Lebensdaten
1895 – 1982
Geburtsort
Wien
Sterbeort
London
Beruf/Funktion
Psychoanalytikerin ; Psychotherapeutin ; Schriftstellerin
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118535307 | OGND | VIAF: 4930067
Namensvarianten
  • Freud, Anna
  • Freida, Anna
  • Frejd, Anna
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Freud, Anna, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118535307.html [28.03.2024].

CC0

  • Anna Freud war eine der ersten österreichischen Psychoanalytikerinnen, Pionierin der psychoanalytischen Pädagogik und Sozialarbeit sowie der Kinder- und Jugendlichen-Analyse, Mitbegründerin der Ich-Psychologie, des Alternativschulprojekts Hietzing-Schule (Wien), der „Jackson Day Nursery“ (Wien), der „Hampstead War Nurseries“ (London), der „Hampstead Child Therapy Clinic and Course“ (London) und Erstherausgeberin der „Gesammelten Werke“ ihres Vaters Sigmund Freud (1856–1939). Die Kontinuität der Psychoanalyse über dessen Tod, NS-Regime und Zweiten Weltkrieg hinaus gewahrt zu haben, ist zudem ihr zentrales Verdienst.

    Lebensdaten

    Geboren am 3. Dezember 1895 in Wien
    Gestorben am 9. Oktober 1982 in London
    Grabstätte Golders Green Crematorium, Ernest George Columbarium in London Borough of Barnet, Greater London
    Konfession jüdisch
    Anna Freud, Imago Images (InC)
    Anna Freud, Imago Images (InC)
  • Lebenslauf

    3. Dezember 1895 - Wien

    1901 - 1906 - Wien

    Schulbesuch

    Volksschule

    1906 - 1912 - Wien

    Schulbesuch, Matura

    Cottage-Lyzeum (Privatschule)

    1910

    erste Lektüre der Schriften Sigmund Freuds (1856–1939)

    1914 - Southampton; Arundel; St Leonards-on-Sea; Henley-on-Thames (alles Großbritannien)

    England-Reise; Lyrikübersetzungen aus dem Englischen; erste eigene Gedichte

    1915 - Wien

    Ergänzungsprüfung zur Erlangung der Äquivalenz der Reife an einer Lehrerinnenbildungsanstalt; Hilfslehrerin; erste Übersetzungen psychoanalytischer Arbeiten aus dem Englischen

    Cottage-Lyzeum

    1915 - 1917 - Wien

    Besuch der Vorlesungen Sigmund Freuds

    Universität

    1917 - 1920 - Wien

    Klassenlehrerin

    Cottage-Lyzeum

    1918 - Wien; Budapest

    Lehrbefähigungsprüfung; Beginn der Analyse bei Sigmund Freud; Teilnahme am Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Budapest; dichterische Schaffensperiode bis 1922

    1919 - Wien

    Hilfskraft in der englischen Abteilung

    Internationaler Psychoanalytischer Verlag

    1920 - Den Haag (Niederlande)

    Besuch mit Sigmund Freud

    Psychoanalytischer Kongress

    1921 - Wien

    Begegnung mit Lou Andreas-Salomé (1861–1937), seither Austausch mit ihr über Literatur und Psychoanalyse

    1922 - Wien; Berlin

    Mitglied; Teilnehmerin (in den folgenden Jahren regelmäßige Teilnahme an Internationalen Psychoanalytischen Kongressen, auch stellvertretend für Sigmund Freud)

    Wiener Psychoanalytische Vereinigung; Internationaler Psychoanalytischer Kongress in Berlin (zum letzten Mal mit Sigmund Freud);

    1923 - Wien

    Gründung einer eigenen psychoanalytischen Praxis

    1924 - Wien

    Aufnahme in das „Geheime Komitee“; Begegnung mit Eva Rosenfeld (1892–1977)

    1925 - Wien

    Sekretärin und Lehranalytikerin; Begegnung mit Dorothy Burlingham (1891–1979)

    Lehrinstitut der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

    1926 - Wien

    Einführungskurse für Pädagogen; Vorlesungen zur „Einführung in die Technik der Kinderanalyse“; Abfassung von Gelegenheitsgedichten

    Lehrinstitut der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

    1927 - Wien

    Arbeit mit Burlingham und Rosenfeld in der von letzterer gegründeten alternativen psychoanalytischen Privatschule; Zentralsekretärin der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (bis 1934); Auseinandersetzung mit Melanie Klein (1882–1960); „Symposium on Child Analysis“

    1928 - Wien

    auf Einladung Anton Tesareks (1896–1977) Vorträge vor Wiener Horterzieherinnen und -erziehern

    1931 - Hochrotherd bei Breitenfurt (Wienerwald)

    Kauf eines Bauernhauses mit Burlingham

    1932 - Wien

    Mitarbeit an der Erziehungsberatungsstelle

    Ambulatorium der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

    1933 - Wien

    Zweite Vizepräsidentin

    Wiener Psychoanalytische Vereinigung

    1935 - Wien

    Direktorin

    Wiener Psychoanalytisches Institut

    1937 - 1938 - Wien

    Eröffnung einer Kindertageskrippe mit Burlingham und Edith Jackson (1895–1977)

    Jackson Day Nursery

    1938 - Wien; Paris; London

    Verhör durch die Gestapo; Emigration

    1940 - London

    Aufbau

    Hampstead War Nurseries

    1941 - London

    informeller Kurs für Mitarbeiterinnen

    Hampstead War Nurseries

    1944 - 1949 - London

    Generalsekretärin

    Internationale Psychoanalytische Vereinigung

    1946 - Walberswick (Suffolk, Großbritannien)

    Kauf eines Wochenendhauses mit Burlingham

    1946

    britische Staatsbürgerin

    1947 - London

    Hampstead Child Therapy Courses zur Ausbildung in Kinderanalyse

    1948

    Bemühungen um die Rückerstattung von Hochrotherd mit Hilfe August Aichhorns (1878–1949); Vergleich 1951

    1950er/1960er Jahre - USA

    Vortragsreisen

    1952 - London

    Gründerin und Direktorin

    Hampstead Child Therapy Clinic (seit 1982 Anna Freud Centre)

    1971 - Wien

    Eröffnung des Freud-Museums in Wien, Berggasse 19; Internationaler Psychoanalytischer Kongress in Wien: erster Besuch in der Heimatstadt seit der Emigration

    9. Oktober 1982 - London
  • Genealogie

    Vater Sigmund Freud (eigtl. Sigismund Freud, ritueller Name Schlomo Freud) 1856–1939 Begründer der Psychoanalyse, Arzt
    Großvater väterlicherseits Jakob (Jacob) Freud 1815–1896 aus ursprünglich im Rheinland ansässiger Rabbinerfamilie, Textilkaufmann
    Großmutter väterlicherseits Amalia Malka Freud , geb. Nathanso(h)n 1835–1930
    Mutter Martha Freud , geb. Bernays 1861–1951
    Großvater mütterlicherseits Berman Bernays 1826–1879 aus Wandsbek, Kaufmann in Hamburg, 1869 Übersiedlung mit der Familie nach Wien
    Großmutter mütterlicherseits Emmeline Egla Bernays , geb. Philipp 1830–1910
    Lebenspartnerin (seit nach 1925) Dorothy Burlingham , geb. Tiffany 1891–1979 Psychoanalytikerin; seit 1914 verh. mit Robert Burlingham (1888–1938), vier Kinder
    Vater der Lebenspartnerin Louis Comfort Tiffany 1848–1933 aus New York, Unternehmer, Künstler
    Mutter der Lebenspartnerin Louise Wakeman Tiffany, geb. Knox 1851–1904
    Großvater der Lebenspartnerin Charles Lewis Tiffany 1812–1902 Juwelier, Unternehmer, Mitgründer von Tiffany & Co.
    Heirat keine
    Kinder keine
    Neffe W. Ernest Freud (eigtl. Ernst Wolfgang Halberstadt) 1914–2008 Psychoanalytiker
    Neffe Lucian Freud 1922–2011 Maler
    Nichte Miriam Sophie Freud 1924–2022 österreichisch-US-amerikanische Psychologin, Sozialpädagogin und Sozialwissenschaftlerin
    Neffe Sir Clement Raphael Freud 1924–2009 Rundfunksprecher, Autor, Politiker
    Cousine Martha Gertrud Freud (Pseudonym Tom Seidmann-Freud) 1892–1930 Malerin, Kinderbuchautorin und -illustratorin
    Großnichte Andrea-Freud-Loewenstein geb. 1949 Autorin
    Großnichte Esther Freud geb. 1963 Autorin
    Diese Grafik wurde automatisch erzeugt und bietet nur einen Ausschnitt der Angaben zur Genealogie.

    Freud, Anna (1895 – 1982)

    • Vater

      Sigmund Freud

      1856–1939

      Begründer der Psychoanalyse, Arzt

    • Mutter

      Martha Freud

      1861–1951

      • Großvater mütterlicherseits

        Berman Bernays

        1826–1879

        aus Wandsbek, Kaufmann in Hamburg, 1869 Übersiedlung mit der Familie nach Wien

      • Großmutter mütterlicherseits

        Emmeline Egla Bernays

        1830–1910

    • Vater der Lebenspartnerin

      Louis Comfort Tiffany

      1848–1933

      aus New York, Unternehmer, Künstler

    • Mutter der Lebenspartnerin

      Louise Wakeman Tiffany

      1851–1904

      • Großvater mütterlicherseits

        Berman Bernays

        1826–1879

        aus Wandsbek, Kaufmann in Hamburg, 1869 Übersiedlung mit der Familie nach Wien

      • Großmutter mütterlicherseits

        Emmeline Egla Bernays

        1830–1910

    • Heirat

  • Biografie

    Freud absolvierte 1912 die Reifeprüfung im Cottage-Lyzeum in Wien und wurde 1915, nach dem Erwerb der Berechtigung zur provisorischen Anstellung als Volksschullehrerin, Hilfslehrerin am Cottage-Lyzeum, wo sie nach Ablegung der Lehrbefähigungsprüfung 1918 fest beschäftigt war. Seit ihrer frühen Jugend hegte sie literarische Ambitionen. Mit Ende des Schuljahres 1919/20 quittierte sie den Schuldienst und orientierte sich beruflich in Richtung der von ihrem Vater Sigmund Freud (1856–1939) gegründeten Psychoanalyse. Sie kannte seine Schriften, hatte Vorlesungen von ihm und Paul Schilder (1886–1940) an der Psychiatrischen Universitäts-Klinik Wien gehört und war seit 1919 offiziell im Internationalen Psychoanalytischen Verlag tätig – in dessen englischer Abteilung zuständig für die Korrespondenz, dann auch als Übersetzerin.

    1918 begann Freud eine Analyse bei ihrem Vater, den sie 1920 zum Psychoanalytischen Kongress nach Den Haag begleitete. Ab 1921 diskutierte sie mit Lou Andreas-Salomé (1861–1937) psychoanalytische und kunsttheoretische Themen. Im Anschluss an ihren ersten Vortrag, „Schlagephantasie und Tagtraum“ im Mai 1922, wurde sie in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV) aufgenommen; seit 1925 war sie Lehranalytikerin dieser Institution. Seit 1924 zählte sie zu den Mitgliedern des „Geheimen Komitees“, des engsten Kreises von Psychoanalytikerinnen und -analytikern um Sigmund Freud. Seit dessen Krebserkrankung 1923 übernahm sie sukzessive öffentliche Aufgaben ihres Vaters, verlas seine Vorträge auf Kongressen, nahm 1930 den Goethe-Preis für ihn entgegen und erhielt mehr und mehr Funktionen in der WPV und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV). Im Zuge dessen entwickelte sie zunehmend eine eigenständige Position als eine der führenden Psychoanalytikerinnen bzw. Psychoanalytiker ihrer Zeit.

    Auf der Grundlage ihrer pädagogischen Ausbildung wurde Freud rasch zu einer Pionierin der Kinder- und Jugendlichen-Analyse sowie der psychoanalytischen Pädagogik. Sie systematisierte die Kinderpsychoanalyse und gehörte zu den ersten Theoretikerinnen bzw. Theoretikern, die die Psychopathologie auf eine konsequent entwicklungspsychologische Basis stellten. Ab 1926 hielt sie mit August Aichhorn (1878–1949), Wilhelm Hoffer (1897–1967) und Hedwig Hoffer (1888–1961) im Auftrag des Jugendamts der Stadt Wien Einführungskurse in die Psychoanalyse für Pädagoginnen und Pädagogen, mit Dorothy Burlingham (1891–1979), mit der sie über 50 Jahre das Leben teilte, ein entsprechendes Seminar für Kindergärtnerinnen sowie Vorlesungen zur Einführung in die Technik der Kinderanalyse am Wiener Lehrinstitut für Psychoanalyse, die sie 1927 publizierte. In Auseinandersetzung mit Melanie Klein (1882–1960) schlug Freud von Anfang an eine dem kindlichen Entwicklungsstand entsprechende modifizierte Technik der Kinder- und Jugendlichen-Psychoanalyse vor, bei der das kindliche Spiel und Kinderzeichnungen an die Stelle der freien Assoziationstechnik der Erwachsenen-Psychoanalyse treten. Ihre Auffassung, dass der eigentlichen Kinder- und Jugend-Psychoanalyse eine Einleitungsphase vorgelagert sein müsse, spezifizierte sie später in Richtung einer Phase der Abwehranalyse zu Beginn der Therapie.

    In die trotz erzwungener Emigration 1938 nach London bruchlose Praxis setzte Freud dies als Mitarbeiterin in der Erziehungsberatungsstelle des Ambulatoriums der WPV und als jeweilige Mitbegründerin in der alternativen psychoanalytischen Privatschule in Wien-Hietzing, der „Jackson Day Nursery“ (Wien), der „Hampstead War Nurseries“ (London) und der „Hampstead Child Therapy Clinic and Course“ (London) um. Die Zentralisierung der Bindungsbedürfnisse des Kindes sowie die Behandlung von Ess- und Fütterstörungen durch Entregelung der damals üblichen Erziehungsvorschriften waren bahnbrechend für die Betreuung von Kindern in außerhäuslichen Einrichtungen und sind bis heute vorbildhaft. Das Alternativschulprojekt Hietzing gilt als Geburtsstätte einer stringenten psychoanalytischen Theorie der Adoleszenz, zu der Freud zwischen der Generation von Aichhorn und Siegfried Bernfeld (1892–1953) sowie jener von Peter Blos (1904–1997) und Erik H. Erikson (1902–1994) Grundlegendes beitrug.

    Durch den Aufbau einer aus der direkten Beobachtung der Kinder gewonnenen umfangreichen und detaillierten Dokumentation, die heute im Anna Freud Centre (London) aufbewahrt wird, bereitete Freud mit Burlingham und weiteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen den Boden für eine psychoanalytische Forschung, die nicht auf Rekonstruktionen, sondern auf empirischen Daten beruht. Die Praxis psychoanalytisch orientierter Kinderbetreuung vereinte sie mit Forschung und Lehre in der „Hampstead Child Therapy Clinic and Course“. Die Betreuung von sechs Waisen im Alter von drei bis vier Jahren, die 1945 aus dem KZ Theresienstadt befreit worden waren, gilt heute aufgrund der für damalige Verhältnisse radikal innovativen Methodik in der Behandlung der multipel traumatisierten Kinder als eines ihrer herausragenden Projekte.

    Freud zählt neben Heinz Hartmann (1894–1970) zu den Gründern bzw. Gründerinnen der Ich-Psychologie, die die klassische Psychoanalyse um Aspekte der Ich-Entwicklung, der Abwehrmechanismen und der Ich-Funktionen erweiterte. Ihre Studie „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ (1936) ist bis heute ein Standardwerk für dieses Gebiet. Die Identifizierung mit dem Angreifer und die altruistische Abtretung – also die Verleugnung bzw. Hemmung eigener Interessen und ihre Übertragung auf ein Surrogat – sind zwei genuin von Freud theoretisierte Abwehrmechanismen. Behandelte Sigmund Freud Abwehrmechanismen primär unter dem Aspekt der Triebverdrängung, arbeitete Anna Freud die entwicklungsfördernde Anpassungsfunktion des Ichs und seiner Abwehrmechanismen heraus. Mit der Korrelation bestimmter Abwehrmechanismen mit dem Strukturniveau der Ich-Organisation legte sie einen frühen Grundstein zu einer sowohl struktur- als auch konfliktorientierten Psychoanalyse.

    Verdienste erwarb Freud auch um die Pflege des Werks ihres Vaters und die Entwicklung der IPV. Sie behauptete ihre Standpunkte in der Kontroverse mit Melanie Klein, vermied dabei aber eine Spaltung der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft, deren Bestand aufgrund der Kriegsgeschehnisse zentral für die Psychoanalyse nach Sigmund Freuds Tod war. Durch zahlreiche internationale Vorträge intensivierte sie die Beziehungen der IPV zu den USA, die für lange Zeit zum neuen Mittelpunkt der Psychoanalyse wurden. Freud sorgte dafür, dass das Freud-Haus in London nach ihrem Tod zum Freud Museum wurde, ordnete den Nachlass des Vaters, half Ernest Jones (1879–1958) bei der Erstellung der ersten Freud-Biografie und Kurt R. Eissler (1908–1999) beim Aufbau eines Archivs der Psychoanalyse. Anna Freud hatte bereits in der Jackson Nursery (gegr. 1937 in Wien), dann in den Hampstead War Nurseries (ab 1941) ein Aufzeichnungssystem der beobachteten Fälle entwickelt, das Dorothy Burlingham in enger Zusammenarbeit mit ihr allmählich zum sogenannten Hampstead Index ausbaute. In Verbindung damit generierte Freud einen tiefenpsychologischen Fragebogen für diagnostische Interviews mit Kindern und ihren Familien. Beide Projekte – Index und diagnostischer Fragebogen – sind unter dem Namen „Hampstead-Methode“ bekannt geworden. Im Juli 1971 kehrte Freud anlässlich des Internationalen Psychoanalytischen Kongresses in Wien erstmals wieder nach Österreich zurück.

    Gegen Ende ihres Lebens setzte sich Freud für die Übernahme von Erkenntnissen der Kinderpsychoanalyse in das Rechtswesen ein. Mit dem US-amerikanischen Juristen Joseph Goldstein (1923–2000) und dem Kinderpsychiater Albert J. Solnit (1919–2002) erarbeitete sie Richtlinien für Unterbringungskonflikte und Fragen des Sorgerechts, die das Wohl des Kindes in den Vordergrund stellten. Paradoxerweise legte gerade der feministische Blick Freud auf die Rolle der Vatertochter fest und trug seit den 1970er Jahren dazu bei, dass ihre Verdienste um die psychoanalytische Theorieentwicklung und Forschung, die Wegbereitung zur Erforschung der Geschichte der Psychoanalyse und ihr bahnbrechendes Wirken auf dem Gebiet einer Praxeologie der Psychoanalyse mit sozialpolitischem und sozialreformerischem Engagement z. T. bis heute unterschätzt werden. Sowohl die psychoanalytische Entwicklungspsychologie als auch die Ich-Psychologie berufen sich weiterhin in vielfacher Hinsicht auf Freud als Wegbereiterin. Besonders in der Ich-Psychologie US-amerikanischer Prägung gelten ihre psychoanalytische Schriften nach wie vor als Standardwerke. Die Konzeptualisierung und Systematisierung der Abwehrvorgänge ist von unverminderter Relevanz für die Praxis und Theorie der Psychoanalyse und wirkt in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (Arbeitskreis OPD, 1996) weiter. Ebenso berufen sich Erziehungswissenschaften und Pädagogik weiterhin auf Freud. Zahlreiche Kindergärten und Schulen tragen ihren Namen, in London wird im „Anna Freud Centre“ für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (so seit 1982 der Name der Hampstead Child Therapy Course and Clinic) ihr Erbe fortgeführt.

  • Auszeichnungen

    1922 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung
    1928 Goldring für Mitglieder des „Geheimen Komitees“
    1950 Dr. h. c., Clark University, Worcester (Massachusetts, USA)
    1964 Dr. h. c., Jefferson Medical College, Philadelphia (Pennsylvania, USA)
    1965 Dolly Madison Award des Hillcrest Children’s Center in Washington, DC
    1966 Dr. h. c., Universität Sheffield (Großbritannien) und Universität Chicago (Illinois, USA)
    1967 Commander of the British Empire
    1968 Dr. h. c., Yale University, New Haven (Connecticut, USA)
    1972 Dr. h. c., Medizinische Fakultät der Universität Wien
    1973 Ehrenpräsidentin der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
    1975 Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich
    1978 Dr. h. c., Columbia University, New York; Fellow of the Royal Society of Medicine in London
    1980 Dr. h. c., Harvard University, Cambridge (Massachusetts, USA)
    1981 Dr. h. c., Universität Frankfurt am Main
  • Quellen

    Nachlass:

    Anna Freud Papers, Sigmund Freud Collection, Manuscript Division, Library of Congress, Washington, DC. (Qu, L, P)

    Quellen:

    Archiv des Freud Museums, London.

    Archiv des Freud-Museums, Wien. (Qu, L, P)

    Anna Freud Centre, London.

    Wellcome Library, London. (Qu, L, P)

  • Werke

    Werkausgabe:

    The Writings of Anna Freud, 8 Bde., 1966–1980, dt. Die Schriften der Anna Freud, 10 Bde., 1980, Neuausg. 1987.

    Monografien:

    Einführung in die Technik der Kinderanalyse, 1927, engl. Introduction to the Technique of Child Analysis, 1929.

    Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen, 1930, engl. Introduction to Psycho-Analysis for Teachers, 1931.

    Das Ich und die Abwehrmechanismen, 1936, engl. The Ego and the Mechanisms of Defence, 1937.

    Dorothy Burlingham/Anna Freud, Young Children in War-Time: A Year’s Work in a Residential War Nursery, 1942, dt. Kriegskinder. Jahresbericht des Kriegskinderheims Hampstead Nurseries, 1949.

    Dorothy Burlingham/Anna Freud, Infants without Families: The Case For and Against Residential Nurseries, 1944, dt. Anstaltskinder. Argumente für und gegen die Anstaltserziehung von Kleinkindern, 1950.

    Normality and Pathology in Childhood, 1965, dt. Wege und Irrwege in der Kinderentwicklung, 1968.

    Thesi Bergmann/Anna Freud, Children in the Hospital, 1965, dt. Kranke Kinder. Ein Beitrag zu ihrem Verständnis, 1972.

    Anna Freud/Joseph Goldstein/Albert J. Solnit, Beyond the Best Interests of the Child, 1973, dt. Jenseits des Kindeswohls, 1974.

    Anna Freud/Joseph Goldstein/Albert J. Solnit, Before the Best Interests of the Child, 1979, dt. Diesseits des Kindeswohls, 1982.

    Anna Freud/Joseph Goldstein/Albert J. Solnit, In the Best Interests of the Child, 1986, dt. Das Wohl des Kindes, 1988.

    Anna Freud/Joseph Sandler, Die Analyse der Abwehr, 1989.

    Gedichte − Prosa − Übersetzungen, hg., eingel. u. komm. v. Brigitte Spreitzer, 2014.

    The Course of Life. A 1979 Lecture by Anna Freud, eingel. v. Elisabeth Young-Bruehl, Caversham Productions, Toronto 2011. (DVD)

    Briefe:

    Briefe an Eva Rosenfeld, hg. v. Peter Heller, 1994.

    Lou Andreas-Salomé/Anna Freud, „… als käm ich heim zu Vater und Schwester“. Briefwechsel 1919–1937, 2 Bde., hg. v. Daria A. Rothe/Inge Weber, 22003.

    Sigmund Freud/Anna Freud. Briefwechsel. 1904–1938, hg. v. Ingeborg Meyer-Palmedo, 2006.

    Anna Freud/August Aichhorn. „Die Psychoanalyse kann nur dort gedeihen, wo Freiheit des Gedankens herrscht“. Briefwechsel 1921–1949, hg. u. komm. v. Thomas Aichhorn, 2012.

    Anna Freud in the Hampstead Clinic. Letters to Humberto Nágera, hg. v. Daniel Benveniste, 2015.

  • Literatur

    Gedenknummern:

    Bulletin of the Hampstead Clinic 6 (1983), H. 1: Anna Freud Memorial Issue. (Qu, L, P)

    The International Journal of Psycho-Analysis and Bulletin of the International Psycho-Analytical Association 64 (1983), H. 4: Anna Freud Memorial Papers.

    The Psychoanalytic Study of the Child 39 (1984), H. 1: In Memoriam Anna Freud.

    Monografien:

    Joseph Sandler/ Hansi Kennedy/Robert L. Tyson, The Technique of Child Psychoanalysis: Discussions with Anna Freud, 1980. (Qu)

    Uwe Hendrik Peters, Anna Freud. Ein Leben für das Kind, überarb. u. erg. Aufl., 1984. (L, P)

    Barbara R. Peltzman, Anna Freud. A Guide to Research, 1990. (L)

    Rolf Denker, Anna Freud zur Einführung, 1995. (L)

    Elisabeth Young-Bruehl, Anna Freud. Eine Biographie, 2 T., 1995. (L, P)

    Rose Edgcumbe, Anna Freud, A View of Development, Disturbance and Therapeutic Techniques, 2000.

    Pearl King/Riccardo Steiner, Die Freud/Klein-Kontroversen 1941–1945, 2 Bde., 2000.

    Wilhelm Salber, Anna Freud, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 42003.(L, P)

    Florian Houssier, Anna Freud et son école. Créativité et controverses, 2010.

    Daniel Benveniste, The Interwoven Lives of Sigmund, Anna and W. Ernest Freud, 2015. (L)

    Elizabeth Ann Danto/Alexandra Steiner-Strauss (Hg.), Freud/Tiffany – Anna Freud, Dorothy Tiffany Burlingham and the “Best Possible School” 1920s Vienna and beyond, 2019. (L, P)

    Aufsätze:

    Roland Besser, Leben und Werk von Anna Freud, in: Dieter Eicke (Hg.), Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. 3, 1977, S. 130–181.

    Alfred Bodenheimer, Stufenweise Entfremdung. Der Briefwechsel zwischen Arnold Zweig und Anna Freud, in: Jahrbuch für internationale Germanistik. Reihe A, Kongreßberichte 49 (1999), S. 89–102.

    Michael Molnar, Alien Enemy: Porträt eines Mädchens, in: Luzifer – Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse 18 (2005), H. 35, S. 152–167. (L, P)

    Katharina Seifert, Die Projekte und Institutionen Anna Freuds, in: Christine Diercks u. Sabine Schlüter (Hg.), Die großen Kontroversen in der Psychoanalyse. Sigmund Freud-Vorlesungen 2007, 2009, S. 245–254.

    Elke Mühlleitner, Anna Freud. Gel(i)ebte Psychoanalyse, in: Sibylle Volkmann-Raue/Helmut E. Lück (Hg.), Bedeutende Psychologinnen des 20. Jahrhunderts, 22011, S. 72–84.

    Norka T. Malberg/Joan Raphael-Leff (Hg.): The Anna Freud Tradition. Lines of Development, Evolution of Theory and Practice over the Decades, 2012.

    Roman Krivanek, „Vertrautheit mit dem Kleinkind ist das Ziel“. Die Arbeit und Forschung in der Jackson-Krippe (Wien 1937/38), in: Luzifer – Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse 27 (2014), S. 71–107.

    Brigitte Spreitzer, „Zeichen für das ganze übrige Leben“. Das Haus als Symbol und autobiografisches Substrat in Briefen, Träumen und literarischen Texten Anna Freuds, in: Luzifer – Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse 28 (2015), H. 56, S. 130–145. (Qu)

    Thomas Aichhorn, Anna Freud (1895–1982). Die Pionierin der Kinderanalyse, in: Marco Conci/Wolfgang Mertens (Hg.), Psychoanalyse im 20. Jahrhundert. Freuds Nachfolger und ihr Beitrag zur modernen Psychoanalyse, 2016, S. 20–49.

    Zaphiriou Woods/Inge-Martine Pretorius, Observing, Playing and Supporting Development: Anna Freud’s Toddler Groups Past and Present, in: Journal of Child Psychotherapy 42 (2016), H. 2, S. 135–151.

    Norka T. Malberg/Inge-Martine Pretorius, Anna Freud’s Diagnostic Profile: Then and Now, in: Journal of Infant, Child and Adolescent Psychotherapy 16 (2017), H. 2, S. 127–130.

    Samuel Bayer/Charline Logé, Anna Freud. Ich-Psychologie, Abwehr und Kinderanalyse, in: Annette Streeck-Fischer (Hg.), Die frühe Entwicklung – psychodynamische Entwicklungspsychologien von Freud bis heute, 2018, S. 66–81.

    Brigitte Spreitzer, Fast schreiben. Inzwischen Briefe. Anna Freud – Lou Andreas-Salomé, in: Britta Benert/Romana Weiershausen (Hg.), Lou Andreas-Salomé. Zwischenwege in der Moderne / Sur les chemins de traverse de la modernité, 2019, S. 187–209.

    Lexikonartikel:

    N. N., Art., "Freud, Anna", in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 2/1, 1983, S. 326 f.

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    Psychoanalytikerinnen. Biografisches Lexikon. (Onlineressource)

  • Onlineressourcen

  • Porträts

    Fotosammlungen in:

    Anna Freud Papers, Sigmund Freud Collection, Manuscript Division, Library of Congress, Washington, DC.

    Archiv des Freud Museums, London.

    Archiv des Freud-Museums, Wien.

    Wellcome Library, London: Archivmaterial des Anna Freud Centre, ehemals Hampstead Child Therapy Course and Clinic.

  • Autor/in

    Brigitte Spreitzer (Graz)

  • Zitierweise

    Spreitzer, Brigitte, „Freud, Anna“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118535307.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA