Lebensdaten
1864 – 1944
Geburtsort
Keblas (Keblaste, Estland)
Sterbeort
Capri
Beruf/Funktion
Biologe ; Philosoph
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118763407 | OGND | VIAF: 49319199
Namensvarianten
  • Uexküll, Jakob Johann Baron von
  • Uexküll-Gyllenband, Jakob von
  • Uexküll, Jakob von
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Zitierweise

Uexküll, Jakob von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118763407.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Alexander (1829–91), Großgrundbes., 1862–64 Landrichter, 1878–83 Stadtoberhaupt v. Reval (Tallinn), 1890/91 estländ. Landrat, 1876 korr. Mitgl. d. Gel. Estn. Ges. in Dorpat (s. Dt.balt. Biogr. Lex.), S d. Jakob (1795–1853), Kr.adelsmarschall v. Oranienbaum, u. d. Karoline Freiin v. Rosen (1799–1878);
    M Sophie (1832–87), T d. Alexander Baron v. Hahn (1803–89), auf Wahnen (Kurland), u. d. Elisabeth v. Korff (1811–89);
    Ur-Gvv Berend Johann (VII.) Frhr. v. U. (1762–1827), Rr.schaftshptm., Zivilgouverneur v. Estland, Majoratsbes. v. Alt- u. Stein-Fickel, wo er e. Park anlegen ließ, Agrarreformer (s. Dt.balt. Biogr. Lex.);
    Gr-Ov Berend (Boris) Johann Friedrich (1793–1870), Rittmeister, Majoratsbes. v. Fickel, wo er d. Park weiter ausbaute, Agrarreformer (s. Dt.balt. Biogr. Lex.; Lex. Lit. Baltikum);
    3 B (1 früh †) Konrad (1858–1933), Alexander (1860–1931), Landwirt, 1 Schw Mathilde (1867–1908, Arthur Frhr. v. Stackelberg, 1850–1908, Landrat);
    Schwerinsburg 1903 Gudrun (1878–1964), Schriftst., Zeichnerin, Aquarellistin, übersetzte Axel Munthes Erinnerungen „The story of San Michele“ 1930 ins Deutsche, T d. Karl Gf. v. Schwerin (1844–1901), preuß. Landrat, u. d. Luise Freiin v. Nordeck zur Rabenau (1849–1906);
    2 S Thure (s. 3), Gösta (eigtl. Gustav Adolf) (1909–93), Publ., Schriftst., Redakteur b. d. Ztgg. „Die Welt“ u. „Die Zeit“ engagiert in der Friedens- u. in d. Anti-Atomtod-Bewegung (s. BHdE I), 1 T Sophie Luise Damayanti (Dana) (1904–88), Diätassistentin;
    E Jakob (* 1944), Ökonom, Philos., Journ., Übers., Philatelist, Philanthrop, Schriftst., Mitgründer d. Right Livelihood Foundation, London, 1980 Gründer u. Vors. d. „Right Livelihood Award Foundation“ u. Stifter d. „Alternativen Nobelpreises“ (Right Livelihood Award), Initiator d. „World Future Council“, 1984 Mitbegründer d. alternativen Weltwirtsch.gipfels, 1993 Gründer d. Estonian Renaissance Award, 1987–89 MdEP, Salzburger Landespreis f. Zukunfsforsch. (1999), estn. Mariana-Orden (2001); Gr. Binding-Preis f. Natur- u. Umweltschutz (2006), Erich Fromm-Preis (2008), Gr. BVK (2009) (s. Munzinger).

  • Biographie

    Kindheit und Jugend verbrachte U. auf den Familiengütern Keblas und Heimar sowie im familieneigenen Stadtpalais in Reval. 1875–77 besuchte er das Gymnasium in Coburg, danach die „Ehstländische Ritter- und Domschule“ zu Reval bis zum Abitur 1883. Seit 1884 studierte er Geschichte, Mineralogie und Zoologie an der Univ. Dorpat; 1885/86 ging er mit Maximilian Braun (1850–1930), Professor für Zoologie, auf eine Forschungsreise nach Lesina (Hvar, Kroatien). Zunächst stand U. den Theorien Charles Darwins (1809–82) positiv gegenüber, jedoch änderte sich dies unter dem Einfluß populärdarwinistischer Lehrer und angesichts der Instrumentalisierung des Darwinismus durch russ. Panslawisten. Mit einem Abschluß als Kandidat der Zoologie 1890 lebte U. 1891–1903 abwechselnd in Heidelberg, Neapel und auf seinen Gütern in Estland. Er erhielt mehrere Stipendien zu Forschungen an der dt. zoologischen Station in Neapel und arbeitete zeitweise an der Univ. Heidelberg zu muskel- und nervenphysiologischen Fragestellungen; er wurde jedoch weder fest angestellt, noch beendete er sein Studium mit dem Doktorat. In Italien schloß er u. a. Bekanntschaft mit Rainer Maria Rilke (1875–1926), dem Physiologen Otto Cohnheim (1873–1953) und dem Zoologen Anton Dohrn (1840–1909). 1899 veröffentlichte U. mit seinen Kollegen und Freunden Albrecht Bethe (1872–1954) und Theodor Beer (1866–1919) „Vorschläge zu einer objektivierenden Nomenklatur in der Physiologie des Nervensystems“, die jedoch weitgehend abgelehnt wurden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wandte sich U. endgültig dem durch Hans Driesch (1867–1942) begründeten Neovitalismus zu. Dabei handelte es sich um eine biologisch-philosophische antidarwinistische Lehre, die die Existenz eines überkausalen Naturfaktors beinhaltete.

    Nach der Heirat ließ sich U. dauerhaft in Heidelberg nieder und verfaßte hier neben zahlreichen populärbiologischen Artikeln zur Verbreitung neovitalistischer Gedanken 1909 sein wichtiges Werk „Umwelt und Innenwelt der Tiere“. In der zweiten Auflage (1921) perfektionierte er seine biologische Daseinslehre („Umweltlehre“), der zufolge jedes Lebewesen in seiner eigenen subjektiven Welt mit eigenem Zeitverhältnis agiert. Zur Visualisierung schuf U. den „Funktionskreis“, mit dem er das Verhalten von Organismen in ihrer jeweiligen Umwelt erklären konnte. Damit stellte er die Tierpsychologie auf eine neue Grundlage und avancierte zum Präzeptor der Verhaltensforschung. Durch Krieg, Inflation und Enteignung büßte U. sein Vermögen vollständig ein. 1918 nahm er die dt. Staatsbürgerschaft an. 1920 publizierte U. sein zweites wegweisendes Werk „Theoretische Biologie“ ( ²1928, ³1973). Dadurch gab er dem bislang nur vage umrissenen Gebiet der theoretischen Biologie eine Grundlage und regte zu weiteren Forschungen der verschiedenen biologischen Schulen an.

    Philosophisch orientierte sich U. stark an Immanuel Kant (1724–1804), den Naturforschern Johannes Müller (1801–58) und Karl Ernst v. Baer (1792–1876). In seinem Werk verschwimmen stellenweise die Grenzen zwischen Neovitalismus und Sozialdarwinismus, so daß U. zeitweise als rassistischer Biophilosoph charakterisiert werden kann. Das herausragende Beispiel hierfür ist das Buch „Staatsbiologie“ (1920, ²1933).

    1925 erhielt U. die Leitung des auf ihn zugeschnittenen Instituts für Umweltforschung an der Univ. Hamburg, das bis 1958 bestand. Durch seine Bücher und die praktische Arbeit im institutseigenen Aquarium beeinflußte er nachhaltig die Arbeitsweise der zeitgenössischen experimentellen Zoologie, ebenso durch seine Schüler, z. B. den Greifvogelforscher Heinz Brüll (1907–78), den Physiologen Hans W. Lissmann (1909–95) sowie den Zoologen und Nachfolger U.s Friedrich Brock (1898–1958). Er baute ein Netzwerk an kooperierenden Instituten und Forschern im In- und Ausland auf, wie z. B. zum Hamburger Psychologen William Stern (1871–1938), dem Kieler Zoologen Wolfgang v. Buddenbrock-Hettersdorf (1884–1964), dem Schweizer Biologen Adolf Portmann (1897–1982), dem niederl. Anthropologen Frederik Jacobus Johannes Buytendijk (1887–1974) und dem in Leiden arbeitenden Biotheoretiker Adolf Meyer-Abich (1893–1971). U.s wirkmächtigste Gegner waren die Zoologen Friedrich Alverdes (1889–1952) und Hermann Weber (1899–1956), alle Vertreter der Gestaltpsychologie sowie später der Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903–89). Diese verwarfen nicht nur|das neovitalistische Fundament der Umweltlehre, sondern auch deren statischen Charakter.

    Im Laufe der 1930er Jahre wurde die Umweltlehre aufgrund ihrer fehlenden Dynamik und Inkompatibilität zur NS-Rassenbiologie in Deutschland verstärkt kritisiert, ob pwohl U. zeitweise Versuche der Anbiederung an die staatlichen Vorgaben unternahm. Im Ausland geriet U.s. Lebenswerk durch die „Evolutionäre Synthese“ und die Widerlegung der neovitalistisch-kreationischen Fundamente ins Abseits. 1940 wurde er emeritiert und zog mit seiner Ehefrau nach Capri.

    U. gilt nach seiner Wiederentdeckung im ausgehenden 20. Jh. als einer der Wegbereiter der modernen Verhaltensforschung, Blindenhundausbildung („Uexküll-Sarris-Methode“), theoretischen Biologie und Biokybernetik. Er beeinflußte nachhaltig eine Vielzahl von Gelehrten aus Psychologie, Philosophie, Biologie, Zoologie und Medizin. In der historischen Rückschau wird jedoch meist seine antidarwinistische Grundeinstellung nicht berücksichtigt, obwohl diese das Fundament für seine experimentellen Studien darstellte.

  • Auszeichnungen

    A Mitgl. d. Naturforscherver. Estland (1885);
    Dr. med. h. c. (Heidelberg 1907);
    korr. Mitgl. d. Ges. d. Aerzte in Wien (1921);
    Ehrenmitgl. d. Estländ. Lit. Ges. (1925);
    Mitgl. d. Leopoldina (1932);
    Dr. phil. h. c. (Kiel 1934, Utrecht 1936);
    Goethe-Medaille (1944 postum, nicht verliehen).

  • Werke

    Weitere W Leitfaden in d. Studium d. experimentellen Biol. d. Wassertiere, 1905;
    Die Lebenslehre, 1930;
    Streifzüge durch d. Umwelten v. Menschen u. Tieren, 1934, ²1956, ³1983 (mit W. Kriszat);
    Niegeschaute Welten, 1936, ²1939, ³1949, ⁴1963;
    Bedeutungslehre, 1940;
    Der Sinn d. Lebens, 1943, ²1977;
    Umwelt u. Innenwelt d. Tiere, hg. v. F. Mildenberger u. B. Hermann, 2014 (Nachdr. d. 2. Aufl., W);
    – Nachlaß: J. v. U. Archiv f. Umweltforsch. u. Biosemiotik, Hamburg; U.-Center Tartu.

  • Literatur

    L C. Helbach, Die Umweltlehre J. v. U.s, Diss. Aachen 1989;
    A. Pobojewskaja, Die Subjektlehre J. v. U.s, in: Sudhoffs Archiv 77, 1993, S. 54–71;
    K. Kull, J. v. U., an Introduction, in: Semiotica 134, 2001, S. 1–60 (W);
    B. Hassenstein, in: Darwin & Co., Eine Gesch. d. Biol. in Portraits, Bd. 2, hg. v. I. Jahn u. M. Schmitt, 2001, S. 344–64 (P);
    F. Mildenberger, Umwelt als Vision, Leben u. Werk v. J. v. U., 2007 (W, P);
    B. Herrmann, Umweltgesch., 2013; BBKL 29 (W).

  • Porträts

    P zahlr. Photogrr., Abb. in: G. Uexküll, J. v. U., Seine Welt u. seine Umwelt, 1964; Photogrr., um 1885 u. um 1934, Abb. in: Mildenberger (s. L), S. 6 u. 28; Photogr., 1930, Abb. in: Hassenstein (s. L), S. 345

  • Autor/in

    Florian Mildenberger
  • Zitierweise

    Mildenberger, Florian, "Uexküll, Jakob von" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 523-525 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118763407.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA