Lebensdaten
1840 – 1905
Geburtsort
Eisenach
Sterbeort
Jena
Beruf/Funktion
Physiker ; Unternehmer ; Sozialreformer
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118646419 | OGND | VIAF: 19744386
Namensvarianten
  • Abbe, Ernst Carl
  • Abbe, Ernst
  • Abbe, Ernst Carl
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Orte

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Zitierweise

Abbe, Ernst, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118646419.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus der gleichen Familie wie Conrad Abée;
    V Georg Adam Abbe (1813–74), Buchdrucker, Fabrikarbeiter, dann Fabrikaufseher in Eisenach;
    M Elisabeth Christina (1809–57), T des Johann Georg Barthfeldt (1773–1812), Zeug- u. Feintuchweber in Eisenach, u. der Sophie Wilhelmine Noll (1783–1856);
    Gvv Johann Adam Abe (1790–1837), Schullehrer in Fischbach, dann in Schafhausen (Rhön);
    Gmv Sophie Dorothee Friederike Hebig (1788–1855);
    Jena 1871 Elisabeth (1844–1914), T des Physikers u. Naturphilosophen Karl Snell in Jena; 2 T.

  • Biographie

    Die Einsicht der Lehrer, die die außerordentliche Begabung des Arbeitersohnes erkannten, ebnete dem jungen A. den Weg zum Realgymnasium, die Opferwilligkeit des Vaters, Einkünfte aus Privatunterricht, Freistellen, strengste Sparsamkeit ermöglichten den Besuch der Universitäten Jena und Göttingen (1857–61), wo A. neben Philosophie und allgemein naturkundlichen Fächern vor allem Physik und Mathematik studierte; in Göttingen war er Schüler von W. Weber und B. Riemann. Die Unterstützung eines Gönners ermöglichte finanziell 1863 die|Habilitation in Jena. A. las vor allem Mechanik und Experimentalphysik. 1870 erfolgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor. – Schon vorher, 1867, hatte die schicksalhafte Verbindung mit Carl Zeiss, dem Inhaber einer Mechanischen Werkstätte, begonnen. Zeiss fertigte optische Instrumente an. Sein Ziel war, die Kunstfertigkeit aus dem Bereich der bloßen Empirie, des sog., Pröbelns', herauszuführen; ein früherer Mißerfolg schreckte ihn nicht zurück, sich an A. zu wenden, wiewohl dieser mit Optik nur gelegentlich zu tun gehabt hatte. A. war damit vor seine Lebensaufgabe gestellt: In einer zähen, geduldigen, des Zieles sicheren Arbeit begründete er die neue Mikroskopie, theoretisch in der rechnerischen Sicherung der Lichtbeugungen, praktisch in einer Unzahl von Apparaturen, Meßinstrumenten, Beleuchtungsanlagen für das Mikroskop. Die wissenschaftlich-technische Gesamtleistung, so scharfsinnig wie in der Einzeldurchführung einfallreich, befreite das Mikroskop von den Zufälligkeiten der Herstellung und wurde schlechthin zu einer Voraussetzung für die in den Jahren von A.s Wirken einsetzende Erforschung der Mikro-Organismen. Die rasche Entwicklung etwa der modernen Bakteriologie ist gar nicht denkbar ohne die Studiengeräte, die A. der Wissenschaft zur Verfügung stellte. Er gewann für die Optik eine verwandte Bedeutung wie J. Fraunhofer zwei Menschenalter zuvor. Man kann sagen, daß er, ein Optimum an Vergrößerung, an farbenreiner Deutlichkeit („Apochromat“) vor Augen, ganz in dem Studium der Fehlerquellen aufging, darüber aber auch zu neuen theoretischen Einsichten über die Natur und das Verhalten der Lichtwellen vordrang. Der Techniker und Wissenschaftler hat auch über die Mikroskopie hinaus gewirkt: auf Stereoskop, Prismenfernrohr, Scherenfernrohr, die Photographie der Kleinstlebewesen und ähnliches. H. Helmholtz, aufs stärkste beeindruckt, wollte A. nach Berlin holen. Aber dieser lehnte ab; die Jenaer Arbeit fesselte ihn in ihrer planenden Selbständigkeit. 1875 hatte Zeiss in Dankbarkeit für das, was A.s Arbeit für die Entwicklung seiner Werkstatt bedeutete, diesen zum Teilhaber gemacht. Damit wurde neben dem Wissenschaftlich-Technischen auch das Organisatorische in A. geweckt. Die Ernennung zum ordentlichen Professor (1879), auch die Leitung der Universitäts-Sternwarte (1877–1901), tritt in ihrem sachlichen Gewicht zurück gegenüber dem planenden Eifer des unternehmerischen Sinnes, der sich für eine werdende Weltfirma verantwortlich wußte. Dazu kam eine neue Aufgabe: Auch A. hatte bisher mit dem Glas zu arbeiten gehabt wie es die Schmelzen herstellten, mit all den Unsicherheiten der Güte. Fraunhofer war über dem Versuch gestorben, „richtige“, zuverlässige Glassorten für die Linsen zu schaffen. 1879 wandte sich der junge Chemiker O. Schott an A. mit seinen Versuchen. Die Berührung führte dazu, daß dieser Schott nach Jena zog (1882). Unter seiner maßgeblichen Beteiligung – der preußische Staat unterstützte den Versuch – wurde 1884 das Glaswerk „Schott und Genossen“ begründet. Das Zusammenwirken des Physikers und Chemikers schuf nicht nur eine neue Industrie, sondern gab auch dem allgemeinen Begriff „Glas“ eine unerwartete Vielfalt und eine auf die Zwecke abgestellte Berechenbarkeit.

    Daß aber nun A. auf der Höhe seines Schaffens aus dem Fachbezirk der Naturwissenschaft und der Technik heraustrat und für das Bewußtsein der Nachwelt vorab in der Reihe der sozialpolitischen Denker und Täter steht, ist Ausfluß seines merkwürdigen und bedeutenden Menschentums. Carl Zeiss war 1888 gestorben; sein Sohn, Roderich, schied 1889 aus – zwischen A. und ihm hatte es über die Zielgedanken, die A. seit einigen Jahren beschäftigten, Spannungen gegeben. Der Professor war 1889 der Alleinbesitzer des Werkes, das damals immerhin schon 500 Arbeiter zählte. Die Aufgabe, vor die er, Kapitalist und Unternehmer geworden, gestellt war, sah er nach einer für ihn charakteristischen Formel „zugleich mit den Augen des Arbeitersohnes, dem über Nacht nicht Kapitalistenaugen wachsen wollten“. 1891 errichtete A. die „Carl-Zeiss-Stiftung“ und übermachte ihr seinen Millionenbesitz; er selbst vertauschte die Stellung des Unternehmers mit der eines einfachen beamteten „Mitgliedes der Geschäftsführung“. Schon daß er mit der Stiftung den Namen des verstorbenen Freundes unsterblich machte, ist bezeichnend – man hat „Carl Zeiss“ einmal das Pseudonym von Ernst A. genannt. Das Denkwürdige: er machte ein „Statut“ zum Beherrscher der Zukunft. Aber er tat das nicht als starrer Doktrinär einer sozialistischen Lehre – vielmehr blieb er politisch radikal-liberaler Individualist; auch nicht als verblasener Ideologe – er war gütig, doch nicht sentimental; der strenge Logiker war auch Realist. Eindringende Voruntersuchungen, u. a. über die Relation von Arbeitszeit und Leistung, die Fehlerquellen und künftige Störungen nach Möglichkeit ausschließen sollten, resultierten endlich in den wesentlichen sozialpolitischen Elementen dieses Statuts: Achtstundentag, Pensionsberechtigung der Arbeiter und Angestellten, ein kunstvoll durchgebildetes Stücklohnsystem mit einer Art von Gewinnbeteiligung, nämlich gestuften Lohnnachzahlungen aus den möglichen Überschüssen; die Mitglieder der Geschäftsleitung sollten nicht mehr als den zehnfachen Betrag des durchschnittlichen Arbeiterlohnes als Gehalt beziehen. Blieb natürlich die vornehmste Aufgabe des Erlöses, den Betrieb fabrikatorisch immer maschinell usf. an der Spitze zu halten, so war er doch aus den Spielregeln des kapitalistischen Bestrebens nach Rentabilität der Wertpapiere herausgehoben. „Nutznießer“ des Geschäftsgewinns sollte in erster Linie die Universität Jena sein, zumal in ihren naturwissenschaftlichen Fächern, dann die Stadt Jena und die Unternehmungen der freien Volksbildung; die Sicherung des Gelehrtennachwuchses und die Hebung des Wissens in den breiten Schichten war dabei A.s bestimmendes Anliegen. Den Ehrgeiz, ein Prophet mit dogmatischem Anspruch zu sein, besaß er nicht. Sein „Statut“ ist kein gemeinverbindliches gewerbliches Modell, sondern bleibt gebunden an die überlegene, einem Monopol ähnliche Stellung der Zeisswerke, aber auch an das geistig-seelische Erbe, das ein Mensch solcher ethischer Empfindsamkeit seinen Mitarbeitern hinterlassen konnte.

    A. hat die ungeheure Arbeitsleistung mit seiner Gesundheit bezahlt. Schlaflosigkeit und Kopfleiden, durch ein Übermaß von Narkotika bekämpft, zwangen ihn 1903 von der Geschäftsleitung zurückzutreten. Er hoffte, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die er bislang nur in einzelnen Aufsätzen dargestellt hatte, systematisch zusammenfassen zu können. Die Krankheit verhinderte die Ausführung des Planes. So liegt der Schatten der Tragik über seinem Ausgang. Seine geschichtliche Stellung ist durch die einzigartige Verbindung strenger Forschungsarbeit mit technischem Erfindergeschick und geschäftlichem Organisationstalent bestimmt: Sie ließ ihn zum Begründer der Weltstellung der deutschen optischen Industrie werden. Fast noch großartiger ist der Eindruck von A.s sozialpolitischem Reformwillen in der Verbindung von ethischem Rigorismus gegenüber den Gelddingen und sachlicher Unbefangenheit vor der neuzeitlichen Arbeiterbewegung. H. Freese und R. Bosch stehen hier in seiner Nähe.

  • Werke

    Ges. Abhh., 5 Bde., 1904-40 (Bd. 3 d. Sozialpolit. u. polit. Schrr. u. Vorträge);
    Der Briefwechsel zw. O. Schott u. E. A. üb. d. opt. Glas 1879–81, 1946.

  • Literatur

    J. Pierstorff, E. A. als Sozialpolitiker, 1905;
    F. Schomerus, Das Arbeiterverhältnis b. d. Fa. C. Zeiss, 1909;
    ders., Werden u. Wesen d. Carl Zeiss-Stiftung, an d. Hand v. Briefen u. Dokumenten aus d. Gründungszeit dargestellt (1886 bis 1896), in: E. Abbe, Ges. Abhh. V, 1940;
    F. Auerbach, E. A., 1919 (P);
    ders., Das Zeisswerk, ⁵1925;
    M. v. Rohr, Zur Gesch. d. Zeiss-Werkstätte, 1936;
    ders., E. A.s Apochromate, Zur 50. Wiederkehr ihrer ersten Bekanntmachung am 9.7.1886, 1936;
    ders., E. A., 1940, = Btrr. z. Gesch. d. Univ. Jena 8, = Ztschr. d. Ver. f. thür. Gesch. u. Altertumskde., NF, Beih. 21;
    W. Schmid, E. A., der Begründer d. Zeisswerke in Jena, Bern 1939;
    H. Kühnert, Neues Schrifttum um E. A., in: Zs. d. Ver. f. Thür. Gesch. u. Altertumskde., NF 34, 1940, S.415-32.
    W. Fronemann u. K. F. Schmid, Aus eigener Kraft, Lb. führender Männer, E. A., A. Ballin, B. Franklin, R. Mayer, 1946;
    N. Günther, E. A., Schöpfer d. Zeissstiftung, 1946, = Große Naturforscher, hrsg. v. H. W. Frickhinger, Bd. 2 (P);
    F. Schomerus, Gesch. d. Jenaer Zeisswerkes 1846 bis 1946, 1952;
    Hahn u. Henker, E. A., in: BJ X, S. 3-10 (u. Totenliste 1905, L, P);
    Pogg. III, IV, V.

  • Porträts

    Denkmal v. M. Klinger, Jena; Statue v. A. v. Hildebrand, Univ. Jena;
    Gem. v. K. Naumann, 1902, Jena (Privatbesitz v. Frau Prof. Unrein);
    Ölgem., Dt. Mus. München.

  • Autor/in

    Theodor Heuss
  • Zitierweise

    Heuss, Theodor, "Abbe, Ernst" in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 2-4 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118646419.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA