Lebensdaten
1858 – 1923
Geburtsort
Birnbaum (Posen)
Sterbeort
Klosters
Beruf/Funktion
Unternehmer ; Kaufmann ; Warenhausbetreiber
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 12949612X | OGND | VIAF: 13389910
Namensvarianten
  • Tietz, Oskar
  • Tietz, Oscar
  • Tietz, Oskar

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Zitierweise

Tietz, Oscar, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd12949612X.html [16.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    B Leonhard (s.1);
    Berlin 1886 Betty Rebekka Graupe (1864–1947), aus Washington D. C.;
    2 S Georg (1889–1953, Edith N. N.), 1917 Teilh. d. väterl. Fa. (s. Rhdb.; BHdE I), Martin (* 1894), Teilh. d. väterl. Fa., 1 T Elise (1896–1966, Hugo Zwillenberg, 1885–1966, Dr. iur., Teilh. v. T.s Fa.).

  • Biographie

    T. wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre bei Verwandten in Prenzlau und eröffnete, wie bereits sein Bruder Leonhard 1879 in Stralsund, 1882 in Gera ein „Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft“ unter der Firma „Hermann Tietz“, benannt nach seinem den Unternehmensstart kurzzeitig finanzierenden Onkel. T. verfolgte ein innovatives Konzept: Er kaufte große Mengen unter Ausschaltung von Zwischenhandelskosten möglichst direkt beim Hersteller günstig ein, kalkulierte die Artikel knapp, um über einen schnellen Warenumschlag große Mengen abzusetzen, und verkaufte die Ware, ausgezeichnet mit Festpreisen, gegen Barzahlung. Verschiedene Sortimente wurden in einem Geschäft angeboten. Es gab eine nahezu uneingeschränkte Kulanz; selbst mängelfreie Artikel wurden bereits bei „Nichtgefallen“ anstandslos zurückgenommen.

    Der systematische Bruch mit bis dahin geltenden händlerischen Gepflogenheiten wurde von den Kunden begeistert angenommen, die Filialisierung des Systems „Hermann Tietz“ schritt voran. 1888 eröffnete T. einen Laden in München. Um 1893 erwarb er das Bürohaus Imperial in München am Stachus, baute es komplett um, stattete es mit großen Schaufenstern und elektrischem Licht aus und eröffnete 1894 das erste Warenhaus der Firma „Hermann Tietz“. T. folgte damit in Deutschland einem Trend, der in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA seit Mitte des 19. Jh. eingesetzt hatte und das Gesicht der Städte prägte. Die von T. in seinen Läden eingeführten Neuerungen wurden ergänzt durch ein modernes, auf Rechnungswesen und Statistik gegründetes Management, auf die intensive Nutzung von Zeitungsanzeigen für die Werbung und eigene Werbekampagnen wie die „Weißen Wochen“. Sein Geschäftskonzept blieb erfolgreich: T. bezog preisgünstige Artikel in großen Mengen und in enger Zusammenarbeit mit seinem Bruder Leonhard und weiteren Familienangehörigen, z. B. Gebrauchsporzellan oder Orangen, die er zu 10 % des bisherigen Marktpreises anbot. Die Buchabteilungen seiner Häuser führten preiswerte Ausgaben, eigene Leihbüchereien ermöglichten gegen einen Jahresbeitrag von 7,50 Mark die tägliche Leihe eines Buchs. Die wöchentlichen Lebensmittelinserate der T.-Häuser hatten den Status von Kurszetteln und wirkten preisregulierend für den gesamten Markt. Zunehmend beeinflußten Warenhausbetreiber|wie T. auch direkt die Produktion, Beschaffenheit und Qualität der Waren, entwickelten Eigenmarken und unterhielten teilweise eigene Produktionsstätten. T. expandierte 1896 erfolgreich nach Hamburg und 1900 nach Berlin, Leipziger Straße, wo in den nächsten Jahren u. a. die großen Häuser Alexanderplatz (1905) und Frankfurter Allee (1905) entstanden. Neubauten wurden u. a. 1904 in Gera errichtet, Einkaufs- und Lagerhäuser, Werkstätten, erste Filmtheater, eine eigene Kohlengroßhandlung, Engagements in Belgien (Warenhäuser) und Frankreich (Einkaufsbüro) komplettierten den damals größten europ. Warenhauskonzern in Privatbesitz. T. war auf Interessenausgleich mit den Arbeitnehmern bedacht, investierte in drei eigene Berufsschulen und schuf Unterstützungs- und Pensionskassen im Unternehmen. Er setzte auf die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter in die Entwicklung des Unternehmens und richtete um 1905 eine „Konferenz“ ein, deren nach Berufsgruppen von den Angestellten aller Berliner Häuser in geheimer Wahl bestimmten Mitglieder regelmäßig über den Geschäftsverlauf und anstehende Veränderungen informiert wurden und eigene Vorschläge einbringen konnten.

    Die Erfolge der Warenhäuser lösten heftige Reaktionen des sich bedroht fühlenden Kleinhandels aus. Agitation mit Flugblättern, Hetzschriften, oft auch mit antisemitischem Unterton, Demonstrationen und tätliche Übergriffe gegen Warenhäuser wurden organisiert. Zwischen 1897 und 1911 wurde in allen dt. Ländern eine spezielle Warenhaussteuer eingeführt, eine Sondersteuer auf den Warenumsatz größerer Betriebe mit gemischtem Sortiment. T. versuchte energisch, die Waren- und Kaufhäuser zusammenzuführen, um mit größerem politischem Gewicht deren Interessen zu vertreten. 1903 wurde er als Gründungsvorsitzender des „Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser“ (VDWK), dem ersten branchenübergreifenden Verband im dt. Einzelhandel, zum führenden Handelslobbyisten des Reichs. Auf T.s Initiative hin wurde das differenzierte Steuersystem, dessen Teil auch die Warenhaussteuer war, im Juli 1918 durch eine generelle Umsatzsteuer ersetzt.

    Die logistischen Fähigkeiten und die Beschaffungskompetenzen der Warenhausunternehmen wurden in der Kriegswirtschaft des 1. Weltkriegs benötigt zur Versorgung der Bevölkerung unter Embargobedingungen, T. wurde zum „Delegierten für Woll- und Bekleidungsbeschaffung“ ernannt. Seit der Jahreswende 1917/18 trafen sich in T.s Privathaus in Berlin unterschiedliche Gesprächsrunden als Friedenskreis von Unternehmern wie Rudolf Mosse, Abgeordneten wie Gustav Stresemann oder Otto Wels, Journalisten und Militärs.

    1919 ordnete T. die Verhältnisse im Unternehmen. Sein ältester Sohn Georg war seit 1917 Teilhaber, sein zweiter Sohn Martin und sein Schwiegersohn Hugo Zwillenberg wurden nun ebenfalls Teilhaber zu gleichen Bedingungen. Die drei Unternehmer entwickelten die Firma „Hermann Tietz“ in den 1920er Jahren erfolgreich weiter. Die Stellung in Berlin bauten sie 1926 deutlich aus durch die Übernahme der Warenhauskette „A. Jandorf Co.“, zu der u. a. das „Kaufhaus des Westens“ (KaDeWe) gehörte. Die Weltwirtschaftskrise führte zu Umsatzeinbußen und finanziellen Schwierigkeiten aller Warenhäuser, oft verstärkt durch antisemitische Angriffe, Boykottaufrufe und verweigerte Bankkredite unter der NS-Regierung. Die Nachfolger T.s wurden 1933/34 aus dem Unternehmen gedrängt, verkauften ihre Anteile unter Zwang deutlich unter Wert und emigrierten 1934 bzw. 1938. Geschäftsführer, Anteilseigner und seit 1939/40 Eigentümer der nunmehrigen „Hertie Kaufhaus-Beteiligungs-Gesellschaft mbH“ wurde auf diesem Weg Georg Karg (1888–1972). Karg schloß 1949 einen privaten Vergleich mit der Familie T. Die „Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH“ wurde 1994 von der „Karstadt AG“ übernommen.

  • Auszeichnungen

    A Gedenkstein u. Ulica Tietza in Międzychód;
    O.T.-Schule Berlin-Marzahn (2008).

  • Literatur

    L P. Göhre, Das Warenhaus, 1907;
    L. Colze, Berliner Warenhäuser, ⁵1908;
    F. Pinner, Dt. Wirtsch.führer, 1924;
    Ind.-Bibl., Die ill. Zs. d. Dt. Wirtsch., Bd. 31, 1928;
    Verband dt. Waren- u. Kaufhäuser e. V. (Hg.), Probleme d. Warenhauses, 1928;
    Georg Tietz, „Hermann Tietz“, Gesch. e. Fam. u. ihrer Warenhäuser, 1965 (P);
    U. Spiekermann, Warenhaussteuer in Dtld., 1994;
    ders., Basis d. Konsumges., 1999; N. Busch-Petersen, O. T., Von Birnbaum/Prov. Posen z. Warenhauskönig v. Berlin, ³2013 (P).

  • Autor/in

    Nils Busch-Petersen
  • Zitierweise

    Busch-Petersen, Nils, "Tietz, Oscar" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 274-275 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd12949612X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA