebensende blieb und eine mit jedem Jahr wachsende segensreiche Thätigkeit entwickelte, für die er durch die eigenthümlichen Lebensführungen, die er erfahren, die inneren und äußeren Kämpfe, die er bestanden hatte, so wie durch seine natürliche große Begabung und seine reiche Gelehrsamkeit in ganz besonderer Weise ausgerüstet war. Er stand in der vollen Kraft des männlichen Alters und brannte vor Begierde, dem Herrn mit allen Kräften des Leibes und der Seele, in welcher Weise es auch sei, zu dienen.

    Die Verhältnisse der Stellung, in die er eintrat, waren dafür besonders|günstig. Zunächst war es wichtig, daß er als Pfarrer unmittelbar von der Regierung, und nicht, wie die Geistlichen der Stadt Halle, von welcher Glaucha damals überhaupt in seiner inneren Verwaltung völlig getrennt war, vom Magistrat abhing. So konnte er im Falle neuer Anfechtungen, die sich unter den damaligen Verhältnissen voraussehen ließen, eines kräftigen Schutzes gewiß sein. Von höchster Wichtigkeit aber war die Verbindung seines Amts mit der Professur an der Universität; durch diese war die Ausführung seiner sich entwickelnden mannichfaltigen Unternehmungen bedingt. Von großer Bedeutung war ferner, daß der Geist, in welchem die neue Universität gegründet wurde, ein freierer war, und namentlich die theologische Facultät wesentlich aus Anhängern Spener's bestand, indem zu Breithaupt und F. bald noch Anton, der Mitbegründer des Collegium philobiblicum kam. Endlich war es günstig, daß er in seiner Gemeinde keinen Amtsgenossen hatte und deshalb in seinem Verfahren keine Hinderung zu fürchten brauchte. Ja sogar der Zustand seiner Gemeinde, die großentheils aus armen Leuten bestand, und unter der Amtsführung seines Vorgängers, der wegen der Anklage des Ehebruchs abgesetzt wurde, in Verwilderung gerathen war, diente ihm gewissermaßen zur Förderung. In diesen Verhältnissen fand er den Anlaß und die Mittel zur Ausführung der großartigen Unternehmungen, die vielen Tausenden und aber Tausenden bis auf den heutigen Tag zum Segen werden sollten. Die Wurzel aber, aus welcher sie hervorgingen, war sein lebendiger, in der Liebe thätiger Glaube.

    Vom ersten Augenblick seines Amtsantrittes entwickelte er eine unermüdliche Thätigkeit, sowol innerhalb seiner Gemeinde, als auch in seiner Stellung als Professor, sowie in dem schriftlichen und persönlichen Verkehr mit einem ausgedehnten Freundeskreise. Dies rief allerdings gar bald auch hier heftige Angriffe von Seiten der orthodoxen Stadtgeistlichkeit gegen ihn und Breithaupt hervor, sodaß bereits vor Ablauf desselben Jahres eine Commission zur Untersuchung derselben ernannt wurde, deren Ausgang aber völlig zu seinen Gunsten ausschlug, sodaß er ungehindert seinen Gang fortsetzen konnte.

    Eine besondere Aufmerksamkeit hatte er hier, wie bereits in Erfurt, der Jugend in seiner Gemeinde gewidmet, und von Anfang seiner Amtsführung an manches versucht, um der großen Unwissenheit, die er bei derselben fand, abzuhelfen. Entscheidend wurde in dieser Beziehung, daß er eines Tages in einer Büchse, die er für milde Gaben in seiner Wohnstube befestigt hatte, 7 Gulden fand. Dies bestimmte ihn, eine Anzahl armer Kinder in einem Raume vor seinem Wohnzimmer von einem Studirenden täglich gegen ein bescheidenes Honorar unterrichten zu lassen. So begann die erste von F. gegründete Schule, die Armenschule. Es geschah um Ostern 1695. Die Mittel, sie fortzuführen, boten milde Gaben, die ihm bei der Treue und Hingebung, welche er bewies, bald in wachsendem Maße zuflossen. Denn er selbst besaß nichts und seine Aemter brachten ihm wenig oder nichts ein. Die Zahl der Kinder, auch solcher, für die man bereit war, Bezahlung zu leisten, wuchs schnell, so daß er schon in demselben Sommer zwei Klassen, die in einem Nachbarhause Raum fanden, einrichten mußte. Sie wurden die Grundlage zweier Schulen; neben der Armenschule entstand die Bürgerschule. In demselben Sommer um Pfingsten entstand eine dritte Anstalt dadurch, daß F. drei Knaben wohlhabender Eltern unter seiner Aufsicht durch Studirende unterrichten ließ. Hieraus erwuchs das Pädagogium. Etwas später wurde er durch die Erfahrung, daß bei manchen der armen Kinder die Frucht des Unterrichts durch Mangel an rechter Erziehung zerstört wurde, veranlaßt, erst einen, bald mehrere Kinder aufzunehmen, die in mehreren Häusern untergebracht und unter die Aufsicht eines Studirenden Namens Neubauer, eines der treuesten Mitarbeiter Francke's, gestellt wurden. Ihre Zahl wuchs|rasch und es entwickelte sich daraus die Waisenanstalt. Doch waren die zuerst aufgenommenen nicht lauter Verwaiste. Zu diesen, in dem genannten Jahre entstandenen Anstalten kam im J. 1697 noch eine besondere, von dem Pädagogium getrennte Schule für weniger bemittelte Knaben, welche sich den höheren Studien widmen sollten, die den Namen lateinische Schule erhielt, und 1698 eine Erziehungsanstalt für Mädchen wohlhabender Stände, der er den Namen Gynaeceum gab, die jedoch später einging. Die übrigen bestehen bis auf den heutigen Tag. Diese Anstalten wuchsen mit außerordentlicher Schnelligkeit. Um Raum für dieselben zu schaffen, wurden nicht allein allmählich mehrere Häuser gekauft, sondern 1698 bereits der Bau des großartigen Gebäudes begonnen, welches die Front der Francke’schen Stiftungen bildet, und an welches sich nach und nach der Complex von Gebäuden anschloß, der die Gesammtheit dieser Stiftungen ausmacht, und mehr den Eindruck einer kleinen Stadt, als einer Erziehungsanstalt macht. Mit wenigen Ausnahmen waren bei dem etwa 30 Jahr nachher erfolgten Tode Francke's sämmtliche Gebäude, wenn auch nicht alle so solid wie jetzt, erbaut. Die Zahl der Kinder, welche zu der bezeichneten Zeit darin unterrichtet und theilweise erzogen wurden, betrug in der Waisenanstalt 100 Knaben, 34 Mädchen, in den deutschen Schulen (unter diesem Namen wurde die Armenschule und die Bürgerschule zusammengefaßt) 1725, in der lateinischen Schule 400, im Pädagogium 82, zusammen über 2200 Kinder, die von 167 Lehrern und 8 Lehrerinnen unterrichtet wurden. In engster Verbindung mit diesen Anstalten stand eine Buchhandlung und eine Apotheke, welche beide im J. 1698 aus geringen Anfängen sich entwickelten. In gleich enger Beziehung zu ihnen standen andere Einrichtungen von der höchsten Wichtigkeit. Dazu gehörte namentlich der bereits im J. 1696 für arme Studirende eingerichtete Freitisch. Auch diese Einrichtung entwickelte sich außerordentlich rasch und wurde, da vornehmlich die Studirenden, die in den Schulen unterrichteten, den Freitisch als einen Theil ihres Honorars genossen, die Grundlage des aus ihnen gebildeten Seminarium praeceptorum. Die Aufsicht desselben war einem besonderen Inspector aufgetragen, der auch sonst mancherlei Einfluß auf die Theilnehmer an demselben durch Unterricht und sonstige Unterweisung übte. Im Laufe der Jahre kam zu diesem sogenannten ordinären Freitisch, noch ein extraordinärer, und ein Freitisch für Schüler theils zu Mittag, theils zu Abend. In dem Todesjahr Francke's wurden außer den Waisenkindern gespeiset 155 Studirende am ordinären, 100 an dem extraordinären, 148 Schüler zu Mittag, 212 zu Abend. Im J. 1707 wurde neben jenem Seminarium noch ein Seminarium praeceptorum selectum vornehmlich für Lehrer des Pädagogiums eingerichtet, welches auf 12 Glieder beschränkt war und eine festere Form hatte.

    Die Gründung und Leitung so ausgedehnter Anstalten war F. natürlich neben der Verwaltung seines Pfarramts und der Professur ( 1698 war er Professor der Theologie geworden und übte seitdem den bedeutendsten Einfluß auf die Studirenden aus) nur durch die Hülfe Anderer möglich. Aber das war ein besonderer Segen, der von ihm ausging, daß er in Vielen denselben Sinn des Glaubens, der werkthätigen Liebe und der uneigennützigen Hingebung, der ihn erfüllte, in höherem oder minderem Maße erweckte. Vor allen Anderen sind außer dem bereits erwähnten Neubauer, der in der Verwaltung auf die mannichfaltigste Weise thätig war, zu nennen Johann Anastasius Freylinghausen, der ihm bereits 1695 als Adjunct im Pfarramt zur Seite trat und auch sonst überall mitwirkte, Julius Elers, der Gründer der Buchhandlung, Justinus Töllner, der langjährige Inspector verschiedener Schulen, und Hieronymus Freyer, der spätere hochverdiente Inspector des königlichen Pädagogiums.

    Die Mittel, alle diese Unternehmungen auszuführen und zu erhalten, flossen ihm einzig und allein durch freiwillige Gaben, oft in wunderbarer Weise, von den verschiedensten Seiten zu, wie er es in den verschiedenen darüber bekannt gemachten Berichten, die man nicht ohne Rührung lesen kann, erzählt. Dazu kamen allmählich die Erträge der sogenannten erwerbenden Institute, der Buchhandlung, der Apotheke und der damit in Verbindung stehenden sogenannten Medicamentenexpedition, d. h. des Vertriebes der dem Waisenhause eigenthümlichen Arcana, die einen großen Ruf erlangten. Der Grund aber, der alles trug, war sein starker, unerschütterlicher Glaube und das Bewußtsein, daß, was er thue, das Werk Gottes sei, wie er es oft aussprach, und die Stütze, die ihn auch in den größten Bedrängnissen, an denen es nicht fehlte, aufrecht erhielt, war das daraus hervorgehende zuversichtliche Gebet.

    Von großer Wichtigkeit für die ganze Entwicklung des Werkes war die ihm von Seiten der Regierung zugewandte Förderung nicht sowol durch Gewährung äußerer Mittel, als durch die in manchen Privilegien sich aussprechende Anerkennung und den bei dem gegen Ende des Jahrhunderts erfolgten Ausbruch eines erneuten Streites mit der Hallischen Geistlichkeit, der viel bedenklicher war, als der frühere, gewährten Schutz. Die daran geknüpften eingehenden Verhandlungen, sowie die von den ihm feindlichen Landständen geforderte und durch eine Commission geführte Untersuchung der verschiedenen von F. ins Leben gerufenen Anstalten schlugen wie früher durchaus zu seinen Gunsten aus. Eine Folge hievon war die Erneuerung und Erweiterung der denselben bereits früher ertheilten Privilegien in einer zusammenfassenden königlichen Cabinetsordre vom J. 1702, welche die Grundlage der eigenthümlichen Verfassung der Francke’schen Stiftungen geworden und trotz aller Modificationen bis jetzt geblieben ist. Seitdem hörten derartige Anfechtungen auf und die Stellung Francke's gewann von Jahr zu Jahr an Festigkeit und Einfluß, besonders da der König Friedrich Wilhelm I., der bald nach seinem Regierungsantritt 1713 die Stiftungen Francke's besucht, und ihn persönlich kennen und im höchsten Maß schätzen gelernt hatte, ihm das vollste Vertrauen schenkte und in allen die Kirche und die Schulen betreffenden Angelegenheiten auf seinen Rath vornehmlich hörte. Die Angriffe, welche von Seiten der orthodoxen Partei in vielfachen Schriften nichts desto weniger gegen die Hallische Theologie und insbesondere gegen das Waisenhaus, welches der zusammenhaltende äußere Mittelpunkt derselben, gleichsam die feste Burg des Pietismus war, gerichtet wurden, schadeten nichts, ja dienten vielmehr nur dazu, seinen Einfluß zu steigern. In welchem Maße dies mehr und mehr geschah, zeigte sich zunächst darin, daß er 1715 zum Pfarrer von St. Ulrich gewählt wurde, wodurch er selbst in die früher ihm so feindliche Hallische Stadtgeistlichkeit eintrat; in noch viel höherem Maße aber in der Aufnahme auf einer Reise, die er 1717 nach der Verwaltung des Prorectorats in das südliche Deutschland unternahm, und die mehr einem Eroberungs- und Triumphzuge als der Reise eines Professors der Theologie glich; endlich darin, daß er bei einem Besuche in Leipzig, jener Burg der Orthodoxie, von der einst die Angriffe gegen ihn und die von ihm vertretene Richtung ausgegangen waren, im Sommer 1719, nicht allein die ehrenvollste Aufnahme allerseits fand, sondern auch von dem Decan der theologischen Facultät ersucht wurde, eine Gastpredigt in der Pauliner Kirche zu halten. Er war unbezweifelt der angesehenste und einflußreichste Theologe der evangelischen Kirche Deutschlands damaliger Zeit geworden.

    Hiezu hatten außer den erwähnten mehrere wichtige Unternehmungen beigetragen, die zwar nicht von F. ausgingen, aber sich an seine Persönlichkeit knüpften und von ihm die wesentlichste Unterstützung und Förderung empfingen.|Die erste war die im J. 1705 begonnene Heidenmission in Ostindien, die, obwol von dem Könige Friedrich IV. von Dänemark, welchem damals Tranquebar gehörte, angeregt, doch ihren lebendigen Mittelpunkt im Waisenhause hatte. Hier wurden die Missionäre gebildet und hier flossen die hauptsächlichsten Beiträge zu ihrer Unterhaltung zusammen. Von hier aus wurde vornehmlich die Correspondenz mit den Missionaren geführt, hier wurden ihre Berichte herausgegeben. Und dieser Zusammenhang hat sich, nachdem Dänemark längst zurückgetreten ist, wenn auch nicht mehr in alter Lebensfülle, bis auf den heutigen Tag erhalten. Die zweite ist die im J. 1710 von dem Baron v. Canstein, dem innigen und in der thatkräftigen Förderung seiner Zwecke unermüdlichen Freunde und Verehrer Francke's, ins Leben gerufene Bibelanstalt, die vom Anfang an in die engste Verbindung mit den Francke'schen Stiftungen trat und in derselben bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Es ist nicht zu ermessen, welcher Segen von beiden Unternehmungen ausgegangen ist.

    Die mit einer so ausgedehnten und verschiedenartigen Wirksamkeit verbundenen Arbeiten, denen F. sich mit der größten Gewissenhaftigkeit und unermüdlichen Thätigkeit unterzog, mußten allmählich einen aufreibenden Einfluß ausüben. Vornehmlich vom J. 1725 an, wo er von der schmerzhaften Krankheit des Harnzwangs befallen wurde, die sieben Vierteljahre dauerte, begannen seine Kräfte stark zu sinken. Dann traf ihn ein Schlagfluß, der die linke Hand lähmte, wonach jene Krankheit sich verlor; auch die Folgen des Schlagflusses minderten sich und sein Zustand besserte sich so, daß er mit dem Frühjahr 1727 an den Wiederbeginn seiner Vorlesungen denken konnte. Er begann damit in der That am 15. Mai, aber bereits nach der ersten kehrte seine frühere Krankheit wieder und führte endlich unter stets wachsenden Schmerzen, die er mit größter Ergebung trug, sein Ende am 8. Juni herbei. Er verschied unter vielfachem Zuspruch und Trost seiner Freunde sanft und selig.

    Verheirathet war er seit 1694 mit Anna Magdalena v. Wurm, einer tiefgegründeten Christin von energischem Charakter, wie aus ihren zahlreichen vorhandenen Briefen hervorgeht. Sie schenkte ihm außer einem frühverstorbenen noch einen Sohn Gotthilf August und eine Tochter Johanne Sophie Anastasia, und starb 1734.

    Das sind in Kurzem die Hauptmomente der Entwicklung des äußeren Lebens Francke's. Welches ist nun aber der Inhalt, die Frucht desselben? Wer möchte im Stande sein, diese zu ermessen und auch nur annähernd auszusprechen. Wir müssen uns mit einigen Andeutungen begnügen. Das aber dürfen wir sagen, daß es wenige Männer gegeben hat, die auf dem Gebiete der Kirche und Schule, der Jugenderziehung überhaupt, einen gleich tiefgehenden und nachhaltigen Einfluß ausgeübt haben als F.

    Was zuerst die Frucht seiner pfarramtlichen Thätigkeit betrifft, so entzieht sich diese am meisten einer nur einigermaßen entsprechenden Schätzung, doch ist es f daß dieselbe bei der Unermüdlichkeit Francke's in der Seelsorge, in der Predigt und Katechisation (namentlich in der Zeit, wo er in Glaucha dies Amt verwaltete, fand das eine oder andere täglich statt) und bei seiner großen Begabung, tiefen Herzenswärme eine bedeutende sein mußte. Wie ergreifend und wirksam seine Predigten in ihrer auf das innerste Wesen des Christenthums dringenden Einfachheit zu ihrer Zeit waren, geht aus der großen Verbreitung der überaus zahlreichen durch den Druck veröffentlichten und den vorliegenden Zeugnissen über den tiefen Eindruck der auf seiner Reise in das südlichen Deutschland gehaltenen, von den sonst bekannten Wirkungen derselben abgesehen, hervor.

    Greifbarer sind die Früchte seiner Wirksamkeit als Professor. Der Charakter derselben war selbstverständlich bestimmt durch das, was ihn seit seiner Bekehrung ganz erfüllte. Die Gedanken, die einst Spener in den „Pia desideria“ zu so lebhaftem Ausdruck gebracht hatte und die ein Sauerteig wurden, der die in Aeußerlichkeit versunkene evangelische Kirche Deutschlands durchdringend, sie zu einem neuen Leben führte, bildeten die Grundlage des Strebens aller Mitglieder der theologischen Facultät zu Halle. Keiner aber brachte sie mit größerer Energie und größerem Erfolge zur Geltung als F. Vor Allem betonte er einerseits die gründliche und lebendige Einführung in die Heilige Schrift, woran es damals auf den Universitäten in hohem Grade fehlte, andererseits die praktische Anleitung der Studirenden zu rechter Führung des Predigtamts, wobei nicht weniger an einem gottseligen Leben, als an ihrem Fleiß und ihrem Studiren gelegen sei. Gute Ausleger der Heiligen Schrift und fromme, ihrem Amt ganz hingegebene Geistliche zu bilden, war seine Hauptaufgabe. Diese bestimmte die Wahl und den Charakter sowol seiner Vorlesungen, als auch der darauf bezüglichen von ihm verfaßten Schriften. Ganz besonderen Werth legte er in dieser Beziehung auf die Lectiones paraeneticae, die er vom Antritt seiner akademischen Wirksamkeit bis zu ihrem Ende allwöchentlich hielt. Sie fanden Donnerstags von 10—11 Uhr statt und es wurde in dieser Zeit keine andere theologische Vorlesung gehalten, damit wo möglich alle Theologie Studirenden daran theilnehmen könnten. Er behandelte darin, anknüpfend an die Erklärung einer biblischen Schrift, die mannichfaltigsten Fragen in Bezug auf ihr geistliches Leben. Es bildete sich darin je länger je mehr ein wahrhaft väterliches Verhältniß zu ihnen. Von höchster Bedeutung in dieser Beziehung war das Verhältniß des Waisenhauses und der damit verbundenen Anstalten und Einrichtungen zur Universität. Bei weitem der größte Theil der Theologie Studirenden trat in enge Verbindung mit denselben, sei es, daß sie als Lehrer darin wirkten oder an den mannichfaltigen Beneficien theilnahmen, welche sie durch freien Tisch oder durch Wohnung (die seit 1715 in ausgedehntem Maße gewährt werden konnte) genossen. Damit traten sie in den Kreis fester Gliederung und Ordnung, der in diesem großartigen Organismus herrschte, und dessen lebendiger Mittelpunkt F. und der in ihm lebende Geist war. Was er als Ziel für die Studirenden, und wie er es erstrebte, hat er in dem 1712 zuerst und seitdem mehrfach erschienenen trefflichen Büchlein „Idea studiosi theologiae“ eindringlich und lehrreich dargelegt. Und daß seine Arbeiten, dieses Ziel zu erreichen, nicht vergeblich waren, bewiesen die vielen Tausende von Geistlichen, die aus seiner Schule hervorgingen und namentlich in Preußen in seinem Geiste wirkten.

    Eine ganz besondere Einrichtung zur Erreichung dieses Zweckes war die im J. 1702 bereits erfolgte Gründung des Collegium orientale, d. h. einer Vereinigung von 12 auserwählten Studirenden, die mit Gewährung besonderer Beneficien sich unter Leitung eines eigenen Inspectors dem eingehendsten und gründlichsten Studium der Heiligen Schrift, insbesondere des Alten Testaments widmen sollten. Aus ihren Arbeiten und unter ihrer Mitwirkung ging endlich die 1720 erschienene kritisch wichtige Ausgabe des Alten Testaments von Johann Heinrich Michaelis hervor. Wenn dies ein hinlänglicher Beweis ist, daß F. weit entfernt war, ein Feind ernster Wissenschaft zu sein, so war er in seinen Ansichten über das Wesen derselben allerdings wesentlich durch das, was den Schwerpunkt seines innersten Lebens bildete, d. h. den lebendigen Glauben als einzige Bedingung zur Seligkeit, bestimmt, und er hielt seiner energischen Natur gemäß es für Pflicht, Richtungen, welche die Entwicklungen eines solchen Glaubens in der akademischen Jugend gefährdeten oder zu gefährden drohten, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. So trug er vornehmlich zur Entfernung des Philosophen Wolf von der Universität Halle im J. 1723 bei, wenn er auch an der Gewaltsamkeit derselben weder Antheil, noch auch, wie man ihm verläumderischer Weise Schuld gegeben hat, Freude hatte.

    Von höchster Bedeutung endlich war die Frucht, welche Francke's Thätigkeit auf dem Gebiete der Jugenderziehung brachte, eine Frucht, die vielen Tausenden bis auf den heutigen Tag zu gute gekommen ist, und unter Gottes Segen im Laufe der nachfolgenden Zeiten noch vielen Tausenden zu gute kommen wird. Worin diese Anstalten und Einrichtungen äußerlich bestanden, ist oben angegeben. Ihre Organisation eingehend darzustellen, ist hier nicht der Ort, noch der Raum. Hervorzuheben ist jedoch, daß F. bei derselben sich in vollster Freiheit bewegte und durch keine Behörde oder Autorität beengt, seine eigensten Gedanken zur Ausführung brachte. So trugen sie denn in allen ihren Theilen sein Gepräge. Der Sinn des lebendigen, in der Liebe thätigen Glaubens, der ihn erfüllte, war das Alles zusammenhaltende Element. Auf diesem ruhte die durch genaue In structionen festgeordnete Gliederung der bestimmt geschiedenen, obwol vielfach in einander greifenden Kreise, an deren Spitze die erprobten, ihm ganz gleichgesinnten Gehülfen standen. Der lebendige Mittelpunkt des Ganzen aber war F. selbst, der Mann des Glaubens, der Liebe, der Weisheit, der Zucht. Was die Einrichtung der dem Unterricht und der Erziehung bestimmten Anstalten betrifft, so bestand das Eigenthümliche derselben zunächst darin, daß die dabei unmittelbar Thätigen, wie mehrfach bereits angedeutet ist, nur aus Studirenden bestanden. Um die damit nothwendig verbundenen Schwierigkeiten und Bedenken möglichst zu mindern, hatte eine jede Anstalt einen Inspector, der selbst keinen Unterricht ertheilte, sondern durch unausgesetzte Aufsicht dafür Sorge zu tragen hatte, daß der Unterricht den Instructionen gemäß ertheilt wurde und die Lehrer die nöthige Anweisung dazu erhielten. So wurden diese Anstalten zugleich wahrhafte Seminarien, aus denen unzählige Lehrer hervorgingen, welche die hier erhaltene, mehr oder weniger vollkommene Ausbildung in ihren späteren, sehr verschiedenartigen Wirkungskreisen zur Geltung brachten. Eine andere Eigenthümlichkeit dieser Anstalten in Bezug auf den Unterricht in den höheren Schulen bestand darin, daß das sogenannte Fachsystem, nicht das Classensystem, in denselben herrschte, wonach ein jeder Schüler in jedem Fache derjenigen Classe zugetheilt wurde, in welche er dem Stande seiner Kenntnisse nach gehörte. Im Uebrigen waren die verschiedenen Categorien der Schulen nach den Lebenskreisen, für welche sie zu wirken berufen waren, in ihren Zielen genau bestimmt. Wie frei er sich in dieser Beziehung bewegte, beweist am besten der Lehrplan des Pädagogiums, welches für Kinder höherer Stände bestimmt war, indem darin nicht allein wie in der lateinischen Schule gründlicher Unterricht in den damals allgemein geforderten gelehrten Kenntnissen, sondern auch vieles zu der sogenannten allgemeinen Bildung Gehörige, namentlich Realien, gelehrt wurde. Der Mittelpunkt aber, oder, wie er selber sagt, „der vornehmste Endzweck in allen diesen Schulen war, daß die Kinder vor allen Dingen zu einer lebendigen Erkenntniß Gottes und Christi und zu einem rechtschaffenen Christenthum möchten wol angeführet werden.“ Um das aber zu erreichen, wurde in allen Anstalten, und nicht blos in den verschiedenen eigentlichen Erziehungsanstalten, wie dem Pädagogium, der sogenannten Pensionsanstalt und der Waisenanstalt, Unterricht und Erziehung aufs engste verbunden. Für die letztere wurde das größte Gewicht auf eine möglichst unausgesetzte Aufsicht gelegt, und die Kinder deshalb lange und möglichst ununterbrochen in der Schule gehalten. Wenn sich hierin, wie in der Häufung der Religionsstunden und der Andachtsübungen, wie nicht zu leugnen, ein gewisses Uebermaß zeigt, wobei jedoch keineswegs der Charakter der heutigen, leider nur zu sehr zerfahrenen Zeit zum Maßstabe genommen werden darf, so ist F.|auch in Bezug auf das der Jugend zu Gestattende von einer übertriebenen Aengstlichkeit nicht freizusprechen, welche aus dem bei ihm alles überwiegenden ernsten Drängen auf Heiligung und seiner daraus fließenden, wesentlich negativen Stellung zur Welt hervorging, wie sie sich vornehmlich in seiner strengen Auffassung der sogenannten Mitteldinge (Tanzen u. dgl.) zeigte. Es ist dabei aber wichtig festzuhalten, daß dies nicht etwa blos theoretische Ansichten, sondern sein ganzes Leben durchdringende Ueberzeugungen waren, die ihren Grund in der energischen Reaction gegen das herrschende veräußerlichte Kirchenthum hatten. Daraus erklärt sich die Ueberschreitung des Maßes einerseits und ihre wirksame Kraft andererseits. Fassen wir aber die aus allen diesen Einrichtungen für die Jugenderziehung im Allgemeinen hervorgegangene Frucht kurz zusammen, so besteht sie darin, daß F. bei allen von ihm ins Leben gerufenen Schulen mit der entschiedensten Energie die Aufgabe zur Geltung brachte, nicht blos Kenntnisse zu vermitteln, sondern christliche Bildung zu pflanzen, gebildete Christen zu erziehen. Alle Belehrung hatte eine erziehende Tendenz und zwar die höchste, die Erbauung des Reiches Gottes in den Herzen der Kinder. Dieses tief in dem Wesen des Christenthums begründete Princip, welches alle jene Schulen zu einem lebendigen Organismus verband, war nie zuvor mit gleicher Kraft zum Bewußtsein gebracht. Es ist nicht nöthig, besonders darauf hinzuweisen, einen wie tiefgreifenden Einfluß dies auf die Umgestaltung sowol des Unterrichts als auch der Zucht allmählich in weiteren Kreisen ausüben mußte.

    Von höchster Bedeutung war es ferner, daß alle diese Anstalten nicht durch irgend welche äußere Anordnung oder Macht ins Leben gerufen und getragen wurden, sondern einzig und allein auf dem innersten Herzensdrange den Brüdern zu dienen und Seelen für das Reich Gottes zu gewinnen beruhten, der wie F. selbst, so seine Mitarbeiter mehr oder weniger lebendig erfüllte. Sie waren das erste großartige Beispiel freier dienender Liebe insbesondere auf dem Gebiete der Jugenderziehung, das uns in der evangelischen Kirche entgegentritt. Und dieses Beispiel weckte zahlreiche Nachfolge. Durch Francke's Vorbild veranlaßt, entstanden ähnliche Anstalten, sowol Waisenhäuser als Schulen, wie in Königsberg i. Pr., Züllichau, Langendorf, Stettin u. a.; andere wurden auf seine Anregung und unter seiner Mitwirkung gestiftet, wie die großen Waisenhäuser zu Berlin und Potsdam. Viele bereits bestehende Schulen und Anstalten schlossen sich in ihren Einrichtungen dem Beispiele Francke's, sowie dem von ihm angeregten Geiste an. In unverkennbarem Zusammenhange damit steht das gesammte Erziehungs- und Schulwesen der Brüdergemeinde, deren Stifter, der Graf Zinzendorf, selbst ein Zögling des königlichen Pädagogiums gewesen war. Einen besonders tiefgehenden Einfluß übte F. und die von ihm ausgegangene Anregung auf die Entwicklung des Schulwesens und der Schulgesetzgebung Preußens sowol unmittelbar während der Regierung Friedrich Wilhelms I., als mittelbar unter Friedrich II. aus, unter welchem Johann Julius Hecker, der noch unter F. und Breithaupt gebildet und Lehrer am königlichen Pädagogium gewesen war, nach seiner Berufung nach Berlin nicht allein in ähnlicher Weise, wie F., Schulen, die noch heute in hoher Blüthe stehen, ins Leben rief, sondern auch auf Befehl des Königs 1763 das Generallandschulreglement ausarbeitete, welches ganz den Geist Francke's athmet, und die Grundlage des preußischen Volksschulwesens geworden ist.

    Rechnet man zu allem diesen noch den unberechenbaren Einfluß, den F. durch unmittelbaren persönlichen und schriftlichen Verkehr auf Unzählige, Hohe und Niedrige, Alte und Junge, selbst bis auf zarte Kinder herab, durch die Lauterkeit, den Ernst und die Freundlichkeit seines Wesens zugleich ausübte, so wie den Antrieb, der, seitdem ein dem seinigen verwandter Geist in der evangelischen Kirche wieder erwacht ist, von seinem Vorbilde fort und fort ausgeht zu ähnlicher Wirksamkeit, so wird man sagen müssen, daß das Gebet, das er oft gethan: „Herr, gib mir Kinder wie den Thau aus der Morgenröthe, wie die Sterne am Himmel“, sich im vollsten Maße erfüllt habe, und auch das andere, in welches er kurz vor seinem Ende in tiefer Inbrunst sich ergossen, daß der Segen, welchen der Herr ihm geschenkt, fortgehe durch alle Zeiten bis ans Ende der Welt, sich erfüllen werde.

    Die überaus zahlreichen Schriften Francke's sind bei weitem überwiegend praktisch-ascetischen Inhalts. Die größte Zahl derselben besteht in Predigten, die theils einzeln, theils in Sammlungen erschienen sind. Von allgemeinerem Interesse und für seine Wirksamkeit wichtig ist das Sammelwerk: "Oeffentliches Zeugniß vom Werk, Wort und Dienst Gottes“, 1702, 3 Bde., 4., in welchem sämmtliche bis dahin erschienenen Schriften Francke's, ausgenommen die polemischen, enthalten sind, und die "Segensvollen Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes etc.“, welche, von 1702—9 in einer Reihe von Fortsetzungen und zuletzt in dem letztgenannten Jahre vereinigt, Rechenschaft von der Entwicklung der Stiftungen geben. Mehr wissenschaftlich gehalten sind die „Idea studiosi theologiae“, 1712 (auch lateinisch 1723); „Monita pastoralia", 1717; „Methodus studii theologici“, 1723; „Lectiones paraeneticae“, 7 Bde., 1726—36, etc.

    • Literatur

      Guerike, A. H. Francke, eine Denkschrift zur Säcularfeier seines Todes, 1827. Kramer, Beiträge zur Geschichte A. H. Francke's, 1861. Die Stiftungen A. H. Francke's, Festschrift zur zweiten Säcularfeier seines Geburtstages, 1863. Kramer, Neue Beiträge zur Geschichte A. H. Francke's, 1875. Ders., A. H. Francke's Pädagogische Schriften nebst der Darstellung seines Lebens und seiner Stiftungen, 1876. Zahlreiche populäre Darstellungen seines Lebens in Einzelschriften und Sammelwerken.

  • Autor/in

    Kramer.
  • Zitierweise

    Kramer, "Francke, August Hermann" in: Allgemeine Deutsche Biographie 7 (1878), S. 219-231 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118534688.html#adbcontent

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