Lebensdaten
1811 – 1889
Geburtsort
Königsberg (Preußen)
Sterbeort
Dresden
Beruf/Funktion
Schriftstellerin ; Dichterin ; Frauenrechtlerin
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118572393 | OGND | VIAF: 59217212
Namensvarianten
  • Stahr, Fanny (verheiratete)
  • Lewald-Stahr, Fanny
  • Markus, Fanny (eigentlich)
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Lewald, Fanny, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118572393.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V David Markus, seit 1812 Lewald (1787–1846), Weinhändler u. Stadtrat in K. (s. Altpr. Biogr. III), S d. Lewin Markus (Wehle);
    M Zipora Assur (1790–1841) aus K.;
    Ov August (s. 1);
    Om David Assur (Assing, 1787–1842), Arzt in Hamburg (s. Altpr. Biogr. III);
    Schw Elisabeth ( Louis Gurlitt, 1897, Maler, s. NDB VII);
    Vt Heinrich Simon (1805–60), Politiker (s. ADB 34); Cousine Ludmilla Assing ( 1880), Schriftstellerin (s. NDB I);
    - 1854 Adolf Stahr (1805–76), Gymnasialprof., Literatur- u. Kunsthist. (s. ADB 35); kinderlos;
    N Theodor (s. 3).

  • Biographie

    L. war das älteste von neun Kindern. Prägenden Einfluß auf ihre Kindheit und Jugend hatte weniger die jüd. Tradition des Elternhauses, als vielmehr die spezifisch preuß. Haltung des Vaters, der als unbeugsamer pater familias das häusliche und schulische Leben seiner Kinder bis ins kleinste Detail regelte. Obgleich die lernbegierige L. von ihrem Vater gefördert wurde, geriet sie schon bald in ein Dilemma, das sie mit den meisten Mädchen der sogenannten besseren Kreise teilte. Sie mußte bereits mit 13 Jahren die höhere Töchterschule verlassen und hatte – in Erwartung des zukünftigen Ehemanns – sich vorwiegend mit Handarbeit und Klavierspiel zu beschäftigen. Mit 17 Jahren trat sie ohne wirkliche Überzeugung zum Christentum über, um einen jungen Theologen zu heiraten, der aber noch vor der Eheschließung starb. Eine Unterbrechung ihrer Wartezeit brachte unter anderem der Winter 1832/33, als ihr Vater mit ihr zu Breslauer Verwandten fuhr, in der Absicht, eine passende Partie für sie zu finden. In dem liberalen Haus ihres Onkels Friedrich Jakob Lewald hörte L. erstmals in ihrem Leben freimütig über Politik, Literatur und soziale Fragen reden, lernte die Schriften des Jungen Deutschland, besonders die Heines, Börnes und Gutzkows kennen und schätzen. Sie verliebte sich in ihren geistreichen und politisch engagierten Vetter Heinrich Simon, der für seine Cousine allerdings nur freundschaftliche Gefühle hegte. Entscheidend für ihren späteren Lebensweg war diese Begegnung insofern, als sie L. darin bestärkte, sich nicht auf eine der üblichen Konvenienzehen einzulassen. Dies hatte zur Folge, daß sie bis zu ihrem 32. Lebensjahr ein Dasein in völliger Familienabhängigkeit führen mußte und – während ihre Brüder akademische Karrieren anstrebten – täglich fünf Stunden mit Handarbeiten zubrachte.

    L.s Konsequenz daraus war, die Verbesserung der Mädchenbildung sowie das Recht der Frau auf eine eigene Berufsausbildung in den Mittelpunkt ihres publizistischen Interesses zu stellen. Der Anstoß zu ihrer Schriftstellerei war von ihrem Onkel August Lewald ausgegangen. Als Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift „Europa“ hatte er ohne das Wissen seiner Nichte die an ihn gerichteten Reisebeschreibungen veröffentlicht und Fanny 1841 anläßlich der Königsberger Huldigungsfeiern für Friedrich Wilhelm IV. um eine Auftragsarbeit gebeten. Der Vater konnte ihr nun die Erlaubnis, sich mit der Feder ihr eigenes Brot zu verdienen, nicht länger verweigern. L. zog nach Berlin, wo sie schon bald den Roman „Clementine“ (1842) vorlegen und mit dem Roman „Jenny“ (1843) einen literarischen Durchbruch erringen konnte. – L. gehörte zusammen mit Ida Gfn. Hahn-Hahn, ihrer Antipodin, und Luise Mühlbach zu den ersten Schriftstellerinnen, die ihre Tätigkeit professionell betrieben und gut davon leben konnten. Ihre Romane hatten eine für damalige Zeiten erstaunliche Auflagenhöhe von 4000 Exemplaren und wurden mit 10 Friedrichsdor pro Bogen honoriert. Sie gehörte in kurzer Zeit zu den gefragtesten Autoren. Nähere Bekanntschaft schloß sie mit Theodor Mundt, Luise Mühlbach, Franz Dingelstedt, Karl Gutzkow. Von entscheidender Bedeutung wurde für sie die 1845 unternommene Italienreise, auf der sie neben Bernhard v. Lepel und Therese v. Bacheracht auch den|Literar- und Kunsthistoriker Adolf Stahr kennenlernte, der – er war verheiratet und Vater von fünf Kindern – 1854 schließlich ihr Ehemann werden konnte. Die zwei Jahrzehnte dieser Ehe bildeten die glücklichste Phase und Hauptschaffensperiode in L.s Leben. In Berlin unterhielt sie einen literarischen Salon, an dem neben Gutzkow, Varnhagen von Ense, Henriette Herz und Berthold Auerbach auch der junge Fontane teilhatte. Mit Stahr unternahm sie zahlreiche Reisen und ließ sich zuletzt mit Rücksicht auf seine Gesundheit in Wiesbaden nieder. Nach seinem Tod 1876 kehrte sie nach Berlin zurück. Die schriftstellerisch bedeutendsten Werke schrieb L. in ihrer ersten Zeit, der Zeit des Vormärz. Ihre bevorzugten Themen sind hier eine bessere weibliche Bildung, die Emanzipation der Juden, die Demokratisierung der Kunst und des politischen Lebens, die Überwindung der Standesunterschiede und der Kampf gegen die Konvenienzehe. Nach 1848 versiegte ihr emanzipatorischer Elan; nicht mehr Heine war ihr Vorbild, sondern Goethe, keine Tendenzliteratur mehr ihr Anliegen, sondern „wahre Dichtung“. Orientiert an Goethes „Dichtung und Wahrheit“, legte sie 1861 ihre eigene „Lebensgeschichte“ vor. Sie ist eines der aufschlußreichsten Dokumente über das Los der bürgerlichen Mädchen und Frauen zur Zeit der Restauration. Obgleich L. in ihrer letzten Zeit keine „Parteischriften“ mehr schreiben wollte, sondern „Kunstwerke“, hat sie sich weiterhin entschieden für die erzieherische und berufliche Gleichstellung der Frau eingesetzt. Davon zeugen ihre „Osterbriefe für die Frauen“ (1863) und ihre wohl schärfste emanzipatorische Tendenzschrift „Für und wider die Frauen“ (1870).

  • Werke

    Weitere W u. a. Romane: Eine Lebensfrage, 1845;
    Diogena, Roman v. Iduna Gräfin H … H …, 1847 (anonym, Persiflage auf Ida Hahn-Hahn);
    Prinz Louis Ferdinand, 1849;
    Wandlungen, 1853;
    Adele, 1855;
    Neue Romane, 5 Bde., 1859-64;
    Von Geschlecht zu Geschlecht, 1866;
    Benedikt, 1874;
    Benvenuto, 1875;
    Die Fam. Darner, 1887. -
    Erzz.: Der Dritte Stand, 1845;
    Ein armes Mädchen, 1846;
    Dt. Lb., 1856;
    Ges. Novellen, 2 Bde., 1862;
    Erzz., 3 Bde., 1866-68;
    Treue Liebe, 1883. -
    Reiseschrr.: Ital. Bilderbuch, 1845;
    England u. Schottland, 1852. - Autobiogr. Schrr.:
    Erinnerungen aus d. J. 1848, 1850;
    Meine Lebensgesch., 6 Bde., 1861-63 (gekürzter Neudr., hrsg. u. eingel v. G. Brinker-Gabler, 1980, P);
    Zwölf Bilder nach d. Leben, 1888;
    Röm. Tagebuch, hrsg. v. H. Spiero, 1927 - Briefe: Vom S und zum Posilipp! Briefe aus d. J. 1879–81, 1883;
    Ghzg. Carl Alexander u. F. L.-S. in ihren Briefen 1848–89, Eingel. u. hrsg. v. R. Göhler, 2 Bde., 1932 (P). - W-Verz.:
    G. v. Wilpert u. A. Gühring, Erstausgg. dt. Dichtung, 1967.

  • Literatur

    ADB 35, S. 403-11, u. 52, S. 769-71;
    C. Barthel, in: ders., Die dt. Nat.lit. d. Neuzeit, ²1853;
    Julian Schmidt, in: ders., Gesch. d. dt. Lit. im 19. Jh., ³1856;
    G. Bäumer, in: Die Frau, Mschr. f. d. ges. Frauenleben unserer Zeit, 18, 1910/11, S. 487-91;
    G. Schlüpmann, F. L.s Stellung z. soz. Frage, Diss. Münster 1920;
    M. Weber, F. L., Diss. Zürich 1921;
    R. Segebarth, F. L. u. ihre Auffassung v. d. Liebe u. Ehe, Diss. München 1922 (ungedr.);
    M. Steinhauer, F. L., die dt. George Sand, Diss. Berlin 1937;
    R. Möhrmann, Die andere Frau, Emanzipationsansätze dt. Schriftstellerinnen im Vorfeld d. 48er Rev., 1977;
    dies., Frauenemanzipation im dt. Vormärz, Texte u. Dokumente, 1978;
    J. Krueger, F. L.s Bekenntnis z. „Weltanschauung der Realität“, in: Fontane-Bll., 1979 (= Bd. 4), H. 5, S. 392-99;
    ders., Zu d. Beziehungen zw. Th. Fontane u. F. L., ebd. 4, 1980, S. 615-28;
    Brümmer;
    Enc. Jud. X, 1934;
    Enc. Jud. XI, 1971;
    Kosch, Lit.-Lex.;
    E. Friedrichs, Die dt.-sprach. Schriftstellerinnen d. 18. u. 19. Jh., 1981.

  • Porträts

    Gem. v. E. Baumann-Jerichau 1846, Abb. in: G. Brinker-Gabler, F. L., Meine Lebensgesch., 1980, s. W;
    Phot. 1875, Abb. in: Ghzg. Carl Alexander u. F. L.-S. in ihren Briefen 1848–89, Bd. 2, 1922.

  • Autor/in

    Renate Möhrmann
  • Zitierweise

    Möhrmann, Renate, "Lewald, Fanny" in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 409-410 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118572393.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Stahr: Fanny Lewald-St. ist in Königsberg am 24. März 1811 geboren; sie entstammt einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie, deren Beziehungen bis in die Zeit Friedrich's des Großen hinaufreichen. In ihrer „Lebensgeschichte“ (6 Bde., Berlin bei Otto Janke, 1861—62) hat sie ein Bild ihres Lebens- und Entwicklungsganges gegeben, dem wir das Wesentliche über ihre charakteristische Persönlichkeit entnehmen.

    In den beiden ersten Bänden „Im Vaterhause“ schildert F. L. das Elternpaar und den Familienkreis, dem sie entstammt, in herzgewinnender Weise: Vater und Mutter, von inniger Liebe für einander erfüllt, mit Pflichttreue dem verantwortlichen Berufe der Erziehung ihrer Kinder lebend. Namentlich ist es der Vater, der es mit großen Anstrengungen nur zu einem mäßigen Wohlstand bringt, dessen energische, consequente und doch liebevolle Erziehungsweise F. L. nicht genug rühmen kann. Sie war die älteste und wol die Lieblingstochter des Vaters, der sie schon recht früh mit dem Bewußtsein erfüllte, durch ihr Beispiel einen erziehlichen Einfluß auf ihre Geschwister ausüben zu müssen. Die Pflicht der Selbsterziehung und das aus ihr gewonnene Recht, Andere „zu bessern und zu belehren“ ist ihr denn auch während ihrer langen und fruchtbaren schriftstellerischen Thätigkeit geblieben. Der echt patriarchalische Geist, der in dem Leben der damaligen jüdischen Familien der herrschende war, gab auch den festen Boden für F. Lewald's Gemüths- und Charakterbildung. Durch die bis zur Stunde noch nicht besiegten Vorurtheile der Bevölkerung war selbst für die gebildeten und geachteten jüdischen Familien eine sociale Abgeschlossenheit, ein unsichtbares aber fühlbares Ghetto vorhanden, das den einen Vorzug in sich barg, die zerstreuenden Elemente einer Geselligkeit fern zu halten, die unbestreitbar einen großen Theil geistiger und oft auch sittlicher Kräfte der weiblichen Jugend der besser situirten Gesellschaftsclassen aufzehrt. Die Abgeschlossenheit nach außen bewirkte bei empfänglichen Gemüthern eine Vertiefung des Innern und befähigte zur Aufnahme derjenigen Culturelemente, in denen der deutsche Volksgeist in seiner besten Kraft und Schönheit sich geoffenbart. Nirgends wol fanden unsere deutschen Dichter und Denker eine, von größerer Begeisterung erfüllte Liebe und Verehrung als in den, durch die Sprache der Psalmisten und Propheten vorbereiteten Gemüthern jüdischer Männer und Frauen. „Ein armes Leben und ein reiches Herz“ — dieses Wort kennzeichnet den Familiengeist, in dem F. L. (eigentlich Fanny Markus) aufwuchs.

    Fanny erhielt den für die weibliche Jugend gebräuchlichen Unterricht in einer höheren Mädchenschule, die aber damals keiner staatlichen Controlle unterlag, was unter Umständen einen Vorzug in sich schließen kann. Die Anstalt war eine eigenartige und hielt auch vor dem gereifteren Urtheil von F. L. Stand. Sie wurde von Knaben und Mädchen besucht, und es ist nicht ohne Interesse, zu erfahren, daß Fanny in Bezug auf ihre Fortschritte nur von einem Knaben, dem späteren Präsidenten des ersten deutschen Parlaments im J. 1849 und Präsidenten des deutschen Reichsgerichts, Eduard Simson, übertroffen wurde. — Nach vollendeter Schulzeit begann für Fanny ein Leben häuslicher Sorgen und Pflichten, die um so drückender für sie waren, da ihr inneres Leben sein Recht verlangte. Aus diesem Widerstreit wurde sie auf kurze Zeit durch ein Liebesverhältniß zu einem jungen christlichen Theologen befreit: sie träumte sich in die Stellung einer Pastorsfrau hinein und erhielt den vorbereitenden Unterricht für den Uebertritt in die christliche Religion. Das Liebesverhältniß löste sich — F. L. macht keinen Hehl daraus, daß von da ab auch eine Ernüchterung für den Religionsunterricht sich bei ihr einstellte — namentlich was den dogmatischen Theil desselben betraf, und daß sie die Taufe geschehen ließ, nicht ohne einen innern Kampf zwischen ihrer wirklichen Ueberzeugung und dem von ihr geforderten Bekenntnisse.

    Ein späteres Verhältniß, das sie zunächst als ein verwandtschaftliches mit ihrem Vetter Heinrich Simon aus Breslau (s. A. D. B. XXXIV, 371) verband und als freundschaftliches während ihres ganzen Lebens festgehalten wurde, hatte ihr, deren warmes Liebesgefühl von H. Simon nicht erwidert worden, „Leidensjahre“ gebracht, deren Darlegung den Inhalt der beiden nächsten Bände der Lebensgeschichte bildet.

    In Rücksicht darauf, daß F. L. in einem ihrer Romane. „Diogena“, die Geißel der Satyre gegen diejenige Frau schwingt, der das Glück zu Theil geworden, von H. Simon geliebt zu werden, habe ich die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt.

    Die bekannte Schriftstellerin, die man wol eine Dichterin nennen kann, Gräfin Iduna Hahn-Hahn, war die von H. Simon geliebte Frau. Ihre Romane bieten allerdings den schroffsten Gegensatz zu denen von F. L. Ob die sittliche Entrüstung, „die Empörung und der Zorn über das Gift, das in den Hahn-Hahn’schen Schriften vorhanden,“ die Feder F. Lewald's geführt, ob ein Gefühl von Neid und Eifersucht der sittlichen Entrüstung als Zusatz diente — wer mag es entscheiden? Die Gräfin mit ihrer feudal romantisch-phantastischen Richtung, „die immense Seele“, die, ewig unverstanden, keinen ernsten Lebensinhalt kennt, hat in F. Lewald's bürgerlichem Standesbewußtsein, in ihrer von Vernunft und Pflichtgefühl bestimmten Lebensauffassung einen Widerpart, der auch ohne persönliche Motive sich geltend machen konnte. Jedenfalls ist „Diogena“ das einzige Buch von F. L., in dem sie ein nicht unbedeutendes Talent für Satyre zeigt.

    Wir haben hier der „Lebensgeschichte“ vorgegriffen, denn die Leidensjahre waren vorüber, als F. L. schriftstellerisch thätig war. Diese Zeit bezeichnet sie in den letzten zwei Bänden ihrer Lebensgeschichte als „Befreiung und Wanderleben“. Die äußere Veranlassung zu ihrer schriftstellerischen Thätigkeit war folgende: August Lewald, ihr Vetter, war Redacteur der „Europa“ und verlangte von ihr einen Bericht über die Huldigungsfeierlichkeiten, die für den König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., in Königsberg im J. 1841 stattfanden. Der Bericht gefiel ihm und er ermuthigte F. L., die schriftstellerische Laufbahn zu betreten. Es klingt befremdlich, daß F. L., nachdem sie von ihrem Vater die Erlaubniß erhalten, sich entschließt, Schriftstellerin zu werden und zwar auf dem Gebiete freier Gestaltung: sie folgt nicht einem, mit elementarer Kraft sich bahnbrechenden Impulse — „sie commandirt die Poesie“. Dennoch ist ihr Gestaltungsvermögen nicht gering zu veranschlagen und wenn sie häufig für ihre Ideen die Figuren erfindet und die Tendenz ihr wichtiger ist, als die|Träger derselben, so hat sie doch in sich selber die Gedanken durch Erfahrungen gewonnen und mit warmer Empfindung durchlebt.

    Reisen, die sie mit ihrem Vater schon früher gemacht, ein längerer Aufenthalt in Berlin gaben ihr Gelegenheit, ihr Beobachtungsvermögen nicht nur auf sich selbst und die Vorgänge im Innern, sondern auch auf die Außenwelt zu richten. Sie war mit Börne, von dessen Einfluß auf die deutsche Jugend man sich heutzutage keine Vorstellung machen kann, in Baden-Baden zusammengetroffen und gleiche Abstammung, gleiche Gesinnung — hervorgegangen aus dem zwiefachen Druck der allgemeinen deutschen und der specifisch jüdischen Verhältnisse — machten dieses Begegniß für F. L. zu einem Ereigniß. Sie sagt von ihm (2. Band, Lebensgeschichte): „Seine Auffassung hatte etwas typisch Nationales, das uns Alle mächtig ergriff, seine Ideen hatten etwas Erweckendes, das die erzeugte Erregung nicht mehr zum Einschlafen kommen ließ. Jede einzelne der Börne’schen Skizzen war ein zündender Funke, in jeder seiner Schriften fühlte man, mit welcher Kraft der feste Verstand das heiße Herz zu bemeistern strebte und wie das heiße Herz den Verstand zu seinen Schlüssen vorwärts trieb. Auch die kleinste seiner Schriften war ein Aufruf zur Befreiung von irgend welchem Vorurtheil, ein Aufruf zur Freiheit überhaupt und wie die Gedanken darin stark und muthig waren, so war auch der Stil freier, die Sprache, in welcher er redete, flüssiger und energischer geworden, als man es seit den Zeiten Lessing's erlebt hatte.“ Diese Auffassung von Börne zeigt den verwandtschaftlichen Zug, den F. L. auch nicht verleugnet, als sie den Eindruck schildert, den die Schriften der Rahel Varnhagen auf sie gemacht. „Das war Fleisch von meinem Fleische“, sagt sie beim Lesen derselben. Einen Hauch jenes Geistes, der von Rahel, Henriette Herz, Dorothea Veit später Schlegel, der Tochter Moses Mendelssohn's und gleichstrebenden Frauen und Männern ausgegangen, glaubt sie noch zu spüren, als sie in Berlin in den Kreis der „Ueberlebenden“ tritt. „Diese (nunmehr hinfälligen) Frauen waren es gewesen, deren Geist und Bildung die Schranken des Kastengeistes durchbrochen, die in eigner Machtvollkommenheit in Berlin die Gewalt der Vorurtheile besiegt; diese Greisinnen und ihre Gesinnungsgenossinnen waren es gewesen, welche, sich aus dem Pariathume ihres Volkes erhebend, die Bildung als den höchsten gültigen Adel zu vertreten und so eine Befreiung und eine Cultur der Geister in ihrer Vaterstadt herbeizuführen gewußt, welche ihre Nachkommen nicht zu behaupten vermocht.“

    Wir wenden uns nun der schriftstellerischen Thätigkeit F. Lewald's zu. Im J. 1842 erschien ihr erster Roman: „Clementine". „Das innerlich selbst Erlebte" führt die Feder der Verfasserin, und sie sagt in dem fünften Bande ihrer „Lebensgeschichte": „Mir klopfte das Herz vor Entzücken, wenn ich niederschrieb, was ich über die Liebe, über die Ehe dachte. Es war mir wie das Niederlegen eines Glaubensbekenntnisses." „Ich hasse die Ehe nicht“, lasse ich die Heldin meines Buches „Clementine“ sagen, „ich hasse die Ehe nicht, im Gegentheil! ich halte sie so hoch, daß ich sie und mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne daß mein Gefühl Theil daran hätte. O, ich habe mir das oft himmlisch schön gedacht: Alles, was mich berührt, theilt und fühlt mein bester Freund mit mir. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann. Die Ehen, die ich aber täglich vor meinen Augen schließen sehe, sind schlimmer als Prostitution. Erschrick nicht vor dem Worte. Ist es denn nicht gleich, ob ein leichtfertiges, sittlich verwahrlostes Mädchen sich für eitlen Putz dem Manne hingibt oder ob Eltern ihr Kind für so und soviel Tausende opfern? Ich gestehe dir, ich würde das Weib, das augenblickliche Leidenschaft hinreißt, groß finden gegen diejenige,|die, das Bild eines geliebten Mannes im Herzen, sich dem Ungeliebten ergibt für den Preis seines Ranges und Namens.“

    Diesem ersten Roman, der „Freiheit des Herzens“ für die Frau verlangt, folgt bald ein zweiter: „Jenny“ (1843); hier ist die Befreiung von dem Drucke, der auf den Bekennern der jüdischen Religion lastet und die Gleichberechtigung der Confessionen das bewegende Motiv, die Tendenz, für deren Darlegung die Personen und deren Geschichte kaum zu erfinden, sondern aus der Umgebung und den Verhältnissen der Verfasserin zu entnehmen waren. Führte doch damals ein jüdischer Arzt aus Königsberg jahrelange Kämpfe gegen Regierungsverordnungen wegen der Legalität seiner Ehe mit einer Christin.

    „Eine Lebensfrage" (2 Bde., 1845) tritt in der Tendenz wieder einen Schritt zurück, zu der des ersten Romans; „die Ehescheidung" ist die Frage, die zum Austrag gebracht wird. „In dem Roman „Eine Lebensfrage“ wünschte ich zu beweisen, daß die große Anzahl von Ehen, welche ohne innere Nothwendigkeit geschlossen werden, nur zu häufig den Keim einer unheilvollen Entwicklung in sich tragen, und wie das eheliche auf die bloße Gewohnheit und die kirchliche Erlaubniß begründete Zusammenleben von Mann und Weib eine Unsittlichkeit wird, wenn dieser Verbindung die Liebe abhanden gekommen.“

    Wir müssen auch hier zu besserem Verständnisse der Persönlichkeit den chronologischen Bericht unterbrechen. Es ist F. L. der Vorwurf nicht erspart worden, daß sie zur Ehe mit einem verheiratheten Manne schritt, der die Scheidung von seiner ersten Frau voraufgehen mußte. Ob die bereits im J. 1845 ausgesprochenen Ansichten von der Pflicht der Ehescheidung, sobald die Liebe aus der Ehe geschwunden, vor dem Forum einer sittlichen Lebensanschauung, vor der Auffassung der Familie als einer Gesammtpersönlichkeit, in der das subjective Recht der Einzelnen, namentlich der Gatten, als Gründer der Familie aufzugehen hat — bestehen kann, ist nicht unseres Amtes, zu entscheiden. Wir können indeß F. L. vor dem Vorwurf retten, als habe sie ihre Anschauung von dem Rechte der Ehescheidung sich nach eigenem Bedürfniß gestaltet. Sie sagt (6. Band, „Lebensgeschichte"): „Als ich im J. 1844 in der friedlichen Stille meiner kleinen Stube mit Seelenruhe an meinem Roman arbeitete, war ich weit entfernt, zu ahnen, daß ich Verhältnisse erfand, Schmerzen und Leiden darstellte, welche ich in weit höherem Maße selbst zu durchleben haben sollte, daß ich mich ein Jahr nach dem Erscheinen meines Romans als Mitleidende in den Seelenkämpfen befinden werde, welche durch die Trennung einer nicht mehr glücklichen und darum nicht mehr aufrecht zu haltenden Ehe veranlaßt wurden.“

    Wir sind nun bei einem Wendepunkte in dem Leben und in dem schriftstellerischen Wirken F. Lewald's angelangt. Die Reise nach Italien im J. 1847 war von entscheidendem Einfluß für ihr Innen- und Außenleben. Bis jetzt hatte sie Gelegenheit gehabt, diejenigen Kräfte zu üben, zu entwickeln, mit denen sie von der Natur vorzugsweise ausgestattet war: Verstand und Beobachtungsgabe. Ihr Geburtsort, nach ihrem großen Landsmann Kant „die Stadt der reinen Vernunft“ genannt, ihr Vaterhaus mit seinem zwar gemüthlichen, doch verständig-sittlichen Charakter, der Protestantismus mit dem weniger die Phantasie als den Gedanken anregenden Wesen, der geringe Reiz der ostpreußischen Landschaft — selbst das damalige Berlin mit den kritisch zersetzenden, geistreichen Salongesprächen stärkten nur die starke Seite der Schriftstellerin. In Italien lernte sie die Bedeutung des „Sinnlich-Uebersinnlichen“ verstehen und schätzen. Dem Katholicismus mit seiner Bilderpracht und seinem Mysticismus hielt wohl die religiöse Auffassung F. Lewald's Stand, aber trotzdem macht sich der Einfluß auf die Schriftstellerin geltend. Die Blässe des Gedankens schwindet vor|dem Licht und der Farbe der Phantasie; sie belebt die Darstellung der „Reiseschriftstellerin“. Das „Italienische Bilderbuch“ (2 Bde., 1847) schildert Land und Leute in lebendiger Weise. Das Reisen gefällt ihr und sie hat in den Büchern „England und Schottland“ (1851 und 1852) sich als gewandte, seinsinnige Darstellerin der Landschaft, der Zustände, der Persönlichkeiten bewährt. Aber auch hier verleugnet sie die Tendenzschriftstellerin nicht. Sie tadelt, lobt und belehrt — sie hat aber auch warme Empfindung für die Unglücklichen, für die Mühseligen und Beladenen; namentlich fühlt sie tiefen Schmerz über Unrecht, hervorgegangen aus dem Vorurtheil der Menschen. Als sie in Rom im J. 1847 Diebe öffentlich dem Volke zur Schau ausgestellt sieht, ist sie im tiefsten Innern empört und nimmt Partei für die unglücklichen Verbrecher. „Ich konnte den Anblick nicht ertragen. — Macht den Verbrecher, der sich gegen die Gesellschaft versündigt hat, unschädlich für diese, aber brüstet euch nicht, mit der Macht zu strafen! Führt den Elenden, den nur zu oft die Schlechtigkeit unsrer Institutionen zur Missethat verleitet, nicht wie ein gefangenes wildes Thier triumphirend durch die Straßen. Betet nicht für die Seelen der Gestorbenen, rettet die Seelen der Lebenden. Gewiß, die Feuerqual des Leidens, des Mangels, wenn dicht daneben der Reichthum schwelgt — die Feuerqualen des sündenbelasteten Gewissens sind härter als das Fegefeuer, aus dem ihr mit eurem Almosen und euren plärrenden Gebetsformeln die Todten erlösen wollt.“

    In Italien, in Rom 1847 lernte F. L. den damals schon bekannten Schriftsteller Adolf Stahr aus Oldenburg kennen und lieben. Die eheliche Verbindung konnte erst nach vielen Kämpfen und nach erfolgter Scheidung Stahr's von seiner ersten Gattin stattfinden. F. Lewald's Wohnort war seitdem Berlin, wo ihr Haus ein Mittelpunkt für die literarischen Größen gewesen und wol der Abschluß für diejenige Geselligkeit, die das Gepräge der ehemaligen „Salons“ trug, in denen man zusammenkam, um sich zu unterhalten, nicht, um mit einander zu speisen.

    Wir kommen nun zu ihren umfänglicheren schriftstellerischen Arbeiten, von denen wir nur einige kurz skizziren wollen:

    Ein Roman in drei Bänden „Prinz Louis Ferdinand“ (1849) entstand wol, beeinflußt von dem Verkehr mit Varnhagen von Ense, dessen Gattin Rahel „dem Prinzen Ferdinand Mansardenwahrheit“ sagte. Die Nachklänge einer Zeit, in der ein preußischer Prinz die Dachstube einer weder schönen noch reichen Jüdin aufsuchte, um diese zur Vertrauten seiner persönlichen Leiden und Freuden, sowie seiner patriotischen Schmerzen und Hoffnungen zu machen, mußte in F. Lewald's Herzen ein starkes Echo finden. Der Roman enthält einzelne interessante Episoden, es fehlt ihm aber die künstlerische Abrundung, sowie die Kraft der vollen plastischen Ausgestaltung der einzelnen Charaktere. — Es folgen nun eine große Zahl von Romanen: „Liebesbriefe eines Gefangenen“ (1850), „Auf rother Erde (1850) sind von der inzwischen stattgehabten Revolution von 1848 beeinflußt.

    Ein vielbändiger Roman „Wandlungen“ (1853) gibt Zeugniß von der nunmehr gewonnenen größeren Gestaltungskraft der Verfasserin. Hier treten die Menschen wol auch als Träger bestimmter Richtungen auf, aber es pulsirt ein eigenes Leben in ihnen, und man kann diesen Roman den Romanen Gutzkow's vergleichen, die, von einem Grundgedanken ausgehend, doch tief innerliche, psychologisch interessante Menschen zeichnen. Noch umfänglicher ist ein acht Bände umfassender Roman „Von Geschlecht zu Geschlecht“ (1864—1868). Die Vorzüge und Mängel der Verfasserin zeigen sich auch hier: ihre Sympathie ist auf Seiten des Bürgerthums, der Adel verfällt von Geschlecht zu Geschlecht durch eigene Schuld.

    Wir beschränken uns auf diese kurze Skizzirung der genannten Romane, die andern nur im Titel anführend: „Dünen- und Berggeschichten" (1856), „Das Mädchen von Hela" (2 Bde., 1860), „Sommer und Winter am Genfer See" (1869), „Gesammelte Werke“ (1870—74), „Helmar“ (1880), „Reisebriefe aus Deutschland, Italien und Frankreich“ (1880), „Vater und Sohn" (1881), „Vom Sund zum Posilipp" (1882), „Treue Liebe" (1882), „Stella" (1883), „Abendroth" (1885), „Familie Darner" (1887), „Zwölf Bilder aus dem Leben“ (1888), „Josias, eine Geschichte aus alter Zeit“ (1888).

    Ist F. L. auch in allen ihren Schriften Tendenzschriftstellerin, wie wir das immer betont, so hat sie doch von Zeit zu Zeit direct Tagesfragen behandelt, und wir müssen sie namentlich auf dem Gebiete der „Frauenfrage" als eine tapfere Kämpferin anerkennen. Auch verschmähte sie es nicht, der praktischen Seite der Frauenfrage und den unteren Ständen sich zuzuwenden. In ihren „Osterbriefen für Frauen" 1863 erschienen, ist es die „dienende Klasse", für die sie eintritt und manches beherzigenswerthe Wort den wohlhabenden Frauen zuruft. Institutionen, die sie zur Hebung des Standes der weiblichen Dienstboten verlangt, „Vorbereitungsstätten, Herbergen etc.“ sind seitdem hie und da entstanden und theilweise auf ihre Anregung zurückzuführen. Bedeutender ist die zweite Tendenzschrift „Für und wider die Frauen“ (1870), in der sie für Pflicht und Recht auf Arbeit der Frau nach individueller Befähigung eintritt. Auch sie, wie weiland Elisabeth von England, will nichts von der Schwäche ihres Geschlechts wissen. Bereits in ihrer „Lebensgeschichte“ (Band 6) zeigt sie, wie diese Schwäche als berechtigtes Attribut der Weiblichkeit nur so lange für berechtigt gilt, als glückliche Lebensverhältnisse es gestatten: „Nehmt einem Weibe die Voraussetzung des Glückes, für welches ihr dasselbe erzieht und alle die unthätigen Tugenden, welche ihr ihm anerzogen habt, werden zu Sünden, zu schweren Unterlassungssünden, die auf euch zurückfallen. Habt ihr noch nicht dagestanden vor der weiblichen Hülflosigkeit, die sich nicht zu rathen und zu helfen weiß? die mit herabgesunkenen Armen, mit gefalteten Händen den Blick zu euch erhoben? Wenn ihr vor solchen Frauen, Müttern, Witwen gestanden, hättet ihr dann nicht wünschen mögen, daß diese Demuth Selbstgefühl, diese Weichheit Stärke und Kraft, diese Zuversicht zu euch und zu des lieben Herrn Gott's Hülfe Selbstvertrauen und Thatkraft gewesen wäre?“

    F. L. ist in ihrem 79. Lebensjahre am 5. August 1889 in Dresden gestorben. Sie kann nicht als schöpferischer Geist betrachtet werden, der mit „urkräftigem Behagen die Herzen der Hörer zwingt"; sie ist keine deutsche George Sand, die mit dichterischem Seherblick in die Tiefen der menschlichen, der weiblichen Seele schaut — wir verdanken ihr keine Offenbarungen. Aber sie ist ein Kind jenes Stammes, der „die Lehre" gebracht. Ohne Prophetin zu sein und zu verkünden, lehrt sie und hat die Kraft zu sagen, was sie als wahr und recht erkannt. Sie lehrt mit Klarheit, mit Wärme, mit Ueberzeugungstreue. „Sie hat einen hohen Begriff von der Aufgabe des Schriftstellers“ und sie hat dieser Auffassung getreu sich bewährt. Nicht Genie, aber Talent auszusprechen, was sie innerlich und äußerlich erlebte, können wir ihr zuerkennen und ihren Manen gebührt das Wort: „Mensch sein heißt ein Kämpfer sein.“

  • Autor/in

    Henriette Goldschmidt.
  • Zitierweise

    Goldschmidt, Henriette, "Lewald, Fanny" in: Allgemeine Deutsche Biographie 35 (1893), S. 406-411 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118572393.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Lewald *)Zu Bd. XXXV, S. 406, und Bd. LI, S. 680.: Fanny L. ist der Mädchen- und im weiteren Publicum fast allein bekannte Schriftstellername der bekannten Romandichterin, Litteratin und selbständigen Frauenrechtlerin (1811—89), die bürgerlich an vier Jahrzehnte den Namen ihres Gatten Adolf Stahr trug und auch demgemäß neben diesem A. D. B. XXXV (1893), 406—11 behandelt ist. Die Kenntniß ihres Wirkens und Auffassung ihres Wesens sind neuerdings besonders durch wichtige und überaus anziehende authentische Veröffentlichungen Ludw. Geiger's verschoben bezw. bereichert worden. In erster Reihe durch die Herausgabe ihres geistigen Tagebuchs „Gefühltes und Gedachtes. 1838—88“ im J. 1900, wo sich ihre lebenskluge und vielseitig interessirte Persönlichkeit deutlich abspiegelt, sowie der geschickten Briefauswahl „Aus Adolf Stahrs Nachlaß“ (2. Aufl. 1905; vollständigen Titel s. A. D. B. L, 62), die beide mit genauen Einleitungen und Anmerkungen versehen sind. Dazu treten außer anderer gelegentlicher Bezugnahme auf unerwartete handschriftliche Stücke beider Ehegatten seitens L. Geiger's seine großentheils durch deren Briefwechsel mit dem frühverklärten liebenswürdigen Poeten Georg v. Hauenschild (s. A. D. B. L, 61) gestützten Aufsätze „Max Waldau zum Gedächtnis“, Zettschrift für Bücherfreunde VIII (1904/5), S. 431—47 u. 457—68, und „Max Waldau und Adolf Stahr“, Nord u. Süd Bd. 113, Heft 339 (1905), S. 390—415. Eine neue ganz merkwürdige Beziehung ward jüngst neu aufgedeckt in der „Festschrift zum hundertjährigen Geburtstage Emil Adolf Roßmäßlers 3. März 1906. Bearbeitet im Auftrage des deutschen Lehrervereins für Naturkunde von Hartung, Männel, Merker, Mißbach“ (Aus K. G. Lutz' „Aus der Heimath“ 19. Jahrg., Nr. 2—4), hervorgezogen aus Roßmäßler's Volksblatt „Aus der Heimath“ (seit 1859) und dessen Artikel-Erneuerung im Buche „Für freie Stunden"; erneuern S. 93—102 jener Festschrift aus diesem Werke Noßmäßler's S. 251—63 den an Fanny Lewald gerichteten wunderschönen naturkundlich-philosophischen Aufsatz „Der Frühling ist da! Zum Geburtstage einer Freundin", so druckt dieselbe Säkularausgabe auf S. 102 bis 108 aus dem Buche „Für freie Stunden" S. 412—21 eine äußerst gemüthvolle novellistische Skizze Roßmäßler's „Denkt daran!" ab, wo „Adolf“ und „Fanny“ als harmonisch glückliches junges Ehepaar auf einer beschaulichen gesprächigen Winterfahrt auftreten. Die vielfach als ungewöhnlich nüchtern und ausschließlich rationalistisch verschrieene Fanny L. erscheint bei Roßmäßler in einem wahrhaft idealen Lichte. Einen bedeutsamen Gesichtspunkt ihrer Beurtheilung nimmt der Aufsatz L. Fränkel's „Fanny Lewald und das Judenthum“, Allg. Zeitung des Judenthums, 65. Jahrg. (1901), Nr. 8 und 9, vor, und dazu ist der Hinweis auf eine, auch litterarisch nicht gleichgültige Verwandtschaft bei H. H. Houben, „Gutzkow-Funde“ (1901), S. 253, zu ziehen: „Vor allem war es [in Hamburg] ein Haus, in das Gutzkow bald als innigster Freund aufgenommen wurde, das des Dr. Assing, des Onkels der Fanny Lewald, der nach der Taufe seinen ursprünglichen Namen David Assur [s. A. D. B. I, 624] abgelegt und Varnhagen's Schwester Rosa Maria geheirathet hatte“. Nach dem unter „Fanny Lewald- Stahr“ in die Allgemeine Deutsche Biographie eingerückten Artikel Henriette Goldschmidt's sind nun auch 1897 Fanny Lewald's „Lebenserinnerungen“ aus ihrem Nachlasse gedruckt worden, in Westermann's Illustr. Deutschen Monatsheften 82. Bd., S. 440—454, 616 bis 631, 702—720. Endlich besitzt das Goethe-Schiller-Archiv in Weimar seit 1891 als Schenkung des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen 139 an ihn gerichtete Briefe des Stahr’schen Ehepaars (s. VII. Jahresbericht der Goethe-Gesellschaft — im Goethe-Jahrbuch XIII. Bd. — S. 9). Sodann hat als Vertreter der Familie der geistreichen Frau auch Geh. Finanzrath Dr. Felix Lewald in Berlin, ihr Neffe, 1900 47 Briefe des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen an Fanny L., 1903 88 weitere dem Goethe-Schiller-Archiv zu Weimar geschenkt (s. 15. Jahresbericht der Goethe-Gesellschaft im XXI. Bd. des Goethe-Jahrbuchs S. 18 sowie deren 19. Jahresbericht im XXV. Goethe-Jahrbuch S. 12), ferner 1901 einen Band „Arbeitsstoffe und Notizen“ Fanny Lewald's (s. 16. Jahresbericht der Goethe-Gesellschaft im XXII. Goethe-Jahrbuch S. 15). Darauf nun beruht Günther Jansen's Theil-Publikation (1904) dieser Correspondenz 1848—89. Schon 1858 hat Rob. Prutz einen Umriß ihrer litterarischen Figur im Rahmen seines Capitels „Dichtende Frauen": Die dtsch. Literatur d. Gegenw. II, 256—62, versucht. Eine — die einzige — kleine Monographie, im Plaudertone, kam aus Feodor Wehl's Nachlaß 1892: „Fanny Lewald. Erinnerungen von F. W. Mit zahlreichen, bisher ungedruckten Briefen“. Von älteren noch lebenden Bekannten der Fanny L. hat Karl Frenzel in seinen „Erinnerungen und Strömungen“ (1890) ihr Bild sympathisch gezeichnet, während eine Gesammtcharakteristik in Essayform nur aus der Feder ihres gründlichen Kenners Ludwig Geiger als Nr. 15 in Band I seiner Sammlung „Dichter und Frauen“ (1896) vorhanden ist.

    Für die Lewald-Nummer von K. E. Franzos' Zeitschrift „Deutsche Dichtung“, VII. Bd., H. 3 (1. Nov. 1889), die aber von ihr nur ein Bildniß nach einer Altersphotographie und einen Prosa-Denkspruch von 1888 enthält, lieferte L. Geiger das gedrängte Lebens- und Charakterbild (S. 74—77). Im richtigen Gegensatze zu ihrer Zeitgenossin, sozusagen im Doppelsinne Rivalin und stillen Widersacherin Gräfin Ida Hahn-Hahn erblickt man die Lewald auch in Geiger's Resumé seiner Vortrags-Serie über „Deutsche Litteratur von 1840 bis 48": s. Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts zu Frankfurt a. M. II (1903), S. 37/38. Dagegen sieht sie unter besonderem Gesichtswinkel Fedor Mamroth's Heftchen über „Die Frau auf dem Gebiete des modernen deutschen|Romans“ (1871). Die hervorragende Rolle, welche F. Lewald reformerisch in der Frauenbewegung spielte, bringt Minna Cauer in ihrer Zusammenfassung „Die Frau im 19. Jahrhundert“ (1898), S. 92—99, gut zur Geltung und weist dabei auch besonders auf ihre „Osterbriefe für die Frauen“ (1868; nicht „Für und wider die Frauen") hin, von denen soeben Osk. Stillich in der Zeitschrift „Das freie Wort“ VI, Nr. 17 (1. December 1906), S. 684 sagt, daß F. L. unter anderm „durch sie zum erstenmale in eine Welt von Vorurtheilen in der Dienstbotenfrage Bresche legte“.

    Bei diesem jetzigen Nachtrags-Anlasse sei gleichzeitig für Fanny Lewald's Gatten und Partner, Adolf Stahr, auf die oben für die Schriftstellerin herangezogenen Neuveröffentlichungen L. Geiger's nachdrücklich verwiesen, insbesondere auf die bedachte Auslese der Briefe und deren gut charakterisirende Einleitung über Ad. Stahr und seine so eng verbundene Ehehälfte; für eine Einzelheit, welche ich in meinem Stahr-Artikel der A. D. B. (XXXV, 404) mißverständlich dargestellt, aber ebendort (XXXVI, 797) berichtigt hatte, nämlich Stahr's angeblichen Antheil an E. Palleske's „Wintermärchen"-Bearbeitung, auf Jahrbuch d. deutschen Shakespeare-Gesellschaft 33, S. 270, u. 34, S. 376. An Adolf Stahr's Säkulartag, 22. October 1905, druckte die „Frankfurter Zeitung“ (2. Morgenblatt) unter genauer Quellenangabe das Wesentliche unseres Artikels aus der A. D. B. ab.

  • Autor/in

    Ludwig Fränkel.
  • Zitierweise

    CC-BY-NC-SA